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Soziale Räume und Differenzierungsmomente im Diskurs der Geschlechter

  • Author: Rita Sabine Kergel
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Semiotics
  • Citation: Rita Sabine Kergel, Soziale Räume und Differenzierungsmomente im Diskurs der Geschlechter, in: Jusletter IT 11 September 2014
Das Verhältnis der Geschlechter hat sich im Diskurs verschoben. Anhand der Positionen von Lacan, Bourdieu und Kristeva soll herausgestellt werden, wie weit die symbolische Ordnung der Geschlechter sich subversiv in einer konnotativen Ordnung der Dinge festsetzt. Obwohl der Mann seine Herrschaftsposition verloren hat, ist seine Referenz in einer Vergeschlechtlichung der sozialen Ordnung und der feinen Unterschiede und Differenzen im Sinne eines Eindringens geschlechtsaufgeladener Abstraktionen weiterhin präsent.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Literatur
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Durch die Abkehr von den Positionen der Selbstreflexion auf die weibliche Identität hat sich im Rahmen des Rückgriffs auf die Theoreme des «Gender» die theoretische Ausrichtung feministischer Reflexion verschoben. Gerade durch amerikanische Theoretikerinnen wie Butler, Senhabib, etc. sind strukturale Denkmuster für geschlechtsorientierte Auseinandersetzungen wieder relevant geworden, was zu einer Aufwertung und neuen Beschäftigung mit Theoretikern, wie Lacan, Foucault und Bourdieu führt. Auch Julia Kristeva wird nunmehr wieder als wichtige Theoretikerin geschlechtsorientierter Diskurse ernst genommen.
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Für Lacan sind die Individuen in all ihren Lebensäußerungen schon in spezifische Diskurszusammenhänge eingebunden. Dadurch sind die Diskurse den Lebens- und Sozialzusammenhängen vorgeordnet, da die Diskurse vermittels der Sprache den Individuen als Objekten ihre symbolischen Vorstellungen zuordnen. Die Sprache ist das Medium, in dem sich das Unbewusste artikuliert und die in ihren Zusammenhängen somit den Individuen ihre Rollen und Positionen zuordnet. Damit gewinnt Sprache ihre symbolische Relevanz auch und gerade in Bezug auf die Geschlechtsachse. Aufgrund dessen ist selbst in einer patriarchalischen Gesellschaft der Mann nicht mehr das Subjekt des Diskurses, nicht mehr «Herr im Haus», wie Lacan konstatiert, sondern lediglich eine Teilmenge im Rahmen des geschlechtlichen Diskurses.
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Während bei Freud der Mann als Referent des Phallus Subjektivität und Herrschaftsansprüche formuliert, ist er für Lacan nur noch ein Träger im Sinne der Aufteilung des Geschlechterverhältnisses und verliert damit seine bestimmende Subjektivität, da er selbst den «Diskurs des Phallus» nicht produziert oder setzt, sondern ihm in seinen Ansprüchen unterworfen ist. Mann und Frau stellen im Diskurs des Phallus nur noch Elemente dar, die in der Oppositionsbeziehung Phallus-Haben/Phallus-Sein potentiell zwei Elemente dieses geschlechtlichen Diskursfeldes repräsentieren. Somit konstituieren sich zwei verschiedene Positionen der Zuordnung des Geschlechterverhältnisses heraus, innerhalb derer sich Mann und Frau als «gleichwertige Elemente» in den Diskurs des Phallus eingebunden sehen. Daraus, dass beide Teilmengen dieses Diskurses bilden, folgt nicht, dass sie nicht weiterhin in verschiedene Hierarchien, Taxonomien und Wertungen eingebunden sind. Indem der Mann im Rahmen dieser Konstruktion allerdings nicht mehr als Subjekt des Herrschaftsverhältnisses reflektiert wird, ergibt sich potentiell die Chance, das Geschlechterverhältnis nicht mehr notwendigerweise in den Oppositionspaaren Herrscher/Beherrschte, Bestimmender/Bestimmte, Dominierender/Dominierte zu denken. Stattdessen eröffnet sich die Möglichkeit, die abhängigen Positionen beider Geschlechter innerhalb relationaler Beziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse sowie komplementärer Rollenzuweisungen zu reflektieren. Damit wird Lacan zwar nicht zu einem Vorläufer des Feminismus, zumal für ihn die Frauenfrage auch nur eine marginale Bedeutung hatte. Gleichwohl lässt sich auf Grund dieser Kritik des Subjektbegriffes und der Einordnung des Geschlechterverhältnisses in einen übergeordneten systematischen Zusammenhang die ideologische Rolle des Mannes potentiell in Frage stellen. Sie wird deshalb hinterfragt, weil das hierarchische Abhängigkeitsverhältnis nicht mehr in den Oppositionspaaren Bestimmender/Bestimmte, Subjekt/Objekt gefasst wird, sondern Mann und Frau beide als Elemente eines Diskurses begriffen werden. Dieser Diskurs der Geschlechter bleibt aber weiterhin den Taxonomien, Hierarchien, Abhängigkeiten und patriarchalischen Herrschaftsverhältnissen verhaftet. Gleichzeitig bildet sich darin ein Konstrukt des Geschlechterverhältnisses heraus, da sowohl der Mann wie auch die Frau in die Ordnungen eines Diskurses eingebunden werden, in dem die Komplementarität der geschlechtlichen Zuordnungen im Diskurs des Begehrens im Vordergrund steht. Im Rahmen dieser Konstruktion sind Frau und Mann als Elemente mit einem relationalen Bezug auf der Begehrensachse angesiedelt. Durch den Aufbau eines Beziehungsverhältnisses, in dem Mann und Frau auf einer Achse angeordnet werden und ihnen damit Bezugsmodelle innerhalb der Ordnung zugewiesen werden, können sie unterschiedliche Besetzungsleistungen aufbringen, die sich an den Formen der Objektivität des Diskurses orientieren. Somit sind Mann und Frau als Faktoren innerhalb einer symbolischen Ordnung eingebaut, innerhalb derer sie im Rahmen eines spezifischen Machtverhältnisses, das der Diskurs des Phallus setzt, aufeinander bezogen werden. Damit werden die symbolischen Räume innerhalb des Geschlechterverhältnisses in ihren differierenden Ausprägungen im Sinne von Zuordnungen und Abgrenzungen miteinander in Relation gesetzt. Indem Frauen und Männern innerhalb der sozialen Ordnung jeweils spezifische soziale Räume zugewiesen sind, bekommen sie in der Gesellschaft andere Rollen zugeteilt und besetzen infolgedessen andere Orte. Sie bekommen im Rahmen dieses relationalen Verhältnisses andere Dispositionen zugeschrieben, die in dem inneren Zusammenhang und komplementären Abhängigkeitsverhältnissen Komplizenschaften im Sinne gegenseitiger Verstärkungen der Geschlechtertrennung hervorbringen. Gleichzeitig werden, Angriffe und Verunsicherungen in das Konfliktverhältnis einer geschlechtlichen Achse aufgenommen. Somit ist das Geschlechterverhältnis in eine Beziehungsmatrix eingebunden, die auf einem Zusammenspiel der Formen symbolischer Ordnungsmuster im Spiel der Zeichen basiert. Um den genauen Ort dieses relationalen Beziehungsverhältnisses aufzeigen zu können, müssen die Bezüge in ihren spezifischen Verankerungen und symbolischen Wertungen dezidiert anhand feiner Unterschiede herausgearbeitet werden. Somit werden biologische Determinationen durchbrochen, da die geschlechtsspezifischen Zuweisungen sich zwar an biologischen Zuordnungen orientieren, diese aber übergeschlechtlich setzen, so dass Männern weibliche Eigenschaften und Frauen männliche Äußerungen zugeordnet werden können (vgl. Kristeva 1978, Gallas 1972). Durch dieses Flottieren werden einerseits geschlechtsspezifische (biologisch orientierte) Äußerungen produziert, die sich aber gleichwohl von dem Geschlecht loslösen. (Um ein Beispiel von Helga Gallas zu paraphrasieren, auch ein Mann kann dämlich sein und eine Frau kann herrlich aussehen (Gallas 1972)). Innerhalb dieser sozialen Verschiebung geschlechtsorientierter Zuschreibungen löst sich der Horizont des Begriffs der Frau oder der des Mannes vom biologischen Körper ab und entfaltet an ihm andere Möglichkeitsräume.
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Hier setzt die Sozioanalyse von Pierre Bourdieu an, die das Geschlechterverhältnis nicht nur als soziale Teilung innerhalb der Gesellschaft betrachtet, sondern dieses in der Form sozialer Räume und Felder noch einmal explizit sozial aufspaltet. Innerhalb der symbolischen Machtmechanismen werden dabei den einzelnen Zeichen als Bedeutungsträger geschlechtliche Identitäten und Differenzsetzungen in ihrem Zusammenspiel im Rahmen kontextueller Bezüge aufgezwungen, die einerseits aus dem relationalen Bezugsrahmen aktueller Positionen innerhalb gesellschaftlicher Bezüge herausgearbeitet werden können und somit Differenzierungselemente innerhalb der Geschlechterordnung im sozialen Raum als Objektivierung verschiedener gesellschaftlicher Interessen der Frauen bzw. der Männer bilden.
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Das epistemologische Paar Frau/privat zu Mann/öffentlich hat sich auf der Ebene symbolischer Repräsentationen bis heute durchgehalten und bestimmt noch immer im Aufzeigen der unterschiedlichen geschlechtsspezifisch besetzten Räume die Zuordnungen der Geschlechter. Selbst wenn die Frauen zunehmend in das Arbeitsleben eingestiegen sind und auch die öffentlichen Räume mit besetzen, so ist weiterhin der private wie auch der öffentliche Raum weitgehend immer noch geschlechtsspezifisch besetzt. Das geht von frauen- und männerspezifischen Berufen bis hin zu den Bildern und Vorstellungen von Frauen in der Öffentlichkeit.
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Es lässt sich auch die Frage stellen, wie weit auch heute noch trotz Berufstätigkeit der Frauen, Elemente der öffentlichen Frau als Hure bzw. Prostituierter symbolisch aufgeladen nachwirken. Ende des 19. Jahrhunderts war es in Großstädten üblich, dass Verkäuferinnen auf derartige Doppelverdienste hingewiesen wurden und somit die Prostitution im 19. Jahrhundert oftmals eng mit der weiblichen Arbeit verbunden war. Auch bei weiblichem Dienstpersonal fand man häufig eine Koppelung von Arbeits- und sexuellen Dienstleistungen, so dass sich die Frage stellt, ob es angemessen ist anhand des Problems sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auch heute noch Effekte dieses «Naturzustandes» im Sinne von Nachwirkungen dieser sozialen Konstellationen diskutieren zu können.
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Sollten derartig zugespitzte symbolische Wertigkeiten noch vorliegen bzw. weiterhin nachwirken, wäre es legitim provokativ, die Frage daraus abzuleiten, wie weit derartige symbolische Formen und Zuweisungen auch heute noch Einfluss auf die Durchsetzungskraft der Frauen haben? Kann man in einer patriarchalisch orientierten Gesellschaft mit derartigen Trennungsfunktionen von weiblichen/männlichen Zuordnungen die symbolischen Mechanismen durch «Veralltäglichung» (Max Weber) weiblicher Erwerbsarbeit als Festsetzen weiblicher Identität in der öffentlichen Sphäre begreifen oder ist sie vielleicht immer noch als Sonderfall des Möglichen im Rahmen patriarchalischer Herrschaftsstrukturen zu sehen. Dann wäre die Problematik der Frauenarbeit trotz ihrer zeitweiligen Veralltäglichung ein soziales Faktum, das immer wieder umkämpft wird. Als ein Beispiel ließe sich das Zurückdrängen der weiblichen Arbeitskräfte in den neuen Bundesländern in Deutschland nach der Vereinigung dienen, da sich die Arbeitslosenrate in den neuen Bundesländern geschlechtsspezifisch unterschiedlich entwickelt hat.
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Gerade Bourdieu intendiert anhand seiner Fragestellungen Sensibilitäten und einen selbstreflexiven Blick als Form epistemologischer Wachsamkeit auf soziale Kontexte zu werfen, um die ihnen inhärenten Hierarchien, Macht- und Herrschaftsverhältnisse dezidiert herausstellen zu können. Somit bezweckt er, einerseits Differenzen im Alltag, in den scheinbar belanglosen routinierten Handlungen und Einstellungen herauszuarbeiten, um an ihnen distinktive Unterschiede herausstellen zu können, andererseits aber auch darüber nicht den Blick für Gemeinsamkeiten zu verlieren, da er diesen nicht über konkrete Manifestationen allein, sondern über relationale Zuordnungen von Mechanismen zu leisten vermag. Dabei stellt Bourdieu die Frage nach den Übertragungsmechanismen anhand konkreter empirischer Fragestellungen, um mittels dieser Differenzen Unterschiede in den Lebensstilen und sozialen Räumen herauszuarbeiten. So stellt er in den feinen Unterschieden heraus, dass Arbeit bei Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten verschieden besetzt ist. Anhand eines Verweises auf eine Untersuchung von Nicole Tabbard stellt er die Differenz innerhalb weiblicher Lebensentwürfe in den Mittelpunkt, um in deren Rückbindung zu den sozialen Positionierungen die Einheitlichkeit weiblicher Interessen infrage zu stellen, bzw. diese durch die sozial unterschiedlichen Interessen in den Fokus der Sichtweise auf weibliche Existenzformen verstehbar werden zu lassen. Die Einheit verweist auf das Geschlecht, während die Unterschiede auf die Differenzierungsmuster innerhalb der Gesellschaft aufmerksam machen, die die geschlechtliche Einheit subversiv unterminiert.
    «Nicole Tabbards Untersuchung der Haltung gegenüber Frauenarbeit hat dazu Grundlegendes aufgewiesen: für die Frauen aus der Arbeiterklasse ‹ist Arbeit ein Zwang, der sich lockert, wenn der Lohn des Ehemanns steigt›; für die weiblichen Angehörigen der privilegierten Klassen dagegen stellt Frauenarbeit eine Wahlmöglichkeit dar, wie die Tatsache belegt, wonach die ‹Quote der Frauenbeschäftigung auch mit steigendem Status nicht abnimmt.› Diesen Befund sollte man beim Lesen von Statistiken ständig vor Augen haben, insofern sie durch den homogenen Charakter der Befragung nominelle Gleichheit wie meistens, wenn von einem Extrem des sozialen Raums zu einem anderen übergewechselt wird, grundverschiedene Realitäten kaschiert.» (Bourdieu 1982: 291)
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In diesem Wechsel des Standpunkts reflektieren sich unterschiedliche soziale Zuordnungen, die aus verschiedenen Lebenszusammenhängen resultieren und die die Einheit des Geschlechts aufsplitten, indem diese in verschiedene soziale Räume und Felder verteilt sind und damit konstitutive Unterschiede und Differenzen beinhalten, die in ihrem Differenzierungsniveau «ursprüngliche» einfache Zuordnungen sprengen. Derartige signifikante Unterschiede prägen den Alltag und lassen sich auch und gerade noch einmal zwischen Frauen und Männern anhand alltäglicher Praxen herausstellen, in denen die charakteristischen Unterschiede bis in körperliche Hexis hineinwirken und sich dort wiederum sozial differenziert äußern.
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In Anlehnung an die Forschungsmethode Bourdieus stellt Jean-Claude Kaufmann heraus, dass nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit im Alltag die Handlungsstränge hierarchisiert, taxonomiert, trennt und unterteilt, so dass komplexe Differenzierungen schon bei einfachsten Haushaltstätigkeiten vorliegen, die in sich ein differenziertes Arsenal an Techniken und Einteilungen beinhalten. Teilungen und Trennungen werden dadurch hervorgebracht, die sich sowohl an Differenzierungen, wie auch an dem Arsenal von Techniken und Haushaltsmaschinen orientieren und in ihnen geschlechtsspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten aufgebaut werden, sich an ihnen orientieren, bestätigen, in Frage stellen können und diese auch wieder de- und entqualifizieren können. Das Dampfbügeleisen stellt einen derartigen Bezugspunkt her, da es Fähigkeiten der Büglerin potentiell enteignet (Kaufmann 1999), während der Erwerb einer Waschmaschine innerhalb einer Beziehung diese in eine andere, feste endgültige Form transponiert (Kaufmann 1994). Das Geschlecht wird somit durch technische Bezugspunkte und soziale Handlungsorientierungen geprägt, bestätigt und auch wieder relativiert, da sie symbolisch besetzt und aufgeladen sind.
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Sowohl beim Essen zeigen Männer und Frauen einen anderen sozialen Umgang mit der Nahrungsaufnahme, wie auch in der Aneignung des Raumes; die Bewegungen bei Männern und Frauen sind in der Regel andere, ein vorsichtiges Schreiten im Gegensatz zu einem breiten Einnehmen des Raumes bei den Männern skizzieren geschlechtsspezifische Unterschiede.
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Gleichzeitig produzieren aber auch verschiedene Hierarchisierungen, Einteilungen und Wertigkeiten innerhalb der sozialen Räume eine symbolische Differenz in den unterschiedlichen Frauenwelten, die sich subtil und sublim beim Schminken, dem Essen, der Arbeit, dem Interesse für Frauenzeitschriften und gegenüber Mode äußern und diese Taxonomien mit den Zugehörigkeiten zu spezifischen sozialen Räumen und Positionen streut. Diese Zersplitterung des Weiblichen im Setzen unterschiedlicher Zugänge zu der sozialen Welt differenziert den Raum weiblicher Äußerungen und überführt ihn in eine Struktur sozialer Abgrenzungen und Distinktionen, die eine Uneinheitlichkeit weiblicher Interessenlagen im sozialen Raum hervorbringen.
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Für Bourdieu bedarf die männliche Herrschaft somit, da sie bereits hinreichend abgesichert ist, keinerlei Rechtfertigung. Die herrschende Sichtweise drückt sich in Diskursen, den Gedichten, den Rätseln, den Darstellungen etc. hinlänglich aus. Sie kommt in den technischen Gegenständen, in den Aufteilungen des Hauses in den Körpertechniken, den Haltungen, dem Auftreten zum Tragen. In diesem Zusammenhang spricht Bourdieu nicht von Ideologie, die sich in der Gesellschaft festschreibt, sondern benennt die faktischen Diskurse und Praktiken, die zwar unbestreitbar eine Legitimationsfunktion erfüllen, aber nicht die soziale Ordnung legitimieren. Die Geschlechtertrennung, die oft auch als «Natur der Dinge» benannt wird, erscheint als «natürlich» als «normal», weil sie sich einerseits als verobjektiviert in der sozialen Welt bricht und andererseits inkorporiert in dem Habitus präsent ist – als Denk-, Wahrnehmungs- und Wertungsschemata organisiert sie gesellschaftliche Trennungen und Teilungen. Hierdurch stellt sich die Frage, welchen Status bei Bourdieu die faktischen und funktionalen Trennungen innehaben, auf denen die herrschende Sichtweise basiert und die gleichzeitig die männliche Herrschaft absichern. Männliche Herrschaft bedeutet für Bourdieu keine Ideologie, sondern sie ist eingebunden in die grundsätzlichen Trennungen der symbolischen Ordnung, deren immanenter Bestandteil sie sind. Damit verweist er darauf, wie stark gerade die geschlechtliche Trennung in den Formen der symbolischen Herrschaft verankert ist. Er betrachtet diese als eine Form epistemologischer Schwierigkeiten, auf die jegliche theoretische oder empirische Auseinandersetzung, die sich mit der Geschlechterfrage auseinandersetzt, stößt, die sich dadurch kennzeichnen lässt, dass der gesamte gesellschaftliche Komplex auf Trennungen und Teilungen basiert, denen symbolischen Formen der Geschlechtertrennung inhärent sind. Dieses ließe sich auch gerade am Beispiel des Homo oeconomicus herausstellen, der in seiner Geschlechtsblindheit davon zu abstrahieren scheint.
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Der Homo oeconomicus unterstellt eine rational geprägte Herangehensweise an die soziale Welt, die auf der einen Seite geschlechtsblind ist, da er von den spezifischen geschlechtlich orientierten Praktiken absieht und soziale Unterschiede ignoriert. Das Prinzip wissenschaftlicher und auch ökonomischer Rationalität wird als ein allgemeines Prinzip gesehen, da es für alle Individuen gilt. Dabei wird unterstellt, dass die Individuen mit ihren Ressourcen zweckrational, nach dem Kosten-Nutzen Prinzip verfahren. Ausgeklammert bleibt hierbei die Frage, ob dasselbe Prinzip als rationale Form der Aneignung überhaupt für die gesamte Gesellschaft gilt oder ob sich dies nicht gemäß den Interessenlagen und den diesen Interessenlagen zugrundeliegenden Logiken aufspaltet. Gerade die vielfachen verschiedenartigen Lebenszusammenhänge verweisen auf heterogene uneinheitliche Problemlagen und Problemlösungshorizonte, an die die Frage herangetragen werden kann, ob und inwieweit derlei spezifische Unterschiede überhaupt gleiche Lösungsvorschläge bzw. Varianten einer ökonomisch geprägten Rationalität zulassen oder ob diese sich nicht gemäß der Besonderheit und der Verschiedenheit der jeweiligen Logiken der Lebens- und Geschlechtszusammenhänge entsprechend aufspalten. Im Rahmen eines epistemologischen Misstrauens, bzw. einer epistemologischen Wachsamkeit gegenüber allgemeinen Begrifflichkeiten verweist Bourdieu hier auf die besonderen Beziehungsgefüge und differenzierten Lebenslagen hin, in die die sozialen Akteure jeweils eingebunden sind. Gerade unter dem Gesichtspunkt der geschlechtlichen Achse unterstreicht Bourdieu die differierenden Bedingungen und Voraussetzungen, in die die Akteure jeweils konkret eingebunden sind und die sich gemäß der geschlechtlichen Achse situieren. Für Männer und Frauen stellen sich unterschiedliche Verhaltensmodelle, Partizipationsmöglichkeiten und Durchsetzungschancen heraus, die jeweils auf geschlechtsspezifischem Kalkül, dementsprechenden Strategien und differierenden Lebenszusammenhängen basieren. Im Rahmen dieser unterschiedlichen Voraussetzungen werden geschlechtsspezifische Übertragungsmechanismen an Frauen und Männer herangetragen, die an sie jeweils qualitativ andere Anforderungsprofile und Handlungspotentiale stellen und die durch ihre Einbindung in eine geschlechtliche Achse Zuordnungen fundamentieren. In der spezifisch rationalen Herangehensweise, die den Homo oeconomicus auszeichnet, wird die unterschiedliche Ressourcenverteilung der Kapitalsorten und die potentiellen Handlungsmöglichkeiten, sowie die geschlechtsorientierten Anforderungsprofile und sozialen Kompetenzen im sozialen Raum nicht mitthematisiert und somit unterschlagen. So kümmern sich Frauen in der Regel um die Kinder, tragen die Verantwortung im Haushalt, entwickeln eigene Strategien, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, die in der Regel von zwangsläufigen Karriereknicks flankiert werden und jeweils spezifische Anforderungsprofile beinhalten und somit dazu beitragen, unterschiedliche Verantwortungen zu verstärken und die verschiedene Logiken beinhalten, da ihnen differierende Besetzungen inhärent sind. Das Paradigma des Homo oeconomicus ist männlich geprägt, wenn es in seinen Handlungsanweisungen utilitaristisch derart geprägt ist, dass es die Vernetzung zwischen den Lebenszusammenhängen in differierenden Bereichen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil in ihren Hierarchisierungen, Taxonomien, Abhängigkeiten und Vernetzungen nicht mitreflektiert und damit weibliche Lebenszusammenhänge ausschaltet.
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Die tiefgreifende Verankerung eines derartigen Herrschaftsgefüges in den Mechanismen einer grundlegenden gesellschaftlichen Trennung, die auf symbolischen Besetzungen basiert, verweist darauf, wie tiefgreifend gerade die Muster männlicher Herrschaft in Form der Geschlechtertrennung in den gesellschaftlichen und begrifflichen Mustern präsent sind. In diesen Strukturierungen entfaltet sich ein symbolisches Bild des Weiblichen, das selbst bis in die feinsten Verästelungen männlich dominiert und domestiziert rückgebunden ist, so dass selbst die Imaginationen und Selbstzuschreibungen des Weiblichen einer unterirdischen Geschichte männlicher Symbolik und deren Zuschreibungen geschuldet sind. Dadurch eröffnet sich der Horizont der Einbindung des Weiblichen in die Definition patriarchalisch orientierter Zuschreibungen und Zuordnungen. Somit stellt sich auch für eine Frauenbewegung die Frage, inwieweit die Frauen selbst in ihren Emanzipationsversuchen noch in die Mechanismen männlicher Herrschaft verstrickt sind und auch in den Formen feministische Selbstreflexion noch Muster und Symbole männlicher Herrschafts- und Aneignungsmechanismen präsent sind. Auch die Einteilung der Dinge und Gegenstände werden nach dem Gegensatz von männlich und weiblich gefasst und somit in geschlechtsspezifische Bedeutungszusammenhänge eingebettet.

    Für sich genommen willkürlich, wird die Einreihung der Dinge und der Tätigkeiten nach dem Gegensatz von männlich und weiblich zur objektiv und subjektiv Notwendigen durch ihre Einreihung in ein System homologer Gegensätze: hoch/tief, oben/unten, vorne/hinten, rechts/links, gerade/krumm (und hinterlistig), trocken/feucht, hart/weich, scharf/fade, hell/dunkel usf. Da diese Gegensätze einander ähnlich sind im Unterschied, sind sie konkordant genug, um sich in und durch das Spiel von Umschreibungen und Metaphern gegenseitig zu stützen; und divergent genug, um jeden von ihnen eine Art semantischer Dichte zu verleihen, die aus der Überdetermination durch die Harmonie, die Konnotationen und die Entsprechungen hervorgeht. (Bourdieu 1997: 161)

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Diese Denkfiguren orientieren sich anscheinend an natürlichen Eigenschaften der Dinge und scheinen in ihnen liegende Unterschiede zu benennen. Vor allem aber auch werden derartige «natürliche» Zuordnungen in Bezug auf den Geschlechtsunterschied permanent und unablässig in den Köpfen der sozialen Akteure reproduziert. Somit sieht Bourdieu diese in ein System homologer Gegensätze eingezwängt.
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Oben/unten, feucht/trocken könnte man hier als Beispiele geschlechtlicher Besetzung anführen, so dass sich hier das Oppositionspaar aufrechter Mann/gebückte Frau bilden lässt, das über die Vorstellung der Regel der Frau, den Geburtsakt etc. naturalisiert wird. Für Bourdieu ist es dabei wichtig, auf die fortschreitende Somatisierung aufmerksam zu machen, was bedeutet, dass diese bis in die Hexis des Körpers eingeschriebenen Trennungsmechanismen und symbolischen Teilungsmechanismen den Ort bilden, über den sich diese geschlechtlichen Aufteilungen naturalisieren. Sichtbar wird diese Form der Einschreibung in der Art der Körperhaltungen, in den unterschiedlichen Gangarten in den Gesten usw. Bourdieu expliziert diese Institution der zwei unterschiedlichen Naturen, indem er auf die kabylischen Frauen aufmerksam macht. Sie sind es, die zum Boden gebeugt die Oliven oder das Reisig aufsammeln, während den Männern, mit der Stange oder der Axt bewaffnet, das Abschneiden oder Herunterholen von Früchten, Laub etc. zusteht.
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Für Bourdieu ist dabei innerhalb einer sozialwissenschaftlichen Analyse entscheidend, die eigene Verankerung im sozialen Raum genau zu definieren, weil diese den Standpunkt des Analysierenden mitbestimmt. So beschreibt er in seinem Aufsatz «Die männliche Herrschaft» zum einen die Schwierigkeiten, die sich für den Sozialwissenschaftler aufgrund seiner spezifischen Position ergeben, zum anderen die Besonderheiten, die sich aufzeigen lassen, wenn ein männlicher Sozialwissenschaftler über das Geschlechterverhältnis schreibt.

    Und da er es mit einer Institution zu tun hat, die seit Jahrtausenden in die Objektivität der sozialen Strukturen und in die Subjektivität der mentalen Strukturen eingeschrieben ist, neigt er vor allem dazu, Wahrnehmungs- und Denkkategorien als Erkenntnismittel zu verwenden, die er als Erkenntnisgegenstände zu behandeln hätte. (Bourdieu 1997: 153)

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Bourdieu betont diese Schwierigkeiten im Bereich der Objektivität in Bezug auf das Geschlechterverhältnis besonders stark aus folgenden Gründen. Die Wahrnehmungs- und Bewertungsprinzipien der männlichen Herrschaft haben sich so stark in die Gesellschaft eingeschrieben, dass die Gefahr besteht, dass Feministinnen im Rahmen ihrer Verobjektivierungen notwendigerweise immer wieder den Prämissen und Schlussfolgerungen der männlichen Herrschaft verfallen, diese also ähnlich, wie im Märchen vom Hasen und dem Igel immer schon subversiv präsent sind und die Ausrichtungsmodi implizit «unbewusst» mit strukturieren. Überspitzt ließe sich nämlich auch gerade noch einmal das Problem der weiblichen Identität und des Verständnisses des Weiblichen derart skizzieren, dass innerhalb patriarchalischer Gesellschaftsstrukturen das Weibliche eine Form ist, die aus den Prämissen männlicher Herrschaft und Teilungen abgeleitet wird bzw. ihr homolog ist. Deshalb ist es für ein Aufbrechen der gesellschaftlichen Strukturierungsmechanismen gerade in Bezug auf die geschlechtliche Achse so relevant, herauszuarbeiten, dass der Mann selbst gesellschaftlichen Strukturierungen unterliegt, in denen zwar männliche Herrschaft gilt, aber der Mann selbst auch diesen Strukturierungseffekten einer geschlechtlichen Achse ausgeliefert ist. So unterliegt auch er Verhaltensmodi und Herrschaftseffekten des männlichen Prinzips, die ihm aufgezwungen werden und ihn ebenfalls, wie die Frau zu einem Element des Diskurses patriarchalischer Herrschaft werden lässt. Gleichzeitig warnt Bourdieu auch vor sich selber, da er, wenn er als Mann über die weibliche Herrschaft schreibt, auf Teilungsprinzipien und Objektivationen zurückgreift, die sich der männlichen Herrschaft und dem männlichen Blick verdanken. Das Hintergründige an dieser Argumentation ist ja auch noch einmal gerade die Fragestellung zu eröffnen, inwieweit feministische Forderungen und Ansatzpunkte sich fast grundsätzlich im Medium männlicher Herrschaft und deren symbolischen Mechanismen entfalten.
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Bourdieu verweist auf seine Studien über die kabylische Gesellschaft, die eine rein patriarchalische Struktur aufweist. In einer derartigen Gesellschaft ist die Bestimmung des Weiblichen fast ausschließlich vom Prinzip der männlichen Herrschaft her besetzt und bestimmt. Die gesellschaftlichen und geschlechtsorientierten Teilungen bei den Kabylen interpretiert er als eine tiefliegende Form eines Grundmusters männlicher Herrschaft, die sich dadurch auszeichnet, dass entsprechende Barrieren gesetzt werden, die in ihren Ankerpunkten immer noch das Geschlechterverhältnis in modernen Gesellschaften skizzieren.
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Innerhalb eines relationalen Verhältnisses zwischen Männern und Frauen lassen sich empirisch orientiert Positionen, Bezugnahmen und Abgrenzungen innerhalb des Geschlechterverhältnisses dezidiert nachweisen und Beziehungskonfigurationen innerhalb des Geschlechterverhältnisses vorsichtig in der Sprache der männlichen Herrschaft aufzeigen. Damit können Abstände, Unterschiede und Trennungsmechanismen herausgearbeitet werden.
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Als ein relevantes Element für das Prinzip der männlichen Herrschaft wäre hierbei der Habitus zu benennen. Das Geschlecht bildet eine fundamentale Dimension des Habitus, wobei die Frage zu stellen wäre, wie dieser habituelle Unterschied in der Sozialisation ausgeprägt wird. Bourdieu meint dazu, dass man zwar lernt, eine Frau zu sein, aber gleichzeitig immer Frau oder Tochter eines Arbeiters, eines leitenden Angestellten etc. ist. Für ihn ist die Geschlechtssozialisation nicht von der Sozialisation für eine bestimmte Position zu trennen. Selbst bei den einzelnen Dispositionen wie zum Beispiel der zur Unterordnung wird sich diese unterschiedlich darstellen, je nachdem ob es sich um Frauen handelt, die der beherrschten Klasse oder der herrschenden Klasse angehören. Bourdieu illustriert dies am Beispiel der Brandbreite und Besetzung dessen was unter weiblichen Präferenzen zu «Dienstleistungen» verstanden wird. Im Bereich der «Dienstleistungen» werden sich die Dispositionen zu Unterstützungen und Hilfeleistungen jeweils sachbezogen unterschiedlich artikulieren. Eine Frau als Sozialarbeiterin, Ärztin etc. wird andere Artikulationsformen aufzeigen, als eine Krankenschwester, Verkäuferin oder Putzfrau, da jeweils völlig andere soziale Positionen vorliegen. (Selbst beim Putzen können völlig andere Bezüge vorliegen, worauf Bourdieu anhand des Putzens einer Kirche aufmerksam macht (Bourdieu 1998), da diese in die Oppositionsbeziehung profan/sakral eingebunden ist. Eine Unterscheidung, die den familiären in seinen Besetzungen von anderen Bereichen auch abgrenzt.) Bei den entsprechenden Tätigkeiten sind zwar unterlegene Dispositionen in Bezug auf die Männer zu konstatieren, wenn man sie auf Männer der gleichen sozialen Positionen bezieht, aber gleichzeitig überlegene Formen, wenn sie an den Frauen (und auch Männern) anderer Milieus gemessen werden. Somit sind Frauen immer in diese doppelten Relationen eingebunden. Auf der einen Seite muss das Verhältnis zu Männern in den gleichen Dispositionen betrachtet werden, auf der anderen Seite muss man die Relation zu Frauen in anderen Positionen thematisieren.
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Diesen relationalen Blick findet man auch in den feinen Unterschieden wieder, wenn Bourdieu über die Kochgewohnheiten der unterschiedlichen Klassen spricht. Auch wenn in allen Klassen am häufigsten von den Frauen die Nahrung zubereitet und gekocht wurde, ist die Form der Zubereitung je nach Disposition der Frauen höchst unterschiedlich. Für Bourdieu führt die soziale Teilung zu Unterschieden in Bezug auf Ihre Position, Interessen, Einschätzungen und den Blick, den sie auf die Situation der Frauen und die Frage der männlichen Herrschaft werfen, was letztlich zu einem Hindernis in Bezug auf eine gemeinsame Handlungspräferenz führt. Für Bourdieu sind allerdings auch die Frauen, die von der Emanzipationsbewegung am meisten profitiert haben, zumeist immer noch strukturell untergeordnet, da die Positionen, die sie erreicht haben, noch immer eher in den peripheren Bereichen des sozialen Raumes angesiedelt sind.
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Somit gewinnt die männliche Herrschaft den Status eines besonderen Falles eines ganz allgemeinen Modells von Herrschaft, dem der symbolischen Herrschaft. Das Geschlechterverhältnis ist eingebunden in die Relationen Habitus/Feld/Raum. Das Geschlechterverhältnis produziert in dieser Konstruktion einen Bereich sozialer und gesellschaftlicher Zuordnungen, denen es verhaftet bleibt, und wird dabei im sozialen Raum derartig verteilt und diffusiert, dass keine einheitlichen weiblichen Interessen und Zuordnungen eindeutig fixiert werden können, obwohl diese immer wieder sanktioniert und eingefordert werden. Diese Kritik impliziert eine Position, die dazu aufruft, partikuläre Interessen einzufordern und transparent werden zu lassen, um in Form einer epistemologischen Selbstreflexion diese Interessen in Relation zu den Interessen der Frauen in anderen sozialen Räumen setzen zu können.
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Zwar ist die Differenz zwischen Männlichem und Weiblichem als ein konstitutives Element gesellschaftlicher Machtverteilung und Herrschaftsverhältnisse einzuschätzen, aber trotzdem ist es nicht als konstitutiv für die gesellschaftlichen Macht-, Gewalt- und Teilungsprinzipien einzuschätzen, da diese das Terrain gewechselt haben. Im Rahmen der gesellschaftlichen Teilungs- und Trennungsprinzipien sind Frauen auf alle Klassen und Schichten der Gesellschaft verteilt und die sozialen Räume überformen dabei im Rahmen ihrer Ausdifferenzierung die geschlechtlichen Zuordnungen, so dass unterschiedliche Wahrnehmungs- und Wertungsprinzipien hervorgebracht worden sind, die Frauen in unterschiedliche soziale Verortungen einbinden. Durch die Heterogenität der unterschiedlichen Lebenslagen sieht Bourdieu eine Schwierigkeit, sowohl in der Mobilisierung, als auch in der Einheitlichkeit der Interessen, da diese durch die verschiedenen sozialen Positionierungen der Frauen gebrochen worden sind. Da die verschiedenen sozialen Räume Frauen jeweils andere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen bieten, sowie auch darauf beruhende andere Interessen zuordnen, interpretiert Bourdieu dies derart, dass die sozialen Festschreibungen in unterschiedlichen sozialen Räumen eine Präferenz des Sozialen gegenüber den Prioritäten der Geschlechtlichkeit beinhalten. In einem Interview spricht Bourdieu von einer Dominanz der Klassensozialisation gegenüber einem «Geschlechtshabitus».

    Mir scheint die Klassensozialisation ist grundlegend, selbst wenn sie zutiefst von der Geschlechtssozialisation beeinflußt wird. (…) Ich denke, es ist gefährlich, aus dem Geschlecht die Hauptvariable zu machen; das kann mystifizierende Effekte haben und es kann Frauen in sozial höheren Positionen die Möglichkeit geben, im Namen der Einheit des gender, Frauen mit niedrigerem sozialen Status zu dominieren. (Bourdieu 1997: 224)

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Selbst wenn Bourdieu in diesen Bemerkungen die Klassensozialisation präferiert, so betont er doch, wie tiefgreifend die Geschlechtssozialisation für die spezifischen Ausprägungen der Geschlechtsachse innerhalb der sozialen Räume verantwortlich zeichnet. So besteht die Gefahr, dass es mystifizierende Effekte hervorbringen könnte, wenn das Geschlecht zur Hauptvariablen innerhalb der sozialen Zuordnungskriterien der Gesellschaft wird. Frauen aus den dominierenden Klassen könnten ihre partikulären Interessen zu Allgemeininteressen postulieren und so die Unterschiedlichkeiten der sozialen Lebenslagen innerhalb der unterschiedlichen gesellschaftlichen Räume ausblenden. Hier ist für Bourdieu die Frage der geschlechtsspezifischen Zuweisung relevant, die auch wenn die Dominanz der Männer quer durch alle gesellschaftlichen Räume gegenüber den Frauen weiterhin vertreten wird, eine Zuweisung ist, die trotzdem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Klassen und Schichten überformt wird.
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Aber auch wenn Bourdieu von einer Dominanz der klassenstrukturellen Zuordnungen ausgeht, so unterschätzt er trotzdem nicht die weiterhin bestehende Kontinuität der männlichen Herrschaft innerhalb der gesellschaftlichen Realität. Gegenüber vielen feministischen Blickrichtungen, die sichtbare Veränderungen aufzeigen, erkennt er eine Kontinuität sowohl in den Strukturen als auch in den Repräsentationen. Errungenschaften der Frauen in den vergangenen Jahrzehnten schätzt er zwar als positive Veränderungen ein, macht auch darauf aufmerksam, dass eine Evidenz männlicher Herrschaft nicht mehr umstandslos durchsetzbar ist, weist aber gleichwohl auch auf Kontinuitäten innerhalb des Herrschaftsanspruches und der Machtdispositionen des Geschlechterverhältnisses hin. Gerade Bourdieus Ansatz ist durch den Habitusbegriff darauf ausgerichtet, die sozialen Anpassungsleistungen der Individuen in den Verinnerlichungstendenzen und Einschreibungen in ihren Feindifferenzierungen bis in die körperliche Hexis hinein zu thematisieren. Deshalb thematisiert er auch die tiefgreifenden Zuweisungen, die sich hinter der geschlechtlichen Achse verbergen. Da einerseits die Gesellschaft bis in ihre feinsten Verästelungen durch die geschlechtliche Trennung geprägt ist, diese aber andererseits im Rahmen gesellschaftlicher Trennungs- und Teilungsprinzipien diffusiert wird, werden verschiedene geschlechtliche Identitäten im Rahmen unterschiedlicher sozialer Felder im Sinne von «Sonderfällen des Möglichen» weiblicher Lebenszusammenhänge produziert. Somit wird die weibliche Identität als Produkt gesellschaftlicher Teilungen und nicht nur als Überformungen eines ursprünglich geschlechtsspezifischen Prinzips innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaft erfasst. Gleichzeitig weist die Einbindung der Frauen in unterschiedliche Partizipationschancen, Einflussmöglichkeiten und Machträume auf den Formcharakter der weiblichen Identität hin, die in den Differenzen der Zugehörigkeit des sozialen Raumes und der Teilhabe an ökonomischem und kulturellem Kapital transparent werden.
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In seinem Aufsatz männliche Herrschaft spricht Bourdieu davon, dass eine tiefgreifende Änderung des Geschlechterverhältnisses eine Revolution der symbolischen Ordnung erfordern würde, da in die verschiedenen Formen des Habitus jeweils tiefgreifende Wertungs- und Wahrnehmungsschemata eingelagert sind, in denen sich die traditionelle symbolische Ordnung des Geschlechterverhältnisses weiterhin reproduziert.

    Das Wichtigste ist, daß eine Revolution der symbolischen Ordnung, um erfolgreich zu sein, die Weltsichten verändern muß, d.h. die Prinzipien der Vision und Division (der Einteilung und Aufteilung) der natürlichen und der sozialen Welt. Diese bleiben, da sie in Form körperlicher Dispositionen von großer Wirkungskraft existieren, dem Zugriff des Bewußtseins und der rationalen Argumentation entzogen. (Bourdieu 1997: 227, siehe auch 162)

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Gleichzeitig betont Bourdieu somit, dass es nicht ausreichen würde, männliche Herrschaft zu brechen. Seine Bemerkungen zielen auch eher darauf, noch einmal zu unterstreichen, wie stark die männliche Herrschaft nicht nur soziostrukturell, sondern auch in der Geschichte verankert ist, so dass die Begrifflichkeiten der Geschlechtsunterschiede die gesamten Wahrnehmungs, Wertungsschemata und emotionalen Bereiche durchdrungen haben. So kann eine Brechung der männlichen Herrschaft nur über einen eruptiven Bruch mit der geltenden symbolischen Ordnung zu bewerkstelligen sein. Das Wichtigste für Bourdieu ist, dass eine Revolution der symbolischen Ordnung, um erfolgreich zu sein, die Aufteilung der natürlichen und der sozialen Welt nachhaltig verändern muss. Diese Strukturen der Aufteilung und Einteilung bleiben, da sie habituell in Form körperlicher Dispositionen bestehen und sich weiterhin in Repräsentationen und Praxen durchsetzen.
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Beispiele hierfür wären der immer noch vorhandene Altersvorsprung bei Ehepaaren und Umfragen, die zeigen, dass Frauen sich Männer wünschen, die in der Regel älter und größer als sie sein sollten. Diesen Beispielen könnten beliebig viele andere hinzugefügt werden, da das Relevante an Bourdieus Analysen auch gerade in Bezug auf die Geschlechterfrage darin besteht, dass sie eine differenzierte Feinsicht auf die soziale Welt implizieren, in der nach Bedeutungsträgern gefahndet wird, um die Taxonomien, Wertungen und Wahrnehmungsformen dezidiert untersuchen zu können. Somit kann an derartigen Prozessen dechiffriert werden, wie tiefgreifend die Geschlechtertrennung in der Gesellschaft verankert ist. Deshalb ist es auch notwendig den Blick auf die empirischen Ausprägungen zu legen, um dezidiert erkennen zu können, welche Tragfähigkeit sie in Bezug auf einfache Handlungen entwickeln. Ich möchte noch einmal auf das eingangs erwähnte Beispiel der geschlechtsspezifischen Form der Nahrungsaufnahme verweisen. Als Einzelnes scheint dieses Beispiel unbedeutend zu sein, aber in der Summe der vielfältigen Einschreibungen wird eine Position der Frau von Bourdieu aufgezeigt, die als ungerecht und als sanfte, unsichtbare, unmerkliche Diskriminierung beschrieben wird. Hier wäre anzumerken, dass Bourdieu nicht von Männern spricht, die bewußt «frauenfeindlich» agieren, sondern dass gerade die symbolische Gewalt nicht auf der Ebene der bewußten Intention operiert und so wiederum nur festschreibt, was sich habituell in den Denk-, Wahrnehmungs- und Wertungsschemata als zweite Natur eingeschrieben hat und insofern als gesellschaftliches Unbewusstes fungiert.
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Gerade wenn die symbolische Herrschaft des Männlichen so tiefgreifend ist, dass sie in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Räumen das Weibliche definiert und bestimmt, stellt sich die Frage, wie das Weibliche beschaffen ist, und ob es eine von der hegemonialen Pose des Mannes abhängige Konstante ist. Ist die Geschlechtsbestimmung des Weiblichen und damit auch eine feministische Fassung als strukturierte von den Prämissen männlicher Herrschaft abhängig.
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Als eine abgepresste unbewußte Komplizenschaft, in der die Geschlechter agieren, unter dem Postulat der männlichen Herrschaft, stösst man auf ein auxiliares Verhältnis, das bis in die körperliche Hexis hereinreicht und damit eine spezifische Form von Gewalt und Unterwerfungsbereitschaft zwischen den Geschlechtern als Scharnier verankert. Feminismus kritisiert folglich nicht nur Bewußtsein, sondern Dispositionen, die in Herrschaftsstrukturen verankert und diesen angepasst sind.

    Die männliche Herrschaft, die die Frau als symbolisches Objekt konstituiert, dessen Sein (esse) ein Wahrgenommen-Sein (percipi) ist, hat den Effekt, daß die Frauen in einem Zustand ständiger körperlicher Unsicherheit oder besser symbolischer Entfremdung gesetzt sind. Ihr Sein ist das Erscheinen, und so werden sie ohne explizite Aufforderung dazu gebracht, sich mit der Art, wie sie ihren Körper halten und präsentieren (Aufmachung, Kleidung, Kosmetik usf.), den Männern gegenüber als disponibel (in vergeschlechtlicher und eventuell sexueller Hinsicht) zu zeigen. (Bourdieu 1997: 229)

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Herausgebildet wird der männliche Habitus hingegen nach Bourdieu in dem Raum, der primär den Männern vorbehalten ist. Seien es die ernsten Spiele, deren Kulmination der Krieg ist, seien es die Spiele, in denen auf den politischen, religiösen wissenschaftlichen Feldern mit unterschiedlichen Kapitaleinsätzen gespielt wird (im übrigen ist die Spiel-Methapher eine sehr beliebte bei Bourdieu), stets sind es die Männer, die diese Spiele spielen und bei denen Frauen nur marginal als Mitspieler auftreten. Bourdieu bringt dies auf einen Punkt, wenn er sagt «so sind die Frauen buchstäblich aus dem Spiel.» «Bourdieu sieht zwar hier auch Veränderungen in der Besetzung der Felde, so weist er auf die ansteigende Zahl der Frauen mit höherem Bildungsabschluss, die Forderung der Frauen nach kontinuierlicher Partizipation am Berufsleben hin. Für ihn sind hier Wandlungsprozesse zu verzeichnen, die er registriert und positiv bewertet, gleichwohl sieht er, dass in Übergangssituationen der vorher beschrieben Zustand «aus dem Spiel raus sein» in den Praktiken sowie den Denk-, Wahrnehmungs- und Wertungsschemata weiter besteht. Nur marginal zugelassen im Raum des Spiels der Männlichkeit können Frauen nur schwer als Subjekte in der eigenen Position in die Spiele eingreifen, in denen die Männlichkeit im gegenseitigen Austausch der Anerkennung ihre Bestätigung erfährt. Die immer noch bestehende Aktualität dieses Aspekts wird dann transparent, wenn man sich die Zahl der Politikerinnen vergegenwärtigt, ebenso die Zahl der Professorinnen an Hochschulen etc. Selbst wenn Frauen in qualifizierte Berufe gelangen, sind sie bis heute fast ausschließlich allein für die Verwaltung des symbolischen Kapitals in der Familie zuständig und bekommen häufig auch diese Funktion der Präsentation und Repräsentation im öffentlichen Raum übertragen. In den Konstrukten einer Vermehrung und Erhaltung des symbolischen Kapitals innerhalb der Familien zeigt sich für Bourdieu, wie bestimmend der geschlechtliche Habitus für die Durchsetzung symbolischer Herrschaftseffekte ist. Diese Struktur und Herrschaftsmechanismen symbolischer Herrschaftseffekte müssten nach Bourdieu transparent gemacht werden, da nur so aufgezeigt werden kann, wie die Frauen, auch wenn sie in einigen Bereichen ihre Situation verbessern konnten, in die grundlegenden Strukturen des Produktions- und Zirkulationsfeldes symbolischer Güter eingebunden sind; Bourdieu sieht in einem Umsturz dieser spezifischen Macht- und Herrschaftsbedingungen die wirkliche Befreiung.

1.

Literatur ^

Bourdieu, Pierre, Die feinen Unterschiede, Suhrkamp: Frankfurt am Main 1982

Bourdieu, Pierre, Die männliche Herrschaft, in: Dölling, Irene / Krais, Beate, Ein alltägliches Spiel, Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Suhrkamp: Frankfurt am Main 1997

Dölling, Irene / Krais, Beate, Ein alltägliches Spiel, Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Suhrkamp: Frankfurt am Main 1997

Gallas, Helga (Hrsg.), Strukturalismus als interpretatives Verfahren, Luchterhand: Darmstadt und Neuwied 1972

Kaufmann, Jean-Claude, Schmutzige Wäsche, Zur ehelichen Konstruktion von Alltag, UVK: Konstanz 1994

Kaufmann, Jean-Claude, Mit Leib und Seele, Theorie der Haushaltstätigkeit, UVK: Konstanz 1999


 

Rita Sabine Kergel, Dr. phil., Diplomsoziologin an der Freien Universität Berlin.