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Rechtsinformatik Graz – «RI + IT-Recht»

  • Author: Elisabeth Staudegger
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Informatics, IT-Law
  • Citation: Elisabeth Staudegger, Rechtsinformatik Graz – «RI + IT-Recht», in: Jusletter IT 11 September 2014
Seit Oktober 2011 ist in Graz die erste (und bislang in Österreich einzige) Professur für Rechtsinformatik besetzt. Sie wurde an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl Franzens Universität eingerichtet. Der Beitrag beschreibt die Entwicklung der Rechtsinformatik in Graz.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Von den Anfängen zur Institutionalisierung
  • 1.1. Rechtsphilosophie
  • 1.2. Rechtsinformatik
  • 1.3. Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik
  • 1.4. Einschlägige Habilitationen an der Fakultät
  • 2. Der Lehrgang für Rechtsinformatik: 1987-1999
  • 2.1. Aufbau und Inhalte des Lehrgangs
  • 2.2. Rechtsinformatik an der Fakultät
  • 2.3. BAUX
  • 3. Rechtsinformatik als Pflichtfach im Studium
  • 3.1. Erster Studienabschnitt
  • 3.2. Dritter Studienabschnitt
  • 3.3. Wissenschaftliche Abschlussarbeiten
  • 3.4. Zahlen und Fakten
  • 3.5. Konsequenzen
  • 4. Die Professur für Rechtsinformatik
  • 4.1. Anforderungen/Ausschreibung
  • 4.2. Lehre
  • 4.3. Forschung
  • 5. Fazit und Ausblick
  • 6. Literatur

1.

Von den Anfängen zur Institutionalisierung ^

[1]
Friedrich Lachmayer, der sein Berufsleben der Rechtsinformatik gewidmet hat, habilitierte sich an der Universität Innsbruck für «Rechtstheorie mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungslehre». Auch in Graz, das der Jubilar oft und gern besuchte, geht Rechtsinformatik auf die Rechtsphilosophie zurück. Schon in den frühen 1970er Jahren weckten aufkommende Fragen rund um die praktische Anwendung formalwissenschaftlicher Methoden im Recht das Interesse Ota Weinbergers, damals bereits Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens Universität Graz. Die Initiative Weinbergers wurde von Alfred Schramm aufgegriffen und im Universitätslehrgang für Rechtsinformatik realisiert. Er betrieb in der Folge die Integration des Faches ins rechtwissenschaftliche studium regulare bis hin zur Errichtung der Professur für Rechtsinformatik. Institutionell blieb die Rechtsinformatik in Graz bis heute der Rechtsphilosophie nahe.
[2]
Die Entwicklung der Rechtsinformatik in Graz zeigt sich so als Erfolgsgeschichte, die gerade den Jubilar, der sie auf mehreren Symposien im Retzhof aktiv mitgestaltete, besonders freuen dürfte und die aus diesem Grund hier nachgezeichnet werden soll.

1.1.

Rechtsphilosophie ^

[3]
Ota Weinberger (* 20. April 1919 in Brünn; † 30. Januar 2009 in Graz), Rechtsphilosoph und Logiker, leitete 1972 bis 1989 das Grazer Institut für Rechtsphilosophie. Sein Kerninteresse galt der Rechtstheorie und Normenlogik, die er intensiv weiterentwickelte, doch hatte er schon aus seiner früheren Prager Wirkungsstätte auch Vorarbeiten zur Rechtsinformatik mitgebracht. Mit Leo Reisinger, Doktor der Rechte, (österreichweit erster) Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, 1973 habilitiert in «Angewandter Informatik und Angewandter Statistik» fand sich ein idealer Mitarbeiter, der die Bereiche Recht und Informatik sehr früh verband. 1980 erweiterte Reisinger auf Vorschlag Weinbergers seine Venia durch die Fächer «Rechtstheorie und Rechtsinformatik» in Graz. In Form dieser Venia manifestierte sich Rechtsinformatik erstmals an der Universität Graz.

1.2.

Rechtsinformatik ^

[4]
Obwohl Reisinger hauptberuflich als Professor für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik an der Universität der Bundeswehr München beschäftigt war, plante er, als Universitätsdozent in Graz einen «Lehrgang für Rechtsinformatik» zu errichten. Sein früher Unfalltod im April 1985 hinderte Reisinger, das Vorhaben umzusetzen. Die Fakultät griff die Initiative auf und setzte eine «Kommission für EDV und Rechtsinformatik» ein, die Möglichkeiten und Bedarf des Angebots ausarbeiten sollte. Dieser Kommission gehörte unter anderen der Erkenntnistheoretiker und Logiker Alfred Schramm an, der schon zuvor an Reisingers Planungen beteiligt gewesen war.
[5]
Schramm, seit 1975 Assistent am Institut für Rechtsphilosophie, habilitiert für Philosophie, begann 1986 mit dem Aufbau eines Lehrgangs für Rechtsinformatik. Am 24. März 1987 beschloss das Fakultätsgremium auf Antragstellung Weinbergers die Errichtung des «Universitätslehrgangs für Rechtsinformatik» nach § 18 AHStG. In der Fakultätssitzung vom 12. Mai 1987 wurde Schramm zu dessen Leiter bestellt, am 23. Juni der Studienplan des Lehrganges beschlossen. Ab dem WS 1987/88 bis zum Jahr 1999 wurde der Lehrgang unter der Leitung Schramms regelmäßig durchgeführt. Bemerkenswert ist, dass schon für das Studienjahr 1987/1988 die Lehrgangs-Lehrveranstaltung «Allgemeine Kapitel des Informations- und EDV-Rechts» als Allgemeine Lehrveranstaltung Teil des Lehrangebots der Fakultät wurde.
[6]
Im Jahr 1989 wurde Rechtsinformatik in einem weiteren Schritt an der Fakultät «institutionalisiert». Die Institutsordnung vom 15. April 1989 richtete am Institut für Rechtphilosophie die «Abteilung für Rechtsinformatik und Grundlagen der juristischen Informationswissenschaft» ein, zu ihrem Leiter wurde Schramm bestellt.

1.3.

Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik ^

[7]
Im Juli 1994 wurde der Name des Instituts geändert und lautet seither «Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik». Damit ist Rechtsinformatik an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzen-Universität nachhaltig institutionell verankert. Die Nähe zur Rechtsphilosophie und damit zu rechtstheoretischen und ethischen Grundlagen bleibt zumindest im Grundsätzlichen erhalten.

1.4.

Einschlägige Habilitationen an der Fakultät ^

[8]
Friedl Lachmayer hat in einem Gespräch einmal angemerkt, man könne die Bemühungen um das Fach besonders gut an einschlägigen Habilitationen messen. Auch in dieser Hinsicht war und ist die Rechtsinformatik Graz bemerkenswert aktiv: Nach Leo Reisinger, der bereits genannt wurde, wurden noch weiteren Personen im Zuge ihrer Habilitation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät einschlägige Venien erteilt. Dazu zählt Svoboda, ein Pionier der Rechtsinformatik, auf den das «Wiener System» zurückgeht, das am Anfang von RIS stand. Viktor Mayer-Schönberger habilitierte sich in Graz durch Informationsrecht, Rechtsinformatik und Rechtstheorie. Gabriele Schmölzer ergänzt die Rechtsinformatik Graz explizit um strafrechtliche Expertise, Elisabeth Staudegger setzt einen Schwerpunkt im Zivil- und Immaterialgüterrecht. Christian Bergauer hat im Oktober 2013 seine Habilitationsschrift eingereicht und die Venia für Rechtsinformatik und IT-Recht, Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Datenschutzrecht beantragt.

2.

Der Lehrgang für Rechtsinformatik: 1987-1999 ^

[9]
Ab 1986 arbeitete Schramm an der Ausarbeitung eines postgradualen Lehrgangs für Rechtsinformatik. Er sollte sowohl an AbsolventInnen der Rechtswissenschaften, als auch an approbierte InformatikerInnen und praktizierende JuristInnen gerichtet sein, in Ausnahmefällen aber auch schon besonders engagierten Studierenden offen stehen. Schramm hielt die Vermittlung von Grundlagen der IKT (damals: EDV) für ebenso wichtig, wie die Befassung mit IT-Recht (das häufig «Informationsrecht» genannt wurde). Neben theoretischen Kenntnissen wurde großer Wert auf die Vermittlung praktischer Fertigkeiten gelegt. Die Anforderungen waren – nicht zuletzt bedingt durch die für ihre Erfüllung nötige technische Ausstattung; man bedenke, dass der PC gerade erst in Europa Fuß fasste – enorm.
[10]
Dekan Fenyves stellte die benötigten Räumlichkeiten zur Verfügung, zahlreiche staatliche und private Förderer unterstützten das Vorhaben finanziell bzw. mit Sachmitteln oder Lehraufträgen. Die personellen, räumlichen und sachlichen Voraussetzungen waren geschaffen, der «Universitätslehrgang für Rechtsinformatik» wurde eingerichtet.
[11]
Mit WS 1987/88 konnte der erste Lehrgang mit 41 TeilnehmerInnen starten. Sie wurden in den juristischen Grundlagen ausgebildet und konnten die praktischen Anwendungen und theoretischen Möglichkeiten der Informationstechnologie «hands-on» an 24 PC-Arbeitsplätzen erlernen und erproben.

2.1.

Aufbau und Inhalte des Lehrgangs ^

[12]
«Ziel des Lehrganges ist die Befähigung des Absolventen, alle in der Praxis im Spannungsfeld von Recht, Information und EDV auftretenden Fragestellungen zumindest global beurteilen und ggf. lösen zu können.» (Pkt. 6 Unterrichtsplan 1987). Daher war von Anfang an eine Durchmischung von IT-und Recht vorgesehen, wobei eine Schwerpunktbildung (in den Bereichen Gesetzgebung/Justiz, öffentliche Verwaltung, Banken oder freie juristische Berufe) möglich war.
[13]
Das erste Semester bot einführende Lehrveranstaltungen in den Bereichen Strukturwissenschaften, EDV, problemorientierte Programmiersprachen, Information und Dokumentation, Informationssysteme und IT-Recht an, die durch ein Computerpraktikum ergänzt wurden.
[14]
Im zweiten Semester wurden die erworbenen Grundkenntnisse in ausgewählten Spezialisierungsveranstaltungen vertieft. Der Abschluss setzte die positive Absolvierung sämtlicher Lehrveranstaltungen und die Approbation einer schriftlichen Abschlussarbeit voraus.
[15]
Zahlreiche Tagungen begleiteten den Lehrgang für Rechtsinformatik über die Jahre. 1989 veranstaltete die Abteilung für Rechtsinformatik gemeinsam mit dem Arbeitskreis Verwaltungsinformatik der OCG und ADV sowie mit dem Fachbereich 6 (Informatik und Recht) der GI (Bonn) unter der Leitung von Schramm und Traunmüller (Linz) die dreitätige Fachtagung «Informationstechnik am juristischen Arbeitsplatz in Verwaltung, Wirtschaft und Forschung». 1994 fand die juristischen Fragestellungen gewidmete Fachtagung zum Thema «Rechtliche Sonderprobleme des Softwarevertrags statt und 1995 folgte eine dem Thema «Jurist und Praxis» gewidmete Tagung, die sich sowohl den Problemen des information retrieval als auch Rechtsfragen (hier insb. dem Datenschutz) widmete.
[16]
Einschulungen und Seminarreihen ergänzten das Angebot der «Rechtsinformatik Graz». So wurde 1995/1996 am OLG Graz eine Seminarreihe «EDV-Recht für die Justiz» angeboten, 1998 gemeinsam mit der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer das Fortbildungsseminar «Der elektronische Rechtsverkehr» sowie ausgewählte Fragen der Rechts- und Verwaltungsinformatik. Veranstaltungen zum Erwerb praktischer Kenntnisse wie die Nutzung juristischer Informationsdatenbanken, ERV und – ja, tatsächlich – E-Mail und Internet rundeten das Angebot ab.
[17]
In der Zeit von 1987 bis zur letztmaligen Abhaltung im Studienjahr 1998/99 nahmen 266 Personen am Lehrgang teil, 214 AbsolventInnen schlossen den Grazer Universitätslehrgang für Rechtsinformatik erfolgreich ab.

2.2.

Rechtsinformatik an der Fakultät ^

[18]
Schramm vertrat als Leiter der Abteilung für Rechtsinformatik das Fach in zahlreichen Funktionen und entwickelte es so an der Fakultät, universitätsweit und überuniversitär weiter. Er war ab Dezember 1987 Vertreter der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in der EDV-Arbeitsgruppe des Akademischen Senats, arbeitete zusammen mit Leonhardt (dem damaligen Leiter des EDV-Zentrums der Karl-Franzen-Universität) ein EDV-Organisationskonzept für die Fakultät aus, und wurde im Jänner 1989 mit der Leitung des an der Fakultät eingerichteten EDV-Subzentrums betraut. Er betrieb die «Informatisierung» der Fakultät mit großem Engagement und stieß bei den jeweiligen Dekanen (Attila Fenyves, Bernd-Christian Funk, Gernot Kocher und Willibald Posch) stets auf Interesse und Unterstützung. In diesem günstigen Klima konnte an der Grazer Rechtswissenschaftlichen Fakultät das erste eigene «Fakultätssystem» eingeführt werden: Jedes Institut verfügte über einen PC, der es – über einen dedizierten VAX‐Rechner von Digital Equipment zentral administriert – unter anderem erlaubte, einen Fakultätskalender zu betreiben, E‐Mails zu verschicken und mittels einer von Schramm entwickelten frontend‐Lösung fakultätsweit komfortabel auf RIS zuzugreifen. Das System wurde 1989 auf der bereits erwähnten Tagung «Informationstechnik am juristischen Arbeitsplatz» neben vielen anderen Beiträgen einem interessierten Publikum vorgestellt. Auch der Bestand der RE-/SOWI-Bibliothek wurde digital erfasst. 1998, am Beginn des Internet-Zeitalters, konnte sich die Rechtswissenschaftliche Fakultät «online-Fakultät» nennen und die Legitimität dieses Titels auf der Tagung «Recht vernetzt» unter Beweis stellen. Vortragende waren unter anderen Nikolaus Forgó (Hannover), Dietmar Jahnel (Salzburg), Viktor Mayer-Schönberger (Oxford).
[19]
Noch ehe die Universität Graz über ein Prüfungsverwaltungssystem verfügte, konnte die Rechtswissenschaftliche Fakultät mit eLEXa dem Ansturm eines Massenstudiums administrativ begegnen. Auf Basis eines in Bamberg entwickelten und in Graz modifizierten und adaptierten Prüfungssystems konnten Anmeldungen zu Prüfungen unter Prüfung der erforderlichen Vorleistungen angenommen und Fixplätze nach dem «first come, first served»-Verfahren vergeben werden. Die Verwaltung der Studierendendaten erfolgte fakultätsweit über das System, bis dieses 2008 durch das universitätsweite System UGonline abgelöst wurde.

2.3.

BAUX ^

[20]
In Zusammenarbeit mit Joanneum Research entwickelte Schramm in den Jahren 1989-1991 das erste im Echtbetrieb eingesetzte juristische Expertensystem Österreichs, BAUX. Die Aufgabenstellung war, die Gemeinden in der Behandlung baurechtlicher Anträge zu unterstützen. In Schramms eigenen Worten: «Can we help them to do their job more savely, quickly, and efficiently?» Ziel war es also nicht, ein Expertensystem zu schaffen, das den entscheidenden Behörden die Aufgabe abnehmen und die Entscheidung ausfertigen sollte, sondern ein unterstützendes System, das die Entscheidungsfindung durch menschliche SachbearbeiterInnen auf Basis möglichst natürlich-sprachig verständlicher Eingaben (die von der im Hintergrund durch sachkundige Rückfragen arbeitenden Logik des Systems angestoßen wurden) erleichtern würde. Das Ergebnis einer BAUX-Sitzung war dann freilich ein ausformulierter, mit ausführlicher Begründung versehener Entscheidungsvorschlag (für Details vgl. Schramm, BAUX – A KB DSS for municipalities supporting legal decisions on building permits, in: P.W.G. Bots, H.G. Sol, R. Traunmüller (Eds.) Decision Support in Public Administration, Amsterdam-London-New York [1993] 99–110).

3.

Rechtsinformatik als Pflichtfach im Studium ^

[21]
Es wurde bereits erwähnt, dass die grundlegenden Rechtsvorträge des Lehrgangs von Anfang an als Teil des allgemeinen Lehrangebots der Fakultät angeboten wurden und daher in Graz seit 1987 EDV-Recht gelehrt wurde. So fiel die Empfehlung des Europarats über Lehre auf dem Gebiet von Recht und Informatik aus dem Jahr 1994, die dringend eine Integration der beiden Bereiche anregte, hier auf fruchtbaren Boden. Mit dem Studienplan 1998 (Mitteilungsblatt 1997/98, 19. Sondernummer 22.a Stück) wurde Rechtsinformatik als Pflichtfach im ersten und Wahlfach im dritten Studienabschnitt verankert. Das ist bis heute unverändert geblieben.
[22]
Das Fach «Rechtsinformatik» wurde dabei, der von Schramm geprägten Grazer Tradition folgend, in einem umfassenden Sinn verstanden. Es umfasst sowohl die Rechtsinformatik im engeren Sinn (definiert als Disziplin, die sich mit der Planung, der Entwicklung, dem Betrieb und der Nutzung juristischer Informationssysteme befasst) als auch das IT-Recht (verstanden als Disziplin, die sich mit der juristischen Bewertung IT-bezogener Sachverhalte befasst). Kurz: RI = RI ieS + IT-Recht.
[23]
Die Einbeziehung als Pflichtfach erforderte die Bereitstellung geeigneter Lernunterlagen. Schon im Jahr 2000 erschien das «Lehrbuch Informatikrecht» in der Lehrbuchreihe des Verlags Springer. Die HerausgeberInnen konnten an mehreren Universitäten AutorInnen aus den verschiedenen Fächern gewinnen, die bereit und in der Lage waren, die Grundlagen des IT-Rechts in knapper Form verständlich niederzulegen.

3.1.

Erster Studienabschnitt ^

[24]
Der Studienplan für das Rechtswissenschaftliche Diplomstudium sah ab dem WS 1998/99 vor, dass alle Studierenden der Rechtswissenschaften mit Grundlagen der Technologie und des IT-Rechts vertraut und in die Nutzung der einschlägigen Rechtsdatenbanken eingewiesen werden sollten. Die Lehrveranstaltung «Einführung in die Rechtsinformatik» war (und ist) als 2-stündiger Kurs konzipiert, in dem die Studierenden im PC-Lehrsaal instruiert werden.
[25]
Die angehenden JuristInnen lernen, sämtliche für die juristische Arbeit benötigten Dokumente (so sie digital abrufbar sind) effizient zu suchen. Dabei werden neben den grundlegenden Diensten RIS und EUR-Lex zur Normen- und Judikatursuche auch die Literaturdatenbanken (insb. LexisNexis-online, Lindeonline, RDB und RIDA) von den Lehrenden vorgestellt, die Stärken und Schwächen der Angebote verglichen und die Suche anhand praktischer Beispielsfälle geübt.
[26]
Die Vermittlung der Grundlagen des IT-Rechts basiert auf der Darlegung ganz grundlegender technischer Zusammenhänge in Form des sog. «Beurteilungswissens» (vgl. dazu Schramm in Jahnel/Schramm/Staudegger, Informatikrecht [2003] 2). Inhaltlich werden die Studierenden mit den Themenbereichen «Software (Daten und Computerprogramme)», «Internet» und «Dienste» befasst. Es zeigt sich, dass viele junge «PoweruserInnen» den Umgang mit der Technologie sowohl aus praktischer als auch aus rechtlicher Sicht wenig reflektieren, dieses Angebot im Studium aber gerne annehmen.
[27]
Die Kurse wurden von Anfang an unter Einbeziehung der Möglichkeiten der IKT abgehalten und werden seit 2004 mit einer eLearning Plattform (derzeit Moodle) unterstützt, die Prüfungen finden online, inzwischen über das Prüfungssystem der Karl-Franzens-Universität (Perception), statt.

3.2.

Dritter Studienabschnitt ^

[28]
Im dritten Abschnitt können sich Studierende, die besonderes Interesse an der IKT haben, im Wahlfach Rechtsinformatik weiter vertiefen. Das Seminar aus Rechtsinformatik vermittelte dabei Kenntnisse in wechselnden Bereichen, die von juristischen Themen (z.B. Vertragsrecht, Datenschutz, Cybercrime, TKG u.s.f.) bis in die «Rechtsinformatik im engeren Sinn» reichten (hier z.B. Befassung mit KI-Systemen im Recht). Seit 2008 besteht ein Kooperationsprojekt mit dem BMJ, in welchem von Studierenden unter Anleitung von OStA Mag. Thomas Salfelner in Form eines Seminars Inhalte für das eLearning-System der Justiz (ELAN) erarbeitet werden.

3.3.

Wissenschaftliche Abschlussarbeiten ^

[29]
Mit der Aufnahme in den Fächerkanon der Fakultät konnten Diplomarbeiten und Dissertationen aus Rechtsinformatik verfasst werden. Die Betreuung der Arbeiten wurde durch ein Privatissimum unterstützt. Auch hier umfassten die Themen Rechtsfragen und/oder die Aufarbeitung einschlägiger Informationssysteme.
[30]
Im Jahr 2007 wurde auf Initiative der Rechtsinformatik der fakultätsweite Forschungsschwerpunkt «Recht und IT» gegründet, der später in den gesamtfakultären Arbeitsschwerpunkt «IT-Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät» umbenannt wurde und sämtliche Institute mit einschlägigen Arbeiten einbezieht.

3.4.

Zahlen und Fakten ^

[31]
Im WS 1998/99 wurden 7 Kurse mit 344 TeilnehmerInnen abgehalten, im SS 1999 insgesamt 6 Kurse mit 295 Teilnehmern, 1 Seminar mit 17 Teilnehmern und 1 Privatissimum mit 10 Anmeldungen. Die Zahlen sind über die Jahre mit geringen Abweichungen gleich bleibend. Personell standen Schramm eine Assistentenstelle und zwei administrative Stellen unterstützend zur Verfügung, um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen.

3.5.

Konsequenzen ^

[32]
Die Aufnahme ins reguläre Studium bedeutete für die Abteilung für Rechtsinformatik enormen Aufwand. Der Lehrgang, der auch für das Studienjahr 1999/2000 noch angeboten worden war, musste trotz voller TeilnehmerInnenzahl und Warteliste im Herbst 1999 mangels ausreichender personeller Ressourcen abgesagt werden. Die Abteilung für Rechtsinformatik konzentrierte sich seither auf die neue Kernaufgabe, alle Studierenden der Rechtswissenschaften in die Grundlagen einzuweihen sowie Spezialthemen der Rechtsinformatik zu vertiefen und zu betreuen.
[33]
Dass daneben weiterhin einschlägige Tagungen und Schulungen veranstaltet wurden, sei hier nur am Rande erwähnt.

4.

Die Professur für Rechtsinformatik ^

[34]
Rechtsinformatik hat sich über die Jahre in Graz in einem solchen Maß etabliert, dass sich die rechtswissenschaftliche Fakultät im Jahr 2009 veranlasst sah, eine ordentliche Professur auszuschreiben und damit die Verantwortung im Bereich Recht und IKT nachhaltig wahrzunehmen. Inhalt und Ausrichtung der Professur waren ab November 2008 in einer eigens dafür eingerichteten Arbeitsgruppe ausformuliert worden.
[35]
Alfred Schramm trat im Oktober 2009 in den Ruhestand, leitet aber noch Lehrveranstaltungen in Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie am Institut für Philosophie der Geisteswissenschaftlichen Fakultät. Sein Abschied von der Rechtsinformatik wurde mit einer Arbeitstagung zum Thema «Recht und IT» begangen, deren Ergebnisse publiziert wurden (Bergauer/Staudegger [Hrsg.], Recht und IT. 10 Studien. Wien 2009).

4.1.

Anforderungen/Ausschreibung ^

[36]
«Die Bewerberin/der Bewerber soll das Fachgebiet als juristische Querschnittsmaterie betreuen, wobei neben dem eigenen Forschungsschwerpunkt im Bereich des Informations- und Kommunikationstechnologie-Rechts der Unterstützung und Integration der fakultätsweiten einschlägigen Forschungsleistungen besonderes Gewicht zukommt.» (Mitteilungsblatt 2008/2009. 23. Stück). Dadurch, dass explizit ein IT-rechtlicher Forschungsschwerpunkt in wenigstens einem geltend-rechtlichen Fach zur Voraussetzung gemacht wurde, rückt die Professur näher als bisher an das (geltende) Recht heran. Zusätzlich wurde ausdrücklich die aktive und innovative Gestaltung der Lehre unter Einsatz zeitgemäßer Medien gefordert.
[37]
Organisatorisch ist die Professur am Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik verankert, was nicht nur dem traditionellen Grazer Verständnis der Nähe der Fächer entspricht, sondern sich auch über viele Jahre bewährt hatte. Ihr wurde zusätzlich eine Assistentenstelle zur Verfügung gestellt.
[38]
Die Professur wurde mit 1. Oktober 2011 durch die Verfasserin diese Beitrags, Elisabeth Staudegger, besetzt.

4.2.

Lehre ^

[39]
Bei unverändertem Curriculum (nach wie vor ist Rechtsinformatik Pflichtfach im ersten und Wahlfach im dritten Abschnitt des rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums) wurden im WS 2013 7 Kurse mit 318 TeilnehmerInnen, 5 Seminare mit 58 und 1 VO mit 86 Studierenden abgehalten.
[40]
Während die Kurse grundsätzlich dieselben Inhalte wie bisher vermitteln, musste das RI-Seminar aufgrund des großen Interesses aufgeteilt werden, was die Möglichkeit thematischer Spezialisierung bietet. Im vergangenen Wintersemester konnten so Datenschutzrecht, Zivilrecht («Kaufen wir Content?»), Rechtsdatenbanken, ELAN und ein DiplomandInnen-Seminar abgehalten werden, im Sommersemester stehen unter anderem Firmenbuch- und Grundbuch, Strafverfolgung im Internet mit semantischen Werkzeugen sowie Datenschutz und Zivilrecht am Programm.
[41]
Die VO ist ein mit dem Studienjahr 2012/13 eingeführtes neues Lehrangebot, das sich im Rahmen des Wahlfachschwerpunkts «Digitale Wissenschaft» an alle Studierenden aller Fakultäten richtet. Ziel ist, die TeilnehmerInnen mit grundlegenden Kenntnissen des IT-Rechts auszustatten: Internetgovernance, Internet und Menschenrechte, Datenschutz, Medienrecht, digitales Urheberrecht, E-Commerce und Cybercrime. Die Vortragenden stammen aus verschiedenen Fakultäten und Universitäten.
[42]
Bislang wurden im Zuge der Professur rund 20 einschlägige Diplomarbeiten approbiert, weitere Arbeiten (insbesondere auch Dissertationen) sind in Betreuung.

4.3.

Forschung ^

[43]
Rechtsinformatik ist als Schnittstelle zwischen Recht und IT in besonderem Maß interdisziplinär. Forschungsarbeiten sind einerseits auf den kernjuristischen Bereich der Aufarbeitung von Rechtsfragen gerichtet, die die IKT aufwirft. Hier wiederum umfasst die Bandbreite öffentliches Recht (z.B. Datenschutz) genauso, wie Strafrecht (laufendes Habilitationsprojekt Christian Bergauer) und Zivilrecht (z.B. E-Commerce, digitales Urheberrecht). Themen aus eJustice und eGovernment leiten zur Rechtsinformatik im engeren Sinn über. Da ist derzeit neben der ständig aktuellen Frage des effizienten information retrieval (insb. im Zusammenhang mit der verbesserten Erschließung von Rechtsdatenbanken) vor allem der Einsatz semantischer Verfahren (zur Strafverfolgung gleich wie zur Verbesserung der Legistik) in Diskussion. Die interdisziplinäre Vernetzung ist dabei unabdingbar.
[44]
Mit der von LexisNexis herausgegebenen Fachzeitschrift jusIT gelang es den Herausgebern (Jahnel, Mader und Staudegger) eine juristische Fachzeitschrift am Markt zu etablieren, die sowohl dem IT-Recht als auch der Rechtsinformatik im engeren Sinn eine Publikationsplattform bietet. So ist die laufende Beobachtung dieser durch besonders rasche Entwicklungen charakterisierten Disziplin gesichert. 2012 konnte auch das bereits erwähnte Lehrbuch IT-Recht (nun im Verlag Österreich) in dritter Auflage aktualisiert herausgegeben werden.

5.

Fazit und Ausblick ^

[45]
Rechtsinformatik lebt. Im zweiten Jahr der Professur für Rechtsinformatik kann kein anderes Fazit ausgestellt werden, als eben dieses, dass diese Disziplin, die sich mit juristischen IT-Systemen und IT-Recht gleichermaßen befasst, sich ungewöhnlich stark und lebhaft entwickelt. Wissenschaftliche Begleitung ist dabei unverzichtbar.
[46]
Die Grazer Rechtswissenschaftliche Fakultät hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit der Errichtung der Professur ein deutliches Bekenntnis abgelegt, sich diesen Anforderungen stellen zu wollen. Dabei kann die Aufgabe nur als Aufforderung zur Zusammenarbeit und Vernetzung verstanden werden: Gemeinsam mit wachem Blick die technische Entwicklung zu verfolgen, das Potenzial des Möglichen zu erkennen und dabei den Maßstab von Ethik und Recht zu wahren, das sind die Aufgaben, denen sich RechtsinformatikerInnen heute zu stellen haben.

6.

Literatur ^

Reisinger, Leo: Mein wissenschaftlicher Werdegang und meine hauptsächlichen Forschungsinteressen, in: Institut für Rechtsphilosophie der Karl-Franzens-Universität Graz (Hrsg.), Grazer Rechtsphilosophie in Selbstdarstellungen, Graz (1985) 61.

Reisinger, Leo: Strukturwissenschaftliche Grundlagen der Rechtsinformatik; posthum herausgegeben von Wolf Rauch und Alfred Schramm. Mit einem Geleitwort von Ota Weinberger und einem Nachruf von Gerhardt Bruckmann (1987).

Schramm, Alfred: BAUX – A KB DSS for municipalities supporting legal decisions on building permits, in: P.W.G. Bots, H.G. Sol, R. Traunmüller (Eds.) Decision Support in Public Administration, Amsterdam-London-New York (1993) 99.

Teaching, research and training in the field of law and information technology, Recommendation No. R (92)15 adopted by the Committee of Ministers of the Council of Europe on 19 October 1992 and explanatory memorandum.

Fiedler, Herbert: Eine neue Europaratsempfehlung über Lehre, Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet von Recht und Informatik, jur-pc 12/94, 2916.

Schramm, Alfred: Informationstechnologie – Ausgewählte Themen in Jahnel/Schramm/Staudegger, Informatikrecht [2003] 1.

Bergauer/Staudegger [Hrsg.], Recht und IT. 10 Studien. Wien 2009

Jahnel/Mader/Staudegger (Hrsg.), IT-Recht. Dritte Auflage (2012).


 

Elisabeth Staudegger, Universitätsprofessorin für Rechtsinformatik, Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik, Karl-Franzens-Universität Graz.

Für die für die Erstellung des Beitrags erforderlichen langwierigen Recherchearbeiten in den Archiven des Instituts, des Dekanats und der Universität Graz danke ich allen Beteiligten aufs Herzlichste. Allen voran Frau Birgit Tschandl, die die Rechtsinformatik Graz seit Dezember 1986 administrativ begleitet und wertvolle Hinweise zur sachrichtigen Darstellung der Entwicklung gegeben hat.