1.
Einleitung ^
2.
Theorie der Argumentation ohne Allquantor ^
«Auf allen Gebieten wird mit Behauptungen der Anspruch (claim), akzeptiert zu werden, erhoben. Wenn dieser Anspruch angezweifelt wird, ist er zu begründen. Dies geschieht dadurch, daß Tatsachen als Gründe angeführt werden. So kann die Behauptung, daß Harry ein britischer Staatsbürger ist (C = claim or conclusion) durch die Tatsache, daß Harry auf den Bermudas geboren wurde (D = data), begründet werden. Ein Opponent kann dies Argument auf zwei Weisen angreifen. Er kann nach der Wahrheit von D fragen, er kann aber auch bezweifeln, daß D etwas für C austrägt. Im zweiten Fall muß der Proponent den Übergang (step) von D zu C rechtfertigen. Diese Rechtfertigung kann nicht durch die Angabe weiterer Tatsachen erfolgen. Eine Aussage neuen logischen Typs ist erforderlich: eine Schlußregel (inference-licence). Solche Schlußregeln haben etwa die Form ‹Data such as D entitle one to draw conclusions, or make claims, such as C›. Toulmin nennt solche Regeln ‹warrants› (W). Im angeführten Beispielsfall lautet W: ‹Wer auf den Bermudas geboren ist, ist britischer Staatsbürger›. Auch diese Schlußregeln können angezweifelt werden. Im vorliegenden Fall kann zur Verteidigung von W z.B. auf die Tatsache hingewiesen werden, daß ein bestimmtes Gesetz vom Parlament beschlossen wurde. Hinweise dieser Art nennt Toulmin ‹backing› (B). Damit ergibt sich folgende Argumentsstruktur.»6
3.
Eine logische Interpretation der Schlussregel «W» ^
«Nichtmonotone Logiksysteme sind, vereinfachend formuliert, dadurch gekennzeichnet, dass – im Unterschied zu monotonen Logiken – logisch gültige Folgerungen durch Erweiterung der Prämissenmenge ungültig werden können. Argumentationstheoretisch interessant sind diese Systeme, weil sie in der Lage sind, der Regel-Ausnahme-Struktur in juristischen (wie auch in anderen umgangssprachlichen) Argumentationen Rechnung zu tragen.»21
4.
Einbeziehung der internen Rechtfertigung in Toulmins Schema ^
«Erheblich größere Probleme wirft die externe Rechtfertigung, die Begründung der zugrunde gelegten Rechtsregeln auf. Die Frage, auf welche Argumente man sich zur Rechtfertigung einer dogmatischen Regel berufen kann, steht im engen Zusammenhang mit der Rechtsquellentheorie. Betrachtet man ausschließlich das Gesetz als ‹Rechtsquelle›, dann müssen sich alle rechtlichen Entscheidungsregeln (also auch die dogmatischen Regeln) auf das Gesetz zurückführen lassen. (...) Akzeptiert man dagegen die Möglichkeit einer richterlichen Fortbildung des Rechts und damit das Richterrecht als zumindest subsidiäre Rechtsquelle, dann eröffnet das der Argumentation erhebliche größere Freiräume.»33
5.
Dialektische Argumentation mit anfechtbaren Regeln im Zivilrecht ^
6.
Schlusswort ^
7.
Literatur ^
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Fumihiko Takahashi, Professor für Rechtsphilosophie an der Meiji Gakuin Universität, Tokio 108-8636 Japan.
Für wertvollen Rat und Hinweise bei der Besprechung über den ersten Entwurf dieses Beitrags danke ich Herrn Prof. Ulfrid Neumann sehr herzlich. Dank gebührt auch Herrn Prof. Hans-Ulrich Hoche, Herrn Prof. Edgar Morscher und Herrn Josef Diermair für stilistische Änderungsvorschläge.
- 1 Ulfrid Neumann, Juristische Argumentationslehre, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986, S. 1.
- 2 Unter «Theorienpluralismus» versteht Krawietz die folgende Diskussionslage: «Leider gibt es nun einmal nicht die juristische Argumentation bzw. die juristische Argumentationstheorie, die im Stande wäre, uns mit den einzig richtigen rechtlichen Begründungen, Rechtfertigungen und juristischen Entscheidungsergebnissen zu bedienen, die wir so dringend benötigten und so gerne hätten!» (Werner Krawietz, Juristische Argumentation und Argumentationstheorien auf dem Prüfstand, in ders. / Robert Alexy (Hrsg.), Metatheorie juristischer Argumentation, Berlin: Duncker & Humblot 1983, S. 5).
- 3 Von einer neuen Strömung in der europäischen Rechtstheorie spricht etwa Höllander: «(…) in the 1990s Europe witnessed a new wave associated with new ideas and stimuli. The basic premise of the new wave was the ambition to create a more general logical description of legal thinking, and thus to bridge the existing ‹abyss› between legal logic and the theory of legal argumentation» (Pavel Höllander, New Logicism in Theoretical Legal Thinking, in: Rechtstheorie 37 (2006), S. 132).
- 4 Beispielsweise bemüht sich Morscher, anhand zahlreicher Beispiele aufzuzeigen, wie nützlich die Anwendung der modernen Logik für Theorie und Praxis des Rechts sein kann. Vgl. Edgar Morscher, Kann denn Logik Sünde sein? Die Bedeutung der modernen Logik für Theorie und Praxis des Rechts, Berlin / Münster / Wien / Zürich / London: LIT 2009.
- 5 Vgl. etwa Neumanns Kritik an dem logisch-deduktiven Modell juristischen Argumentierens: «Auf der anderen Seite begründet das logisch-deduktive Schema die Gefahr von Missverständnissen und einer einseitigen Sichtweise der juristischen Argumentation» (Ulfrid Neumann, Theorie der juristischen Argumentation, in: ders. / Winfried Brugger / Stephan Kirste (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, S. 244).
- 6 Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S. 114 f.
- 7 Ebd., S. 115 f.
- 8 Ebd., S. 274.
- 9 Stephen Toulmin, The Uses of Argument, Updated Edition, Cambridge: Cambridge University Press 2003, S. 108.
- 10 Ebd., S. 109.
- 11 Ebd., S. 97.
- 12 Neumann (Fn. 1), S. 21.
- 13 Ich befürchte, dass Bäcker vielleicht die Exsistenz des Qualifikators und der Ausnahmebedingung in Toulmins Schema übersieht, wenn er behauptet: «Es ist festzustellen, daß der einzige Unterschied dieses [Toulminschen] Modells zum syllogistischen in der Einbeziehung der Stützung oder Begründung der Schlußregel in das Argumentationsschema besteht» (Carsten Bäcker, Der Syllogismus als Grundstruktur des juristischen Bgründens?, in: Rechtstheorie 40 (2009), S. 419).
- 14 Toulmin (Fn. 9), S. 97.
- 15 Robert Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 40.
- 16 Neumann (Fn. 1), S. 26.
- 17 Toulmin (Fn. 9), S. 93.
- 18 Alexy (Fn. 6), S. 115, Fn. 248.
- 19 Toulmin (Fn. 9), S. 94.
- 20 Ebd., S. 100 f.
- 21 Ulfrid Neumann, Juristische Logik, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer / Ulfrid Neumann, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 8. Auflage, Heidelberg / München / Landsberg / Frechen / Hamburg: C.F.Müller 2011, S. 318.
- 22 Neben Reiters Defaultlogik gibt es mehrere unterschiedliche Ansätze zur Formalisierung nichtmonotonen Schließens. Vgl. dazu David Makinson, Bridges from Classical to Nonmonotonic Logic, London: King’s College 2005, S. 18; Roger Franz Markus Bonati, Nichtmonotone Systeme der deontischen Logik für bedingte Normen, Saarbrücken: Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften 2009, S. 86.
- 23 Vgl. Raymond Reiter, A Logic for Default Reasoning, in: Artificial Intelligence 13 (1980), S. 82 ff.
- 24 So Reiter: «Notice that we have provided a representation for the ‹fuzzy› quantifier ‹most› or ‹almost all› in terms of defaults, without appealing to frequency distributions or fuzzy logics»(Ebd., S. 83).
- 25 Henry Prakken, Logical Tools for Modelling Legal Argument, Dordrecht: Kluwer 1997, S. 153.
- 26 Angemerkt sei, dass der Begriff von Defeasibility mehrdeutig ist. Beispielsweise erfasst Hage diesen Begriff nicht als Eigenschaft von Konditionalen und Regeln (conditionals and rules) im Sinne von «logical defeasibility», sondern als Eigenschaft juristischer Begründung (legal reasoning) im Sinne von «justification defeasibility». Vgl. dazu Jaap Hage, Studies in Legal Logic, Dordrecht: Springer 2005, S. 14 f. Bei Sartor handelt es sich auch um «defeasible reasoning», «defeasible syllogism» und «defeasible inferences». Vgl. Giovanni Sartor, Legal Reasoning: A Cognitive Approach to the Law, Dordrecht: Springer 2005, S. 55 ff.
- 27 Alexy (Fn. 6), S. 273.
- 28 Alexy (Fn. 15), S. 31.
- 29 Ulfrid Neumann, Theorie der juristischen Argumentation, in: Kaufmann / Hassemer / Neumann (Fn. 21), S. 335.
- 30 Neumann (Fn. 21), S. 314.
- 31 Auf die Einbeziehung der internen und der externen Rechtfertigung in Toulmins Schema wurde bereits von Shigeaki Tanaka hingewiesen in: Nobuhisa Segawa / Shigeaki Tanaka / Yoshio Hirai / Eiichi Hoshino, Minisymposium: Hokaishakugaku to Hogakukyoiku [Minisymposium: Rechtsdogmatik und juristische Ausbildung], in: Jurist 940 (1989), S. 39.
- 32 Vgl. dazu Keizo Yamamoto, Hotekishiko no Kozo to Tokushitsu [Struktur und Eigenschaften des juristischen Denkens], in: Shigeaki Tanaka et al. (Hrsg.), Gendai no Ho [Das Recht der Gegenwart] Band 15, Tokio: Iwanami Shoten 1997, S. 251.
- 33 Neumann (Fn. 29), S. 337.
- 34 Alexy (Fn. 15), S. 32.
- 35 Vgl. ebd., S. 33.
- 36 Ulfrid Neumann, Recht als Struktur und Argumentation: Beiträge zur Theorie des Rechts und zur Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, Baden-Baden: Nomos 2008, S. 142.
- 37 Dies führt zum Problem der Beweislastverteilung zwischen den beiden Parteien. Vgl. dazu Lothar Philipps, Dialogische Logik und juristische Beweislastverteilung, in: Meiji Gakuin Daigaku Horitsu Kagaku Kenkyusho Nenpo [Jahresbericht des Instituts für Rechtsforschung an der Meiji Gakuin Universität] 19 (2003), S. 3-16.
- 38 Zur dialektischen Struktur des Streitgesprächs vgl. Nicholas Rescher, Dialectics: A Controversy-Oriented Approach to the Theory of Knowledge, Albany: State University of New York Press 1977, insb. S. 9 f. Vereinfacht gesagt, entspricht der Reschersche Begriff von «cautious denial» dem Bestreiten, und der von «provisoed denial» dem Einreden im Zivilprozess.
- 39 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Relationstechnik.
- 40 Prakken (Fn. 25), S. 44 f., 141 ff.
- 41 In seiner Normentheorie hebt Lachmeyer den lex specialis-Grundsatz als eine der klassischen Derogationsnormen hervor, mit der Behauptung, dass es sich bei ihnen keineswegs um logische Prinzipien, sondern um Normen handle. Vgl. Friedrich Lachmeyer, Grundzüge einer Normentheorie: Zur Struktur der Normen dargestellt am Beispiel des Rechts, Berlin: Duncker & Humblot 1977, S. 105.
- 42 Ähnliche Erläuterungen finden sich bei Bonati (Fn. 22), S. 113, 128.