1.
Liberté égalité fraternité! ^
«Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.»
2.
Die Schlüssige Begründung als Rechtsstaatliche Pflicht ^
3.
Der Begründungsstil des VFGH ^
5.
Alte und neue Sachlichkeit ^
«Es muss sich also immer um Unterschiede handeln, die in der Person von Bundesbürgern gelegen sind. Solche subjektiven Momente und Gesichtspunkte sollen in der Gesetzgebung nicht berücksichtigt werden. Dagegen bezieht sich das Verbot der ungleichmäßigen Behandlung der Staatsbürger durch die Gesetzgebung nicht auf jene objektiven Momente, die in einer für alle Staatsbürger ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Standesverhältnisse gleichmäßig wirkenden Weise als Maß für eine Differenzierung genommen werden.»19
7.
Die Abkopplung der Sachlichkeit von Art. 7 B-VG ^
8.
Die Macht der Gewohnheit ^
9.
Die reine Sachlichkeitslehre ^
«...sticht Slg.10.949 besonders hervor. Aufgehoben wurde eine Vorschrift der StVO, die die Verfügung von Verkehrsbeschränkungen zwecks Durchführung von Straßenerhaltungsarbeiten ermöglichte, oder ermöglichen sollte. Der VfGH gelangte, in Kürze zusammengefaßt, zum Ergebnis, daß die geprüfte Ermächtigung ‹völlig unzureichend ist, um einerseits den sachlichen Erfordernissen zu entsprechen und andererseits nicht in Widerspruch mit anderen Bestimmungen der StVO zu kommen›. Darauf folgt, bei unbefangener Lektüre einigermaßen überraschend, die Aussage, dass die Regelung ‹daher als dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung widersprechend aufzuheben› war.
...es wird nicht auf allfällig unsachliche Differenzierungen hin verglichen. Das Postulat gewinnt eine zusätzliche Dimension. Zur Debatte steht eine vergleichsunabhängige, wenn man will ‹reine› Sachlichkeit oder Sachangemessenheit.
...Keineswegs soll hier gesetzgeberischem Fehlverhalten das Wort geredet werden. Aber daß Unvernunft auch schon Verfassungswidrigkeit bedeutet – daran wird man sich erst gewöhnen müssen; von ungeahnten Weiterungen zu schweigen.»
10.
Gerechtigskeit, Rechtsstaat, Verfassungsgericht ^
Peter Warta, Pensionist, Wien, Österreich.
- 1 Was die Gleichbehandlungsverpflichtungen der Republik Österreich nach den Staatsverträgen von St. Germain 1919 und Wien 1955 sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention betrifft, so ist die Bindung des Gesetzgebers aus dem Text zweifelsfrei zu erkennen.
- 2 Beginnend mit VfSlg 10.949/1986 (vergleichsunabhängige Sachlichkeitsprüfung) und VfSlg 11.308/1987 (Schutz des Vertrauens in wohlerworbene Rechte).
- 3 Die nachfolgende «Korrektur» eines Erkenntnisses durch den Verfassungsgesetzgeber ist kein Rechtsmittel, sondern eine (bedenkliche) politische Aktion im formal zulässigen rechtlichen Gewand einer Verfassungsbestimmung.
- 4 Im Erkenntnis VfSlg 2455/1952 sah sich der VfGH zu der berühmt gewordenen «Feststellung veranlaßt, daß seine Erkenntnisse nicht der Ort sind, wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten zu erörtern, zu ihnen Stellung zunehmen und sie auszutragen».
- 5 Nach herrschender Lehre gilt es jedenfalls selbstverständlich auch für die Gerichtsbarkeit: Klecatsky/Morscher: B-VG7, S 47.
- 6 Professioneller ausgedrückt: wenn die Norm den Erfordernissen des Art. 44 B-VG entspricht.
- 7 Aus der Fülle der Beispiele sei als typisch VfSlg 10.949 (Fn. 7) und der Kommentar Novaks dazu (JBl S 624/1990) herausgegriffen.
- 8 Pernthaler/Pallwein-Prettner: Die Entscheidungsbegründung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (mit zahlreichen wichtigen Hinweisen), in Sprung, König (Hrsg.): Entscheidungsbegründung, 1974, S. 199.
- 9 Dazu ausführlich und m.w.H. Korinek: Gedanken zur Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitsgrundsatz nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, in Melichar FS 1983, S. 39 ff.
- 10 So Kaufmann, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der [deutschen] Reichsverfassung, VVDStL 1927; Kelsen, Reine Rechtslehre2 1960, S. 146.
- 11 Einerseits spricht schon VfSlg 216/1923 von einer Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts [auf Gleichheit], wenn ein Bundesgesetz, das eine an sich durch das Gemeinwohl gerechtfertigte Ungleichbehandlung vorsieht, die durch seinen Zweck gebotenen Grenzen nicht einhält; andererseits finden sich bis 1929 (VfSlg 1226/1929) Erkenntnisse, die eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes verneinen, wenn die Ungleichheit in der verbindlichen Form eines Gesetzes festgelegt ist.
- 12 VfSlg 1451/1932; dass diese Rechtsgeschichte machende Behauptung dem Beschwerdeführer trotz der Zustimmung des VfGH damals nichts nützte und seiner Beschwerde der Erfolg versagt blieb, ist Erfinderschicksal. Die üblichen drei Punkte in diesem viel benützten Zitat stehen für das (ohne Zusammenhang störende) Wörtchen «zwar»; das «aber» konnte also nicht ausbleiben.
- 13 Leibholz hat den originellen, aber doch nicht ganz überzeugenden Versuch unternommen, aus diesem ersten Satz (er stimmt mit dem Art. 109 RV wörtlich überein) die Bindung des Gesetzgebers abzuleiten, indem er das Wörtchen «vor» nicht als «angesichts», sondern als Ausdruck der Priorität des Gleichheitsgebotes gegenüber dem Gesetz deutet (Leibholz: Die Gleichheit vor dem Gesetz 1925, S. 35).
- 14 ..., eines unbestimmten Gesetzesbegriffes oder des Ermessensspielraumes...
- 15 So Ermacora: Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 1963 S. 70.
- 16 So Antoniolli Fn. 37.
- 17 Z.B. § 16 ABGB.
- 18 VfSlg 5/1919. Diese Erkenntnis erging noch vor dem Inkrafttreten des B-VG und stützte sich daher ausschließlich auf Art. 2 StGG 1867.
- 19 Z.B. VfSlg 1396/1931; beide Begriffspaare gleichzeitig: VfSlg 2537/1953.
- 20 VfSlg 2858/1955.
- 21 Vgl. Horak: Zur rechtstheoretischen Problematik der Begründung, in Sprung, König (Hrsg.): Entscheidungsbegründung 1974, S. 7.
- 22 VfSlg 2858/1955.
- 23 Es folgt der bemerkenswerte Satz: «Ein Fehler dieser Art haftet dem § 59 Abs. 3 Geh.-ÜG. nicht an, denn die Regel, die er gibt, gilt für alle in Betracht kommenden Fälle.» Eine generelle Norm, die nicht für alle in Betracht kommenden Fälle gilt, wird nicht leicht zu finden sein.
- 24 Zur gesellschaftlichen Funktion des Gleichheitsgrundsatzes s. Kneucker/Welan: Zur Entwicklung des Gleichheitsgrundsatzes in Österreich, ÖZP 1975 S. 5 ff.
- 25 Dass die Aufzählung im Art. 7 Abs. 1, 2. Satz B-VG nicht erschöpfend, sondern deskriptiv zu verstehen ist, legt die Formulierung dieses Abs. 1 nahe (wäre sie taxativ aufzufassen, so wäre der erste Satz dieses Absatzes überflüssig) und wird auch allgemein nicht bestritten.
- 26 VfSlg 4711/1964.
- 27 Dass sie trotzdem mit verfassungsgesetzlicher Effektivität stattfindet, könnte als («baugesetzwidrige», weil die Erzeugungsregeln für Bundesverfassungsrecht ändernde) Gesamtänderung im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG angesehen werden – eine pikante Spekulation mit interessanten verfassungsrechtlichen Folgeproblemen.
- 28 Melichar: Zum Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber, in: 60 Jahre Bundesverfassung, 1980 S. 94 ff.
- 29 Es kann ausgeschlossen werden, daß mit «Bundesverfassung» ein vom VfGH erzeugtes Gewohnheitsverfassungsrecht mitgemeint war.
- 30 Zitiert nach JBl 1956 S. 611 ff.
- 31 «Einige sagen, der Satz ‹Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich› bedeute das Verbot willkürlicher Differenzierungen. Andere sagen, daß unsachliche Differenzierungen verboten seien. Aber was heißt denn willkürlich, unsachlich? Diese Ausdrücke können nicht einmal als unbestimmte Gesetzesbegriffe angesehen werden, solange der Maßstab nicht genannt ist, an dem gemessen etwas willkürlich oder unsachlich ist.» Fn. 38.
- 32 Für die ältere Judikatur z.B. Kneucker/Welan Fn. 32; für die jüngere Holoubek: Die Sachlichkeitsprüfung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, ÖZW 1991 S. 72; zur Vorgangsweise des VfGH bei der Gesetzesprüfung Korinek Fn. 16.
- 33 ÖJZ 1969 S. 647 ff.
- 34 JBl 1990 S. 624.
- 35 ...und die Erkenntnisse mit einem Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Pensionen oberster Organe (BGBl 1987/281) gegenstandslos machen...
- 36 Auch wenn der Leidensdruck anlässlich von Fällen wie dem des ehemaligen Direktors der steirischen Arbeiterkammer und seiner allgemein als skandalös empfundenen ursprünglichen Pensionsregelung beträchtlich ist.
- 37 Kelsen/Froehlich/Merkl: Das B-VG vom 1.Oktober 1920, 1922, S. 253.