1.
Einleitung ^
Andererseits wird im Hinblick auf die Sammelwut staatlicher und privater Organisationen aber auch die Forderung nach einem «Recht auf Vergessenwerden» im Internet erhoben. Der Begriff geht auf den Soziologen Viktor Mayer-Schönberger zurück, der sich mit den gesellschaftlichen Folgen der ständigen Konfrontation der Menschen mit ihrer Vergangenheit und insbesondere dem Einfluss auf Ihre Entscheidungsfähigkeit befasst hat.3 Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1983 im Volkszählungsurteil ausgeführt, dass durch eine für den einzelnen Bürger nicht überschaubare Speicherung von Daten für diesen Unsicherheiten entstehen, die geeignet sind, seine Entscheidungen und sein Verhalten zu beeinflussen, so dass letztendlich seine persönliche Freiheit eingeschränkt wird.4
2.
Grundlagen eines Rechts auf Vergessenwerden ^
3.
Bestehende Rechtsmittel, ein Vergessen zu erreichen ^
4.
Abgrenzung von Anspruch auf Datengeheimnis bzw. Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Presse- und Meinungsfreiheit ^
Durch die Rechtsprechung des BVerfG, des BGH und des EGMR sind Grundsätze für die Abgrenzung zwischen den in Rede stehenden Grundrechten im Rahmen der Berichterstattung entwickelt worden. Bei Personen der Zeitgeschichte, z.B. Politikern, wird grundsätzlich dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit im Rahmen einer identifizierenden Berichterstattung Vorrang eingeräumt, während bei Normalbürgern eine namentliche Berichterstattung regelmäßig nicht zulässig ist. Eine Ausnahme gilt für relative Personen der Zeitgeschichte, d.h. solche, die mit die Öffentlichkeit interessierenden Ereignissen in Zusammenhang stehen, z.B. Straftäter bei schweren Straftaten. Bei namensbezogener Berichterstattung sind abhängig von der Schwere des Eingriffs entsprechende Anforderungen an die Sorgfaltspflicht in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Aussagen zu stellen.12 Bei der so genannten Verdachtsberichterstattung obliegt den Medien eine besondere Verantwortung.13 Es muss sich um den Gegenstand eines berechtigten öffentlichen Interesses handeln. Im Rahmen der Sorgfaltspflicht muss ein Mindestmaß an Beweistatsachen vorliegen. Je schwerer der zu erwartende Ansehensverlust für die betroffene Person wiegt, umso höher die Anforderungen an die Sorgfalt bei der Berichterstattung. Selbst wenn eine aktuelle Berichterstattung z.B. über Straftaten unter Namensnennung zulässig ist, kann sich durch Zeitablauf ein vermindertes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ergeben und das Interesse des Betroffenen am Schutz der Privatsphäre unter Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens Vorrang gewinnen.14 Der EGMR hat in einer grundlegenden Entscheidung die maßgeblichen Kriterien für eine Abgrenzung der Grundrechte im Rahmen eines vernünftigen Ermessens zusammengefasst:15
- Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse,
- Bekanntheit der betroffenen Person und Gegenstand der Berichterstattung,
- früheres Verhalten der betroffenen Person,
- Art der Erlangung von Informationen und ihr Wahrheitsgehalt,
- Inhalt, Form und Auswirkung der Veröffentlichung,
- Schwere der verhängten Sanktion.
5.
Aktuelle Rechtsprechung ^
Mit der Frage der Abgrenzung von Privatsphäre und Freiheit der Meinungsäußerung ist z.Zt. auch der EuGH befasst.16 Der Fall verdient deshalb besonderes Interesse, weil es um die Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern im Rahmen dieser Abgrenzung geht. Ein spanischer Bürger wehrt sich dagegen, dass einige seiner personenbezogenen Daten, die von einer spanischen Zeitung im Jahr 1998 in zwei Druckausgaben veröffentlicht und die beide zu einem späteren Zeitpunkt in elektronischer Form erneut aufgelegt und ins Internet gestellt worden sind, nach wie vor bei einer Suchanfrage nach seinem Vornamen und seinem Nachnamen in den Suchergebnissen der Internetsuchmaschine angezeigt werden. Der Fall ist noch nicht entschieden, aber der Generalanwalt ist in seiner abschließenden Stellungnahme zu dem Schluss gekommen, dass ein Suchmaschinenbetreiber nicht als «Verantwortlicher für die Verarbeitung» im Sinne von Art. 2 Buchst. d) DSRL anzusehen ist. Der Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter habe keinen Bezug zu den Inhalten einer Quellenwebseite eines Dritten im Internet, auf der personenbezogene Daten vorhanden sein mögen. Da die Suchmaschine mit Kopien der Quellenwebseiten arbeite, die ihr Spider auslese und kopiere, habe der Diensteanbieter außerdem keine Möglichkeit zur Änderung der Informationen, die sich auf den Hosting-Servern befinden. Die Bereitstellung eines Instruments zur Lokalisierung von Informationen impliziere keine Kontrolle über die Inhalte. Der Internetsuchmaschinen-Diensteanbieter sei noch nicht einmal in der Lage, zwischen personenbezogenen Daten im Sinne der Richtlinie, d.h. Informationen über eine bestimmbare lebende natürliche Person, und anderen Daten zu unterscheiden.17 Diese Auffassung verkennt ein wesentliches datenschutzrechtliches Moment. Mit der Zusammenstellung von personenbezogenen Daten bei Aufruf eines Namens erzeugt die Suchmaschine in vielen Fällen eine konzentrierte Übersicht über die persönlichen, beruflichen und sozialen Aktivitäten einer Person, die für sich genommen eine Verarbeitung personenbezogener Daten enthält, für die der Suchmaschinenbetreiber die Verantwortung trägt, selbst wenn die Auswahl automatisch erfolgt, er erzeugt gewissermaßen ein Profil der betreffenden Person. Diese muss sich dagegen wehren können, dass dieses Profil weltweit verbreitet wird. Für den Fall, dass der EuGH den erwähnten Fall entsprechend der Auffassung des Generalanwaltes entscheidet, bleibt betroffenen Personen nur die Möglichkeit, sich gegen die Verwendung der Daten in der ursprünglichen, von dem Suchmaschinenbetreiber gescannten, Webseite zu wenden. Selbst wenn eine so genannte identifizierende Berichterstattung in den Medien bei der Erstveröffentlichung durch die Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt sein sollte, kann sich bei einer späteren Wiederholung oder einer Online-Archivierung von Veröffentlichungen eine Kollision mit dem Grundrecht auf Datenschutz ergeben.18 Die Online-Archivierung bedeutet praktisch eine Verewigung des Eingriffs. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich. Das Landgericht19 und das Oberlandesgericht Hamburg20 halten Unterlassungsansprüche auch bei ursprünglich rechtmäßiger Veröffentlichung für gerechtfertigt, während der deutsche BGH21, das Kammergericht22, das OLG Köln23 und auch das OLG Wien24 eine gegenteilige Auffassung vertreten. Die Gegner eines Unterlassungsanspruchs sind der Auffassung, die bloße Möglichkeit des Archivzugriffs sei nicht mit erneuter Veröffentlichung vergleichbar. Im Übrigen spreche für die Unangreifbarkeit des Archivs das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG. Von den Befürwortern eines Unterlassungsanspruchs wird Online-Zeitungsarchiven eine «Prangerwirkung» zugeschrieben, die in ihrer Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch aktuelle Berichterstattung nicht nachsteht. Die Intensität der Beeinträchtigung ergebe sich aus der unkontrollierbaren weltweiten Verbreitung, der leichten Auffindbarkeit durch Suchmaschinen und der Dauerhaftigkeit der Online-Veröffentlichung. 25
6.
Recht auf Vergessenwerden de lege ferenda ^
7.
Zusammenfassung ^
- 1 Schulz, Selbst Sicherheitsexperten bleibt nur das Staunen, FAZ vom 14. November 2013, S. 27.
- 2 Knop, Sei ohne Sorge, FAZ vom 14. Dezember 2013, S. 15.
- 3 Internet privacy – the right to be forgotten, http://www.theguardian.com/technology/ 2013/apr/04/right-erasure-protects-freedom-forget-past, Abruf 23. Dezember 2013.
- 4 BVerfGE65 1 ff. Kap. C II, 1 a).
- 5 Federrath/Fuchs/Maier/Scheuer/Wagner in DuD 2011, S. 403 ff.
- 6 Federrath/Fuchs/Maier/Scheuer/Wagner in DuD 2011, S. 407.
- 7 Simitis, Die Pflicht zu vergessen, FAZ vom 8. Februar 2013, S. 7.
- 8 Jahnel, Handbuch Datenschutzrecht, 2010, Kap. 5/19, S. 302.
- 9 Jahnel aaO., Kap. 5/20, S. 302, «Skala der Schutzwürdigkeit nach dem DSG: Zulässigerweise veröffentlichte Daten oder anonymisierte Daten (keine schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen), indirekt personenbezogene Daten nicht sensible Daten Auskunftserteilung über Kreditwürdigkeit, Informationsverbundsysteme Strafrechtlich relevante Daten Sensible Daten (höchste Stufe der Schutzwürdigkeit.)»
- 10 Nolte, Zum Recht auf Vergessenwerden, ZRP 2011 Heft 08, S. 237 ff. (239).
- 11 http://www.presserat.info/uploads/media/Pressekodex_aktuell.pdf, Abruf 28. Dezember 2013.
- 12 Wendt in Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Art. 5 Anm. 84.
- 13 Soehring/Hoene, Presserecht 5. Aufl. 2013, § 16 Rd.-Nr. 23 ff.
- 14 BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach.
- 15 EGMR vom 7. Februar 2012, Springer AG gegen Deutschland, (Beschwerde Nr. 39954/08), Rdnr. 89 ff.
- 16 Rechtssache C‑131/12,Google Spain SL, Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos (AEPD), Mario Costeja González.
- 17 Rechtssache C-131/12,Google Spain SL, Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos (AEPD), Mario Costeja González, Rd.-Nr. 86.
- 18 Gola/Schomerus, BDSG Bundesdatenschutzgesetz, 11. Aufl. 2012, § 41 Anm. 10 a.
- 19 LGHamburg, Urteil vom 18. Januar 2008, 324 O 507/07, NJW-RR 2009, 120 (121).
- 20 OLG Hamburg, Beschluss vom 28. März 2007, Az.: 7 W 9/07, http://www.telemedicus.info/urteile/Allgemeines-Persoenlichkeitsrecht/Personen-der-Zeitgeschichte/Straftaeter/448-OLG-Hamburg-Az-7-W-907-Identifizierende-Berichterstattung-in-Online-Zeitungsarchiven.html, Abfrage 23. Dezember 2013.
- 21 BGH vom 1. Februar 2011, Az. 6 ZR 345/09, RDV 2011, S. 190–192.
- 22 KG, Beschluss vom 19. Oktober 2001, 9 W 132/01, AfP 2006, 561.
- 23 OLG Köln, Beschluss vom 14. November 2005, 15 W 60/05, AfP 2007, 126.
- 24 OLG Wien, Urteil vom 9. Dezember 2002, 18 Bs 183/02 , Medien und Recht (MuR) 2003, 78.
- 25 Härting, Prangerwirkung und Zeitfaktor, CR 2009, S. 21.
- 26 http://ec.europa.eu/justice/data-protection/document/review2012/com_2012_11_de.pdf, Abruf 30. Dezember 2013.
- 27 http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/materialien/EuDatenschutzgrundverordnung_Leak.pdf, Abruf 30. Dezember 2013.