1.1.
Neuerungen ^
Mit der Zustimmung des deutschen Bundesrates am 5. Juli 2013 war der Weg frei für das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, nachdem es am 13. Juni 2013 den Deutschen Bundestag passiert hatte. Am 16. Oktober 2013 ist es im Bundesgesetzblatt verkündet worden.1 Das Gesetz läutet die Ablösung der papiergebundenen Justizkommunikation durch den elektronischen Rechtsverkehr (ERV) ein, also dem sicheren, rechtlich wirksamen Austausch elektronischer Dokumente. Im Folgenden werden die wichtigsten Neuerungen kurz zusammengefasst.
- Bis 1. Januar 2016 wird ein Anwaltspostfachverzeichnis für alle deutschen Rechtsanwälte durch die Bundesrechtsanwaltskammer errichtet. Die in dieses oder von diesem Postfach versandte Post wird auch ohne qualifizierte elektronische Signatur als rechtsgültig anerkannt und erhält damit Vertrauensschutz im Sinne der Fiktion der Schriftformwahrung. Zugleich wird auch die rechtssichere Kommunikation zwischen Anwälten und anderen am Rechtsleben Beteiligten ermöglicht, die ebenfalls über ein elektronisches Postfach verfügen.
- Nach neuer Rechtslage können identische Postfachdomänen nämlich auch für andere professionelle Rechtsvertreter geschaffen werden. Dies betrifft Steuerberater, Rechtssekretäre der Gewerkschaften, Sozialverbände, Inkassounternehmen und vor allem die Rechtsvertreter der Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts.
- Ab spätestens 1. Januar 2022 wird der elektronische Rechtsverkehr alleiniger und rechtsverbindlicher Kommunikationsweg der Mitglieder der privilegierten Postfachdomänen in dem Sinne, dass ab dann die konventionelle Briefpost die prozessualen Schriftformerfordernisse nicht mehr wahrt. Dies ist gleichzusetzen mit einer Digitalisierung des Nachtbriefkastens der Justiz.
- Ab diesem Zeitpunkt wird zudem die De-Mail in der Variante der absenderbestätigten De-Mail zu einem gesetzlich zugelassenen zusätzlichen Kommunikationsweg.
- Im Sinne der Zukunfts- und Technikoffenheit können weitere bundeseinheitliche sichere Übermittlungswege durch Rechtsverordnung des Bundes mit Zustimmung des Bundesrates zugelassen werden.
- Die elektronische Zustellung an sogenannte professionelle Einreicher ist durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis abzusichern, das willentlich zurückzusenden ist. Es wird also keine Zustellfiktion erzeugt.
- Gescanntes Papier ist sechs Monate nach Eingang zu vernichten, was den Transfer von Papierdokumenten in die elektronische Form vereinfacht. Damit entfällt die Verpflichtung zur dauerhaften Führung einer hybriden Papierakte.
- In Zukunft kann Akteneinsicht umfassend und rechtsverbindlich auch elektronisch gewährt werden.
- Für gescannte Dokumente und De-Mail-Posteingänge werden Beweisregeln eingeführt.
- Es wird ein länderübergreifendes elektronisches Schutzschriftenregister im Internet geschaffen, dessen Nutzung für Anwälte und Gerichte verpflichtend ist. Damit entfällt die Notwendigkeit, Schutzschriften an allen denkbaren Gerichtsständen einzureichen.
- Bis zum 1. Januar 2016 ist die Postfachdomäne der Anwaltschaft einzurichten.
- Zum 1. Januar 2018 ist die Empfangsbereitschaft aller Gerichte herzustellen. Im Rahmen einer kollektiven «Opt-Out-Klausel» kann diese Verpflichtung noch um zwei Jahre hinausgeschoben werden.
- Am 1. Januar 2022 ist der Schlusstermin der Übergangsphase erreicht: Der elektronische Rechtsverkehr ist von diesem Tag an verpflichtender und einziger Kommunikationsweg zwischen Anwaltschaft und deutscher Justiz, unter Umständen auch im Verhältnis zu weiteren noch zu schaffenden Postfachdomänen.
- Die Landesjustizverwaltungen erhalten hierbei die Möglichkeit, das Inkrafttreten auf den 1. Januar 2020 oder auf den 1. Januar 2021 für jedes Land und jede Gerichtsbarkeit separat vorzuverlegen (sog. «Opt-In»).
1.2.
Kritik ^
1.3.
Einordnung in den Kontext der Verwaltungsmodernisierung ^
Modernisierungsmaßnahmen mit Außenwirkung können weiterhin nach ihrem zugrundeliegenden Interaktionsparadigma klassifiziert werden. Dabei kommen gewöhnlich die Stufen Information, Kommunikation, Transaktion und Integration zur Anwendung.3 Das ERV-Gesetz bewegt sich primär auf der Ebene der Kommunikation.
Dabei kann weiter unterschieden werden, welche Akteure interagieren. Im Fall des ERV-Gesetzes sind zunächst alle der drei Ebenen Bund, Länder und Kommunen betroffen, sowie jede der Kommunikationsbeziehungen G2G (Government4 to Government), G2B (Government to Business) und G2C (Government to Citizen). Die Kategorien sind hier im bidirektionalen Sinne zu verstehen. Die Kategorie der Kommunikation nicht-staatlicher Teilnehmer am Rechtsverkehr untereinander ist zwar ebenfalls von großer Relevanz, aber nicht direkt Teil der Verwaltungsmodernisierung.
2.1.
Dimensionen des Transparenzkonzepts ^
2.2.1.
Transparenz und Demokratie ^
- Ermöglichung von freier Willensbildung und Partizipation,
- Anreiz zur Loyalität und Bürgernähe (Disziplinierungseffekt),
- Ermöglichung von konstruktiver Kritik (Feedback-Funktion),
- Verhinderung von Machtmissbrauch,
- Stärkung des Vertrauens.
2.2.2.
Transparenz und Rechtsstaat ^
Typen von Informationen | Zielgruppe |
Verfahrensbezogene Informationen– Inhaltliche Dimension– Prozessuale Dimension | Verfahrensbeteiligte |
Register- und Archivinformationen | Ein interessierter Teilbereich der Öffentlichkeit |
Allgemeine Justizinformationen | Die breite Öffentlichkeit |
3.1.1.
Inhaltliche Dimension ^
Maßnahme im ERV-Gesetz: E-Akteneinsicht (bezieht auch prozessuale Dimension mit ein)
3.1.2.
Prozessuale Dimension ^
Maßnahme im ERV-Gesetz: Verfahrensstandabfrage
3.2.
Register- und Archivinformationen ^
Maßnahme im ERV-Gesetz: Das elektronische Schutzschriftenregister
3.3.
Allgemeine Justizinformationen ^
3.4.
Informationsübergreifend: Barrierefreiheit ^
4.
Fazit ^
Große Potenziale eröffnen sich hier auch durch die Verschmelzung von E-Justice und E-Government. Um die volle Wirkung der Initiativen aus beiden Bereichen zu entfalten, ist eine Implementierung von digitalen Prozessketten über organisationale und sektorale Grenzen (Stichwort «Instanzenzug») hinweg notwendig. Das Pilotprojekt Prozessdatenbeschleuniger6 des Bundesinnenministeriums verfolgte gleichartige Ziele.
5.
Weiterführende Literatur ^
Berlit, Uwe, E-Justice – Chancen und Herausforderungen in der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. JurPC Web-Dok. 171/2007, Abs. 1–146. http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20130173 aufgerufen 10. Dezember 2013 (2013).
Berlit, Uwe, Elektronischer Rechtsverkehr – eine Herausforderung für die Justiz. JurPC Web-Dok. 173/2013, Abs. 1–50. http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20070171 aufgerufen 10. Dezember 2013 (2013).
Herberger, Maximilian, Zehn Anmerkungen zum «Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten». JurPC Web-Dok. 81/2013, Abs. 1–66. http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20130081 aufgerufen 10. Dezember 2013 (2013).
Köbler, Ralf, Der elektronische Rechtsverkehr kommt: Fahrplan bis 2022 steht. In: AnwBl, Heft 8, S. 589–592 (2013).
Köbler, Ralf, E-Justice in Deutschland – Ein kurzer Überblick. In: Hill, Hermann/Dieckmann, Jochen (Hrsg.), Moderne Justiz, Nomos, Baden-Baden, S. 75–83 (2013).
Volk, Ulrich, Der Abschied von den Absurditäten der Papierakte – ein Fallbeispiel. In: AnwBl, Heft 8, S. 593–596 (2013).
Weller, Matthias, Der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten rückt näher. In: DRiZ, Heft 9, S. 290–295 (2013).
Michael Tonndorf
Diplom-Informatiker
CSC Deutschland Solutions GmbH
Barthstr. 4, 80339 München, DE
michael.tonndorf@csc.com; http://www.csc.com/de
Jochen Stüber
Bachelor of Arts (Politik- und Verwaltungswissenschaft)
CSC Deutschland Solutions GmbH Barthstr. 4, 80339 München, DE
jstueber@csc.com; http://www.csc.com/de
- 1 Bundesgesetzblatt Teil I 2013 Nr. 62 16. Oktober 2013 S. 3786.
- 2 Berlit, Uwe, Richterliche Unabhängigkeit und elektronische Akte. JurPC Web-Dok. 77/2012, Abs. 1–74. http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20120077 aufgerufen 10. Dezember 2013 (2012).
- 3 Scheer, August-Wilhelm/Kruppke, Helmut/Heib, Ralf, E-Government: Prozessoptimierung in der öffentlichen Verwaltung, Berlin, Springer (2003).
- 4 Der Begriff Government wird hier frei für alle Arten staatlicher Organisationen verwendet.
- 5 Schubert, Klaus/Klein, Martina, Das Politiklexikon, Dietz, Bonn, 5. Auflage (2011).
- 6 Siehe www.p23r.de, aufgerufen am 20. Januar 2014.