Jusletter IT

Neue Anforderungen an Wahlbehörden und -systeme im Zeitalter knappster Mehrheiten, mehrfacher Staatsangehörigkeiten und Wohnsitze

  • Author: Robert Müller-Török
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Robert Müller-Török, Neue Anforderungen an Wahlbehörden und -systeme im Zeitalter knappster Mehrheiten, mehrfacher Staatsangehörigkeiten und Wohnsitze, in: Jusletter IT 20 February 2014
Aktuelle Zahlen belegen immer knappere Wahlergebnisse, wobei oft ein oder eine Handvoll Stimmen über Ämter, Mandate und Mehrheiten entscheiden. Mehrfache Staatsangehörigkeiten und mehrfache Wohnsitze erschweren den Wahl- und Meldebehörden die Arbeit – sofern diese überhaupt existieren, siehe die Situation im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland . Wahlunregelmäßigkeiten kommen nun auch vermehrt in der EU vor, vgl. hierzu den massiven Briefwahlbetrug im UK und bei der letzten burgenländischen Landtagswahl auch in Österreich, aber auch Nachzählungen knapper Wahlkreise bei der jüngsten Bundestagswahl in Deutschland mit verblüffenden Ergebnissen. Dieser Beitrag beleuchtet die gestiegenen Anforderungen an Wählerverzeichnisse (1), die ebenfalls gestiegenen Anforderungen an Distanzwahlsysteme (2) und diskutiert, ob und wie man diese Anforderungen erfüllen kann. Gerade das Thema Wählerverzeichnisse ist im Lichte der Ergebnisse des Zensus 2011, die auf die Qualität des Meldewesens in der Bundesrepublik Deutschland ein ungünstiges Licht warfen, höchst aktuell. Ebenso werden die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 durch die nicht erfolgte Umsetzung der Richtlinie 93/109/EG in dieser Hinsicht interessant. Abschließend stellt sich hier die Frage, inwieweit Distanzwahlsysteme unter der Annahme fehlerhafter Wählerverzeichnisse noch aufrecht erhalten werden können – diese Frage soll diskutiert werden und die Diskussion anzustoßen ist ein wesentliches Motiv dieses Beitrages.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Wählerverzeichnisse
  • 2.1. Staatsbürgerschaft
  • 2.2. Hauptwohnsitz
  • 3. Verfahren der Stimmabgabe – Distanzwahlverfahren
  • 4. Fazit und weiterer Forschungsbedarf

1.

Einleitung ^

[1]

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Ergebnisse demokratischer Wahlen in Europa verändert, es sind mehrere Parteien in den Parlamenten und die Zeiten absoluter Mehrheiten sind anscheinend vorbei. Sogar im UK genügt ein die stimmenstärkste Partei begünstigendes Mehrheitswahlrecht nicht mehr, um Koalitionsregierungen zu verhindern. Vergleicht man die letzten Nationalratswahlergebnisse in Österreich1, so ergibt sich ein interessantes Bild:

Wahljahr Größter Stimmenabstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Parteien2 Geringster Stimmen-abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Parteien Anzahl Parteien im Nationalrat
1971 1.716.240 315.455 3
1975 1.731.847 344.910 3
1979 1.694.996 431.478 3
1983 1.856.019 214.721 3
1986 1.531.458 88.361 4
1990 725.952 504.187 4
1994 703.794 61.948 5
1995 472.964 33.818 5
1999 901.827 415 4
2002 1.301.171 26.348 4
2006 1.096.895 532 5
2008 412.627 12.997 5
2013 379.656 35.733 6
Tabelle 1: Stimmenunterschiede zwischen aufeinanderfolgenden Parteien bei österreichischen Nationalratswahlen 1971–2013
[2]

Während es in den 70er- und 80er-Jahren mehr oder minder gleichgültig war, d.h. ohne wesentliche Wirkung auf das Endergebnis gewesen wäre, wenn ein paar Tausend Wählerstimmen nicht korrekt gewesen wären, so werden die Ergebnisse offensichtlich immer knapper. Es wird besonders interessant, wenn man sich das Detailergebnis der Nationalratswahl 20133 ansieht, dieses beinhaltet folgende interessante Fakten:

  • Per Briefwahl wurden insgesamt 542.990 Stimmen abgegeben, also deutlich mehr als der größte Abstand zwischen zwei nacheinander gereihten Parteien beträgt und das mehr als Zehnfache des geringsten Abstandes.
  • Die per Wahlkarte, d.h. in einem anderen als dem Wahllokal des Hauptwohnsitzes abgegebenen Stimmen, waren 30.797. Das ist fast der geringste Abstand zwischen zwei nacheinander gereihten Parteien.
  • Die absolut geringste Anzahl an Briefwahlstimmen wurde im Wahlbezirk Rust-Stadt (Burgenland) abgegeben, nämlich 108 – bei insgesamt 1.251 gültigen Stimmen in diesem Wahlbezirk (entspricht 8,6 %).
  • Die absolut höchste Anzahl an Briefwahlstimmen war in Graz-Stadt mit 22.414 – bei insgesamt 136.118 gültigen Stimmen im Wahlbezirk (entspricht 16,5 %).
  • Bei insgesamt 4.782.410 bundesweit abgegebenen Stimmen betrug der Anteil der Briefwahlstimmen 542.990 oder 11,35 %.
  • Der Anteil der ungültigen Stimmen lag insgesamt bei 1,87 Prozent, bei den Briefwahlstimmen hingegen bei nur 1,48 Prozent, bei den Wahlkartenstimmen bei nur 1,29 Prozent – also signifikant geringer.
[3]

Ergänzend an dieser Stelle zwei Detailergebnisse anderer Wahlen:

  • Bei der Bundestagswahl 2013 wurde der Wahlkreis Essen III ausgezählt und das dort zu vergebende Direktmandat gelangte an den Kandidaten der CDU mit einem Vorsprung von drei Stimmen. Eine von der unterlegenen SPD-Kandidatin verlangte Nachzählung führte zu einem Vorsprung von 93 Stimmen4.
  • Bei den Bezirksratswahlen 2010 in Wien-Wieden erhielten die Kandidaten der SPÖ 4.188, der Grünen 4.183 und der ÖVP 4.174 Stimmen. Da die stimmenstärkste Fraktion den Bezirksvorsteher stellt, ein bemerkenswertes Ergebnis. Der Anteil der ungültigen Stimmen betrug zum Vergleich 2695.
  • Bei den Landtagswahlen im Burgenland 2010 schaffte die Liste Burgenland mit genau 4,00% den Einzug in den Landtag6. Eine einzige Stimme weniger wäre dafür zu wenig gewesen.
[4]
An dieser Stelle kann die Analyse abgebrochen werden und anhand der Daten als verifizierte Aussagen festgehalten werden:
  1. Einige hundert Stimmen, manchmal nur eine Handvoll Stimmen, sind in unserer Zeit wahlentscheidend.
  2. Vergleichsweise geringfügige Fehler im Wählerverzeichnis, bei der Stimmabgabe und bei der Stimmauszählung können Wahlergebnisse – im Gegensatz zu den 70er- und 80er-Jahren – entscheidend verfälschen.
[5]

In diesem Licht ergibt sich nun die Notwendigkeit, die Wählerverzeichnisse und die Verfahren der Stimmabgabe und -auszählung bei Distanzwahlen näher zu betrachten. Die Einschränkung auf Distanzwahlverfahren ist der Tatsache geschuldet, dass eine potentielle Wahlfälschung bzw. -verfälschung bei Stimmabgabe und -auszählung im Wahllokal logistisch erheblich aufwändiger wäre. Der Aufwand, sechzehn Personen im Bus durch das Land zu fahren und in verschiedenen Wahllokalen mehrfach wählen zu lassen, ist erheblich höher als bspw. sechzehn Wahlkarten für «sichere Nichtwähler» anzufordern und per Briefwahl für diese abzustimmen, wie es bei der burgenländischen Landtagswahl 2010 tatsächlich passiert ist7.

2.

Wählerverzeichnisse ^

[6]

Wählerverzeichnisse werden üblicherweise anhand der Einwohnermelderegister, sofern vorhanden, erstellt. Das Wahlrecht richtet sich regelmäßig nach zwei Kriterien, nämlich nach Staatsbürgerschaft und Hauptwohnsitz. Ohne Staatsbürgerschaft kein Wahlrecht, ohne Hauptwohnsitz kein Eintrag in ein Wählerverzeichnis. Für Staatsbürger ohne Hauptwohnsitz im Staatsgebiet gibt es üblicherweise Zuordnungsregeln, die sozusagen einen «künstlichen Hauptwohnsitz» ergeben, dies gilt in Deutschland bspw. auch für Obdachlose8.

2.1.

Staatsbürgerschaft ^

[7]

Jeder Staat gewährt das Wahlrecht üblicherweise nur seinen Staatsbürgern. Wie in den letzten Jahren zu beobachten ist, nimmt die Anzahl der Mehrfachstaatsangehörigkeiten zu. Dahinter steht, meiner mangels auswertbarer Zahlen nicht belegbaren Meinung nach9, ein wesentlicher Grund: Durch die vermehrte Inanspruchnahme der Personenfreizügigkeiten in der EU steigt die Zahl der binationalen Ehen und somit die Zahl der Kinder mit mehrfachen Staatsangehörigkeiten. In Ermangelung österreichischer Zahlen sei hier auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden verwiesen, wonach die sog. «Doppelpassquote» bei neu eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen bei 51% liegt10. Was hingegen problemlos belegbar ist, ist dass es EU-Mitgliedsländer gibt, die eine äußerst aktive Einwanderungspolitik betreiben und die Kriterien für die Vergabe ihrer Staatsangehörigkeiten bei Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit erheblich gelockert haben. So gilt in Portugal «Between 2004 and 2008, the number of applications for the acquisition of nationality increased seven-fold. There was an increase in people eligible under the new law, but also an increase in applications from people who were already eligible under the previous law, but who have only applied for nationality during recent years because the process is easier and there has been an improvement in the infrastructure.»11. Andere Mitgliedsstaaten wie z.B. Malta oder Zypern verkaufen ihre Staatsangehörigkeit mittlerweile12.

[8]
Für die nachstehenden Betrachtungen sei festgehalten, dass die mehrfache Staatsangehörigkeit zumindest in dem Ausmaß ein Faktum darstellt, um Wahlergebnisse signifikant zu beeinflussen – wie im Falle der oben zitierten Bezirksratswahl 2010 in Wien-Wieden, bei der EU-Bürger natürlich wahlberechtigt waren, genügen bereits drei Stimmen.
[9]

Bei solchen Kommunalwahlen kann sich der Fall ergeben, dass z.B. ein österreichisch-spanischer Doppelstaatsangehöriger zweimal ins Wählerverzeichnis eingetragen wird: Einmal mit der spanischen und einmal mit der österreichischen Staatsangehörigkeit. Eventuelle Unstimmigkeiten bezüglich der Schreibweise der Namen – Stichwort diakritische Zeichen im Spanischen – können dies verschärfen. Da in der EU mittlerweile etliche Unionsbürger Namen haben, die in anderen Zeichensätzen geschrieben werden (griechisch, kyrillisch) bzw. aus Kulturkreisen eingewandert sind, in denen Namen unterschiedlichst geschrieben werden, ist dieses Problem durchaus real13. An dieser Stelle sei an das berühmte Beispiel der «richtigen» Schreibweise des ehem. Libyschen Staatschefs erinnert, bei dem sich die Schreibweisen «Gadafi», «Gaddafi», «al-Gaddafi», «Quaddhafi» uvm. bis heute durch die verschiedensten Medien umtreiben. Ohne hier zu tief ins Detail zu gehen, sei erwähnt, dass auch der Geburtsort nicht immer eindeutig ist, bspw. wurde im letzten Jahrhundert aus Chemnitz in Sachsen Karl-Marx-Stadt und umgekehrt. Ein österreichisch-deutscher Doppelstaatsbürger mit Geburtsorten Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt in den jeweils anderen Pässen mag konstruiert klingen, ist aber nicht auszuschließen.

[10]
Folgende Anforderungen an Wählerverzeichnisse ergeben sich hier:
  • Es muss sichergestellt sein, dass die Schreibweise der Namen und Geburtsorte sowie sämtlicher Eintragungen ins Wählerverzeichnis gleichmäßig erfolgt und einer geeigneten Norm folgt, so dass zwei unterschiedliche Behörden stets gleich agieren.
  • Es muss sichergestellt sein, dass mehrfache Staatsangehörigkeiten in Übereinstimmung mit dem jeweiligen nationalen Wahlrecht nicht zu Verstößen gegen den Grundsatz «One man, one vote» führen.

2.2.

Hauptwohnsitz ^

[11]

Die Annahme, dass ein Mensch nur einen Wohnsitz besitzt, ist in jüngster Zeit immer weniger haltbar14. Ein zwischenstaatlicher Abgleich, inwieweit jemand mehrere Wohnsitze in mehreren Staaten besitzt, findet nicht geordnet statt, sondern nur im Anlassfall, z.B. bei steuerlichen Ermittlungsverfahren u.dgl. Das österreichische Meldegesetz i.d.g.F. regelt ausschließlich das Meldewesen in Bezug auf Wohnsitze innerhalb des Bundesgebietes, auch enthält die Meldegesetz-Durchführungsverordnung keine Zugriffsrechte für ausländische Meldebehörden.

[12]

Es ist davon auszugehen, dass innerhalb von Zentralstaaten, wie z.B. Österreich, in denen ein zentral organisiertes Meldewesen existiert, es ausgeschlossen werden kann, dass ein Bürger zwei Hauptwohnsitze und somit Eintragungen in zwei Wählerverzeichnissen, somit zwei Stimmen hat. Inwieweit das in Staaten ausgeschlossen werden kann, die dezentrale und unabgestimmte Meldewesen haben (bspw. die Bundesrepublik Deutschland bis zur Einführung des verbindlichen Standards OSCI-XMELD vor wenigen Jahren15) oder für Staaten, die über kein Meldewesen verfügen, wie das UK, ist offen.

[13]

Aus Sicht dieser Erörterungen ist die Forderung aufzustellen,

  • dass mehrere Wohnsitze in mehreren Staaten oder im gleichen Staat kein mehrfaches Wahlrecht begründen dürfen, sofern das jeweilige Wahlrecht das verbietet16.
[14]

Wie dies national umgesetzt wird, bleibt dem jeweiligen Land überlassen. Dass die Regelungen bezüglich der Wahlen zum Europäischen Parlament hier äußerst unzureichend sind, wurde bereits hinlänglich diskutiert und belegt17.

3.

Verfahren der Stimmabgabe – Distanzwahlverfahren ^

[15]

Während das E-Voting, also die Stimmabgabe über das Internet, politisch und wissenschaftlich höchst umstritten ist18, ist die Briefwahl, also die Stimmabgabe per Brief, politisch unumstritten. Dies verwundert, weil es hier im Gegensatz zur elektronischen Stimmabgabe durchaus eine Reihe von dokumentierten Ereignissen gab, die belegen, dass bei der Briefwahl massiv manipuliert werden kann und wird:

  • Der bereits erwähnte Fall des Bürgermeisters von Unterrabnitz, der sechzehn falsche Stimmen abgegeben hat und dafür rechtskräftig verurteilt wurde, ereignete sich bei der gleichen Landtagswahl (Burgenland 2010), bei der die Liste Burgenland den Einzug in den Landtag genau schaffte. Eine einzige Stimme weniger – bspw. eine der sechzehn vom damaligen Unterrabnitzer Bürgermeister gefälschten! – und die Zusammensetzung des Burgenländischen Landtages wäre eine andere gewesen. Eine diesbezügliche Beschwerde einer wahlwerbenden Gruppe wurde vom VfGH mit Beschluss vom 5. März 2012, B 127/12, abgewiesen, d.h. die ergebnisbeeinflussende Wahlfälschung blieb ohne Konsequenzen im Hinblick auf eine Wahlwiederholung o.dgl.
  • Eine ausführliche Untersuchung von Isobel White und Charley Coleman im Auftrag des britischen Unterhauses19 belegt, dass im UK massive Fälle von Wahlbetrug bei Briefwahl auftreten. An dieser Stelle seien nur exemplarisch einige wenige Fälle aus dieser umfangreichen Studie angeführt:
    • 1 September 2006 The Peterborough Evening Telegraph reported that Mohammed Choudhary, who was the city’s mayor from May 1996 to April 1997, had appeared at Peterborough Crown Court the day before. Choudhary was facing 13 charges of defrauding election officers by submitting false postal ballots.
    • 15 September 2006 A man who obtained two postal votes at different addresses and voted twice in the 2005 local elections in the Aston ward of Birmingham was fined by magistrates:
      • Ahmad Ali pleaded guilty to contravening the Representation of the People Act during the Aston ward by-election last year after voting twice by postal ballot and was fined £100 with £43 costs. The small fine, described by Ali’s legal representative as a «slap on the wrists», surprised police officers who had been anticipating a larger penalty for an offence where the maximum fine is £5,000. Fraud Squad officers and council officials had privately hoped for a much larger fine which, it was thought, would act as a deterrent to others. The hearing, at Birmingham Magistrates Court, followed extensive investigations into alleged fraud in by-elections in Aston and Bordesley Green. Inquiries regarding several other cases are continuing.
    • 30 November 2006 The Times reported that West Yorkshire police had forwarded a file to the Crown Prosecution Service after an investigation into postal voting irregularities in Bradford at the local elections in 2005. The Times had reported in April 2005 that Jamshed Khan, then a Conservative councillor in Bradford, had 13 voters registered at his home, all of whom had applied for postal votes.
    • 25 July 2008 A former Peterborough Conservative councillor, Abdul Razaq, was found guilty of vote rigging at the 2004 local elections. Razaq had hijacked voters» poll cards and used them in to ensure that postal votes would be diverted to his friends and relatives.
  • «Bei der Landtags- und Kommunalwahl im Jahr 2008 hat der damals 57-jährige Lkw-Fahrer Sebastian P. aus Tittmoning versucht, durch Briefwahl das Ergebnis zu Gunsten der Republikaner zu manipulieren. So fälschte er zum Beispiel Vollmachten und ließ sich damit an der Gemeinde in Fridolfing die Briefwahlunterlagen von zwei Bekannten aushändigen. Dann füllte er die Wahlzettel teilweise aus.»20
  • «Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Darmstadt hat heute über die Rechtmäßigkeit der Kommunalwahl im Briefwahlbezirk Froschhausen entschieden. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Seligenstadt über die Gültigkeit der Kommunalwahl vom 24. April 2008 wurde aufgehoben, die Wahl im Briefwahlbezirk Froschhausen für ungültig erklärt und die Wiederholungswahl in diesem Briefwahlbezirk angeordnet. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass es zu mehreren ergebnisrelevanten Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl im Briefwahlbezirk Froschhausen gekommen sei.»21
[16]

Die demonstrative Aufzählung sei hier abgebrochen und die Frage aufgeworfen, wie massiv der tatsächliche Betrug bei Briefwahl tatsächlich ist. Aus eigener Erfahrung in München ist bekannt, dass

  • Briefwahlunterlagen auf Basis einer mit normaler Post zugestellten Wahlbenachrichtigungskarte angefordert werden können.
  • Die Unterschrift auf dieser Anforderungskarte nicht geprüft werden kann.22
  • Die Briefwahlstimme mit normaler Post abgeschickt wird und der Wähler keine Möglichkeit hat, festzustellen, ob sie tatsächlich in der Urne gelandet ist.
  • Nur der Vollständigkeit halber wurde ich selbst bei der letzten Kommunalwahl nicht nach einem Ausweis gefragt, das Vorzeigen der Wahlbenachrichtigungskarte wurde für ausreichend erachtet.
[17]
Aus Sicht der Anforderungen an Distanzwahlverfahren ist hier festzuhalten, dass
  • Die Identität des Distanzwählers durch ein Distanzwahlverfahren sichergestellt werden muss.
  • Der freie Wille des Distanzwählers sichergestellt werden muss, dies beinhaltet auch die Tatsache, dass er überhaupt eine Wahlkarte anfordern wollte, mehr noch: dass er überhaupt lebt und zurechnungsfähig ist.
  • Der Weg der Distanzwahlstimme vom Wähler zur Wahlbehörde nachvollziehbar sein muss, und zwar für jede einzelne Stimme.
  • Sichergestellt werden muss, dass die Distanzwahlstimme auch tatsächlich in die Ermittlung des Wahlergebnisses einfließt.

4.

Fazit und weiterer Forschungsbedarf ^

[18]
In diesem Beitrag wurde dargelegt, dass die Wahlergebnisse der jüngsten Zeit mehr Sorgfalt bei der Erstellung von Wählerverzeichnissen und bei Distanzwahlverfahren verlangen. Trends wie der zu Mehrfachstaatsangehörigkeiten, Mehrfachwohnsitzen u.dgl. erschweren den Wahlbehörden diese Arbeit erheblich. Zuletzt wurde dargelegt, dass das eingeführte und allgemein akzeptierte Distanzwahlverfahren der Briefwahl nicht so sicher ist, wie es wahrgenommen wird.
[19]
Als wesentlichen Forschungsbedarf erscheint eine umfassende Untersuchung erforderlich, wo und wann Briefwahlen manipuliert wurden. Im Internet findet sich keine ausführliche und seriöse wissenschaftliche Untersuchung für den deutschen Sprachraum. Basierend auf diesen Untersuchungsergebnissen sollte die Distanzwahl neu diskutiert werden.
[20]
Darüber hinaus scheinen Maßnahmen erforderlich, den Phänomenen der mehrfachen Staatsangehörigkeiten und Wohnsitze auf europäischer Ebene angemessen zu begegnen. Inwieweit ein gesamteuropäisches Register sämtlicher EU-Bürger samt allen Staatsangehörigen und Adressen notwendig ist, wird sich dann weisen.

 

Robert Müller-Török

Professor, Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg

Reuteallee 36, 71634 Ludwigsburg, DE

mueller-toeroek@hs-ludwigsburg.de

 


  1. 1 Quelle: Ergebnisse der Nationalratswahlen http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/nationalrat/start.aspx per 30. Dezember 2013; eigene Berechnungen, wobei nur Parteien berücksichtigt wurden, welche im gewählten Nationalrat auch mit Abgeordneten vertreten waren.
  2. 2 Unter «aufeinanderfolgend» wird hier die Sortierung der Parteien nach der Anzahl der erhaltenen Wählerstimmen verstanden.
  3. 3 Quelle: Wahlergebnis des Bundesministeriums für Inneres, erhalten im Dezember 2013 in bearbeitbarer Dateiform von der Wahlabteilung. An dieser Stelle herzlichen Dank für die Unterstützung.
  4. 4 Quelle: http://www.welt.de/politik/wahl/bundestagswahl/article120538897/CDU-Kandidat-verdreissigfacht-Vorsprung-in-Essen.html (per 30. Dezember 2013).
  5. 5 Quelle: http://www.wien.gv.at/wahl/NET/BV101/BV101.htm#wk_wieden (per 30. Dezember 2013).
  6. 6 Quelle: http://diepresse.com/home/politik/burgenlandwahl/570717/Grune-und-Liste-Burgenland-im-Landtag (per 30. Dezember 2013).
  7. 7 Quelle: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/top_news/224923_Sechs-Monate-bedingt-fuer-burgenlaendischen-Ex-Ortschef.html (per 31. Dezember 2013).
  8. 8 Vgl. http://www.hinzundkunzt.de/wp-content/uploads/2013/08/Wahlwerbung.pdf (per 31. Dezember 2013).
  9. 9 Durch eine Rückfrage am 30. Dezember 2013 bei der Wahlabteilung des österreichischen Innenministeriums wurde die Aussage überprüft: Nach dortigem Informationsstand gibt es kein Verzeichnis von Österreichern mit mehrfachen Staatsangehörigkeiten, welches zweifelsfrei richtig und veröffentlicht ist.
  10. 10 Quelle: http://www.migazin.de/2012/07/05/einbuergerung-statistik-2011-doppelpass/ (per 30. Dezember 2013).
  11. 11 Zitiert nach Healy, Claire «Naturalisation Procedures for Immigrants Portugal», Schriftenreihe des Robert Schumann Centre for Advanced Studies, European University Institute, Florence, March 2013, S. 14. Die Schrift ist downloadbar unter http://eudo-citizenship.eu/admin/?p=file&appl=countryProfiles&f=27-Portugal.pdf (per 31. Dezember 2013).
  12. 12 Vgl. http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/malta/10445966/Maltese-passport-and-life-as-an-EU-citizen-for-anyone-with-546000.html für Malta bzw. http://cyprus-mail.com/2013/06/01/new-ways-to-obtain-citizenship-if-you-have-the-cash/ für Zypern (per 31. Dezember 2013).
  13. 13 Vgl. hierzu u.a. den Durchführungserlass des sächsisch-anhaltinischen Landeswahlleiters zur Bundestagswahl 2013, Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 12. Juni 2013, LWL/33.1-11401, S. 14 zu unterschiedlichen Namensschreibweisen.
  14. 14 Für eine detaillierte Analyse vergleiche Müller-Török, Robert/Schäfer, Norbert «Hauptwohnort, Wahlrecht und steuerliche Veranlagung – Besteht Anpassungsbedarf anhand geänderter Lebenswirklichkeiten?», Verwaltung und Management, 2/2013.
  15. 15 Vgl. http://www1.osci.de/detail.php?gsid=bremen76.c.2817.de (per 30. Dezember 2013).
  16. 16 Diese Einschränkung ist der Tatsache geschuldet, dass einzelne Gebietskörperschaften einen Zweitwohnsitz als ausreichend erachten, um an Wahlen teilzunehmen. Der jeweilige Wahlgesetzgeber sollte diese Freiheit natürlich behalten.
  17. 17 Vgl. u.a. Müller-Török, Robert/Stein, Robert, Die Europäische Bürgerinitiative aus Sicht nationaler Wahlbehörden: Probleme der Verifikation von Unterstützungserklärungen in der Praxis», in: Verwaltung und Management, 5/2010 oder Balthasar, Alexander/Müller-Török, Robert «Ein Vorschlag zur Effektuierung des Artikels 13 der Richtlinie 93/109/EG», in: Tagungsband des 14. Internationalen Rechtsinformatik Symposions – IRIS 2011, ISBN 978-3-85403-278-6, 24.–26. Februar 2011, Salzburg.
  18. 18 Vgl. u.a. http://diepresse.com/home/bildung/universitaet/718563/OHWahl_EVoting-von-VfGH-aufgehoben (per 31. Dezember 2013).
  19. 19 White, Isobel/Coleman, Charley «Postal Voting and Electoral Fraud», Standard Note SN/PC/3667, 22. Juni 2011, London. Downloadbar unter http://www.parliament.uk/documents/commons/lib/research/briefings/snpc-03667.pdf (per 31. Dezember 2013).
  20. 20 Quelle: http://www.wochenblatt.de/nachrichten/traunstein/regionales/Wahlfaelschung-Wahlmanipulation-Staatsanwaltschaft-Traunstein-Amtsgericht-Traunstein-Republikaner-Chiemgau-Briefwahl-Kommunalwahl-2008;art39,40122 (per 31. Dezember 2013).
  21. 21 Quelle: http://www.vg-darmstadt.justiz.hessen.de/irj/VG_Darmstadt_Internet?rid=HMdJ/VG_Darmstadt_Internet/sub/4f0/4f05fada-56b4-c11f-3efe-f97ccf4e69f2,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm (per 31. Dezember 2013).
  22. 22 Vgl. hierzu die ausführliche Argumentation bezüglich der forensischen Überprüfung von Unterschriften in Müller-Török, Robert/Stein, Robert «Die Europäische Bürgerinitiative aus Sicht nationaler Wahlbehörden: Probleme der Verifikation von Unterstützungserklärungen in der Praxis», in: Verwaltung und Management, 5/2010.