1.
Rückblick und Ausgangslage ^
Die «EBI-Verordnung»1 auf Europäischer Ebene und – zeitgleich in Österreich – das Europäische Bürgerinitiative-Gesetz (EBIG)2 sind am 1. April 2012 in Kraft getreten. Seit diesem Zeitpunkt ist es möglich, dass Organisatoren von Europäischen Bürgerinitiativen3 diese bei der Europäischen Kommission registrieren lassen und nach Registrierung durch die Kommission in einem Zeitfenster von einem Jahr4 Unterstützungsbekundungen sammeln.5 Die Sammlung von Unterstützungs-bekundungen ist sowohl auf durch die Verordnung vorgegebenen Formularen in Papierform6 als auch auf elektronischem Weg möglich. Auch die Möglichkeit einer Unterstützungsbekundung mittels fortgeschrittener elektronischer Signatur im Sinne der Richtlinie 1999/93/EG sieht die Verordnung vor. Bislang wurden auf Ebene der Kommission aber keine ernsthaften Überlegungen getroffen, wie die Abgabe einer solchen Signatur in der Praxis aussehen könnte. Daher muss die Zulässigkeit einer Unterstützungsbekundung auf diese Art als «totes Recht» angesehen werden.
Zwei Schritte sind notwendig, damit ein Organisator Unterstützungsbekundungen – in Papierform und online – sammeln kann:
Im Juni 2012 waren etwa 15 Europäische Bürgerinitiativen registriert, mittlerweile ist die Zahl auf circa 30 angestiegen, wobei einige Bürgerinitiativen zurückgezogen, andere wiederum nicht zugelassen wurden. Formell eingereicht wurde bei der Europäischen Kommission bislang erst eine Europäische Bürgerinitiative.10
Nach ursprünglicher Auslegung des Art. 5 Abs. 5 der Verordnung durch die Europäische Kommission war der letztmögliche Zeitpunkt zum Sammeln von Unterstützungsbekundungen der Jahrestag der Registrierung. Die Rechtsmeinung der Kommission wird bis heute durch die diesbezügliche Information der Kommission im Internet11 untermauert. Trotz sorgfältiger Beachtung des Wortlauts der Verordnung wurde diese Vorgabe in Österreich seitens des Bundesministeriums für Inneres von Anfang an weniger restriktiv gesehen. Vielmehr ging man in Österreich bezüglich der Zulässigkeit der Sammlung von Unterstützungsbekundungen von einem Zeitfenster von einem Jahr aus, das aber nicht notwendigerweise mit dem Tag der Registrierung, sondern vielmehr mit jenem Tag, an dem die erste Unterstützungsbekundung gesammelt wird, zu laufen beginnt. Unter der Prämisse, dass einem Mitgliedstaat ein Zeitraum von drei Monaten für die Überprüfung von Unterstützungsbekundungen12 zusteht, könnte man zum Ergebnis kommen, dass das Brutto-Zeitfenster, in dem der Zeitraum zum Sammeln von Unterstützungsbekundungen im engeren Sinn zu liegen kommt, 15 Monate beträgt, wenn sich die Organisatoren die Möglichkeit eines Rechtsschutzes unter Beibringung von – sonst 18 Monate nach der Registrierung zu vernichtenden – Beweismitteln wahren möchten. Es liegt aber am nicht eindeutig formulierten Wortlaut der Verordnung, dass eine klare Auslegung bis zu einer Präzisierung der Verordnung wohl kaum möglich sein wird.
2.
Probleme mit den Online-Sammelsystemen von Beginn an ^
Allem Anschein nach traten bei praktisch allen Organisatoren große Probleme bei der Einrichtung ihrer Online-Sammelsysteme unter Heranziehung der von der Kommission bereitgestellten Software auf. Die Kommission versuchte dieses Problem einerseits damit zu bewältigen, dass sie unter Einwilligung der betroffenen Stellen in Luxemburg mehrere Organisatoren an diesen Mitgliedstaat verwies, um zu einer der Durchführungsverordnung entsprechenden Zertifizierung ihres Online-Sammelsystems zu gelangen. Auch kommissionseigene Server wurden zur Lösung des Problems angeboten. Im österreichischen Bundesministerium für Inneres ist nur eine Ausnahme bekannt, bei der ein Online-Sammelsystem von deutschen Behörden zertifiziert worden ist. Wohl nicht unberechtigten Vorwürfen von Organisatoren, dass durch die Unmöglichkeit, das Online-Sammelsystem rechtzeitig zu zertifizieren und überhaupt EDV-mäßig zum Laufen zu bekommen, das durch die Verordnung zugestandene Zeitfenster von zwölf Monaten beschnitten wurde, begegnete die Kommission andererseits damit, dass sie den Mitgliedstaaten anbot, das Zeitfenster bis November 2013 zu erstrecken.13
Bei den ersten beiden Europäischen Bürgerinitiativen, die in Österreich der Bundeswahlbehörde zur Überprüfung der Unterstützungsbekundungen vorgelegt worden sind, hat sich gezeigt, dass die Unterstützungsbekundungen in einem Fall zur Gänze innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr geleistet worden sind, im anderen Fall die Zahl der außerhalb dieses Zeitraumes herrührenden und somit nicht geprüften Unterstützungsbekundungen als ziemlich gering bezeichnet werden kann.14
Festzuhalten ist, dass bislang bezüglich der Zertifizierung eines Online-Sammelsystems in Österreich Organisatoren von Europäischen Bürgerinitiativen noch nie mit österreichischen Behörden in Kontakt getreten sind. Es scheint in der Natur der Sache zu liegen, dass man sich bei der Einreichung eines Online-Sammelsystems zur Zertifizierung durch einen Mitgliedstaat an Organisatoren früher eingereichter Initiativen hält und somit das Online-Sammelsystem bei jenen Behörden zertifizieren lässt, die damit bereits Erfahrungen haben. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit der Zustand, dass ganz wenige Behörden in Europa für fast alle Europäischen Bürgerinitiativen deren Online-Sammelsysteme zu zertifizieren haben, nicht wieder – wie schon in der Entstehungsphase der Verordnung – zu einer Diskussion über die Notwendigkeit einer Vergebührung von entsprechenden Systemen führen wird. Von solchen Erwägungen ohnehin losgelöst ist der Umstand zu betrachten, dass der Organisator einer Europäischen Bürgerinitiative aufgrund der rechtlichen und faktischen Gegebenheiten einen wohl nicht unbeträchtlichen finanziellen Aufwand zu tragen haben wird, um die Möglichkeit der Online-Unterstützung einer Europäischen Bürgerinitiative Wirklichkeit werden zu lassen.15
Beim Austesten der von der Kommission bereitgestellten Software16 in Vorbereitung der allfälligen Zertifizierung eines Online-Sammelsystems – ein solcher Fall ist, wie oben beschrieben, bislang nicht eingetreten – haben sich gravierende Mängel bei den Eingabemasken wie auch beim Lauf des Programms schlechthin gezeigt. Nach Übermittlung von Listen mit festgestellten Mängeln an die Kommission durch das Bundesministerium für Inneres und durch Stellen mehrerer anderer Mitgliedstaaten wurde die Software in der Folge soweit bereinigt, dass ein verordnungskonformes Sammeln von Unterstützungsbekundungen auf elektronischem Weg möglich ist (Näheres hinsichtlich weiterhin gegebener Verbesserungsmöglichkeiten siehe Punkt 5).
3.
Überprüfung von Unterstützungsbekundungen in Österreich im Vergleich zur Überprüfung in anderen Mitgliedstaaten ^
Österreich hat sich in seinem innerstaatlichen Regelwerk von Anfang an dazu bekannt, die Unterstützungsbekundungen aller eingereichten Europäischen Bürgerinitiativen, sei es Unterstützungsbekundungen in Papierform, sei es solcher in elektronischer Form «eins zu eins» einer Überprüfung zu unterziehen.17 Österreich gehört zu jenen 19 von 28 Mitgliedstaaten, die sowohl bei der Abgabe einer Unterstützungsbekundung in Papierform, als auch bei einer Übermittlung einer solchen in elektronischer Form die Angabe einer «ID-Nummer» verlangen. Der österreichische Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, ausschließlich die Nummern von Reisepässen oder Personalausweisen zuzulassen, weil lediglich diese Dokumente zweifelsfreien Aufschluss über die österreichische Staatsbürgerschaft geben und nur deren Nummern anhand des bestehenden Identitätsdokumentenregisters18 (IDR) überprüft werden können. Zum Zweck der Überprüfung wurde im Bundesministerium für Inneres inhouse eine eigene Applikation entwickelt, die sowohl die Überprüfung von Unterstützungsbekundungen in Papierform, als auch jene elektronischer Form möglich macht. Mit der Applikation wird überprüft, ob eine angegebene Nummer einer Person im Identitätsdokumentenregister zugeordnet ist, und ob es sich bei dieser um jene Person handelt, deren Name in der Unterstützungsbekundung angegeben worden ist, wobei die Überprüfung bei Unterstützungsbekundungen in Papierform mittels manueller Eingabe der Nummer erfolgt. Mit dem System ist es auch möglich, Doppel-Unterstützungsbekundungen, sei es unter der Angabe der gleichen Passnummer oder sei es unter Verwendung zweier verschiedener Dokumente (z.B. Reisepass und Personalausweis), auszusondern.
4.
Erste Erfahrungen in Österreich mit der Überprüfung von Online-Unterstützungsbekundungen ^
Bei zwei der drei19 bisher der Bundeswahlbehörde zur Überprüfung vorgelegten Europäischen Bürgerinitiativen hat sich die im Bundesministerium für Inneres zur Überprüfung entwickelte Applikation gut bewährt. Waren bei der ersten in Österreich eingebrachten Bürgerinitiative noch relativ wenige Unterstützungsbekundungen in Papierform zu prüfen, so war es bei der zweiten eine mehrere zehntausend Unterstützungserklärungen umfassende Zahl. Es hat aber den Anschein, dass eine so große Zahl an Unterstützungsbekundungen in Papierform wohl die Ausnahme bleiben wird.
5.
Ausblick ^
Das Regelwerk für die Europäische Bürgerinitiative muss gemäß der Verordnung innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Inkrafttreten der Verordnung evaluiert werden.20 Konkret ist die Kommission dazu verpflichtet, dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung der Verordnung vorzulegen. Schon vorher ist die Bundesministerin für Inneres durch Entschließung des Parlaments verpflichtet zu evaluieren, ob nicht neben dem obligaten Erfordernis, eine Passnummer oder die Personalausweisnummer für eine gültige Unterstützungsbekundung anzugeben, auch noch die Möglichkeit der Angabe einer anderen Nummer treten könnte.21
Letztendlich aber wird eine Weiterentwicklung der Europäischen Bürgerinitiative nur im Weg der Evaluierung auf Ebene der Europäischen Union Sinn machen. Als anzustrebende Ziele bei der Evaluierung wären hier anzuführen:
- Vermeidung der Gegebenheit, dass es Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gibt, die – durch Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten nicht nachvollziehbar – in zwei Mitgliedstaaten eine Unterstützungsbekundung abgeben können (z.B. weil im Herkunftsmitgliedstaat auf die Staatsangehörigkeit, im Wohnsitzmitgliedstaat aber auf den Hauptwohnsitz abgestellt wird) und solche Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gibt, denen aus dem gleichen Grund die Abgabe einer Unterstützungsbekundung gänzlich verwehrt ist;22
- Verbesserung der durch die Verordnung vorgegeben Papierformulare;
- Bereinigung des Fristengefüges;
- Bereitstellung eines Standard-Online-Sammelsystems durch die Kommission, das anlässlich der Einbringung einer neuen Europäischen Bürgerinitiative nicht von neuem zertifiziert werden muss;
- Klärung der technischen Form der Übermittlung der Daten von mit einem Online-Sammelsystem gesammelten Unterstützungsbekundungen an nationale Behörden, wobei einer auf EU-Ebene bestehenden Verschlüsselungs-Infrastruktur der Vorzug gegeben werden sollte;
- Schaffung der Möglichkeit, eine Europäische Bürgerinitiative auch in der Praxis europaweit mittels fortgeschrittener digitaler Signatur unterstützen zu können.
Robert Stein
Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres
Herrengasse 7, 1010 Wien, AT
robert.stein@bmi.gv.at; http://bmi.gv.at/wahlen/
- 1 Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative, ABl. Nr. L 65 vom 11. März 2011 S. 1; sie wird in der Folge als Verordnung bezeichnet.
- 2 Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz –EBIG), BGBl. I Nr. 12/2012.
- 3 Organisatoren einer Europäischen Bürgerinitiative sind durch die Verordnung, insbesondere durch Art. 2 Z 3 definiert.
- 4 Vgl. Art. 5 Abs. 5 der Verordnung.
- 5 Für eine «erfolgreiche» Einreichung einer Europäischen Bürgerinitiative müssen in zumindest sieben Mitgliedstaaten der EU insgesamt eine Million Unterstützungsbekundungen gesammelt werden, wobei hierbei für die einzelnen Mitgliedstaaten Mindestquoten festgelegt sind, die sich nach deren Größe richten.
- 6 Vgl. Anhang III zur Verordnung.
- 7 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 der Kommission vom 17. November 2011 zur Festlegung der technischen Spezifikationen für Online-Sammelsysteme gemäß der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bürgerinitiative.
- 8 Vgl. Art. 4 der Verordnung.
- 9 Vgl. Art. 6 der Verordnung und § 2 EBIG.
- 10 Hierbei handelt es sich um die Europäische Bürgerinitiative «Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Handelsware!».
- 11 Vgl. ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/finalised/collection_closed.
- 12 Vgl. Art. 8 Abs. 2 der Verordnung.
- 13 Vgl. die diesbezügliche Pressemitteilung der Kommission «Commission offers own servers to help get first European citizens’ initiatives off the ground» (Juni 2012), abrufbar unter: http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/sefcovic/headlines/press-releases/2012/07/2012_07_18_eci_de.htm (zuletzt besucht am 13. Februar 2014).
- 14 Die Überprüfung der Unterstützungsbekundungen der in Rede stehenden Europäischen Bürgerinitiative war bei Abgabe des Tagungsbeitrags noch nicht abgeschlossen.
- 15 Vgl. Müller-Török/Stein, The Assignment of European Citizens to Member States in the Regulation on the European Citizens’ Initiative – Data Modelling Issues for Organisers and Authorities, in Prosser/Golob/Leitner/Šimić (Hrsg.), Eastern European eGov Days 2011 (2011) 53.
- 16 Das Austesten erfolgte im Bundesministerium für Inneres mit umfangreicher Unterstützung von «A-SIT Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria».
- 17 Vgl. Stein/Wenda, EBI vor dem Start: Legistische Maßnahmen zur Implementierung der Europäischen Bürgerinitiative in Österreich, in Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transformation juristischer Sprachen, Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2012 (2012) 229.
- 18 Hierbei handelt es sich um eine zentrale Evidenz über alle in Österreich ausgestellten Reisedokumente gemäß § 22b des Paßgesetzes, BGBl. Nr. 839/1992 in der Fassung BGBl. I Nr. 161/2013.
- 19 Bei der dritten der Bundeswahlbehörde vorgelegten Europäischen Bürgerinitiative war mit der Überprüfung der Unterstützungsbekundungen zum Zeitpunkt der Abgabe des Tagungsbeitrags noch nicht begonnen worden. Der Anteil der in Papierform geleisteten Unterstützungsbekundungen war bei dieser Europäischen Bürgerinitiative aber augenscheinlich wieder sehr gering.
- 20 Vgl. Art. 22 der Verordnung.
- 21 Auszug aus der Entschließung des Nationalrats vom 29. Februar 2012, 231/E XXIV. GP: «Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Inneres, wird außerdem aufgefordert, zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Liste der persönlichen Ausweispapiere (derzeit Reisepass und Personalausweis) erweitert werden könnte, um möglichst vielen Personen eine Unterstützung zu erleichtern und gegebenenfalls auf Grund des Ergebnisses dieser Überprüfung gegenüber der Europäischen Kommission für eine entsprechende Änderung einzutreten.
- 22 Vgl. Anm. 13.