Jusletter IT

E-Partizipation zwischen Traum und Wirklichkeit – Anforderungen an Systeme zur Bewältigung von nennenswerter Beteiligung

  • Authors: Margit Gäng / Birgit Schenk
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Margit Gäng / Birgit Schenk, E-Partizipation zwischen Traum und Wirklichkeit – Anforderungen an Systeme zur Bewältigung von nennenswerter Beteiligung, in: Jusletter IT 20 February 2014
Die Stadt Sindelfingen hat sich entschieden, vor der Auswahl und Implementierung eines IT-Systems zur E-Partizipation eine umfangreiche und detaillierte Analyse gemeinsam mit der Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg durchzuführen. Sehr früh wurde klar, dass die meisten Bürgerbeteiligungen an zu wenig Beteiligung kranken. Nun wurde die Frage gestellt, wie ein solches System in der Praxis mit der Beteiligung von zigtausend Bürgern fertig werden könnte – v.a. wie die sich Beteiligenden dann die Beiträge der zigtausend anderen lesen, beurteilen, verarbeiten könnten. Nach einer detaillierten Analyse wurden Anforderungen formuliert, Prozesse definiert, wie z.B. Beiträge zusammengefasst werden können. Es besteht seither die Vermutung, dass die am Markt verfügbaren derartigen Systeme diese Anforderungen gar nicht erfüllen können. Genau diese Anforderungen werden in dem Beitrag vorgestellt um eine Diskussion anzustoßen, ob hierfür neue Systeme entwickelt werden sollten.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. e-Partizipation
  • 2. Identitätsmanagement
  • 3. Benutzer und Rollen
  • 4. Informationsbereitstellung
  • 5. Nutzerinteraktion
  • 5.1. Beiträge
  • 5.2. Informationsreduktion
  • 5.3. Collaborative Editing
  • 5.4. Aspekte der Zusammenführung von Beiträgen
  • 5.5. Elimination von Beiträgen
  • 6. Peer-Review
  • 7. Fazit

1.

e-Partizipation ^

[1]

Bürgerbeteiligung ist in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland seit Jahren verankert, nicht allein dadurch, dass diese gesetzlich z.B. in Planfeststellungsverfahren eingefordert wird. Auch elektronische Bürgerbeteiligung wird zunehmend umgesetzt und neben analogen Beteiligungsverfahren eingesetzt. Doch nachhaltig erfolgreiche Bürgerbeteiligungsprojekte, die auch e-Partizipation1 beinhalten, sind kaum zu finden, wird «Erfolg» im Sinne einer ernstzunehmenden Beteiligung in Relation zur Grundgesamtheit definiert.2, 3 Doch soll sich e-Partizipation etablieren, muss eine angemessene Anzahl von Bürgern die gebotene Möglichkeit nutzen können und die dafür eingesetzten IT-Werkzeuge es erlauben, mit einer Vielzahl an Beiträgen umzugehen. Bedingt durch die bisher kaum ernst zu nehmende Anzahl an Teilnehmer/innen bei e-Partizipation, ist die Diskussion um die Problematik der Anforderungen an IT-Werkzeuge und deren Voraussetzungen für einen unterstützenden Einsatz bisher nur im Ansatz erfolgt. Nach dem Stand der Forschung können vier grundlegende Anforderungen an ein einzusetzendes Werkzeug formuliert werden, die sich bereits als wesentlich für Werkzeuge zur e-Moderation entwickelt haben. Das einzusetzende Werkzeug muss:

  1. skalierbar in Bezug auf die Anzahl der Teilnehmer/innen sein,
  2. flexibel anpassbar sein d.h. das Oberflächendesign muss veränderbar sein und unterschiedliche Beteiligungsformate leicht und flexibel konfiguriert werden können,
  3. skalierbar und mandantenfähig sein d.h. mehrere Beteiligungsverfahren können auf einer Plattform getrennt voneinander durchgeführt werden,
  4. barrierefrei sein.
[2]

Darüber hinaus hat sich die Stadt Sindelfingen die Frage gestellt, was passiert, wenn sich tatsächlich fünf Prozent ihrer Einwohner – also ca. 3.000 Bürger/innen – an einem e-Partizipationsverfahren beteiligen und dabei im Durchschnitt 2 Beiträge pro Person und Woche mit durchschnittlich. 2 Textzeilen, also 6.000 Beiträge/Woche – 12.000 Textzeilen, über einen Beteiligungszeitraum von ca. 4 Wochen einbringen. Soll die elektronische Beteiligung für die Verwaltungsmitarbeiter/innen effizient zu managen sein, muss ein IT-Werkzeug zusätzliche Anforderungen erfüllen4,5, die das Identitätsmanagements, das Nutzer- und Rollen-Management umfasst, vor allem aber das Management der Beiträge von Informationsbereitstellung über die Nutzerinteraktion bis hin zu Deliberation und e-Voting betreffen. Im Folgenden wird das Identitätsmanagement kurz angerissen, um dann schwerpunktmäßig die Anforderungen für das Management der Beiträge zu diskutieren.

2.

Identitätsmanagement ^

[3]

Eine allgemein gültige Definition von e-Partizipation existiert gegenwärtig nicht.6 Doch definieren Albrecht et al. e-Partizipation «als die Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen und ihrer Gruppierungen an der Entscheidungsfindung in den staatlichen Gewalten mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)»7. Die Frage, wer sich hinter dem Begriff «Personen» verbirgt, wird jedoch wesentlich, um die Grundgesamtheit an zu Beteiligenden einer Kommune zu kennen und das Beteiligungspotenzial abschätzen zu können.

[4]

Der in Deutschland verwendete Begriff «Bürgerbeteiligung», wird nicht entsprechend der Definition des Bürgerbegriffes nach § 12 Gemeindeordnung von Baden-Württemberg, sondern umgangssprachlich verwendet. So sind die zu Beteiligenden eine Gruppe von Menschen, die

  • Bürger sind nach § 12 der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg (bezogen auf Sindelfingen),
  • Einwohner mit Haupt- und/oder Nebenwohnsitz einer Kommune sind,
  • natürliche und juristische Personen mit ihren Interessen in der Kommune vertreten – (z.B. in Sindelfingen die Organe der Daimler AG),
  • sonstigen Menschen, die sich zeitweise physisch in einer Kommune aufhalten, z.B. Nutzer/innen der kommunalen Einrichtungen aus umliegenden Landkreisen und Gemeinden, Einpendler, Touristen, etc.,

sowie verschiedenste Kombinationen der genannten Gruppen. Bei der Unterschiedlichkeit und Anzahl der sich möglicherweise zu Beteiligenden, stellt sich die Frage, wie diese identifiziert werden können, um zu vermeiden, dass sich «Unbetroffene» oder gar bezahlte Akteure in Sindelfingen einklinkt. So ergeben sich folgende Fragestellungen:

  • Anhand welcher Daten kann der zu beteiligende Personenkreis eingegrenzt werden und können diese Daten rein rechtlich dazu verwendet werden?
  • Wie können diese Daten in das IT-System möglichst effizient übernommen werden?
  • Wie identifiziert sich eine berechtigte Person im IT-System?

3.

Benutzer und Rollen ^

[5]
Neben der Identifikation der zu Beteiligenden muss im IT-System auch hinterlegt werden, welche Nutzergruppen es gibt und was diese je nach Beteiligungsform tun dürfen. Nutzer können im Fall von Bürgerbeteiligung Systemadministratoren, Verfahrensadministratoren, Gruppierungen zugehörig und Einzelbeteiligte sein. Folgende Tabelle bildet eine derartige Hierarchie beispielhaft ab:
[6]
Damit muss ein infrage kommendes IT-System eine Schnittstelle zum Laden der Nutzer in das IT-System besitzen (1), eine manuelle Nachbearbeitung der Nutzer ermöglichen (2), mandantenfähig sein (3) und unterschiedliche Rollenkonzepte müssen durch effizientes Zuordnen zu Nutzergruppen umsetzbar sein (4).

4.

Informationsbereitstellung ^

[7]
Abgesehen von einer umfangreichen datenschutzrechtlichen Prüfung muss eine technische Prüfung erfolgen, aus der sich Anforderungen an ein IT-System ergeben.
[8]
Die technische Prüfung bezieht sich auf die Darstellbarkeit und Einbindung in das IT-System und hängt damit von der Art der genutzten Plattform ab. Ist es eine übliche Web-Plattform mit html-Seiten, kann beinah eine generelle Publizierbarkeit angenommen werden – ausgenommen gescannte pdf-Dateien. Sollen auch mobile Endgeräte wie Smartphone, Tablet etc. eingesetzt werden, können sich Einschränkungen ergeben. Da diese jedoch das Medium der Zukunft darstellen, ergeben sich hieraus weitere Anforderungen.
  1. Unterstützung aller Formate gängig genutzter Endgeräte, im einfachsten Falle eine Webplattform bis hin zu Notifikationsdiensten und Apps.
  2. Übernahme von existierenden inhaltlichen Daten für die Bürgerbeteiligung aus GIS-Systemen etc.
  3. Kosteneffiziente Bereitstellung der übernommenen Daten für alle gängigen Formate.
  4. Benutzerfreundliche Nachbearbeitung, Auswertung und Aufbereitung, um den Informationsgehalt den Bürgern verständlich zu machen.

5.

Nutzerinteraktion ^

[9]
Soll über die reine verwaltungsseitige Informationsbereitstellung hinaus auch Kommunikation und Diskussion, also echter Dialog, möglich sein, stellt sich die Frage des Umgangs mit den eingebrachten Beiträgen und den sich daraus ableitenden Anforderungen für eine möglichst einfache und effiziente Handhabung.

5.1.

Beiträge ^

[10]
Damit Beiträge recht eindeutig gekennzeichnet und aufeinander bezugnehmende Beiträge schnell erkannt werden können, sind eine Reihe von Anforderungen nötig. Ein Beitrag kann als vollkommen neuer, «allein stehender» Vorschlag in die Beteiligungsplattform eingebracht werden oder aber in Erweiterung oder Antagonie zu einem bestehenden Vorschlag. In zweitem Fall sollte die Art der Relation zum ursprünglichen Vorschlag angegeben werden können. Ein Beitrag muss sich abzugrenzen von einem reinen Kommentar bzw. Annotation zu einem anderen Beitrag, indem ein kompletter Vorschlag erstellt wird und dieser auch als solcher ein Diskussionsobjekt ist.
  1. Beiträge müssen in einer Hierarchie abbilden, z.B. Vorschlag und darauf bezugnehmende Kommentare. D.h. ein Beitrag sollte als eigenständiger Vorschlag oder als Kommentar gekennzeichnet werden können.
  2. Kommentare sollten grundsätzlich auf zwei Ebenen angelegt werden können: (a) zu einem kompletten Beitrag und (b) zu einem Teil eines Beitrages. Damit muss ein Kommentar direkt einem kompletten oder Teilbereich eines Beitrages zugewiesen werden können.
  3. Das IT-System muss eine Strukturierung der Textbeiträge in Absätze unterstützen.
[11]
Jeder Beitrag selbst ist verbal zu beschreiben, eventuell gegliedert in Abstract und Detail, um ein schnelles Erfassen des Geschriebenen zu gewährleisten. Zusätzlich sollten Dokumente eingestellt oder auf andere Vorschläge oder deren Anhänge in bestehenden Vorschlägen verwiesen werden können; letzteres ist besonders sinnvoll bei Vorschlägen, die in Referenz zu bestehenden gemacht werden.
[12]

Als Option kann ein System auch Anlegen und Freigeben von Vorschlägen vorsehen, um dem Nutzer zunächst das Zusammenstellen eines Vorschlages zu ermöglichen, ohne dass dieser für die anderen Nutzer sichtbar ist. Folgende Anforderungen ergeben sich daraus:

  1. Anhänge an Beiträge (Vorschläge, Kommentare) müssen möglich sein.
  2. Entwurf und Freischaltung eines Beitrages durch Verfasser/innen.
  3. Kennzeichnung eines Beitrages mit dem Namen des Verfassers.

5.2.

Informationsreduktion ^

[13]
Eines der Hauptprobleme bei einer erfolgreichen Diskussion ist die Vielzahl gemachter Vorschläge und die damit verbundenen Mehrfachmeldungen weitgehend identischer Beiträge. Ein probates Mittel damit umzugehen, ist die Zusammenführung derartiger Beiträge durch die Administration. Auch wenn dies als Eingriff in den Diskussionsprozess gesehen werden kann, ist dies zur Gewährleistung der Übersichtlichkeit und für eine erfolgreiche Beteiligung notwendig. Wenn Teilnehmer/innen im laufenden Diskussionsprozess dazukommen und nach einer Woche bereits 12.000 Textzeilen lesen müssen, wird eine Beteiligung sehr mühselig.
  1. Bei der Zusammenführung sollten alle Beiträge erhalten bleiben und auf einer zweiten Ebene nachlesbar sein (Transparenz).
  2. Die Beiträge (Vorschläge, Kommentare, Dokumente, sowie die Kennzeichnung der Zustimmung/Ablehnung) sollten redundanzfrei zusammengeführt werden können.
[14]

Eine weitere Möglichkeit Beitragsflut zu reduzieren, bietet die Funktion «Stimme zu», im Sinne eines «Ich folge diesem Vorschlag», oder ein «Stimme nicht zu» jeweils mit oder ohne Kommentierung.8

  1. Zu einem Beitrag sollte gekennzeichnet werden können: (a) Stimme zu (b) Stimme nicht zu.
[15]

Wird die Anzahl der «Stimme zu/Stimme nicht zu» angezeigt, kann es zu sog. «bandwagon effects» kommen. D.h. ein bestehender Trend – positiv oder negativ – kann verstärkt werden. Diesen Effekt zu reduzieren, könnte die Anzahl erst nach Abgabe einer Wertung dem Nutzer angezeigt werden (selbstverständlich nur ein Mal möglich und nicht bei Veränderungen der Wertung) und/oder nur auf einer zweiten Ebene.

  1. Die Anzahl «Stimme zu/Stimme nicht zu» sollte erst nach Abgabe einer ersten Wertung auf einer zweiten Ebene nachlesbar sein.
[16]

Nachteilig ist auch das Fördern von «Claque Voting» im positiven wie negativen Sinne, da dies zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen kann. Auch bevorzugt dies Vorgehen frühere Beiträge. So haben diese es einfacher, auf eine kritische Masse von positiven Kommentaren zu kommen und haben damit gegenüber später abgegebenen vielleicht qualitativ besseren Vorschlägen einen entscheidenden Startvorteil.9

[17]

Neben der inhaltlichen Bewertung eines Beitrags im Sinne von «Stimme zu/Stimme nicht zu» ist auch eine qualitative Bewertung hilfreich, um mit einer Beitragsflut umzugehen.

  1. Eine qualitative Einordnung z.B. im Hinblick auf vorgegebene Ziele wie Umsetzbarkeit oder Kostenneutralität etc., sollte möglich sein.
[18]
Eine letzte Möglichkeit Beiträge zu reduzieren, bietet die Lösch-Funktion oder auch die Veränderungsfunktion, die von den ursprünglichen Verfasser/innen der Beiträge genutzt werden können sollte. Dies erfordert jedoch aus Transparenzgründen eine Änderungs-/Lösch-Historie mit der jeweiligen Dokumentation des Löschenden.

5.3.

Collaborative Editing ^

[19]
Über Collaborative Editing kann ein Ursprungsverfasser gezielt andere Nutzer als Co-Editoren einladen. Der Nutzer, der einen Absatz erweitern will, wählt diesen aus und bringt in einem Editor eine eigene Version (Erweiterung) an; diese wird dann abgesetzt vom bisherigen Text angezeigt. Die Änderung/Erweiterung kann/sollte begründet werden, eventuell mit Dokumentenverweisen; die anderen Editoren werden verständigt.
[20]
Die anderen als Editoren deklarierten Nutzer können diesen – und auch dazu gemachte Alternativvorschläge – bewerten. Wird ein Schwellenwert erreicht, so wird der Vorschlag zum Absatz angenommen oder abgelehnt (je nach Abstimmungsergebnis). Im positiven Fall wird der Vorschlag zum Absatz als neuer Haupttext übernommen und der alte in die Historie übernommen, im Falle der Ablehnung umgekehrt. Die anderen Editoren werden wieder verständigt.
[21]
Zu diesem Prozess wären in der Feinspezifikation einige Verfeinerungen möglich wie z.B. dass ein Änderungsvorschlag auch vom Vorschlagenden zurückgezogen werden kann oder dass die Abstimmungshistorie (evtl. erst nachdem man sein eigenes Voting abgegeben hat) angezeigt wird.

5.4.

Aspekte der Zusammenführung von Beiträgen ^

[22]

Eine Zusammenführung von Beiträgen seitens der Organisatoren eines Diskussionsprozesses birgt die Gefahr als «Bevormundung» missverstanden zu werden. Im Folgenden werden Verfahren dargestellt, die ein solches Zusammenführen «bottom-up», also durch die Nutzer selbst unterstützen.

(a) Entscheidung über die Zusammenführung

[23]
Der Vorschlagsprozess nimmt kein Vetorecht des Verfassers des ursprünglichen Vorschlages an. Jeder Nutzer hat die Möglichkeit zwei oder mehrere Vorschläge als «ähnlich» zu markieren, was den Autoren dieser Vorschläge auch mitgeteilt wird. Diese haben nun zwei Möglichkeiten:
  • Sie erklären sich mit der Zusammenführung ihrer Vorschläge einverstanden; wenn dies zumindest zwei andere Autoren tun, so bedeutet dies, dass zumindest diese Vorschläge zusammengeführt werden.
  • Sie erklären sich damit nicht einverstanden.
[24]
In letzterem Fall beginnt ein annotationsbasiertes eVoting der anderen Nutzer über diese Zusammenführung; ist ein definierter Schwellenwert erreicht, so wird ebenfalls zusammengeführt.
[25]
Mögliche Verfeinerungen sind das Einräumen eines Vetorechtes das den ursprünglichen Autoren bei der Zusammenführung eingeräumt wird. Dies widerspricht aber eigentlich den Regeln eines Brainstorming (kein «Copyright» auf Vorschläge).
[26]

Zunächst teilt einer der Nutzer (der erste, einer auf den sich die betroffenen Autoren einigen) die Vorschläge in Absätze (s. dazu Collaborative Editing) und nimmt ein Mapping der Absätze der zusammenzuführenden Vorschläge vor; dabei muss es nicht immer ein Mapping geben, da ein Vorschlag ja auch Elemente enthalten kann, der in den anderen nicht vorkommt. Dies kann von den anderen Autoren noch geändert werden, es sollte jedoch ein Punkt erreicht werden, an dem dieses Mapping zwischen den Autoren fixiert ist. Danach tritt der oben beschriebene Collaborative Editing Prozess in Aktion. Abschließend werden mit dem nunmehr aggregierten, neuen Vorschlag auch angehängte bzw. verwiesene Dokumente und die Kommentare zusammengeführt. Die Autoren, Interessierte und alle die am Votingprozess über das Zusammenführen teilgenommen haben, werden z.B. per eMail verständigt.

(b) Erweiterte Aggregationsverfahren

[27]
Der oben beschriebene Prozess der Aggregation kann beliebig lange weitergeführt werden bis nur noch eine überschaubare Anzahl von Vorschlägen vorhanden ist. Dabei müssen für folgende Fragen Parameter gesetzt werden können:
  • Wann ist die Abbruchbedingung für die Aggregation erreicht?
  • Wie erfolgt die Entscheidungsfindung der Autoren (mehrheitlich oder einstimmig?) eines zusammengeführten Vorschlages?
  • Was geschieht mit Vorschlägen, die nicht zusammengeführt werden? Ab wann wird ein Vorschlag als nicht mehr relevant ausgeschieden? Hierfür sind jedenfalls klare Kriterien und Schwellenwerte zu definieren, um Frustrationen zu vermeiden.
[28]
Je weiter die Aggregation fortschreitet, umso weiter entfernt sind die Beiträge inhaltlich. Der erste Aggregationsschritt mag noch inhaltlich weitestgehend identische Vorschläge betreffen – in einer weiteren Phase ist aber vielleicht nur eine grundsätzliche Ähnlichkeit oder aber eine Überschneidung in Teilbereichen möglich. Daraus ergibt sich die Forderung:
  1. Eine Aggregation muss eröffnet/gestoppt werden können.
[29]

Zusätzlich sind für diese Fälle entsprechende Mechanismen zu definieren, die auf die steigende Zahl von Autoren der ursprünglichen Vorschläge Rücksicht nimmt.

(c) Deliberation und eVoting
[30]
Grundsätzlich ergänzen sich Deliberation und eVoting. Erstere dient dem Erstellen und Diskutieren von Vorschlägen sowie dem Aggregieren von Vorschlägen zu einer überschaubaren Menge von Alternativen (maximal 5-6 Alternativen).
[31]

Über diese kann dann als Abschluss des Deliberationsprozesses ein eVoting abgehalten werden. Dieses kann sowohl als unverbindliches «Stimmungsbild» oder auch als verbindliche Abstimmung ausgeführt werden, was auch von der Stärke des Identifikationsverfahrens abhängt. Jedoch sollte beachtet werden, dass auch eine formell und rechtlich vollkommen unverbindliche Befragung faktisch eine enorme Bindungswirkung entfalten kann, vor allem, wenn die Durchführung von ihrer Qualität her ein hohes Maß an Legitimation des Ergebnisses bedeutet.10

5.5.

Elimination von Beiträgen ^

[32]
Beiträge, die diskriminieren, beleidigend etc. sind, sollten aus einer Diskussion herausgenommen werden können. Das klassische Verfahren zur «Selbstreinigung» ist es, zu jedem Vorschlag oder Kommentar eine Funktion «Beitrag melden» anzubringen; wenn ein gewisser Schwellenwert erreicht ist, wird der Beitrag entfernt. Dieses Verfahren, obwohl in zahlreichen Foren realisiert, hat jedoch einige evidente Schwächen:
  • Manche Nutzer können nicht zwischen «ich lehne den Beitrag ab» und «ich finden der Beitrag verstößt gegen Gesetze bzw. Gute Sitten» unterscheiden;
  • Die Funktion bietet die Möglichkeit zum Cybermobbing bzw. zur Elimination «devianter» Meinungen; insbesondere gut organisierte Gruppen (die in Abhängigkeit vom Schwellwert negativer Meldungen, ab dem entfernt wird, durchaus klein sein können) haben hier die Gelegenheit, ihnen nicht genehme Meinungen leicht zu eliminieren.
[33]
Diese Nachteile führen zur Unterdrückung von unter Umständen qualitativ hochwertigen Minderheitsmeinungen und ermöglichen die Manipulation der Diskussion; es besteht daher vor allem bei emotionalen Themen die Gefahr, dass der gesamte Prozess von kleinen, organisierten Gruppen «gekapert» wird. Die Möglichkeit einer Berufung gegen das automatisierte Entfernen erscheint keine geeignete Remedur:
  • enttäuschte Nutzer wenden sich von der Plattform ohne Berufung ab;
  • auch wenn der Beitrag nach manueller Prüfung wieder eingestellt wird, hat dieser einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Beiträgen, die in der Zwischenzeit von mehr Personen gelesen, bewertet und kommentiert werden konnten.
[34]
So kann von diesem Mechanismus nur abgeraten werden.
[35]
Die Autoren sehen hier keine Alternative zu einer manuellen Kontrolle durch die Organisatoren (u.U. unterstützt durch ein nutzergetriebenes Meldesystem). Allerdings sollte in der Charta der Deliberation klar festgehalten werden, welche Gründe zum Entfernen eines Beitrages (Vorschlag oder Kommentar) führen. In Frage kommen:
  • Gesetzesverstoß (Verbotsgesetz, Rassismus, üble Nachrede etc.);
  • Offenkundig(!) sinnlose bzw. nicht ernstgemeinte Beiträge.

6.

Peer-Review ^

[36]
Im wissenschaftlichen Prozess ist der Peer Review ein eingeführtes Verfahren zur Bewertung der wissenschaftlichen Qualität eines Beitrages oder Projektantrages. Dieser Mechanismus kann – in stark vereinfachter Form – für die nachvollziehbare Elimination von Beiträgen aus dem oben beschriebenen Aggregationsprozess hin zum finalen eVoting verwendet werden. Dieser Reviewprozess ist vom Melden von Beiträgen wie bereits beschrieben strikt zu unterscheiden. Hier geht es um korrekte, zulässige Beiträge, die aber aus Qualitäts- oder Überzeugungsgründen nicht die nötige Unterstützung finden, um weiter berücksichtigt zu werden.
[37]
Es gibt mehrere Mechanismen die Reviewer auszuwählen, jedenfalls aber muss es eine randomisierte Komponente dabei geben. Die Nutzer, die für einen Review ausgewählt wurden, werden verständigt. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle ausgewählten Nutzer auch einen Review abgeben, wird eine größere Zahl festzulegen sein. Für die Abgabe eines Reviews wird eine gewisse Frist festgesetzt, die im Falle des Nichterreichens eines bestimmten Quorums an Reviews auch verlängert werden kann. In diesem Fall kann es auch sinnvoll sein, vom System zusätzliche (oder auch gänzlich neue) Reviewer zuzuweisen.
[38]
Nach Studium des Vorschlages wird eine Bewertung abgegeben; diese sollte zumindest hauptsächlich non-textuell sein (Kommentar nur als Option) und mindestens zwei Kriterien umfassen: (a) die Qualität des Beitrages und (b) die Zustimmung des Reviewers zum Inhalt.
[39]
Es erscheint sinnvoll die Ergebnisse des Reviews bis zum Ende der Abgabefrist für die Reviews nicht anzuzeigen, um es den Reviewern zu ermöglichen, ihre Bewertung unbeeinflusst abzugeben.

7.

Fazit ^

[40]
Mit der Annahme, dass sich nur fünf Prozent der zu beteiligenden Personen der Stadt Sindelfingen an einer Bürgerbeteiligung einbringen, entstanden neue Fragestellungen, die in Anforderungen an ein Bürgerbeteiligungs-System resultieren. Vor allem die Frage wie die Beteiligenden dann die Beiträge der zigtausend anderen lesen, beurteilen, verarbeiten könnte, wurde aufgrund geringer Teilnehmerzahlen in bisherigen IT-System vernachlässigt. Doch genau diese Anforderungen sind es, die zur Durchführung einer effizienten e-Partizipation in neu zu entwickelnden IT-Systemen umgesetzt werden sollten.

 

Margit Gäng

Leiterin Organisation und Zentrale Dienste, Stadt Sindelfingen

Rathausplatz 1, 71063 Sindelfingen, DE

margit.gaeng@sindelfingen.de

 

Birgit Schenk

Professorin, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg

Reuteallee 36, 71634 Ludwigsburg, DE

schenk@hs-ludwigsburg.de

 


  1. 1 An dem Projekt «e-Partizipation» der Stadt Sindelfingen haben Prof. Dr. Alexander Prosser, Wirtschaftsuniversität Wien, und Prof. Dr. Robert Müller-Török, HVF Ludwigsburg, mitgearbeitet und die Grundlagen für diesen Artikel gelegt.
  2. 2 Vgl. Velikanov, Gadget-Free Democracy, Proceedings of the CeDem 2011 Conference, Danube University Krems, Austrian Computer Society (2011).
  3. 3 Inwieweit die Beteiligung qualitativ erfolgreich war, wird in diesem Beitrag nicht untersucht.
  4. 4 Vgl. Tambouris/Liotas/Tarabanis: A Framework for Assessing eParticipation Projects and Tools.Proceedings of the 40th Hawaii International Conference on System Sciences – 2007.
  5. 5 Vgl. Butka/Furdik/Sabol/Mach: Use of e-Participation Tools for Support of Policy Modelling at Regional Level. MCIS’10, September 12–14, 2010, Tel-Aviv-Yaffo, Izrael.
  6. 6 Vgl. Leitner/ Müller-Török, Evaluating e-Participation Projects in Austria – A methodological approach for decision on the success of E-Participation», in: 5th Conference on Electronic Democracy EDEM 2011, University of Economics and Business Administration, Vienna, Sept. 8th–9th, (2011).
  7. 7 Vgl. Albrecht et al., Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 14. (2008), 28. Dezember 2012.
  8. 8 Vgl. Cyril Velikanov: Requirements and tools for an efficient eParticipation. dg.o «10 Proceedings of the 11th Annual International Digital Government Research Conference on Public Administration Online: Challenges and Opportunities, pages 32–40.
  9. 9 Vgl. Velikanov, Deliberativeness and other important Characteristics of E-Participation, edem 2011, http://edem2011.ocg.at/files/edem11-velikanov.pdf 26. Dezember 2013.
  10. 10 Vgl. dazu beispielsweise die rechtlich vollkommen unverbindliche Volksbefragung über Abschaffung/Beibehaltung der Wehrpflicht in Österreich im Jänner 2013, nach der alle relevanten politischen Parteien unmittelbar versichert haben, das Ergebnis zu respektieren. Vgl. dazu http://derstandard.at/1358304059726/Die-Regierung-laesst-fragen-das-Volk-soll-antworten.