1.
Einleitung ^
2.
Einblicke in die Konzeption ^
2.1.
Normen und deren Situationstypen ^
2.2.
Die Formalisierung von Situationstypen ^
Neue semantische Technologien, insbesondere die Bildung von Ontologien mittels Beschreibungslogik, sind heiße Kandidaten, diese Metamodelle zu bilden. Im Gebiet der Rechtsinformatik wurden bereits erste derartige Ontologien entwickelt. Das «European project for Standardized Transparent Representations in order to Extend Legal Accessibility» (Estrella, IST-2004-027655) ist meines Erachtens hier sehr bedeutend. Estrella ist ein EU-gefördertes Projekt, welches informationstechnische Methoden und Modelle entwickelt hat, um die juristische «Wissensarbeit» zu unterstützen. Das Legal Knowledge Interchange Format (LKIF-Core) stellt einen Kern der Entwicklung dieses Projekts dar.8 LKIF-Core beinhaltet eine Sammlung von Metamodellen und Ontologien, unter anderem zur Repräsentation von situativen und normativen Inhalten.
Die in diesem Projekt entwickelten Metamodelle basieren auf Standards des World Wide Web Consortium (W3C)9, insbesondere dem XML, RDF und OWL Standard. Die beiden letzten Standards definieren moderne Beschreibungssprachen auf Basis der Beschreibungslogik10. Sie besitzen – soweit sie den Bereich der Beschreibungslogik umfassen – eine formal theoretische Semantik und sind mittels ihres logischen Kalküls maschinell berechenbar. Implizite Aussagen können automatisiert abgeleitet, Schlussfolgerungen im Rahmen des Kalküls gefunden werden.
Geltungsbereich_Norm1 ≡ Situation and besteht_aus some Person
and besteht_aus some Regen
Sollsituation_Norm1 ≡ Situation and besteht_aus some
(Person and nutzt some Regenschirm)
2.3.
Die Verknüpfung der Situationstypen mit dem Normtext ^
Geltungsbereich_Norm1 ⊑ kontext_von some {Norm1}
{Norm1} ⊑ verpflichtet_zu some (Geltungsbereich_Norm1 and gefolgt_von
some Sollsituation_Norm1)
kontext ≡ kontext_von-1
2.4.
Die Erweiterung auf Verfahrensnormen ^
Der vorgestellte Ansatz sollte auch in der Lage sein, Verfahrensregelungen über eine zeitliche Kette von Situationstypen formal zu beschreiben und automatisiert zu verarbeiten. Ähnlich einem Comic folgt dabei eine Situationsbeschreibung der vorherigen. Die dabei möglichen Situationstypen können durch die Situationstypen der Verfahrensnormen ermittelt und mittels zeitlicher Relationen (gefolgt_von und folgt) vernetzt werden (siehe Abbildung 2).
3.1.
Die Grundfunktionalität ^
Um die vorgestellten Ansätze zu überprüfen, haben wir in der Faktor Zehn AG eine prototypische Software entwickelt. Diese Software mit dem Namen «Fallnavigator» soll zeigen, inwieweit eine technische Realisierung des Ansatzes machbar ist, insbesondere wo die Grenzen einer praktischen Anwendung liegen. Anzumerken ist, dass der aktuelle Stand der Software noch nicht alle vorgestellten Konzepte umsetzt. Die Verknüpfung der Norm mit den Situationstypen ist nicht mittels logischer Axiome, sondern mittels einer datentechnischer Verknüpfung realisiert (siehe Abschnitt 2.3).13 Zudem ist es noch nicht möglich, die Ereignisse einer Situationskette im Rahmen einer Verfahrenssimulation getrennt zu bearbeiten.
Abbildung 3 zeigt einen Screenshot der Software. Nach Start kann der Anwender einen Pool von Normen laden. Dies geschieht durch Aufruf einer entsprechenden Datei, die unter anderem die formale Beschreibung der Normen einschließlich der zugehörigen Situationstypen enthält. Die Anwendung analysiert beim Laden dieser Datei die enthaltenen Normen. Das Ergebnis dieser Analyse ist ein universaler Situationstyp, der alle Situationstypen der geladenen Normen zu einem Situationstyp zusammenfasst.14 Die so geladenen Normen sind nach erfolgreicher Analyse im Fensterbereich «Regelungstext» aufgelistet. Die konkrete Situationsausprägung (der Sachverhalt) kann im Fensterbereich «Situation» per Mausklick aufgebaut werden.
3.2.
Die Navigation ^
3.3.
Der Ausbau des Prototyps zur Verfahrenssimulation ^
4.
Zusammenfassung und Ausblick ^
5.
Literatur ^
[Baader, 2003] Baader, F. (2003). The description logic handbook: theory, implementation, and applications. Cambridge university press.
[Barwise and Perry, 1987] Barwise, J. and Perry, J. (1987). Situation und Einstellungen: Grundlagen der Situationssemantik. Grundlagen der Kommunikation. de Gruyter, New York.
[Breuker et al., 2007] Breuker, J., Hoekstra, R., Boer, A., van den Berg, K., Sartor, G., Robino, R., Wyner, A., Bench-Capon, T., and Palmirani, M. (2007). OWL ontology of basic legal concepts (LKIF-Core). Technical Report Deliverable D1.4, Estrella.
[Hoffmann et al., 2011] Hoffmann, H., Lachmayer, F., and Schwarz, G. (2011). Von der Regel zur Rolle – die Unterstützung der juristischen Abfrage durch situative Ontologien. In Strukturierung der Juristischen Semantik – Structuring Legal Semantics, Liber amicorum, page 411 ff. Weblaw, Bern.
[Horridge et al., 2006] Horridge, M., Drummond, N., Goodwin, J., Rector, A. L., Stevens, R., and Wang, H. (2006). The Manchester OWL Syntax. In OWLed, volume 216.
[Sartor, 2006] Sartor, G. (2006). Fundamental legal concepts: A formal and teleological characterisation*. Artificial Intelligence and Law, 14(1–2):101–142.
[Schwarz, 2010] Schwarz, G. (2010). Visualisierung juristischer Zusammenhänge mittels OWL. In Globale Sicherheit und proaktiver Staat – Die Rolle der Rechtsinformatik, page 569 ff. Österreichische Computer Gesellschaft, Wien.
Georg Schwarz
Faktor Zehn AG
Neumarkter Straße 71, 81673 München, DE
Georg.Schwarz@faktorzehn.de; http://www.faktorzehn.de
- 1 Ich bin als interner juristischer Berater für ein IT-Unternehmen in Deutschland tätig.
- 2 Insbesondere folgende Varianten sieht das deutsche Umwandlungsrecht vor: Verschmelzung, Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung, mit und ohne Ausgründung, Beteiligung von Personengesellschaften oder GmbHs oder AGs etc.
- 3 Im Folgenden verwende ich die Begriffe Norm und nicht Gesetz, da die vorgestellten Ansätze nicht auf Gesetze eingeschränkt sind.
- 4 Meine ersten konkreten Ideen einer softwaretechnischen Simulation habe ich in [Schwarz, 2010] beschrieben.
- 5 Ich verwende hier die Bezeichnung «Situationstyp» gemäß der in [Barwise and Perry, 1987] herausgearbeiteten «Theorie der Situationen».
- 6 Vgl. auch bereits [Hoffmann et al., 2011].
- 7 Das ergibt sich aus den klassischen deontischen Beziehungen, die durch den vorgestellten Ansatz nur in einem sehr kleinen, dem Zweck entsprechenden Ausmaß realisiert werden. Eine sehr weitreichende Darstellung der klassischen Beziehungen gibt sicher [Sartor, 2006].
- 8 Die Metamodelle des LKIF-Core sind unter der Webseite http://www.estrellaproject.org/lkif-core/ veröffentlicht. Dort kann ich insbesondere [Breuker et al., 2007] empfehlen.
- 9 Einen umfassenden Einblick in die Web Ontology Language gibt die Webseite http://www.w3.org/ des W3C, etwa unter http://www.w3.org/TR/owl-features.
- 10 Einen hervorragenden und sehr tiefen Einblick in die Welt der Beschreibungslogik bietet [Baader, 2003].
- 11 Die vorgestellten Axiome zeigen nur einen kleinen und sehr vereinfachten Ausschnitt und dienen lediglich dazu, eine vage Vorstellung über die Formalisierung zu vermitteln. Insbesondere fehlen die erforderlichen Axiome, welche für die deontische Schlüssigkeit sowie für ein – beschränktes – nicht monotones Schließen sorgen.
- 12 Die Manchester Syntax ist eine formale Sprache zur Definition von Konzepten im Sinn der Beschreibungslogik bzw. von Klassen im Sinn der Web Ontology Language. Sie wird durch den weit verbreiteten OWL Editor «Protege», genutzt. Eine Darstellung der Manchester Syntax liefert [Horridge et al., 2006].
- 13 Der zu Beginn des Projekts genutzte Reasoner war noch nicht in der Lage, eine Verknüpfung mittel logischem Axiom in angemessener Zeit aufzulösen.
- 14 Im aktuellen Entwicklungsstand der Anwendung ist dieser allgemeine Situationstyp noch nicht vernetzt, sondern baumartig strukturiert.
- 15 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Beschreibungslogik eine sogenannte «open world semantic» besitzt. Das bedeutet, dass eine fehlende Information im Sachverhalt nicht als «nicht vorhanden», sondern als «unbekannt vorhanden» interpretiert wird. Sachverhaltsergänzungen sind daher stets sowohl positiv als auch negativ einzugeben.