1.
Einleitung ^
Diese Analyse ist Teil der Dissertation des Autors, die sich mit der Automatisierung von Verwaltungsvorgängen beschäftigt (Scharf, 2012). Sie dient als Grundlage für die zukünftige Untersuchung der vorhandenen Sprachen, wie z.B. LKIF, LegalRuleML etc., hinsichtlich deren Tauglichkeit zur Modellierung von Verwaltungsrecht.
- Das Fehlen einer geeigneten «Domain Specific Language» zur Modellierung von Verwaltungsrecht. Die bisherigen Ansätze sind zu sehr technisch orientiert, sodass Fachexperten nicht das eigentliche Wissen – die Rechtsnormen – modellieren können. Die derzeitigen gesetzlichen Modelle im Programmcode weisen ein sehr niedriges Abstraktionsniveau auf.
- Die Erstellung von E-Government-Systemen ist fehleranfällig, es mangelt an etablierten Standards für die Implementierung.
- Juristische Informatiksysteme müssen, insbesondere aufgrund von Gesetzesnovellen, mit häufigen Änderungen des modellierten Wissens umgehen können. Die derzeitigen Lösungen sind dafür meines Erachtens nur unzureichend geeignet. Gesetzliche Änderungen führen zu einem hohen Anpassungsaufwand der Softwaresysteme.
- Die Implementierung und Anpassung solcher Systeme ist aus diesen Gründen nach wie vor sehr teuer.
2.
Die Besonderheiten des Rechts ^
Die folgende Darstellung orientiert sich an Boer (2009, S. 16 ff.), der sich in seiner Dissertation unter anderem mit den Besonderheiten des Rechts beschäftigt hat, die es bei der Entwicklung von juristischen wissensbasierten Systemen zu berücksichtigen gilt.
(1) Die in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommenen formellen Gesetze spielen als geschriebene Rechtsquellen eine zentrale Rolle für die Extraktion von Wissen. Das Recht regelt explizit wie sich die Rechtsunterworfenen zu verhalten haben, legt den Ablauf von Verfahren fest und darüber hinaus auch wie Rechtsvorschriften zu interpretieren sind1. Es scheint also auf den ersten Blick so, als wäre das Recht vorzüglich für die Formalisierung geeignet. Die Forschungen und praktischen Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass die Implementierung von juristischen Informatiksystemen oder die Bildung allgemeiner Theorien für das Design solcher Systeme durch die Tatsache erschwert wird, dass das Recht spezielle Regeln vorgibt «wie» die rechtliche Beurteilung zu erfolgen hat.
(6) Rechtsnormen sind voneinander abhängig und miteinander verknüpft. In Gesetzen findet man eine Vielzahl von Verknüpfungen zwischen den Normen, die auch auf andere Gesetzestexte verweisen. Normative Konflikte werden dabei durch Metaregeln wie lex specialis und lex posterior gelöst (van de Ven, Hoekstra, Breuker, Wortel, & El-Ali, 2008, S. 1).
3.
Grundlegende Anforderungen ^
Seit Langem gibt es auf dem Gebiet der KI und Recht Anstrengungen, die Charakteristika von Normen und Gesetzen zu modellieren. Dies hat zur Entwicklung von XML-Standards zur Repräsentation von Rechtsdokumenten wie beispielsweise CEN MetaLex oder LKIF geführt. Viele dieser Ansätze sind gut entwickelt und praktisch relevant, beschränken sich jedoch oftmals auf die Repräsentation von Rechtsdokumenten und nicht den Rechtsnormen selbst (Gordon, Governatori, & Rotolo, 2009, S. 283).
Viele Nachteile und Probleme der verfügbaren Sprachen resultieren möglicherweise aus der Tatsache, dass es vor den Bemühungen von Gordon et al. (2009) keinen ganzheitlichen und systematischen Versuch gab, die allgemeinen Anforderungen an Sprachen zur Modellierung von Normen zu erheben. Überdies scheint es bislang noch keine (vollständige) Übereinstimmung zwischen den Forschern hinsichtlich der Minimalanforderungen an solche Sprachen zu geben.
Der eben erwähnte Beitrag von Gordon et al. ist der erste systematische Überblick über die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet und stellt die Minimalanforderungen an Sprachen zur Modellierung von Rechtsnormen dar. Vorausgeschickt sei, dass die Autoren von «rule interchange languages» – also Sprachen zum Austausch von Normen – sprechen.
Der folgenden Darstellung liegt das Normverständnis von Kelsen zugrunde. Eine Norm ist der Sinn eines menschlichen Willensaktes, der intentional auf das Verhalten anderer gerichtet ist und so anderen Personen ein Verhalten gebietet, verbietet oder erlaubt (Kelsen, 1992).
In der Rechtstheorie werden Rechtsvorschriften meistens in die Kategorien konstituierende Normen und vorschreibende Normen eingeordnet (Athan u.a., 2013, S. 7). Dabei besteht in der Rechtstheorie und auf dem Gebiet der KI und Recht weitgehend Einigkeit, dass Normen grundsätzlich folgende konditionale Struktur haben (Gordon u.a., 2009, S. 284; Kelsen, 1979):
- wenn A1, . . . , An dann B
Die anschließende Erhebung der Minimalanforderungen an Sprachen zur Modellierung von Normen folgt dem Beitrag von Gordon et al. (2009).
- Die Jurisdiktion, innerhalb deren Hoheitsbereich die Norm verbindlich ist und Rechtswirkungen entfaltet.
- Die normsetzende Autorität (der Gesetzgeber), die die Norm erlassen hat. Damit wird auch die Rangordnung einer Norm innerhalb einer Rechtsordnung bestimmt. Beispielsweise stehen Verfassungsgesetze, die im Verfassungsgesetzgebungsverfahren erlassen wurden, im Stufenbau der Rechtsordnung über den einfachen Gesetzen.
- Die Repräsentation von zeitlichen Eigenschaften von Normen. Zu diesen gehören:
- Der Zeitpunkt, an dem die Norm erlassen wurde und deren Inkrafttreten.
- Der Zeitraum, in dem Sachverhalte vom Tatbestand der Norm erfasst werden (Bedingungsbereich) und der Zeitraum, in dem das vollziehende Organ die Rechtsfolgen verhängen darf (Rechtsfolgenbereich). Diese beiden Zeiträume können auseinanderfallen.
- Rechtsnormen können miteinander in Konflikt stehen, wenn sie auf denselben Sachverhalt anwendbar aber widersprüchlich sind. Derartige Konflikte können entstehen, wenn eine Norm spezieller ist, eine höhere Rangordnung hat oder später beschlossen wurde. Solche scheinbaren Widersprüche werden durch Anwendung der lex specialis, lex superior und lex posterior Regeln behoben.
- Andererseits können Normen auch so formuliert sein, dass diese explizite Ausnahmen für andere Rechtsvorschriften enthalten. Sofern eine Ausnahmebestimmung auf einen Sachverhalt zutrifft, sind die Rechtsfolgen der betroffenen Normen nicht mehr anwendbar.
- Die Nichtigerklärung von Normen wird hier als eine Art von Aufhebung verstanden, die ex tunc wirkt, als sei die Norm nie Bestandteil der Rechtsordnung gewesen.
- Die Aufhebung einer Norm wirkt hingegen ex nunc. Damit bleibt die aufgehobene Norm auf Fälle weiterhin anwendbar, die vor der Aufhebung der Norm eingetreten sind.
Dauer von normativen Effekten: Hinsichtlich der Dauer von Rechtsfolgen kann folgende Unterscheidung getroffen werden:
- Wiederkehrende Rechtsfolgen werden solange angewendet, bis sie durch ein späteres Ereignis beendet werden. In diese Kategorie fallen beispielsweise wiederkehrende Schadenersatzzahlungen aufgrund entgangenen Verdienstes2.
- Die meisten Rechtsfolgen sind hingegen nur solange anwendbar, als der Tatbestand einer Norm erfüllt ist. Beispielsweise gilt die Regel «Rauchverbot gilt in Räumen für Unterrichts- und Fortbildungszwecke» nur solange man sich in derartigen Räumlichkeiten aufhält.
4.
Zusätzliche Anforderungen ^
Beispielsweise ist für die Feststellung der Höhe einer Beschädigtenrente3 nach dem Heeresversorgungsgesetz zunächst deren Bemessungsgrundlage zu berechnen. Die Höhe der Bemessungsgrundlage richtet sich grundsätzlich nach dem durch einen rechtskräftigen Steuerbescheid festgestellten Einkommen. Zu diesem Einkommen sind jedoch insbesondere die Werbungskosten nach dem Einkommenssteuergesetz zu addieren4.
Die auf diese Art berechnete Bemessungsgrundlage ist sodann mathematisch auf Beträge von vollen zehn Cent zu runden5.
Zur Beschädigtenrente selbst sind unter Umständen noch weitere Zulagen – wie beispielsweise ein Familienzuschlag für jeden Angehörigen eines Schwerbeschädigten gemäß § 26 HVG – hinzuzurechnen.
Generell kann gesagt werden, dass Mengen und mathematische Berechnungen in vielen, wenn nicht allen, Rechtstexten eine Rolle spielen (Hoekstra, Breuker, Di Bello, & Boer, 2009, S. 44 f.).
Obwohl diese Anforderungen keinesfalls die Ausnahme sondern die Regel sind, bieten viele Sprachen zur Wissensmodellierung nicht die Möglichkeit mathematische Formeln abzubilden. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass viele dieser Sprachen – wie beispielsweise die Web Ontology Language (OWL) – auf einer Form der Logik beruhen. OWL – und auch deren aktuelle Version OWL 2 – beruht auf Beschreibungslogik, sodass Berechnungen – zumindest ohne Erweiterungen – nicht durchgeführt werden können (Iannone & Rector, 2008).
5.
Schlussfolgerungen ^
6.
Literatur ^
Athan, T., Boley, H., Governatori, G., Palmirani, M., Paschke, A., & Wyner, A. (2013). OASIS LegalRuleML. In Proceedings of the Fourteenth International Conference on Artificial Intelligence and Law – ICAIL 13 (S. 3). New York, USA: ACM Press. doi:10.1145/2514601.2514603.
Boer, A. (2009). Legal theory, sources of law and the semantic web. University of Amsterdam. Abgerufen von http://dare.uva.nl/record/305854.
Gordon, T. F., Governatori, G., & Rotolo, A. (2009). Rules and Norms: Requirements for Rule Interchange Languages in the Legal Domain. In G. Governatori, J. Hall, & A. Paschke (Hrsg.), Rule Interchange and Applications (S. 282–296). New York: Springer.
Hoekstra, R., Breuker, J., Di Bello, M., & Boer, A. (2009). LKIF Core: Principled Ontology Development for the Legal Domain. In J. Breuker, P. Casanovas, M. C. A. Klein, & E. Francesconi (Hrsg.), Law, Ontologies and the Semantic Web (S. 21–52). Amsterdam: IOS Press. doi:10.3233/978-1-58603-942-4-21.
Iannone, L., & Rector, A. (2008). Calculations in OWL. In C. Dolbear, A. Ruttenberg, & U. Sattler (Hrsg.), Proceedings of the Fifth OWLED Workshop on OWL: Experiences and Directions (OWLED 2008). Karlsruhe, Germany. Abgerufen von http://ceur-ws.org/Vol-432/owled2008eu_submission_17.pdf.
Kelsen, H. (1979). Allgemeine Theorie der Normen. Wien: Manz.
Kelsen, H. (1992). Reine Rechtslehre (2. Aufl.). Wien: Verlag Österreich.
Scharf, J. (2012). Die Formalisierung des Kriegsopferversorgungsgesetzes. In E. Schweighofer, F. Kummer, & W. Hötzendorfer (Hrsg.), Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions (IRIS 2012) (S. 99–110). Wien, Österreich: OCG.
Van de Ven, S., Hoekstra, R., Breuker, J., Wortel, L., & El-Ali, A. (2008). Judging Amy: Automated Legal Assessment using OWL 2. In C. Dolbear, A. Ruttenberg, & U. Sattler (Hrsg.), Proceedings of the Fifth OWLED Workshop on OWL: Experiences and Directions (OWLED 2008). Karlsruhe, Germany. Abgerufen von http://ceur-ws.org/Vol-432/owled2008eu_submission_28.pdf.
Johannes Scharf
Dissertant, Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik
Wiener Straße 73/1/6, 3002 Purkersdorf, AT
a0506717@unet.univie.ac.at