Jusletter IT

In memoriam Jon Bing

  • Author: Erich Schweighofer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Erich Schweighofer, In memoriam Jon Bing, in: Jusletter IT 20 February 2014
Jon Bing ist am 14. Januar 2014 verstorben. Als langjähriger Freund der österreichischen Rechtsinformatik und als persönlicher Freund des Erstherausgebers ist ihm dieser Tagungsband gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Jon Bing – Der Mensch
  • 2. Jon Bing – Sein Leben in Fakten
  • 3. Jon Bing als Förderer und Mensch
  • 4. Warum habe ich Jon Bing so geschätzt?
  • 5. Erste Würdigung von Jon Bing im Kontext des ewigen Kampfes um Recht und Gerechtigkeit
  • 6. Subjektive Auswahl seiner wichtigsten Werke

1.

Jon Bing – Der Mensch ^

[1]
Am 14. Januar 2014 – dem ersten Fast-Datums-Palindrom im Jahr 2014 – ist Universitätsprofessor Dr. Jon Bing in Oslo verstorben. Etwas vereinfachend und fokussierend würde ich ihm drei markante Rollen im Leben zuschreiben: Er war einerseits Professor für Rechtsinformatik an der Universität Oslo, langjähriger Leiter des Norwegian Research Center for Computers and Law, andererseits ein sehr bekannter norwegischer Science Fiction-Autor und Übersetzer. Vor allem war er eines: ein Menschenfreund, der die Menschen sehr genau mit viel Wohlwollen beobachtete, ihre Schwächen ertrug und Stärken genoss und das Ideale, Visionäre, das Besondere, das Schöne und Gute nie vergaß und stets förderte. Nicht umsonst war er auch für zwei wichtige Nebensächlichkeiten bekannt: seine Liebe zur Farbe lila und zum Tier des Elefanten.
[2]
Diese sind auch seit langem – Jon Bing folgend – zum Leittier und zur Leitfarbe der Arbeitsgruppe Rechtsinformatik an der Universität Wien geworden; Doris Liebwald hat daraus – für die Arbeitsgruppe Rechtsinformatik – mit viel Geschick ein Maskottchen erstellt, welches ich nach wie vor gerne bei Folien verwende (siehe oben).
[3]
Meine Würdigung bezieht sich vor allem auf seine Rolle als Professor am norwegischen Forschungszentrum für Computer und Recht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Oslo (Norwegian Research Center for Computers and Law (NRCCL), Faculty of Law, University of Oslo; Senter for rettsinformatikk, Det juridiske fakultetet i Oslo). Dort war er über sehr viele Jahre der faktische Chef, die Leitfigur, der Akquisiteur von Forschungsmitteln, der für alle zugängliche Ratgeber, die treibende und finanzierende Kraft für die nunmehr beste Bibliothek für Rechtsinformatik in Europa1, die Knut Selmer Library2.

2.

Jon Bing – Sein Leben in Fakten ^

[4]

Jon Bing wurde am 30. April 1944 in Tønsberg geboren. Er ist am 14. Januar 2014 in Oslo verstorben. Er war ein norwegischer Rechtsprofessor – für Rechtsinformatik – an der Universität Oslo; NRCCL, Gastprofessor an der Universität London, King’s College, Science-Fiction-Schriftsteller und Übersetzer.

[5]

Bing studierte Philosophie an der Universität in Trondheim und Jus an der Universität in Oslo. Nach seinem Studium arbeitete er als Autor, Journalist sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Oslo. Er war einer der Mitbegründer des Norwegischen Forschungszentrums für Rechtsinformatik (NRCCL) und war seitdem langjähriger Leiter bzw. später «graue Eminenz» und unverzichtbarer Förderer, Motivator und Akquisiteur von Forschungsgeldern. Bing promovierte 1982 mit einer Arbeit über juristische Entscheidungen, Kommunikationsprozesse und Information Retrieval3 und wurde 1988 zum ordentlichen Professor an der Universität Oslo berufen. In den Jahren 1997 bzw. 1998 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universitäten Stockholm bzw. Kopenhagen verliehen. Seit Beginn war er Mitglied des norwegischen Datenschutzkomitees (The Protection of Privacy Committee). International wurde er als Mitglied und von 1981 bis 1982 als Leiter des Europarat-Komitees über Rechtsinformatik (Committee on Legal Data Processing) bekannt. Auch politiknahe Funktionen hat er ausgeübt: von 1979 bis 1981 war der Leiter des Nordischen Filmrats (Norsk Filmråd); von 1993 bis 2000 war er Leiter des Norwegischen Kulturrats (Norsk kulturråd); später auch Mitglied der Generic Names Supporting Organisation der ICANN bzw. Vorsitzender des Norwegischen Forschungsrates. Jon Bing war Mitglied der Norwegischen Akademie für Wissenschaft und Literatur. Im Jahr 1993 wurde ihm in San Diego der Computer Law Pioneer Award; 1999 das Ritterkreuz Erster Klasse des Sankt-Olav-Ordens verliehen. Für sein Werk als Autor erhielt er den Riverton-Preis 1978 und der Brageprisen 2001. Eine Festschrift zu seinem 70. Geburtstag war geplant; dazu ist es aber leider nicht mehr gekommen. Die Universität Oslo wird ihm eine Gedenkveranstaltung zu seinem 70. Geburtstag am 30. April 2014 widmen (mit einer Gedenkschrift).

[6]
Jon Bing gehörte zu den Pionieren der Rechtsinformatik, mit Peter Seipel (Schweden), Ahti Saarenpää (Finnland), Herbert Fiedler, Wilhelm Steinmüller, Fritjof Haft, Spiros Simitis, Ulrich Klug, Lothar Philipps (Deutschland), Leo Reisinger, Friedrich Lachmayer, Ilmar Tammelo, Ota Weinberger (Österreich), Piero Fiorelli, Luigi Lombardi Vallauri, Antonio A. Martino (Italien), Pierre Catala, Lucien Mehl, Danièle Bourcier, Hélène Bernet (Frankreich), Brian Niblett, Collin Tapper (Vereinigtes Königreich), Viktor Knapp (Tschechien), Layman Allen, Thorne McCarty, Carole Hafner (USA), Yves Poullet, Guy Vandenberghe (Belgien), Joe Smith (Kanada) etc. etc. Er hat sich insbesondere um Information Retrieval (heute eher: «Google» the law), Conceptual Information Retrieval (heute eher: juristische Ontologien), (digitales) Rechtemanagement für Autoren und Datenschutz (hier sowohl in der Theorie wie in der Praxis) sehr verdient gemacht.

3.

Jon Bing als Förderer und Mensch ^

[7]
Im am 10. Februar 2014 zu seinem Gedenken abgehaltenen Round Table des Wiener Zentrums für Rechtsinformatik (WZRI) stand seine Seite als Förderer und Mensch im Mittelpunkt. Seit 1995 besteht ein Erasmus-Studentenaustausch zwischen den Universitäten Wien und Oslo; der erste Student war Thomas Strohmaier, heute promovierter Anwalt und Jurist bei der österreichischen Post. Jon Bing kannte sehr viele Menschen, aber er hat es geschafft, immer ein sehr persönliches Verhältnis mit allen herzustellen, obwohl es ihm durch die vielen Verpflichtungen nicht möglich war, eine ständige Kontaktpflege zu betreiben. Als Wissenschaftler war er den damaligen Studenten weniger präsent; dies mag daran liegen, dass er damals Leiter des Norwegischen Kulturrates war. Wenn aber Hilfe nötig war, hat Jon Bing immer rasch und zuverlässig geholfen und unterstützt.

4.

Warum habe ich Jon Bing so geschätzt? ^

[8]
In vielen Fällen hat Jon Bing eine wesentliche Rolle für mich gespielt. Wie oft in der Wissenschaft ist dies nicht reziprok. Oft kann eine kleine Hilfe sehr viel bedeuten, oder keine Hilfe sehr viel kaputt machen. Jon Bing verstand es, mit kleiner gewichtiger Unterstützung sehr viel zu bewirken.
[9]
Zuerst bin ich ihm dankbar, dass er mir im Jahre 1995 Zugang zu seinem Forschungszentrum und insbes. seiner Bibliothek gegeben hat. Diese war 7*24-Stunden für mich offen, was bei meinem intensiven Bedarf an Bibliotheksstudien sehr wichtig war.
[10]
Er war der wesentliche Gutachter in meinem Habilitationsverfahren 1996. Trotz großer persönlicher Zeitbelastung war er bereit, sich intensiv mit meiner Forschung auseinandersetzen, sodass die sehr zurückhaltende Wiener Rechtswissenschaftliche Fakultät bereit war, auch erstmals eine Habilitation in einem neuen rechtswissenschaftlichen Fach anzunehmen.4
[11]
Jon Bing war es auch, der die Habilitationsschrift zur Publikation im renommierten Kluwer Law International Verlag empfohlen hat5. Er war sehr unterstützend für den damals von mir co-geleitete Workshop der DEXA über Legal Information Systems and Applications (LISA). Weiters war er immer da, wenn es notwendig war. Bei den Konferenzen war er aber – bedingt durch seine vielen Aktivitäten und vielfältigen Verpflichtungen eher der Förderer als der Wissenschaftler. Er war bei vielen Konferenzen dabei, hat sich aber selten zu Wort gemeldet, war jedoch in persönlichen Gesprächen immer sehr offen und hilfreich. Er gehörte über sehr viele Jahre der Klasse der Großmeister der Wissenschaft an, war aber hier – im Gegensatz zu anderen – immer sehr präsent und hat dazu beigetragen, dass das Erbe weiter gepflegt wird, aber auch neue Ideen ausreichend Platz finden und gefördert werden.
[12]
Meine erste große Konferenz als Co-Organisator war die Database and Expert Systems Applications (DEXA) 1998 in Wien, und zwar am Juridicum. Jon Bing war Invited Speaker und hat sehr eindrucksvoll seine Ideen von Recht und Informatik und insbes. zu Hypertext dargelegt.6
[13]
Als die Zeit reif war, in der Rechtsinformatik ein postgraduales europaweites Studium zu etablieren, hat er die Initiative von Wolfgang Kilian (Universität Hannover) sehr intensiv unterstützt. Leider ist auch nach mehr als 15 Jahren die Vision noch nicht voll verwirklicht.
[14]
Seine letzten großen Auftritte in Österreich waren 2004 beim IRIS in Salzburg, mit einem Eingeladenen Vortrag über «Science Fiction and AI», sowie 2010 bei der BILETA in Wien.
[15]
Meine Kontakte mit Jon Bing waren intensiv, aber sporadisch, wie dies oft unter Wissenschaftlern der Fall ist. Das einmal gewonnene Vertrauensverhältnis konnte mühelos in vielen anderen Kontexten wieder aufgenommen und belebt werden.

5.

Erste Würdigung von Jon Bing im Kontext des ewigen Kampfes um Recht und Gerechtigkeit ^

[16]
Vor mehr als 140 Jahren hat Rudolf von Jhering seinen berühmten Vortrag «Kampf ums Recht» in Wien gehalten. Jon Bing war als Norweger dem nordischen Realismus verpflichtet; ergänzt durch anglosächsischen Empirismus. Als Autor im Science Fiction-Genre war dies ganz anders: Kreativität, Fantasie, Utopien usw. spielten eine wesentliche Rolle. Als Wissenschaftler war er ersteres, als Autor letzteres. Und er hat sich immer für Recht und Gerechtigkeit eingesetzt.
[17]
Als Wissenschaftler hat Jon Bing durch seine sehr methodische und klare Art überzeugt; dazu konnte er die Ergebnisse hervorragend sprachlich ausdrücken und umsetzen.7 Er hat Information Retrieval und Datenschutz über lange Jahre begleitet und hier wesentlich zur Konsolidierung und Weiterentwicklung beigetragen.
[18]
Als Mensch kombinierte er in faszinierender Weise beide Eigenschaften zur weltweit bekannten Persönlichkeit «Jon Bing». Er verstand er es, mit sehr vielen sehr persönlich zu kommunizieren, obwohl er wenig Zeit dafür hatte. Diese Fähigkeit – heute «multi-cast» genannt – war für mich sehr beeindruckend. Die Wissenschaftsgemeinde bedarf ständiger Förderung, damit das nötige Energieniveau erreicht wird und dann Spitzenleistungen möglich sind. Jon Bing war hier sehr aktiv und – wenn auch mit eigener Motivation und Idee – mit dem IRIS wird diesem Ziel auch entsprochen.
[19]
In diesem Sinne – danke Jon, dass du dich für die Welt und insbesondere auch die Wissenschaftsgemeinde der Rechtsinformatik so intensiv, oft über die eigene Lebenskraft hinaus, eingebracht hast. Wir werden dich in unserem Gedächtnis bewahren und – so weit wir an dein Beispiel an wissenschaftlichem Weitblick, Akribie, Wohlwollen, aber auch Menschlichkeit herankommen – dem auch folgen!

6.

Subjektive Auswahl seiner wichtigsten Werke ^

Wissenschaft

Bing, Jon/Harvold, Trygve, Legal decisions and information systems, Universitetsforlaget, Oslo (1977).

Bing, Jon (eds.), Handbook of Legal Information Retrieval, North-Holland, Amsterdam/New York/Oxford (1984).

Bing, Jon, Designing Text Retrieval Systems for Conceptual Searching, In: ICAIL, S. 43–52 (1987).

Bing, Jon, Electronic agents and intellectual property law. In: AI & Law, S. 39–52, DOI: 10.1007/s10506-004-0511 (2004)

Bing, Jon, Computers and Law: Some beginnings. In: it – Information Technology 49 2. DOI 10.1524/itit.2007.49.2.71. Oldenburg Wissenschaftsverlag (2007).

Bygrave, Lee A./Bing, Jon (ed.), Internet Governace, Infrastruture and Institutions, Oxford University Press (2009).

Science Fiction8

Romane: Det myke landskapet (1970), Scenario (1972), Dobbeltgjengere (1984), En gammel romfarers beretninger (1992).

Jugendbücher: Azur – kapteinenes planet (1975), deutsch 1980: Azur – Planet der Kapitäne, Kinderbuchverlag Berlin, Zalt – dampherrenes planet (1976), Mizt – gjenferdenes planet (1982), Tanz – gåtenes planet (1985).

Kurzprosa: Rundt solen i ring (1967), Knuteskrift (1974).

Sachbuch: Wasdata? Lesestücke für die Informationsgesellschaft, 1986.


 

Erich Schweighofer

Ao. Universitätsprofessor Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik

Schottenbastei 10-16/2/5, 1010 Wien, AT

erich.schweighofer@univie.ac.at; http://rechtsinformatik.univie.ac.at

 


  1. 1 Das ITTIG (Istituto di Teoria e Tecniche dell’Informazione Giuridica; Institute of Legal Information Theory and Techniques) in Florenz hat auch eine sehr gute Sammlung; leider aber nicht die großzügigen Räumlichkeiten und eine eher restriktive Zugangspolitik.
  2. 2 Knut Selmer war Professor an der Universität Oslo und der wesentlichste Förderer von Jon Bing. Über viele Jahre haben sie gemeinsam das NRCCL geleitet.
  3. 3 Bing, Jon, Rettslige kommunikasjonsprosessor, Norwegian University Press, Oslo (1982).
  4. 4 Meine Förderer am damaligen Institut für Völkerrecht waren nicht so mutig, aber bereit, Jon Bing wie A Min Tjoa (O. Univ.-Professor an der TU Wien) in ihrer Bewertung zu folgen.
  5. 5 Schweighofer, Erich, Legal Knowledge Representation, Automatic Text Analysis in Public International and European Law, Kluwer Law International, The Hague/London/Boston (1999).
  6. 6 Dieser Beitrag wird erstmals in der elektronischen Ausgabe dieses Tagungsbands im Jusletter IT (http://www.jusletter-it.eu) veröffentlicht.
  7. 7 So Anton Geist – ein junger Experte im juristischen Information Retrieval mit akademischem Hintergrund und viel Praxiserfahrung – in seinem Vortrag beim Round Table In memoriam Jon Bing am 10. Februar 2014 in Wien.
  8. 8 Wikipedia DE, Wikipedia EN; http://de.wikipedia.org, http://en.wikipedia.org aufgerufen 11. Februar 2014. Viele Werke hat er gemeinsam mit Tor Åge Bringsværd verfasst.