1.1.
Der Begriff ^
«ejustice» (manchmal geschrieben als «eJustice») hat sich als Bezeichnung eingebürgert. Dabei steht das «e» für «elektronisch» und «justice» für das Justizwesen. «ejustice» lässt sich demnach praktisch in einer ersten Annäherung verstehen als Gesamtheit der Workflows im Gerichtswesen (die Kommunikation mit der Anwaltschaft eingeschlossen), die elektronisch abgewickelt werden. In theoretischer Hinsicht gehören dazu die Konzepte, die sich auf dieses Praxisfeld beziehen. Kraft Sachzusammenhangs sollte man noch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit etwa über die Internet-Auftritte von Gerichten hinzurechnen, da es sich dabei gleichfalls um eine IT-basierte Funktion des Gerichtswesens handelt. Da außerdem in allen gerichtlichen Workflows das Wissensmanagement eine Rolle spielt, gehört auch das zu den Charakteristika von ejustice. Es besteht eine Verwandtschaft zum Begriff «elektronischer Rechtsverkehr». Dass eine gedankliche Verbindung von «eJustice» zu «elektronischer Rechtsverkehr» angenommen wird, zeigt beispielsweise die folgende Bemerkung aus Hessen zu der eJustice-Bundesratsinitiative: «Durch den Gesetzentwurf der sogenannten eJustice-Bundesratsinitiative wird die Vision eines bundesweit funktionsfähigen elektronischen Rechtsverkehrs im Sinne von «eJustice» weiter umgesetzt und stetig verbessert.»1 Insgesamt betrachtet erweist sich aber der elektronische Rechtsverkehr der vorgeschlagenen Begriffsbestimmung nach als ein Teilaspekt der umfassenderen Vorstellung von ejustice.2
1.2.
Die Entstehung ^
Die Marke «ejustice» wurde, was die europaweite Wirkung angeht, 2006 in Wien unter der österreichischen Ratspräsidentschaft mit dem Kongress «E-Justice & E-Law – New IT-Solutions for Courts, Administration of Justice and Legal Information Systems» geprägt. Sie trägt maßgeblich die Handschrift von Martin Schneider. Die folgenden Ratspräsidentschaften haben diesem Impuls aus Österreich folgend das Konzept fortgeschrieben.5 Vielleicht ist diese Festschrift zugleich der richtige Ort für die Mitteilung, dass Martin Schneider beim EDV-Gerichtstag 2010 im scherzhaften Gespräch nach seinem Eröffnungsvortrag die Marke «ejustice» der Public Domain gestiftet hat.6
«E-justice, in my view, can stand for equitable justice; it can stand for efficient justice, or even for enlightened justice, but certainly not for electronic justice. What makes justice just, after all, is human judgment, applying a democratically accepted set of abstract rules to a specific situation. This can be greatly helped, but cannot be replaced by information technology, so I would prefer to speak about e-courts, or e-law, rather than e-justice.»7
2.1.
Die Handlungsnotwendigkeit ^
Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf die Situation in Deutschland und gehen von der Tatsache aus, dass durch das «Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten»8 bis spätestens zum 1. Januar 2022 eine flächendeckende Struktur für den elektronischen Rechtsverkehr entstehen wird. Dies bedeutet – will man diesen elektronischen Rechtsverkehr effektiv gestalten –, dass alle in der Justiz Tätigen und die mit der Justiz Kommunizierenden über ein Kompetenzniveau verfügen müssen, das die Beherrschung und das Verstehen der für sie jeweils relevanten Routinen des elektronischen Rechtsverkehrs sicherstellt. Da der elektronische Rechtsverkehr notwendigerweise alle ejustice-Felder mit berührt, muss der gesetzliche Auftrag zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs konsequent weitergedacht zugleich eine Strategie bezogen auf die Vermittlung umfassender ejustice-Kompetenzen nach sich ziehen. Eine solche Strategie braucht u.a. ein Curriculum. Dieses wird allerdings für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedlich ausfallen müssen. Im Folgenden wird die Zielgruppe derjenigen ins Auge gefasst, die justizbezogen Management-Verantwortung tragen. Für die Aus-, Fort- und Weiterbildung dieser Zielgruppe wird eine methodische Grundidee verbunden mit obersten Lernzielen vorgeschlagen, die das Curriculum «ejustice-Kompetenz» tragen sollen.
«Sachsen, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen werden beauftragt, ein Modell zur Förderung der eJustice-Kompetenzen – basierend auf einem länderübergreifenden Fortbildungsangebot – zu entwickeln, welches durch die Nutzung von Synergieeffekten ressourcenschonend den bestehenden IT-Fortbildungsbedarf der Justiz abdeckt.»9
2.2.
Die Grundidee ^
Der Sinn eines auf e-justice-Kompetenz ausgerichteten Curriculums kann nicht darin bestehen, informatik-technologische Detailkompetenz aufzubauen. Diese Detailkompetenzen werden in e-justice-Arbeitsumgebungen durch Spezialisten des jeweiligen Informatik-Sektors repräsentiert. Wohl aber geht es darum, den Entscheidungsträgern in Management-Positionen die Möglichkeit zu eröffnen,
- prinzipielle, für ihren Verantwortungsbereich relevante Weichenstellungen kompetent beurteilen zu können,
- die nötige Kommunikationskompetenz für den Dialog mit Informatik-Akteuren zu besitzen10,
und
- in der Lage zu sein, Kooperationsprozesse zwischen Rechts- und Informatik-Instanzen effizient zu organisieren und zu begleiten.
2.3.
Prinzipielles Orientierungswissen vs. Detailwissen ^
2.3.1.
Beispiel Nr. 1: Phishing E-Mails ^
2.3.2.
Beispiel Nr. 2: Google Analytics und Datenschutz ^
Dies dürfte in etwa die Essenz dessen sein, was man in verantwortlicher Position prinzipiell wissen muss, um die richtigen Fragen an die IT-Verantwortlichen stellen zu können, die eine Website betreuen. Das davon abzugrenzende IT-Detailwissen umfasst z.B. konkrete Kenntnisse vom Implementierungscode, der in einer Variante (auszugsweise) wie folgt aussieht13:
2.4.
Beispiel Nr. 3: Der Facebook-Button auf Websites ^
- «Externe Webseiten müssen ein iFrame von facebook.com auf ihrer Webseite integrieren. Sie gestehen Facebook quasi eine Präsenz auf ihrer Webseite zu. Wenn du eine dieser Webseiten besuchst, erkennt das Facebook-iFrame, ob du bei Facebook angemeldet bist.»16
- «Wir erhalten Daten, wenn du eine Webseite mit einem sozialen Plug-in besuchst. Wir speichern diese Daten für einen Zeitraum von bis zu 90 Tagen. Danach entfernen wir deinen Namen sowie alle anderen personenbezogenen Informationen von den Daten oder kombinieren sie mit den Daten anderer Personen auf eine Weise, wodurch diese Daten nicht mehr mit dir verknüpft sind.»17
2.5.
Normative Verankerung des Ausbildungsziels «ejustice-Kompetenz» ^
Die Breitenwirkung des hier propagierten Lernziels «ejustice-Kompetenz» hängt davon ab, ob es in den Pflichtkanon der Juristenausbildung aufgenommen werden kann. Als Ort dafür bietet sich § 5 a Abs. 3 S. 1 DRiG an. In dieser Vorschrift werden die im Studium zu erwerbenden Schlüsselqualifikationen folgendermaßen beschrieben werden:
«Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis einschließlich der hierfür erforderlichen Schlüssel-qualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit.»
Bei dieser Gelegenheit sei noch ein sachverwandtes Desiderat anderer Art zur Sprache gebracht. «Rhetorik» erscheint in der Liste von § 5 a Abs. 3 S. 1 DRiG ohne den antiken Begleitgefährten «Logik». Man sollte den Verbund «Logik und Rhetorik» in der Juristenausbildung wieder herstellen, zumal die Logik eine unverzichtbare Grundlagendisziplin für die Rechtsinformatik ist.20
3.
Ausblick ^
4.
Literatur ^
Uwe Berlit, E-Justice – Chancen und Herausforderungen in der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft, JurPC Web-Dok. 171/2007.
Maximilian Herberger, Zehn Anmerkungen zum «Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten», JurPC Web-Dok. 81/2013.
Martin Schneider, e-Justiz in Österreich – Umsetzung der IT-Strategie – EDV–Gerichtstag Saarbrücken 2010 (Eröffnungsvortrag), JurPC Web-Dok. 196/2010.
Maximilian Herberger, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes, Universitätscampus Geb. A 5.4, D-66123 Saarbrücken, herberger@rechtsinformatik.de, http://www.jurpc.de.
- 1 http://bit.ly/16bYWvQ.
- 2 Grundlegend dazu Uwe Berlit, E-Justice – Chancen und Herausforderungen in der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft, JurPC Web-Dok. 171/2007.
- 3 Vgl. zu diesem Begründungshintergrund Maximilian Herberger, Can computing in the law contribute to more justice? JurPC Web-Dok. 84/1998.
- 4 Ersichtlich aus https://e-justice.europa.eu; vgl. zu diesem Portal Martin Schneider, EU e-Justice Portal, Ideen – Anfänge – Gegenwart – Zukunft, http://www.univie.ac.at/zib/pdf/EU_e_Justice_2013.pdf.
- 5 «Work on eJustice», Bremen, 2007; «E-Justice & E-Law», Portorôsz (Slowenien), 2008; «From e-Justice to European e-Justice», Dijon, 2. Oktober 2008.
- 6 Tatsächlich findet sich im DPMA-Register «Marken» kein Eintrag für «ejustice» oder «e-justice» (Stand: 21. August 2013).
- 7 Zitiert nach den Konferenzunterlagen.
- 8 BGBl. I 2013, 3786. Vgl. zum Werdegang dieses Gesetzes: http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/500/50035.html; und zur allgemeinen Einschätzung Maximilian Herberger, Zehn Anmerkungen zum «Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten», JurPC Web‐Dok. 81/2013.
- 9 http://www.justiz.bayern.de/media/pdf/top_i.10_ejustice_kompetenz.pdf.
- 10 Übrigens müssen – soll der Dialog gelingen – auch die Informatik-Akteure über die nötige Kommunikationskompetenz im Umgang mit juristischen Entscheidungsträgern verfügen. Es wäre eine eigene durchaus lohnenswerte Aufgabe, ein darauf bezogenes Ausbildungsprogramm zu entwerfen und über dessen Verankerung im Informatik-Studium (Nebenfach Rechtsinformatik) nachzudenken.
- 11 In solchen Phishing E‐Mails enthaltene Grammatikfehler (wie auch im vorliegenden Beispiel anzutreffen) sind ein deutliches Indiz für einen Angriff. Man darf sich aber nicht auf solche Fehler verlassen, weil es mittlerweile zahlreiche Phishing E‐Mails ohne derartige Fehler gibt.
- 12 Vgl. zu diesem Konflikt und der gefundenen Übereinkunft http://www.lda.bayern.de/onlinepruefung/googleanalytics.html.
- 13 https://developers.google.com/analytics/devguides/collection/gajs/methods/gaJSApi_gat# _gat._anonymizeIp.
- 14 Vgl. zur Reichweite einer solchen Online-Überprüfung die Informationen des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht http://www.lda.bayern.de/onlinepruefung/googleanalytics.html.
- 15 Vgl. dazu http://de.piwik.org/ und (zur Datenschutzthematik) https://www.datenschutzzentrum.de/tracking/piwik/.
- 16 https://www.facebook.com/help/443483272359009.
- 17 https://www.facebook.com/about/privacy/your-info-on-other.
- 18 https://developers.facebook.com/docs/reference/plugins/like/.
- 19 Vgl. 2.2.
- 20 Shahid Rahman, Plädoyer für Logik in der Rechtsinformatik, JurPC Web-Dok. 194/2002.
- 21 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Dezember 2008 mit Empfehlungen an die Kommission zur E-Justiz (2008/2125(INI)) (2010/C 45 E/12), Amtsblatt der Europäischen Union vom 23. Februar 2010 (C 45 E/63), http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:045E:0063:0066:DE:PDF. Die Übersetzung «E-Justiz» für «e-Justice» ist problematisch, weil sie den assoziationsreichen Begriff «e-Justice» auf einen Teilaspekt reduziert. Besser wäre es, im deutschen Text einfach «e-Justice» stehen zu lassen.