1.
Die Definition nach deutschem Recht ^
2.1.
Das deutsche Signaturrecht ^
2.2.
Elektronischer Rechtsverkehr und das Recht der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren ^
«Soweit für vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, für Anträge und Erklärungen der Parteien sowie für Auskünfte, Aussagen, Gutachten und Erklärungen Dritter die Schriftform vorgesehen ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist. Die verantwortende Person soll das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen.»
2.3.
Die empirische Entwicklung des elektronischen Rechtsverkehrs in Deutschland ^
Die folgende Tabelle macht deutlich, dass der elektronische Rechtsverkehr in Deutschland in der forensischen Praxis über die Jahre nur langsam Fahrt aufgenommen hat:
Jahr | Bei der hessischen Justiz eingegangene EGVP-Nachrichten | Bei der Justiz in Deutschland eingegangene EGVP-Nachrichten | Von der hessischen Justiz versandte EGVP-Nachrichten | Von der Justiz in Deutschland versandte EGVP-Nachrichten |
2008 | 116.803 | 1.041.896 | 101.256 | 708.172 |
2009 | 177.418 | 1.775.759 | 176.191 | 1.628.042 |
2010 | 185.403 | 1.879.855 | 217.798 | 2.041.406 |
2011 | 220.300 | 1.997.921 | 306.166 | 2.517.844 |
2012 | 263.031 | 2.719.039 | 386.221 | 2.896.174 |
Dabei ist klar, dass angesichts der Eröffnungsbreite des elektronischen Rechtsverkehrs die Fallzahlen ganz überwiegend aus den beiden «Pflichtbereichen» Handelsregister und Mahnverfahren stammen. In Hessen, das den elektronischen Rechtsverkehr seit Ende 2007 so weitgehend wie möglich zugelassen hat, stammen immerhin rund 35% der elektronischen Postein- und -ausgänge aus anderen Bereichen, wobei insbesondere das Projekt «eRechnung» mit derzeit pro Monat rund 7.000 elektronisch versandten und per ePayment bezahlbaren Kostenrechnungen erheblich beiträgt. Fahrt aufgenommen hat auch das Sachgebiet des Insolvenzrechts, in dem Hessen den elektronischen Rechtsverkehr zwischen Insolvenzverwaltern und Gerichten stark propagiert: Von den erwähnten 35% elektronischer Post jenseits des Mahnverfahrens und des Handelsregisters stammen 1/3 aus dem Insolvenzverfahren, 2/3 lassen sich vom Nachrichtentyp und dem Sachgebiet her nicht spezifizieren.
Bei der Bewertung der Zahlen fällt auf, dass ab 2010 die Zahl der elektronischen Postausgänge der Justiz die der Eingänge übersteigt und dies in Hessen prozentual stärker, als nach dem durchschnittlichen 6–7%-Anteil des Landes an der Bundesrepublik zu erwarten wäre. Neben der im Laufe der Praxis ansteigenden Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für Zwischenverfügungen im Handelsregisterverfahren lässt sich dies jedenfalls für das Bundesland Hessen auf die strategische Ausrichtung zurückführen. Der Kernsatz der Strategie lautet: «Warum auf die elektronische Post warten?» Die hessische Justiz begann, sogenannten «initiativen elektronischen Postausgang» zu betreiben, mithin nicht nur auf elektronische Posteingänge hin mit elektronischer Post zu reagieren, sondern aktiv beim Postversand elektronisch zu agieren. Dazu wurde im Projekt «eRechnung» ein Mechanismus in die Justizkostenanwendung integriert, der statt des Druckbefehls vorrangig nach dem Vorhandensein einer elektronischen Adresse sucht. Diese einfache Möglichkeit wurde von den Mitarbeitern sehr gut angenommen und im Projekt «eNachricht» auf die Möglichkeit ausgedehnt, beliebige Post mit Hilfe eines Suchautomatismus» für elektronische Adressen zu versenden – einer der Bausteine eines sinnvollen durchgängig elektronischen Geschäftsprozesses der Zukunft.
3.
Elektronischer Rechtsverkehr der Zukunft: Das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs als Vereinfachungs- und Verbindlichkeitsansatz ^
- Die deutsche Anwaltschaft errichtet bei der Bundesrechtsanwaltskammer ein Anwaltspostfachverzeichnis für alle (!) deutschen Rechtsanwälte. Die Post aus diesem und in dieses Postfach wird ohne qualifizierte elektronische Signaturen versandt und erhält Vertrauensschutz. Eine immense Vereinfachung! Zugleich wird rechtssicherer «Querverkehr» zwischen Anwälten möglich.
- Vergleichbare Postfachdomänen können auch für andere professionelle Rechtsvertreter geschaffen werden, zu denken ist an Steuerberater, Inkassounternehmen, Rechtssekretäre der Gewerkschaften, Beratungsinstitutionen im Sozialrecht und natürlich die Rechtsvertreter der Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ein weites Feld.
- Spätestens ab 1. Januar 2022 wird der elektronische Rechtsverkehr alleiniger rechtsverbindlicher Kommunikationsweg der Mitglieder der eben beschriebenen Postfachdomänen – kein konventioneller Briefkasten für die Anwaltschaft mehr!
- Gerichtliche Entscheidungen bedürfen weiterhin der qualifizierten elektronischen Signatur.
- Zugleich wird die De-Mail in der Variante der «absenderbestätigten De-Mail» gesetzlich zugelassener Kommunikationsweg.
- Es wird die zusätzliche Möglichkeit geschaffen, weitere bundeseinheitliche sichere Übermittlungswege mit Rechtsverordnung des Bundes mit Zustimmung des Bundesrates zu definieren. Das schafft eine gewisse Zukunftsoffenheit.
- Die elektronische Zustellung an «professionelle Einreicher» wird durch ein noch näher auszugestaltendes elektronisches Empfangsbekenntnis zu geschehen haben, das willkürlich zurückzusenden ist (keine automatische Zustellfiktion).
- Die Regeln über die Überführung papierner Dokumente in die elektronische Form werden vereinfacht, gescanntes Papier ist sechs Monate nach Eingang zu vernichten. Diese wichtige Regelung ermöglicht die Aufbewahrung der gescannten Papiervorlagen im Stapel des Eingangstages – andernfalls, etwa bei Aufbewahrung bis zur Rechtskraft des Verfahrens müssten zwingend dauerhaft hybride Papierakten mitgeführt werden.
- Akteneinsicht kann umfassend auch elektronisch gewährt werden.
- Es werden Beweisregeln für gescannte Dokumente und De-Mail-Posteingänge eingeführt.
- Die Postfachdomäne der Anwaltschaft ist bis zum 1. Januar 2016 zu schaffen.
- Die Empfangsbereitschaft aller Gerichte und Justizbehörden ist zum 1. Januar 2018 zu gewährleisten, kann allerdings mit einer opt-out-Klausel durch Länderverordnung noch um zwei Jahre hinausgeschoben werden.
- Ab 1. Januar 2022 ist der elektronische Rechtsverkehr verpflichtender Kommunikationsweg zwischen Anwaltschaft und deutscher Justiz, ggf. auch im Verhältnis zu weiteren noch zu schaffenden Postfachdomänen.
- Länder, die von der opt-out-Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben, erhalten die Chance, die Verbindlichkeit des elektronischen Rechtsverkehrs im Wege eines opt-in auf den 1. Januar 2020 vorzuziehen.
Ralf Köbler, Ministerialdirigent, Leiter der Abteilung für Informationstechnik und Modernisierung, Justiz-Controlling, Organisation und Liegenschaften im Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa, Luisenstraße 13, D-65185 Wiesbaden, ralf.koebler@hmdj.hessen.de/.
- 1 BGBl. I 1997, S. 1870, in der Fassung der Änderung BGBl. I 2001, S. 876).
- 2 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen.
- 3 BGBl. I 2001, S. 1206.
- 4 BGBl. I 2001, S. 1542.
- 5 BGBl. 2002, S. 3322.
- 6 BGBl. I 2005, S. 837.
- 7 BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010, VII ZB 112/08.
- 8 Eine stets aktuelle Übersicht über die aktuellen Einführungsstände des elektronischen Rechtsverkehrs und die teilnehmenden Gerichte und Justizbehörden mit Fundstellen zu den Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder findet sich unter www.egvp.de/gerichte/index.php. Auf die Auflistung aller Vorschriften wird hier daher verzichtet.
- 9 BGBl. I 2006, S. 2553.
- 10 BGBl. I 2007, S. 2840.
- 11 (Österr.) BGBl. I 2010/111, zuletzt geändert durch BGBl. I 35/2012.
- 12 § 1a der VO der (österreichischen) Bundesministerin der Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2006) in der Fassung vom 13. Februar 2013, BGBl. II 481/2005.
- 13 De-Mail-Gesetz vom 28. April 2011, BGBl. I S. 666.
- 14 (Österr.) BGBl. I 2010/111, zuletzt geändert durch BGBl. I 35/2012.
- 15 BR-Drs. 503/12 (Beschluss).
- 16 BT-Drs. 17/12634.
- 17 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BGBl. I 2013, S. 3786.