1.
Einführung ^
Im Jahr 2003 publizierte die Zeitschrift Harvard Business Review einen Artikel von Nicholas G. Carr, der weltweit für Diskussionen sorgte. Der Beitrag mit dem Titel «IT Doesn’t Matter» löste eine wahre Flut von Leserbriefen an den Autor und die Zeitschriftenredaktion aus.
Carr meinte in dem Artikel wörtlich:
«You only gain an edge over rivals by having or doing something that they can’t have or do. By now, the core functions of IT – data storage, data processing, and data transport – have become available and affordable to all. Their very power and presence have begun to transform them from potentially strategic resources into commodity factors of production. They are becoming costs of doing business that must be paid by all but provide distinction to none.» 1
Carr vertrat also den Standpunkt, dass Informationstechnologie nicht länger einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen darstellt. Stattdessen sah er IT als Grunderzeugnis an, welches allenfalls dazu dient, zumindest keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Mitbewerbern zu haben. Im weiteren Verlauf des Artikels verglich er den Einsatz der Informationstechnologie mit jenem der Dampfmaschine, der Eisenbahn oder der Elektrizität. Carr wies darauf hin, dass diese Technologien zu ihrer Zeit ebenfalls bahnbrechend waren, aber aus heutiger Sicht keinen strategischen Vorteil für Unternehmen bringen. Die Reaktionen der Leser reichten von wohlwollender Zustimmung bis hin zu entrüsteter Ablehnung.
Der Jubilar vertritt – wie auch die Autoren – im Gegensatz zu Nicholas G. Carr die Auffassung, dass auch heutzutage die strategische Bedeutung der IT nicht unterschätzt werden darf. Nachdem sich in unserer globalisierten Welt die Herausforderungen an Unternehmen und öffentliche Einrichtungen wie die Justiz permanent ändern, ist auch die IT, die wesentliches Rückgrat einer Organisation ist, einem ständigen Wandel unterworfen. Der bloße Einsatz von IT garantiert noch nicht den Erfolg. Organisationen, die in der Lage sind, ihre IT-Systeme flexibel den (Markt-)Anforderungen anzupassen, können aber sehr wohl einen hohen strategischen Nutzen aus dem Einsatz von Informationstechnologie ziehen.
1.1.
Anforderungen an die Justiz-IT ^
1.1.1.
Verkürzung der Umsetzungszeiten («time to market») ^
1.1.2.
Erweiterbarkeit der IT-Systeme ^
Abbildung 1: Flexibilität von IT-Systemen in Abhängigkeit von der Zeit2
1.2.
Herausforderungen für das IT-Management der Justiz ^
- Zunehmende Anforderungen an die IT-Systeme durch Gesetzgeber, Fachbereiche, Benutzer und Justizkunden (bei Wunsch nach hoher Effizienz, Effektivität, Flexibilität und Nutzerfreundlichkeit)
- Historisch gewachsene IT-Landschaft und steigende Komplexität der eingesetzten Informations- und Kommunikationstechnologien
- Hohe Benutzerzahlen, die umfassenden Support benötigen
- Rasante technologische Entwicklung (Durchdringung aller Lebens- und Arbeitsbereiche)
- Modularisierung der Software und Standards (umfangreicheres Angebot an Standardkomponenten)
- Zunehmende Anzahl kritischer IT-Anwendungen (immer mehr «mission-critical» Applikationen)
- Rationalisierungsnotwendigkeiten durch gleichbleibendes (bzw. inflationsbereinigt sinkendes) IT-Budget
2.
IT-Strategie der Justiz ^
- Aktuelle Ausgangslage: Wo stehen wir heute?
- Ziel und Soll-Zustand: Wo wollen wir hin?
- Weg zum Ziel: Wie kommen wir dort hin?
Abbildung 2: Strategische Ausrichtung der IT5
2.1.
Aktuelle IT-Strategie der Justiz ^
Die Erstversion der IT-Strategie der Justiz wurde im Jahr 2006 erstellt und vom CIO des Bundesministeriums für Justiz veröffentlicht. Die IT-Strategie wurde in der Folge – unter Beibehaltung ihrer Grundstruktur – bereits zweimal aktualisiert bzw. überarbeitet.6
«Unter IT-Strategie verstehen wir die Summe der strategischen Vorgaben für die Entwicklung von Justiz-IT-Lösungen. Sie gelten sowohl für diejenigen, die an Investitionsentscheidungen für die Justiz-IT beteiligt sind, als auch für alle jene, die in der IT-Struktur der Justiz tätig sind, inklusive der IT-Partner im BMF und BRZ, sowie der externen Partner.
Die IT-Strategie der österreichischen Justiz ist vom Grundgedanken getragen, die Entwicklung der IT-Lösungen für die österreichische Justiz noch besser an den Ressortzielen auszurichten, eine einheitliche Technologi-plattform zu schaffen und die Produktivität der IT-Lösungsentwicklung durch ganzheitliche Betrachtung und Wiederverwendung von Komponenten zu steigern.»
2.1.1.
Ziele und Umsetzungsmaßnahmen der Rechtsinformatik der Justiz ^
2.1.2.
Prinzipien und Standards der Rechtsinformatik der Justiz ^
2.1.3.
IT-Strategieentwicklung in der Justiz ^
2.1.4.
Nutzen der Justiz-IT-Strategie ^
2.2.
Neue Version der IT-Strategie der Justiz ^
- Strategien: Erstmals in der Geschichte des IT-Einsatzes in der österreichischen Justiz soll eine Reihe expliziter bzw. differenzierter Strategien definiert werden (u.a. eine Innovationsstrategie, eine Open-Source-Strategie und eine Standardisierungsstrategie).
- Ist-Zustand und Handlungsschwerpunkte: Neben den Zielen sollen in der überarbeiteten Version der Strategie auch der Ist-Zustand sowie der daraus abgeleitete Handlungsbedarf (also die Optimierungspotenziale) beschrieben werden.
- Soll-Zustand und Roadmap: Neben dem Soll-Zustand sollen in Zukunft auch die Schlüsselvorhaben und -projekte der Roadmap genannt werden, die notwendig sind, um den Soll-Zustand zu erreichen.
- IT-Organisation und –Prozesse: Im Rahmen der Überarbeitung sollen auch die IT-Organisation selbst sowie die wesentlichen Prozesse beschrieben werden – insbesondere im Hinblick auf das Steuerungsinstrumentarium.
Abbildung 5: Ausrichtung von IT-Strategiepapieren8
3.
Strategische Initiative Justiz 3.0 ^
3.1.
Organisation ^
Den Kern der Programmorganisation bilden die Arbeitsgruppen für die Fach- bzw. Geschäftsarchitektur. Jede Arbeitsgruppe deckt dabei einen bestimmten Bereich des Leistungsspektrums (also der Geschäftsfunktionen) der Justiz ab. Die Besetzung der konkreten Arbeitsgruppen erfolgt jeweils themenspezifisch durch Experten aus den nachstehend genannten Personengruppen:
- Schlüsselpersonen (Auszug)
- Richter/in
- Staatsanwalt/Staatsanwältin
- Geschäftsstellenleiter/in
- Rechtspfleger/in
- Experten/Expertinnen der Justizverwaltung
- Experten/Expertinnen des Strafvollzugs
- BMJ-Fachabteilungen (Auszug)
- I 7 – Persönlichkeitsreche, zivilrechtliche Nebengesetze, Gerichtsgebühren und Rechnungslegung
- I 8 – Zivilverfahrensrecht
- IV 3 – Strafverfahrensrecht
- Vertreter/in der IT-Schulungszentren
- BRZ-Organisatoren/BRZ-Organisatorinnen
- BRZ-Justiz-IT-Architekten
- IT-Administratoren der Justiz
- BRZ-Justiz-IT-Architekten
- Externe Partner (z.B. für die Entwicklung von Prototypen)
3.2.
Bisherige Ergebnisse ^
- Arbeitsgruppe «Eingang & Aktenbildung» (abgeschlossen)
- Arbeitsgruppe «Erstellung von Entscheidungen & Verfügungen» (abgeschlossen)
- Arbeitsgruppe «Arbeitsplatz des Entscheidungsorgans» (abgeschlossen)
- Arbeitsgruppe «Aktenlauf»
- Der Zugriff auf den gesamten Akt muss durch mehrere Personen/Stellen gleichzeitig möglich sein.
- Ein ortsunabhängiges Arbeiten muss ermöglicht werden.
- Alle Akteninhalte müssen elektronisch weiterverarbeitbar und durchsuchbar sein.
- Das Entscheidungsorgan soll zwischen einer Aktenführung in Papier oder mit Elektronik frei wählen können, soweit ein Verfahren(steil) nicht ohnedies vollelektronisch geführt wird.
- Der Akt muss jederzeit in Papier verfügbar gemacht werden können.
Aus den definierten Anforderungen wurden folgende Grundsätze und damit verbundene Konsequenzen abgeleitet:
- Arbeitsgruppe «Eingang & Aktenbildung»
- Jedes Eingangsstück wird gescannt (inkl. OCR) und digital verfügbar gemacht.
- «Original»-Einlaufstücke in Papierform werden in der Regel nicht benötigt, sind bei Bedarf jedoch beizuschaffen.
- Ergänzend zum Scan von Einlaufstücken ist auch sicherzustellen, dass alle anderen Aktenbestandteile digitalisiert werden (Arbeitsplatzscan).
- Arbeitsgruppe «Erstellungen von Entscheidungen & Verfügungen»
- Alle Akteninhalte müssen nicht nur gescannt, sondern auch OCR aufbereitet werden, damit diese elektronisch weiterverarbeitbar sind, um passende Textpassagen durch Volltextsuche schnell auffindbar zu machen und diese etwa für Entscheidungsentwürfe einfach übernehmen zu können.
- Das Entscheidungsorgan kann pro Verfahren (ad hoc) entscheiden, dass Akteninhalte ausgedruckt werden.
- Arbeitsgruppe «Arbeitsplatz des Entscheidungsorgans»
- Die digitale Verfügbarkeit des Akteninhalts erleichtert im Vergleich zum Papierakt die IT-Unterstützung (etwa durch den Einsatz von Software zur Aktenstrukturierung und -analyse).
- Der elektronische Gerichtssaal bietet mehr Möglichkeiten (z.B. hinsichtlich der Beteiligung von Parteienvertretern oder Sachverständigen), wobei schon der Einsatz einzelner Elektronikelemente zu einer Verbesserung des Verhandlungsablaufs führen kann.
- Einige Vorteile des elektronischen Gerichtssaals lassen sich bereits ohne digitalen Akteninhalt (z.B. durch eine Dokumentkamera) nutzen, dieser Nutzen kann jedoch bei Vorhandensein des gesamten Akteninhalts in digitaler Form noch deutlich gesteigert werden.
- Die Kosten v.a. für bauliche Maßnahmen, die Komplexität in der Handhabung (z.B. eines Audio- und Videokontrollsystems) sowie die Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln bei der Verfahrensabwicklung müssen noch näher betrachtet werden.
- der Akt jedenfalls vollständig digital zur Verfügung stehen muss (und dies durch Erweiterung der ERV-Verpflichtung sowie Scanning sicherzustellen ist),
- ein integriertes IT-System zur Bereitstellung und Bearbeitung von digitalisierten Akten benötigt wird (und die IT-Ausstattung des Arbeitsplatzes dies auch geeignet unterstützen muss),
- ein künftiges System zur elektronischen Abbildung von Akten ausreichend Flexibilität aufweisen muss (insbesondere hinsichtlich Nummerierung, Referenzierung, Sortierung, Position im Akt und Zugriffsberechtigung) und
- der Nutzen digitaler Akteninhalte durch Begleitmaßnahmen gesteigert werden kann (z.B. durch eine verbesserte technische Ausstattung von Verhandlungssälen).
3.3.
Weiterer Zeitplan ^
4.
Schlussfolgerungen & Ausblick ^
5.
Literatur ^
Nicholas G. Carr, IT Doesn’t Matter, in: Harvard Business Review Article Reprint, 2003.
Dirk Krafzig u. a., Enterprise SOA, First Edition, Prentice Hall PTR, New Jersey, 2004, ISBN-13: 978-0131465756.
Ernst Tiemeyer, IT-Strategie entwickeln, IT-Architekturen planen, 1. Auflage, Rauscher, 2007, ISBN-13: 978-3940045027.
Inge Hanschke, Strategisches Management der IT-Landschaft, 2. Auflage, Carl Hanser Verlag, 2010, ISBN-13: 978-3446422575.
Josef Bosina, Leiter der Präsidialsektion im Bundesministerium für Justiz, Museumstraße 7, 1070 Wien, Österreich. josef.bosina@bmj.gv.at, http://www.justiz.gv.at.
Michael Glatz, IT-Enterprise Architekt im Bundesministerium für Justiz, Museumstraße 7, 1070 Wien, Österreich. michael.glatz@bmj.gv.at, http://www.justiz.gv.at.
- 1 Nicholas G. Carr, IT Doesn’t Matter, in: Harvard Business Review Article Reprint, 2003, S. 5–12, S. 6.
- 2 Dirk Krafzig u. a., Enterprise SOA, First Edition, Prentice Hall PTR, New Jersey, 2004, S. 11.
- 3 Vgl. Ernst Tiemeyer, IT-Strategie entwickeln, IT-Architekturen planen, 1. Auflage, Rauscher, 2007, S. 12.
- 4 Vgl. Inge Hanschke, Strategisches Management der IT-Landschaft, 2. Auflage, Carl Hanser Verlag, 2010, S. 46.
- 5 Inge Hanschke, Strategisches Management der IT-Landschaft, 2. Auflage, Carl Hanser Verlag, 2010, S. 11.
-
6
Die IT-Strategie der Justiz ist aufs Engste mit der Person von Dr. Martin Schneider verbunden. Dr. Martin Schneider, Geburtsjahrgang 1954, hat die Richteramtsprüfung am 11. Dezember 1981 abgelegt und ist seit 14. Dezember 1981 im BMJ tätig. Mit Wirkung vom 10. April 1995 wurde er mit der Leitung der Rechtsinformatikabteilung Pr 5 betraut. Mit Entschließung vom 11. April 2003 wurde ihm das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Dr. Martin Schneider hat in den mehr als 30 Jahren seiner Tätigkeit im BMJ einzigartige Pionierarbeit im IT-Bereich geleistet und dabei vielfach organisatorisches Neuland beschritten. Durch sein Innovationsstreben und Engagement hat er maßgeblich dazu beigetragen, nicht mehr zeitgemäße Organisationsabläufe im Justizbetrieb den Anforderungen der Gegenwart anzupassen. In den letzten Jahrzehnten hat er durch eine Vielzahl höchst erfolgreicher IT-Projekte die gesamte Justiz wie kaum ein anderer geprägt.
Dr. Martin Schneider hat als Verantwortlicher für die IT in der Justiz imponierende und mit zahlreichen (auch internationalen) Auszeichnungen bedachte Leistungen erbracht. Er hat unzählige Projekte zum Erfolg geführt, gibt die IT-Strategie für die österreichische Justiz vor und bekleidet seit 2005 die Funktion des Chief Information Officers. Er betätigt sich wissenschaftlich, publiziert und ist Absolvent eines universitären Organisatorenlehrgangs. Seine herausragenden Leistungen und Erfolge wurden und werden sowohl im Inland gewürdigt (etwa Wahl zum Rechtsinformatiker des Jahres 2004) als auch im Ausland honoriert (etwa Vertreter des BMJ im Expertenkomitee für Rechtsinformatik des Europarats und in der EU Ratsarbeitsgruppe «e-Justice»). - 7 Vgl. Ernst Tiemeyer, IT-Strategie entwickeln, IT-Architekturen planen, 1. Auflage, Rauscher, 2007, S. 40.
- 8 Ernst Tiemeyer, IT-Strategie entwickeln, IT-Architekturen planen, 1. Auflage, Rauscher, 2007, S. 72.