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Kosten und Convenience von E‐Justiz in Österreich

  • Author: Erich Schweighofer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Justice
  • Citation: Erich Schweighofer, Kosten und Convenience von E‐Justiz in Österreich, in: Jusletter IT 19 November 2015
Die österreichische E-Justiz zählt zu den weltbesten; auch hinsichtlich ihrer Kosten und Convenience. Die ursprüngliche Hypothese der Kostenneutralität von E-Justiz-Anwendungen hat sich nicht ganz bestätigt; es sind sogar wesentliche Einsparungen zu verzeichnen. Diese betreffen den Bereich des Personals als auch die Kommunikationskosten. Dazu scheinen die Kunden sehr zufrieden zu sein und die Kosten kaum ein Thema zu sein. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die hohen Aufwendungen, insbesondere bei der Einführung von E-Justiz, aber auch die hohen laufenden Kosten durch Einsparungen und das Potenzial einer höheren Produktivität jedenfalls mehr als gerechtfertigt sind.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Unternehmen Justiz
  • 3. Empirische Methode und Begriffsdefinitionen
  • 4. Überblick über die Erlöse und Kosten der Justiz in Österreich
  • 4.1. Personalkosten
  • 4.2. Geschäftsfälle
  • 4.3. Kommunikationskosten
  • 4.4. Personalmanagementsystem
  • 5. Verlagerung von Arbeit an die Kunden der Justiz?
  • 6. Schlussfolgerungen
  • 7. Literatur
[1]
Martin Schneider hat wesentlichen Anteil an diesen Erfolgen. In diesem Sinne alles Gute und noch viele Schaffensjahre im Dienste der österreichischen Justiz!

1.

Einleitung ^

[2]
Die österreichische E-Justiz1 gehört zu den Top IT-Projekten der Republik; sie wird international als eines der wichtigsten Renommierprojekte im E-Government angesehen. Zu Recht! Sowohl der Umfang als auch die Qualität der Anwendungen der E-Justiz sind bemerkenswert.2
[3]

Aber das Ganze ist nicht billig. Die Justizinformatik kostet, und zwar nicht gerade wenig. Für Österreich handelt es sich – unverändert seit einigen Jahren – um rund €35 Mill. pro Jahr.

[4]
In diesem Beitrag wird untersucht, ob diese hohen Kosten auch durch entsprechende höhere Produktivität der E-Justiz bzw. Kostenersparnisse der Justiz «verdient» werden können. In den Medien wird ohne viel Reflexion davon ausgegangen, dass den Mehrkosten auch Mehrleistungen bzw. Kostenersparnisse gegenüber stehen.
[5]
Als Eingangshypothese soll die Stellungnahme der holländischen Expertin Dory Reiling3 auf dem EDGV Gerichtstag 2013 in Saarbrücken verwendet werden: Es wird zwar beim Unterstützungspersonal einiges eingespart, dafür aber muss höher qualifiziertes Personal (insbes. IT-Personal) eingestellt werden. In Summe erspart man sich nichts; aber es kostet auch nicht viel mehr. Die geänderten Anforderungen der Wissensgesellschaft können aber mit einer Umstellung auf E-Justiz jedenfalls gemeistert werden. Die Seite der Kunden der Justiz wird aber auch berücksichtigt. Es wird in diesem Beitrag auch geprüft, ob auf Seiten der Anwälte, Notare, Unternehmen und der Zivilgesellschaft Einsparungen oder erhöhte Effizienz erzielt worden sind.
[6]
Martin Schneider ist seit vielen Jahren hauptverantwortlich für die E-Justiz in Österreich und gehört damit zu den führenden Rechtsinformatikern des Landes4. Aufgrund der strengen Budgetrestriktionen für die Justiz war die Kostenseite der E-Justiz stets ein wichtiges Thema. Dementsprechend war man stets bemüht, sowohl die Einnahmen zu erhöhen als auch die Kosten zu senken. Auf die «Begleitgeräusche» dieser Politik, insbes. aus der Sicht der Public Sector Information-Richtlinie, der Diskussion um die Verwertungsrechte des Bundes, kann hier nicht eingegangen werden.5

2.

Unternehmen Justiz ^

[7]

Die österreichische Justiz bezeichnet sich selbst als Unternehmen Justiz.6 Demnach stehen den Gesamtkosten von €1.198 Mill. (2011) Einnahmen von €901 Mill. gegenüber. In der Justiz sind 11.167 Personen beschäftigt. Das IT-Budget beträgt rund €35 Mill. Der Kostendeckungsgrad ist relativ hoch; bei Nichtberücksichtigung des Strafvollzuges beträgt er sogar mehr als 100%. Dies wird gelegentlich in Studien auch kritisiert.7

[8]
Auf die eindrucksvolle Vielzahl der Anwendungen kann hier nicht eingegangen werden; diese können nur angeführt werden: Europäisches Justiz Netzwerk, Europäisches E-Justiz-Portal, Kooperation zwischen den Justizverwaltungen (Rechtshilfe, Videokonferenzen, Austausch bewährter Praktiken, Einführung eines mehrsprachigen Rechtsvokabulars), Europäischer Zahlungsbefehl/Europäisches Mahnverfahren8, Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen9, Elektronischer Datenaustausch zwischen Justizbehörden, ECRIS Europäisches Strafregisterinformationssystem, Einführung dynamischer (intelligenter) Formulare, EBR European Business Register, EULIS European Land Information System, Vernetzung der nationalen Strafregister, Vernetzung der nationalen Testamentsregister, Vernetzung der nationalen Datenbanken der Gerichtsübersetzer und –dolmetscher, Vernetzung der Insolvenzregister, Zugang zum Recht (EUR-Lex, Europa Server, PreLex, ScadPlus, N-Lex, nationale Rechtsinformationssysteme10, ECLI- Eurpean Case Law Identifier, e-CODEX11, Verfahrensautomation Justiz, elektronische Poststraße, elektronisches Urkundenarchiv, Kundmachungen, Öffentliche Register (Grundbuch, Firmenbuch, Sachverständige, Dolmetscher, Insolvenzverwalter, Mediatoren), Geldverwaltung, E-Recht und elektronische Kundmachung, IT im Strafvollzug etc.

3.

Empirische Methode und Begriffsdefinitionen ^

[9]
Die Erhebung der Leistungsdaten erfolgte durch Studium einschlägiger Berichte12 sowie durch Anfragen im BMJ. Weiters wurde ein Fragebogen erarbeitet (Google Formular); dieser wurde sowohl für eine Online-Umfrage als auch für Fokus-Interviews verwendet.
[10]
Die Umfrage sowie Fokus-Interviews wurden in den Monaten Oktober und November 2013 durchgeführt. Die Rückmeldungen auf die Online-Umfrage waren bescheiden. Daher wurden Fokus-Interviews geführt, und um zumindest ein Stimmungsbild vermitteln zu können. Eine ausreichende empirische Basis der Schlussfolgerungen ist damit aber nicht gegeben.
[11]
Jurist bzw. Juristin: Rechtsanwalt/Notar sowie Konzipienten mit großer Legitimationsurkunde/Notariatsanwärter, Rechtsberater.
[12]
Maßeinheiten: Geschäftsfälle (Geschäftszahlen) bei Verwendung der Nomenklatur der Justiz.
[13]
Berechnung der Kosten: Es sind jeweils die Kosten und Erlöse der Kanzlei zu ermitteln und sodann auf die Anzahl der Maßeinheiten umzulegen; dies jeweils unter Nutzung von E-Justiz bzw. ohne Nutzung von E-Justiz. Schätzungen sind unumgänglich. Auch die Kosten für IT sowie Schulung sind zu berücksichtigen. Preisbasis ist 2013.
[14]
Grundbuch: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der Grundbuchauszüge bzw. der Dokumentabfragen.
[15]
Firmenbuch: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der Firmenbuchauszüge bzw. der Dokumentabfragen (Jahresabschluss/Bilanz).
[16]
Mahnverfahren: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der Mahnverfahren.
[17]
Exekutionsverfahren: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der Exekutionsverfahren bzw. der Dokumentsabfragen.
[18]
Elektronischer Rechtsverkehr im Zivilverfahren: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der das (C/Cg) Verfahren einleitenden Schriftsätze unter Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs bzw. die weiteren im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsätze.
[19]
Elektronischer Rechtsverkehr im (Cgs/Cga) arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der das Verfahren einleitenden Schriftsätze unter Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs bzw. die weiteren im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsätze.
[20]
Elektronischer Rechtsverkehr im Strafverfahren: Als Maßeinheit(en) gelten die Zahl der das Verfahren einleitenden Schriftsätze unter Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs bzw. die weiteren im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsätze.

4.

Überblick über die Erlöse und Kosten der Justiz in Österreich ^

[21]

Die direkt zuordenbaren Kosten für E-Justiz in Österreich betragen rund €35 Mill. pro Jahr, d.h. Kosten für den IT-Provider Bundesrechenzentrum, Anschaffungskosten für eigene Hardware und Software sowie direkt zurechenbare Personalkosten.13

[22]
Mehreinnahmen sind durch eine wesentlich größere Anzahl von Grundbuchs- und Firmenbuchabfragen vorhanden. Die Anzahl der Verfahren selbst ist im Wesentlichen konstant geblieben bzw. leicht zurückgegangen.
[23]
Die wesentlichen Kostenersparnisse ergeben sich bei den Kommunikationskosten (RSa- bzw. RSb-Zustellung vs. Elektronischer Rechtsverkehr) sowie bei den Personalkosten. Insbesondere konnte Fachpersonal (Kategorie C) eingespart werden.

4.1.

Personalkosten ^

[24]
Die Personalkosten der Justiz sind durch die jeweiligen Budgets sowie die Dienstpostenpläne gut nachvollziehbar. Genaue Unterlagen über die Zuordnung zur jeweiligen Tätigkeit sind jedoch nicht zugänglich; für die hier erfolgende grobe Schätzung auch nicht nötig. Ergänzend und vertiefend ist seit Mitte der 1990er Jahre die Personalanforderungsrechnung (PAR) verfügbar.
[25]
Am 31. Dezember 2011 betrug der Personalstand ohne Rechtspraktikanten 11.167 Vollzeitkapazitäten.
[26]

Die Aufteilung auf die jeweiligen Dienststellen (nur verfügbar per 1. Dezember 2011) ist folgendermaßen:

  Planstellen 1. Dezember 2011 Planstellen 1. Januar 2004 Planstellen 1993
BMJ 217    
OGH und Generalprokuratur 119    
Gerichte (außer OGH und Generalprokuratur) 7.016    
Justizanstalten 3.609    
       
Gesamt 10.961    
Gesamt (ohne Justizanstalten) 6.918 7.103 7.460
Davon: Planstellen A (Richter + Staatsanwälte) 2.000 1.970 1.783
Davon: Planstellen B + C (nicht richterliche Bedienstete, d.h. Rechtspfleger und Kanzleipersonal) 4.918 5.133 5.677

Tabelle 1: Österreichische Justiz – Planstellen

[27]
Die Zahl der A-wertigen Dienstposten (Richter und Staatsanwälte) ist somit leicht gestiegen. Dies wird durch die steigende Komplexität und Schwierigkeit der zu lösenden Rechtsprobleme erklärt.14
[28]
Das Verhältnis von Richtern und Staatsanwälten zu Unterstützungspersonal hat sich zu Ungunsten ersterer entwickelt. Betrug dieses noch 2,17 im Jahre 2002, ist dieses in den letzten Jahren auf 2,07 gefallen. Da der Arbeitsanfall eher komplexer wurde (und damit die Zahl der Verfahrensschritte ebenfalls), mussten mit geringerem Unterstützungspersonal mehr «Produkte» (Schriftsätze, Ladungen, Urteile etc.) produziert werden. Ohne verstärktenm IT-Einsatz wäre dies nicht möglich gewesen.
[29]
Im internationalen Vergleich wird von einer schlanken Justiz in Österreich gesprochen. Das Verhältnis von Berufsrichtern zu Einwohnern beträgt 19,9 (gerechnet auf 100.000 Einwohner); der Wert hat sich durch den stetigen Bevölkerungsanstieg in den letzten Jahren leicht reduziert.

4.2.

Geschäftsfälle ^

  1. Oktober 2011 2002 1992 1982
Gesamt 3.073.737 3.478.713    
Jv (LG)   107.450 93.918 100.371
Cg   34.696 53.369 112.435
Cga   24.955 18.071  
Cgs   29.469 19.037  
S   3.182 1.820 1.568
Sa   132 226 565
R   26.369 27.385 22.762
Ur   28.497 29.959 33.669
Hv   26.586 30.049 37.596
Bl   2.949 4.029 4.406
Jv (BG)   186.366 148.722 133.884
C alt   0 0 314.936
M   0 0 510.609
ADV-C   0 0 0
C   764.652 749.380 774.384
E (BG)   1.153.680 1.437.872 1.283.147
S, Sa   3.729 0 0
A   85.689 90.482 100.861
TZ ohne aTZ   625.480 812.444 697.155
aTZ   71.006 0 0
U   63.585 110.280 298.415
P   35.981 33.124 52.210

Tabelle 2: Geschäftsfälle der österreichischen Justiz

Legende:

 

Jv = Justizverwaltungssachen,

Cg = Rechtsstreitigkeiten in Zivilsachen bei den Landesgerichten,

Cga = Rechtsstreitigkeiten in Arbeitsrechtssachen,

Cgs = Rechtsstreitigkeiten in Sozialrechtssachen,

S = Konkursverfahren,

Sa = Ausgleichsverfahren,

R = Rechtsmittel in Zivilsachen bei den Landes- und Bezirksgerichten,

Ur = Strafsachen beim Untersuchungsrichter / bei der Ratskammer,

Hv = Strafsachen des Vorsitzenden oder Einzelrichters,

Bl = Rechtsmittel in Strafsachen bei den Landesgerichten,

M = Mahnverfahren,

ADV-C = Rechtsstreitigkeiten in Zivilsachen bei den Bezirksgerichten,

E = Exekutionsverfahren,

A = Verlassenschaftsverfahren,

TZ = Tagebuchzahlen im Grundbuch,

aTZ = amtliche Tagebuchzahlen im Grundbuch,

U = Strafsachen bei den Bezirksgerichten,

P = Pflegschaftssachen.

[30]

Die Geschäftszahlen sind daher im Zeitraum 2003 bis 2010 um 11,6% zurückgegangen.

[31]
Insgesamt ist – bezogen auf die wesentlich größere Bevölkerung – und – auch wesentlich – die größere Heterogenität durch mehr Sprachen und Kulturen – die Zahl der Beschäftigten leicht gesunken. In absoluten Zahlen ist die Zahl des A-wertigen Personals (Richter und Staatsanwälte) leicht gestiegen um die Zahl des B- und C-wertigen Personals (Rechtspfleger, Kanzlisten, Gerichtsvollzieher, Aktenträger etc.) wesentlich gesunken. In den letzten 20 Jahren ergab sich eine Reduktion von etwa 700 Posten. Berücksichtigt man auch die Personalreduktion in den 1980er Jahren, kann man davon ausgehen das etwa 1000 Posten an Unterstützungspersonal (vornehmlich C-wertiges Personal) eingespart wurde.
[32]

Unter Heranziehung der Kostensätze des Ministeriums für Finanzen15 ergibt sich der her eine Einsparung an Personal von über €39 Mill. pro Jahr.16

4.3.

Kommunikationskosten ^

[33]

Eine weitere Kostenersparnis ergibt sich bei den Kommunikationskosten. Die Portokosten konnten in den letzten 10 Jahren von €31 Mill. (2002) bzw. €34 Mill. auf €23 Mill. (2012) reduziert werden. Dies ergibt eine Kostenersparnis von etwa €8 Mill.; hier ist aber das Potenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Poststraße ist nunmehr mit etwa €17 Mill. der größte Kostenfaktor bei den Kommunikationskosten und hat die Summe der gerichtsinternen Postversandstellen bei weitem überflügelt.

4.4.

Personalmanagementsystem ^

[34]
Ein weiterer Aspekt der Kostenersparnis bzw. höheren Effizienz ergibt sich durch das stringente Personalmanagementsystem der Justiz. Sämtliche Aktivitäten von Richtern und Staatsanwälten werden in die EDV-Systeme eingepflegt und statistisch ausgewertet. Dadurch ergibt sich bei Begründungsaufwand für die jeweiligen Richter, wenn die Erledigungszahlen nicht den Standards entsprechen. Diese erhöhte Begründungsaufwand beeinträchtigt hat aber nicht die richterliche Unabhängigkeit, sorgt aber für Transparenz und Accountability des Justizsektors.

5.

Verlagerung von Arbeit an die Kunden der Justiz? ^

[35]
Bei den erheblichen Einsparungen an Unterstützungspersonal stellt sich die wesentliche Frage, ob nicht Arbeit an die Kunden der Justiz verlagert worden ist. Dies war wesentlicher Teil des Fragebogens und der Fokus-Interviews. Aufgrund der geringen Rücklaufquote kann nur ein Stimmungsbild vermittelt werden.
[36]
Die Art der Eingaben hat sich mit E-Justiz wesentlich gewandelt. Waren früher «freie Texte» die Hauptform, ergänzt durch Formulare, sind nunmehr strukturierte Texte (semantische Texte mit Intelligenz) die gewünschte Form der eingehenden Kommunikation. Der Vorteil für die Justiz ist evident: semantische Texte können automatisiert abgearbeitet werden; es ist nur mehr Fehlerkorrektur sowie Prozesskontrolle erforderlich.
[37]
Von Seiten der Kunden entsteht hingegen in der derzeitigen Übergangsphase von syntaktischer zu semantischer Dokumentproduktion ein Mehraufwand. Syntaktische Dokumente können gut diktiert und von Schreibpersonal in Reinschriften umgesetzt werden; auch der Einsatz von Diktiersoftware ist möglich. Semantische Dokumente sind schwer diktierbar; die Diktiersoftware ist noch nicht ausreichend entwickelt. Daher muss entweder qualifizierteres Personal eingesetzt oder die Arbeit von Juristen selbst erledigt werden. Beides ist mit Mehrkosten verbunden.
[38]
Meines Erachtens können aber diese Mehrkosten der Justiz nicht direkt zugerechnet werden. Der Wechsel zu semantischen Texten ist ein Muss der Wissensgesellschaft und bedarf wesentlicher Anpassungen in der Produktion von Dokumenten. Diesem Wandel muss man sich stellen; egal ob Anwendungen der E-Justiz eingesetzt werden oder nicht. Das Problem der Produktion semantischer Texte mit Intelligenz bei E-Justiz ist daher nur indikativ für eine weit wichtigere Herausforderung.
[39]
Ein kleines Beispiel soll dies illustrieren:17 Eine Mahnklage konnte früher – bei Verwendung einer Vorlage – in etwa zwei Minuten diktiert werden. Nunmehr muss das strukturierte Dokument entweder durch den Juristen selbst oder Fachpersonal erstellt werden. Der Zeitaufwand beträgt mindestens 10 Minuten (bei Einschulungsbedarf oft wesentlicher länger). War früher die Einleitung – bei vorhandenen Vorlagen – einfach, ist diese nun oft recht komplex und bedarf der Spezialkenntnisse. Der Schulungsaufwand geht zu Lasten der Nutzer; desgleichen die 5fach höheren Dokumenterstellungszeiten.
[40]

Gelegentlich werden die hohen (überhöhten) Gebühren für Grundbuchs- und Firmenbuchabfragen releviert.18 Die geringe Rückmeldequote auf den Fragebogen als auch die Fokus-Interviews lassen die Schlussfolgerung zu, dass diese Frage eher irrelevant ist. Die Gebühren fallen so oder so kaum ins Gewicht, wenn die anderen Aufwendungen, insbes. auch die Personalkosten berücksichtigt werden. Ein Ersuchen um Grundbuchauszug ist nunmehr in etwa 1–2 Minuten zu erledigen; früher waren die Wege zu Gericht, die Einschau, die Anfertigung von Kopien, deren Beglaubigung etc. reale Kostenfaktoren. Selbst bei Grundstücken vor Ort, d.h. bei Suche im Grundbuch des im gleichen Ort befindlichen Grundbuchs, war dies oft mit mehreren Stunden verbunden. Der Wechsel auf elektronische Bücher ist einfach so vorteilhaft für die Kunden, dass selbst – nach Ansicht einiger Kritiker – überhöhte Gebühren nicht ins Gewicht fallen. Es stellt sich aber die berechtigte Frage, wer diese wesentlichen Kostenvorteile bekommen soll. Der Kunde der Justiz oder auch, zumindest zum Teil, die Justiz selbst. Lösungen gibt es leider nicht dazu; die Public Sector Information-Richtlinie verweist nur auf Verhandlungen; der EuGH auf die Regelungshoheit des Mitgliedstaates. Daher dürfte es derzeit Sache der Parlamente sein, diese Frage zu beantworten. Hinsichtlich der E-Justiz in Österreich scheint ein vertretbarer Kompromiss zwischen Finanzierungsbedarf der Justiz und Weitergabe von Kostenvorteilen an die Kunden gefunden worden sein.

6.

Schlussfolgerungen ^

[41]
Die österreichische E-Justiz ist gut – im Hinblick auf die Kostenersparnisse sogar sehr gut. Die ursprüngliche Hypothese der Kostenneutralität von E-Justiz-Anwendungen hat sich nicht ganz bestätigt; es sind sogar wesentliche Einsparungen zu verzeichnen. Diese betreffen den Bereich des Personals als auch die Kommunikationskosten. Dazu scheinen die Kunden sehr zufrieden zu sein und die Kosten kaum ein Thema zu sein. Die Umfrage wurde nicht zur Thematisierung von offenen Fragen genutzt; bei den fokussierten Interviews konnten wenige detaillierte Daten erhoben werden. Daher ist von hoher Kundenzufriedenheit auszugehen. Die Kosten fallen wenig ins Gewicht; die Convenience der Anwendungen ist so gut, dass hier wesentliche Einsparungseffekte erzielt werden können. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die hohen Aufwendungen, insbesondere bei der Einführung von E-Justiz, aber auch die hohen laufenden Kosten durch Einsparungen und das Potenzial einer höheren Produktivität jedenfalls mehr als gerechtfertigt sind.
[42]
Martin Schneider hat wesentlichen Anteil an diesen Erfolgen. Was will man mehr als E-Justiz-Manager, als E-Justiz-Architekt? In diesem Sinne nochmals alles Gute und noch viele Schaffensjahre im Dienste der österreichischen Justiz, lieber Martin Schneider!

7.

Literatur ^

Beschluss 2009/316/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gemäß Artikel 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI, (ABl. L 93 vom 7. April 2009, S. 33) (2009).

 

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BMF, Kundmachung der Bundesministerin für Finanzen betreffend die Werte für den durchschnittlichen Personalaufwand, BGBl. II Nr. 85/2013 (2013).

 

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BMJ Bundesministerium für Justiz, IT Anwendungen in der österreichischen Justiz, Information. Stand: Oktober 2012, Eigenverlag, Wien (2012).

 

BMJ Bundesministerium für Justiz, IT Anwendungen in der österreichischen Justiz, Information. Stand: Oktober 2008, Eigenverlag, Wien (2008).

 

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EUR-Lex Website: http://eur-lex.europa.eu (zuletzt abgefragt: 15. November 2013) (2013).

 

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Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, Eine europäische Strategie für die e-Justiz, 30. Mai 2008, KOM(2008)329 (2008).

 

Europäisches Mahnverfahren Website: https://e-justice.europa.eu/content_european_payment_order_forms-156-de.do (zuletzt aufgerufen 15. März 2013); zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 936/2012 (2013).

 

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Schweighofer, E., Kummer, F., Hötzendorfer, W., Transformation juristischer Sprachen, Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2012, books@ocg.at, Wien 2012.

 

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Schweighofer, E., Rechtsinformatik, Folienskriptum mit Texten, Universität Wien (2013).

 

Schweighofer, E., Tschohl, C., Hötzendorfer, W., Schrems, M., International Data Exchange between Police Authorities. In: IRIS 2012, S. 541-548 (2012).

 

Stockholmer Programm: Das Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger; Amtsblatt Nr. C 115 vom 04. Mai 2010 S. 1 (2010).

 

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Verordnung (EU) Nr. 216/2013 über die elektronische Veröffentlichung des Amtsblatts der Europäischen Union, ABl. L 69 vom 13. März 2013, S. 1. (2013).

 

von Lucke, J., Geiger, C. P., Kaiser, S. Schweighofer, E., Wimmer, M.A., Auf dem Weg zu einer offenen, smarten und vernetzten Verwaltungskultur. Gemeinsame Fachtagung Verwaltungsinformatik (FTVI) und Fachtagung Rechtsinformatik (FTRI) 2012, GI-Edition Lecture Notes in Informatics, GI, Bonn 2012 (2012).


 

Erich Schweighofer, Leiter der Arbeitsgruppe Rechtsinformatik, Universität Wien, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Schottenbastei 10-16/2/5, 1010 Wien, Österreich, erich.schweighofer@univie.ac.at; http://rechtsinformatik.univie.ac.at.

  1. 1 Vgl. zu E-Justiz in Europa: Council of the EU 2010, Council of the EU 2009, Council oft he EU 2008, Europäische Kommission 2008, Stockholmer Programm 2010, Haager Programm 2005.
  2. 2 Vgl. zu E-Justiz und E-Government: Gottwald 2012, Schweighofer/Hötzendorfer 2012, Schweighofer/Tschohl/Hötzendorfer/Schrems 2012, Schweighofer 2010, Schweighofer 2004, Schweighofer/Liebwald 2003, BMJ 1997, BMJ 1993.
  3. 3 Judge, Senior Judical Reform & IT Expert; http://www.doryreiling.com.
  4. 4 Vgl. zur Rechtsinformatik: Schweighofer 2013, Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer 2013, Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer 2012, von Lucke/Geiger/Kaiser/Schweighofer/Wimmer 2012; Zeitschrift Jusletter IT (http://www.jusletter-it.eu).
  5. 5 OGH 2012, EuGH 2012, Feiler/Leitner 2011.
  6. 6 BMJ 2012, BMJ 2010.
  7. 7 CEPEJ 2010.
  8. 8 Verordnung 1896/2006.
  9. 9 Verordnung 861/2007.
  10. 10 Vgl. die einschlägigen Websites; angeführt im Literaturverzeichnis.
  11. 11 Schneider et al. 2011; Website e-CODEX.
  12. 12 BMJ 2012, BMJ 2010, Anfragen an Thomas Gottwald, Oberstaatsanwalt (Hier darf Dank für die prompte Beantwortung ausgesprochen werden!).
  13. 13 Vgl. Fn. 7.
  14. 14 Dissertation Gottwald, 69 ff.
  15. 15 BGBl. II Nr. 85/2013.
  16. 16 Kostenansatz für LVVF0 VB-VD-Fachdienst v3; c; h1, p1 1.680 €39.123 pro Jahr.
  17. 17 Danke an Dieter Zoubek für dieses Beispiel.
  18. 18 Vgl. dazu den «Prozesscluster» Compass Verlag v. Republik Österreich., insbes. OGH 16Ok4/12, 11. Oktober 2012, EuGH C-138/11, Compass, 12. Juli 2012; zur Übersicht: Fellner/Leitner 2011.