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«TosiT» – Werkzeugkasten für offene gesellschaftliche Innovation zur Kooperation zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft

  • Authors: Celin Raffl / Jörn von Lucke
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015, Top 10 – Peer Reviewed Jury LexisNexis Best Paper Award of IRIS2015
  • Citation: Celina Raffl / Jörn von Lucke, «TosiT» – Werkzeugkasten für offene gesellschaftliche Innovation zur Kooperation zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, in: Jusletter IT 26 February 2015
Wie können Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und gleichermaßen von den Impulsen verschiedener Akteure profitieren? Wie kann das Prinzip der offenen Innovation «gesellschaftlichen» Mehrwert schaffen? Von Juni 2012 bis Dezember 2014 widmete sich ein Team von Forschern aus Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz genau diesen Fragen im Rahmen des grenzüberschreitenden Forschungsprojektes «eSociety Bodensee 2020 – Offene gesellschaftliche Innovation in der Bodensee-Region». Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse des Forschungsprojektes zusammen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Mit offener gesellschaftlicher Innovation (OGI) zur eSociety
  • 2. Identifikation «relevanter» Akteure und Analyse der Anforderungen an offene gesellschaftliche Innovation
  • 3. Leuchtturmprojekte für offene gesellschaftliche Innovation
  • 4. TosiT – The Open Societal Innovation Toolbox
  • 5. Resümee und Ausblick: Offene gesellschaftliche Innovation für die eSociety
  • 6. Literatur

1.

Mit offener gesellschaftlicher Innovation (OGI) zur eSociety ^

[1]
«Offene gesellschaftliche Innovation bezeichnet die Adaption und anschließende nachhaltige Nutzung geeigneter betriebswirtschaftlicher Open Innovation-Ansätze zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen durch Staat und Gesellschaft. Besonders erstrebenswert ist die Schaffung einer Innovationskultur, welche alle gesellschaftlichen Akteure gleichermaßen anspricht, diese mit einschließt und so deren Innovationspotenzial für das Gemeinwesen und die gesamte Bodensee-Region verfügbar macht» [von Lucke et al. (2012), online]. So lautete die Prämisse des Forschungsvorhabens «eSociety Bodensee 2020 – Offene gesellschaftliche Innovation in der Bodensee-Region», dessen Ergebnisse Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind.
[2]
Ausgangsbasis der Überlegung sind einerseits Veränderungen in der Gesellschaft durch die zunehmende Durchdringung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in sämtlichen Bereichen des Lebens hin zu einer «eSociety»: eBusiness, eBanking, eLearning und eDemocracy sind dabei nicht nur Schlagworte, sondern Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft, die mit modernen IKT in sämtlichen Lebenslagen umzugehen versteht und sich die entsprechenden Kenntnisse zur Nutzung angeeignet hat. Gleichzeitig verändern sich auch Staat und Verwaltung. Sie öffnen sich und werden zunehmend transparent und bürgernah. Neue Großprojekte werden immer häufiger inklusive einer Bürgerbeteiligungsmaßnahme geplant, selbst wenn zunächst droht, dass die Verfahren dadurch verlängert werden. Im sich öffnenden Staat wandelt sich die Interaktion zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Bürger werden mehr und mehr in die öffentliche Aufgabenwahrnehmung miteinbezogen. Sie machen auch von sich aus mit und bringen sich in ihre Kommune ein. Per App melden sie störende Schlaglöcher oder ausgefallene Straßenlaternen, so dass diese Mängel rasch behoben werden können. Anregungen und konstruktive Vorschläge für Verbesserungen durch die Bürger werden zunehmend über offene Veranstaltungen, aber auch über digitale soziale Netzwerke eingebracht. Und gerade in den Bereichen der Bildung, Kunst, Kultur, Sport und Erholung finden sich viele engagierte Akteure, die mit ihren Impulsen einen wesentlichen Beitrag für die Weiterentwicklung und Verbesserung ihrer Kommunen leisten können. An Ideen, Wünschen und Vorschlägen von ganz unterschiedlichen Akteuren mangelt es kaum. Doch wie kann die Innovationskraft sämtlicher gesellschaftlicher Akteure – aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft – nachhaltig freigesetzt und konstruktiv genutzt werden? Wie können diese Akteure mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien zusammenarbeiten, um sich gemeinsam den gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen? Welche IT-Werkzeuge, Software-Programme, Webportale, Plattformen und mobile Apps stehen dafür heute schon zur Verfügung?
[3]
Im Zentrum des Projektes stand die Frage, wie offene Innovation zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen in der Vierländer-Region Bodensee beitragen kann. Offene gesellschaftliche Innovation (OGI) beschreibt dabei die Anwendung des in der Betriebswirtschaft gängigen Ansatzes der offenen Innovation in Staat und Gesellschaft mit dem Ziel gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Spezieller Software, Plattformen oder mobilen Applikationen kommt im Kontext offener Innovation auch im betriebswirtschaftlichen Kontext ein wichtiger Stellenwert zu. Bestimmte Anwendungen ermöglichen die Zusammenarbeit von Akteuren zur Organisation, Koordination und gemeinsamen Lösung spezieller Aufgaben in großen, verteilten Gruppen. In Politik und Verwaltung lässt sich eine Reihe an Formaten ausmachen, die die Bürger zum Kommentieren und Mitmachen einladen. Dazu zählen etwa Bürgerforen, Anhörungen oder Zukunftskonferenzen. Doch eröffnen sich über das Internet hier auch neuartige Ansätze, die es den unterschiedlichen Akteuren erlauben sich einfach und mit relativ geringen Einstiegsbarrieren mit innovativen Ideen und Verschlägen einzubringen und mit ihren Impulsen einen wesentlichen Beitrag mit gesellschaftlichem Mehrwert zu leisten.
[4]
In der Umsetzung des Forschungsvorhabens stand neben der Identifikation relevanter Akteure auch die Analyse ihrer Anforderungen hinsichtlich der Umsetzung offener gesellschaftlicher Innovation. In diesem Zusammenhang wurden auch Leuchtturmprojekte in der Region identifiziert und evaluiert sowie eigene Pilotprojekte angestoßen. Ein Schwerpunkt der Forschungstätigkeiten lag in der systematischen Erhebung und strukturierten Evaluierung jener bereits marktreifen Plattformen, Applikationen und Software (OGI-Werkzeuge), die sich zur Umsetzung offener gesellschaftlicher Innovationsprojekte (OGI-Projekte) besonders eignen. Der vorliegende Tagungsbeitrag fasst in dieser Reihenfolge die Ergebnisse des Forschungsprojektes zusammen.

2.

Identifikation «relevanter» Akteure und Analyse der Anforderungen an offene gesellschaftliche Innovation ^

[5]
Zunächst wurden im Rahmen des Forschungsprojektes relevante Akteure in der Bodensee-Region identifiziert. In Innovationsprozessen lassen sich eine Reihe unterschiedlicher Akteure ausmachen, die eine bestimmte Rolle einnehmen. Entwicklungen sowohl im Bereich der Innovationsforschung wie auch in der gestaltungsorientierten Technik(genese)forschung betonen die Notwendigkeit, potentielle Kunden oder Nutzer in den Innovations- und Gestaltungsprozess miteinzubeziehen. Zur vollen Ausschöpfung des Potentials von OGI ist es erforderlich, sich über relevante Akteure, ihre möglichen Rollen und die Bedürfnisse tatsächlicher und potentieller Beteiligter klarzuwerden. Als «relevant» werden dabei jene Akteure und Gruppen eingestuft, die ein Interesse oder eine Erwartung an eine erfolgreiche Projektdurchführung haben. Dies umfasst Personen innerhalb eines Projekts, wie Ideengeber, Beitragende und Umsetzende, sowie Personen außerhalb des Projektes, wie Betroffene oder eine Gemeinschaft. Im Kontext offener gesellschaftlicher Innovation zählen zu den «relevanten Akteuren» Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung, engagierte Bürger, die als Treiber innovative Projekte initiieren und voranbringen, sowie Organisationen wie etwa Kultur- und Sportvereine, Bildungseinrichtungen, Hochschulen und (regionale) Unternehmen.

Abbildung 1: Rollen im Innovationsprozess (eigene Darstellung der Autoren) 

[6]
Zudem wurde neben der Identifikation «relevanter Akteure» auch eine Zuweisung in Rollen vorgenommen, die diese Akteure im Laufe offener Innovationsprojekte einnehmen können (Abbildung 1). Dazu zählen neben dem Auftrag- oder Ideengeber auch Impulsgeber (etwa die Betreiber von Plattformen und Software, Moderatoren in Online-Communities, Beitragende) und Entscheider, die aus einer möglichen Fülle eingebrachter Ideen das geeignetste Projekt auswählen, zum Beispiel hinsichtlich Umsetzbarkeit, Finanzierbarkeit oder gesellschaftlichen Nutzens. Schließlich spielen in einem offenen Innovationsprozess Akteure auch in ihrer Funktion als Ausführende oder Begünstigte eine wesentliche Rolle. Berichterstatter können den gesamten Innovationsprozess begleiten und über ein Projekt berichten oder sich sporadisch zu Wort melden. Zudem sollte ein offener gesellschaftlicher Innovationsprozess auch einem ständigen Monitoring unterliegen und durch Gutachter oder Bewerter laufend begleitet werden. Wesentlich für offene gesellschaftliche Innovationsprojekte ist, dass bestimmte Akteure innerhalb eines Projektes nicht nur eine, sondern gleich mehrere bis alle Rollen übernehmen können.
[7]
Ausgehend von dieser Akteursanalyse wurden offene innovative Projekten mit gesellschaftlichem Mehrwert in der Bodensee-Region identifiziert. Diese werden im nächsten Abschnitt kurz vorgestellt und evaluiert. Mit den Ideengebern und Treibern dieser Leuchtturmprojekte wurden Anforderungen an offene gesellschaftliche Innovation ausgearbeitet. Dazu folgten zwischen Winter 2012 bis Sommer 2014 Interviews mit Initiatoren und Auftraggebern ausgewählter guter Praxisbeispiele zu ihren Erfahrungen mit offenen Innovationsprojekten. Die Anforderungsanalyse der am meisten diskutierten Themen ergab Folgendes: (1) Motivation: OGI-Projekte sind keine Selbstläufer. Häufig stellt es sich als schwierig heraus, eine kritische Masse an Beteiligten zu mobilisieren – sowohl auf Seiten der Organisatoren als auch auf Seiten der Bürger. (2) Prozess: Der Prozess eines OGI-Projektes von der Ideengenerierung über die Erstellung und Bewertung von Konzepten bis hin zur Umsetzung muss vor Projektstart klar durchdacht und definiert werden und den Teilnehmern auch regelmäßig transparent kommuniziert werden. (3) Kultur: Auf Seiten der Ideengeber und Organisatoren offener gesellschaftlicher Innovationsprojekte stellt sich die Frage, ob grundsätzlich gewünscht wird externes Wissen und Kompetenzen von außen einzubinden. Als weiteres zentrales Thema werden (4) Ressourcen aufgeworfen oder vielmehr die Herausforderung mit geringen finanziellen und personellen Ressourcen haushalten zu müssen. Schließlich sind offene gesellschaftliche Innovationsprojekte nur in den seltensten Fällen in den Stellenplänen und Budgets verankert.

3.

Leuchtturmprojekte für offene gesellschaftliche Innovation ^

[8]
Wie bereits diskutiert, wurden im Zuge der Akteursanalyse auch Beispiele identifiziert, die über das Prinzip der offenen Innovation auf gesellschaftlichen Mehrwert zielen. International gibt es eine Reihe bemerkenswerter Beispiele und Projekte, die, natürlich ohne es als «offene gesellschaftliche Innovation» zu bezeichnen, sich genau diesem Prinzip verschrieben haben. Exemplarisch können dafür die folgenden Projekte und Initiativen angeführt werden: Der GeoVation Challenge der Vermessungsverwaltung in Großbritannien (https://www.geovation.org.uk/geovationchallenge); Projekte im Rahmen von nationalen Open Government Initiativen, die «Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft» (EIdG: https://www.bundestag.de/internetenquete)1; der «Dialog über Deutschlands Zukunft» von Bundeskanzlerin Angela Merkel (https://www.dialog-ueber-deutschland.de) und die beiden Initiativen der Open Knowledge Foundation (https://okfn.org) «Apps & the City» (http://appsandthecity.net) sowie dem weltweiten Vorhaben «Open Spending» (https://open-spending.org).
[9]
Im Rahmen des Forschungsprojektes «eSociety Bodensee 2020» wurden folgende Leuchtturmprojekte identifiziert und evaluiert2: (1) Die Initiative eZürich (http://www.ezuerich.ch), die über einen offenen Ideenwettbewerb Vorschläge für die Stadt Zürich als IKT-Standort sammelte, evaluierte und anschließend teilweise umsetzte sowie (2) Züri wie neu (https://www.zueriwieneu.ch), der Schlaglochmelder auf Fix-my-Street-Basis, der als Vorschlag eines Zürcher Bürgers aus dem Ideenwettbewerb eZürich hervorging. (3) Die Plattform MySG (http://www.mysg.ch) der Stadt St. Gallen, die zur Meinungsbildung und Diskussion mit der lokalen Bevölkerung genutzt wird, sowie (4) der gemeinsame Bürgerhinweis-Service der Stadt Friedrichshafen und des Bodenseekreises Sags Doch (http://www.sags-doch.de). (5) Das Walgau Wiki (http://www.wiki.imwalgau.at) des Vereins Regio im Walgau und (6) das Bürgerwiki Bodensee (http://www.buergerwiki.net) des Stadtwiki Friedrichshafen e.V. Solche Wikis können Bürger nutzen, um lokales Wissen über die Geographie, die Küche, die Geschichte einer Stadt oder Region mit Dokumenten aus privaten Haushalten (wie Fotografien, Karten, Programmhefte oder ähnliches) zu sammeln, zu sichern, zu korrigieren und weiterzugeben. (7) Open Data Bodenseekreis wurde ebenfalls evaluiert, wie auch (8) der Ideenkanal (http://www.ideenkanal.com), einer neuartigen Form eines Ideenwettbewerbs, der engagierten Bewohnern einer Region, die kreative Ideen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen haben, Hilfestellung bei der Ideenformulierung und Umsetzung bietet.
[10]
Zudem wurden von den beteiligten Projektpartnern auch weitere Pilotprojekte initiiert, die ebenfalls evaluiert wurden. Dazu zählen (1) Du bisch dra! (http://www.facebook.com/dubisch.dra), ein Ideen- und Kreativwettbewerb, bei dem in der Liechtensteinischen Bevölkerung zur gemeinsamen Gestaltung des Landesmuseums der Zukunft aufgerufen wurde und dem Folgeprojekt (2) Liechtenstein Moments (http://www.livewall.co/kiosk/limo), einer «crowdgesourcten» Ausstellung, die sich das Social Media-Verhalten der Bevölkerung zunutze macht. Ein weiteres Pilotprojekt (3) ist die Mapping-Aktion bodensee | barrierefrei (http://bodenseebarrierefrei.wordpress.com), die auf Basis der Wheelmap-App dazu aufrief, gleichzeitig öffentliche Orte in Lindau, Konstanz, St. Gallen und Friedrichshafen auf ihre Rollstuhltauglichkeit hin zu bewerten mit dem Ziel auf das Thema Integration und Barrierefreiheit aufmerksam zu machen. Auch aus dem Forschungsprojekt selbst entsprang ein weiteres Pilotprojekt (4): der Logo-Wettbewerb rund um die Erstellung eines Logos sowohl für das Forschungsprojekt (zum Prozess und den Ergebnissen siehe http://esocietybodensee2020.wordpress.com/2013/03/06/logowettbewerb), als auch für die TosiT-Datenbank (siehe http://www.tosit.org). Ein weiteres Pilotprojekt zum Thema E-Partizipation für Kinder und Jugendliche (5) konnte in der Gemeinde Grabs im St. Galler Rheintal lanciert werden und befindet sich derzeit in der Konzeptionsphase.
[11]

Die Evaluierung sowohl der Leuchtturmprojekte aus der Region als auch der Pilotprojekte, die seitens des Forschungsteams durchgeführt wurden, folgte dabei einem einheitlichen Schema, das neben Projektnamen, Dauer, Ziel/Motiv und Einsatzbereich auch mögliche Alternativen erhob, sowie Informationen hinsichtlich der Umsetzung, der geeigneten Innovationsphase und dem Grad der Interaktion Auskunft gibt. Auch mögliche Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken eines jeden Projektes wurden erhoben. Darauf aufbauend wurde eine allgemeine Bewertung für OGI-Projekte vorgenommen, aus der schließlich Empfehlungen für die Umsetzung eigener Projekte abgeleitet wurden (Zusammenfassung siehe Tabelle 1):

Wann eignen sich OGI-Projekte?
  • Zum Einholen neuer Ideen
  • Wenn die Zusammenarbeit zwischen Bürgern & Verwaltung/Politik gewünscht wird
Wann eignen sich OGI-Projekte nicht?
  • Wenn es mit der Ideenumsetzung nicht ernst gemeint ist («Scheinpartizipation»)
  • Bei politisch «heiklen» Themen
Zu beachten/zu berücksichtigen
  • (Fast) jede Idee benötigt personelle & finanzielle Ressourcen zur Umsetzung
  • Kritische Masse an Interessierten erforderlich (Community/ Crowd)
Empfehlung
  • Rechtzeitig an die Finanzierung denken
  • Unterstützung der Presse suchen
  • Austausch & Zusammenarbeit mit ähnlichen/anderen Projekten suchen

Tabelle 1: Empfehlungen zur Umsetzung von OGI-Projekten

[12]

Es lässt sich festhalten, dass sich OGI-Projekte zur Umsetzung immer dann eignen, wenn die Zusammenarbeit zwischen Bürgern und der Verwaltung (oder der Politik) ausdrücklich gewünscht wird und wenn neue Impulse und Ideen eingeholt werden sollen. Weniger empfehlenswert ist eine solche Herangehensweise bei politisch heiklen Themen. Unbedingt abzuraten ist von der Initiierung von Projekten hingegen, wenn eine Ideenumsetzung nicht realisierbar ist (etwa aufgrund absehbar mangelnder Ressourcen), oder wenn die gewonnen Impulse nicht ernst genommen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der Ideen personelle und finanzielle Ressourcen binden wird, weshalb rechtzeitig an eine Finanzierung gedacht werden muss, oder besser noch rechtzeitig eine entsprechende Budgetierung in den Haushaltsplänen vorgenommen werden sollte. Die Erfahrungen aus den Projekten zeigte, dass eine erfolgreiche Umsetzung – gerade auf lokaler Ebene – durchaus auch von der Unterstützung der regionalen Presse lebt. Darüber hinaus ist es ratsam, sich mit Impulsgebern und Initiatoren ähnlicher Projekte auszutauschen. 

4.

TosiT – The Open Societal Innovation Toolbox ^

[13]

Ein weiterer Schwerpunkt der Forschungstätigkeit im Rahmen von «eSociety Bodensee 2020» lag in der strukturierten Erfassung und systematischen Evaluation der Werkzeuge, die offene gesellschaftliche Innovation befördern können. Im Kontext offener Innovation, insbesondere im betrieblichen und privatwirtschaftlichen Umfeld, stehen eine Fülle an Plattformen, Software und Applikationen zur Verfügung. Doch welche davon eignen sich für die Realisierung innovativer Projekte in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft? Und für welche Aufgaben davon gilt dies ganz besonders? Die Ergebnisse dieser Recherchen wurden zusammengefasst und in einem frei zugänglichen Katalog, der «TosiT» (The Open Societal Innovation Toolbox), die unter http://www.tosit.org bereitgestellt wird. 

[14]

Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollen so einen einfachen und strukturierten Zugang auf die Fülle vorhandener Angebote haben, auf die sie für die Umsetzung innovativer Vorhaben zurückzugreifen können. Insgesamt wurden rund 170 Werkzeuge in verschiedenen Kategorien erhoben, die nach unterschiedlichen Klassen und Kategorien gefiltert werden können, etwa nach dem Grad der gewünschten Interaktion (Information, Kommunikation, Koordination oder Kollaboration) oder dem Fortschrittsstand innerhalb eines Vorhabens (Idee, Konzept, Konzeptbewertung und -selektion sowie Umsetzung). Schließlich variiert das Einsatzspektrum für die Werkzeuge in den Phasen der Ideenfindung, der Konzeptentwicklung, der Konzeptbewertung und -selektion sowie der Umsetzung. Das variiert auch, wenn der Wunsch besteht, mit anderen Akteuren zusammenzuarbeiten, sie zu koordinieren oder sie informieren zu wollen. Auch Informationen zur Verfügbarkeit der Werkzeuge, ob als eigens programmierte Software, als Cloud-Lösung oder mit Unterstützung von Intermediären, sowie weiterführende Zusatzinformationen (wie Kurzbeschreibung oder Anwendungsbeispiele) sind zu jedem Dienst hinterlegt. 

[15]

Darüber hinaus wurden Werkzeuge in acht Kategorien erhoben, nach denen ebenfalls sortiert werden kann. Zur Unterstützung von Innovationsprozessen sind sowohl innerbetriebswirtschaftlich wie verwaltungstechnisch zahlreiche Werkzeuge des Innovationsmanagements bekannt. Diese waren jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Der Fokus lag vielmehr auf jenen IKT-Werkzeugen, die den besonderen Aspekt der Offenheit sowie des gesellschaftlichen Mehrwerts gleichermaßen berücksichtigten. Sie entstanden in einem iterativen Prozess nachstehende acht Werkzeugklassen, die hier nur kurz beschrieben werden sollen3. Tabelle 2 bietet einen Überblick zu den OGI-Werkzeugklassen, eine kurze Beschreibung des Einsatzgebietes sowie ausgewählte Anwendungsbeispiele. 

[16]

Erfasst wurden erstens Werkzeuge zur Sammlung und Bewertung von Ideen und Vorschlägen. Hierzu zählen Software, Cloud-Plattformen und mobile Apps zum Ideenmanagement, zum kooperativen Mindmapping und zum gemeinsamen Brainstorming. In der zweiten Kategorie finden sich Werkzeuge, die das Sammeln von Problemen, Anliegen und Beschwerden erleichtern. Dazu zählen etwa Mängelmelder und Schlaglochmelder. Drittens wurden Angebote erfasst, die das gemeinsame Lösen konkreter Probleme erleichtern. In diesem Zusammenhang sind Kollaborationsplattformen, Expertengemeinschaften, Ehrenamtsportale und Freiwilligenbörsen zu erwähnen. Viertens wurden Werkzeuge zur gemeinsamen Gestaltung von Objekten und Artefakten zusammengetragen. Im Prinzip geht es dabei um die kreative Gestaltung von Inhalten, Beiträgen, Logos und sonstigen Objekten, die entweder kollaborativ oder im Wettbewerb angelegt sind. Hierzu zählen etwa Ideenplattformen, Designplattformen und Designwettbewerbe. Zur fünften Gruppe gehören Werkzeuge, die den gesamten Innovationsprozess organisieren und diesen professionell unterstützen, von der Ideenfindung über Bewertung und Selektion der Ideen bis zur Umsetzung. Die nächste Kategorie umfasst Plattformen zur Speicherung von offenen Daten, öffentlichen Informationen und freier Software. Hierbei handelt es sich um Register, Datenkataloge, Datenbanken, Datenportale, kollaborative Textverarbeitungen, Dokumentensafes, kollaborative Geoinformationssysteme, Software-Repositories und Open Source-Portale, die auch im Kontext von Big Data, Linked Data und Open Data eingesetzt werden können. In der siebten Kategorie «Zukunftsfragen» werden Werkzeuge zur gemeinsamen Erstellung von Prognosen oder Trends zusammengefasst, etwa Foresight-Prozesse und das Social Forecasting, bei denen das Wissen einer Gruppe genutzt wird, um künftige Entscheidungen und Ereignisse gedanklich vorwegzunehmen und Organisationen in ihren strategischen Entwicklungen zu unterstützen. Darüber hinaus sind in der TosiT-Datenbank auch die gängigen Web 2.0-Plattformen erfasst, die sich durch einfache Erweiterungen oder gezieltem Einsatz auch zu Durchführung von offenen gesellschaftlichen Innovationsprozessen eignen. Denkbar wären zum Beispiel Foto- oder Kurzfilmwettbewerbe über entsprechende Bild- oder Videoplattformen (etwa Flickr, Pinterest oder Youtube). Add-ons und Plug-ins über Facebook ermöglichen Wettbewerbe und unterstützen Organisatoren in der Evaluierung der Einreichungen.

 

Werkzeugklasse Kurzbeschreibung Anwendungsbeispiele
Ideen
  • Werkzeuge zum gemeinsamen Sammeln und Bewerten von Ideen
  • Ideen- und Innovationsplattformen
  • Atizo Community
  • DialogueApp
  • IdeaScale
Problemsammlung
  • Werkzeuge zum Melden von Problemen, Schäden & Beschwerden
  • Mängel- & Schlaglochmelder
  • Sag’s doch
  • Schau auf Dornbirn
  • Züri wie neu
Problemlösung
  • Werkzeuge zur Lösung konkreter Probleme durch große, verteilte Gruppen & Expertennetzwerke
  • Ehrenamts- & Freiwilligenbörsen
  • Freiwilligenbörsen in Friedrichshafen & Ravensburg
  • OneBoat
  • StreetBumpApp
Design
  • Werkzeuge zur gemeinsamen Gestaltung von Artefakten
  • Ideen- & Kreativwettbewerbe
  • eSociety- & TosiT-Logo
  • EuroCoin Competition
  • Logo für Liechtenstein
Innovationsmanagement
  • Unterstützung des gesamten Innovationsprozesses: Idee bis Umsetzung
  • Innovationsplattformen
  • Aufbruch Bayern
  • Denk mit! (Kanton Aargau)
  • Amsterdam Opent
Daten
  • Plattformen zur Zusammenführung, Bereitstellung & Analyse von Daten
  • Kartenmaterial & Datenspeicher
  • Map-it Ulm
  • Service-bw
  • Wheelmap
Zukunftsfragen
  • Methoden, Prozesse & Werkzeuge zur langfristigen und strategischen Zukunftsforschung
  • BMBF Foresight-Prozess
  • Foresight-Platform EU
  • Zukunftsdialog
Soziale Medien
  • Werkzeuge zur gemeinsamen Erstellung, Bewertung, Kommentierung & Verbreitung medialer Inhalte
  • Kurzfilmwettbewerb: «Dein Bayerischer Untermain»
  • Liechtenstein Moments

Tabelle 2: OGI-Werkzeugklassen, Beschreibung & Anwendungsbeispiele

5.

Resümee und Ausblick: Offene gesellschaftliche Innovation für die eSociety ^

[17]

Offene gesellschaftliche Innovation bietet eine Reihe an Chancen und Stärken, die möglichen Schwächen und Risiken gegenübergestellt werden müssen und an dieser Stelle nur kurz andiskutiert werden können. Grundsätzlich eignet sich OGI immer dann, wenn neue Impulse und/oder neue Impulsgeber gesucht werden und deren Ideen und Vorschläge auch umgesetzt werden können. Offenheit und Zusammenarbeit bei Problemfindung und -lösung sind zentrale Stärken.

 

Stärken
Schwächen
  • Offene Herangehensweise zur gemeinsamen Problemlösung
  • Neue Impulse und Impulsgeber
  • Kosten, Zeitaufwand, Personalbindung
  • Bewertung und Selektion erforderlich
  • Masse & Vielfalt eingehender Ideen
Chancen
Risiken
  • Abbau von Politikverdrossenheit
  • Kreatives Umfeld mit richtigen Fragestellungen und passenden Werkzeugen
  • Instrumentalisierung & Missbrauch durch organisierte Interessengruppen
  • Bedeutungsverlust bisheriger Akteure

Tabelle 3: Bewertung von offener gesellschaftlicher Innovation

[18]

Hinsichtlich der Risiken ist festzuhalten, dass die Gefahr besteht, dass bisherige Politakteure eine Schwächung ihrer Position fürchten. Das stellt einen zentralen Nachteil dieser Form von Innovation dar. Im Gespräch mit Initiatoren vieler Initiativen zeigte sich, dass sich die meisten Projekte nur umsetzen lassen, wenn der politische Wille diesbezüglich bereits artikuliert wurde und entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Und der Aufwand bei der Umsetzung von OGI-Projekten ist mitunter groß und bindet personelle wie finanzielle Ressourcen. Das beginnt bereits bei der Bewertung und Selektion der Vorschläge bis hin zur eigentlichen Umsetzung der Ideen, insbesondere dann, wenn eine Masse und Vielfalt an Vorschlägen, Empfehlungen oder gar Forderungen seitens externer Akteure eingebracht werden. Dabei können auch eine einseitige Instrumentalisierung und ein Missbrauch durch organisierte Interessengruppen drohen. Im Gegenzug bietet OGI allerdings die Möglichkeit eben genau jene Bürger einzubinden, die sich für politische Prozesse und Entscheidungen interessieren. Dies kann längerfristig zum Abbau von Politikverdrossenheit führen. OGI birgt das Potential echte Innovationen anzuregen, ausgewogene Meinungsbildung durch Integration vielfältigster Akteure zu schaffen und durch die gemeinsame Gestaltung von Lösungen auch für mehr Akzeptanz von politischen Entscheidungen führen. So kann OGI zur Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen werden. OGI-Werkzeuge ermöglichen dabei die Kooperation zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. 

6.

Literatur ^

Raffl, Celina/von Lucke, Jörn/Müller, Oliver/Zimmermann, Hans-Dieter/vom Brocke, Jan, TosiT – The Open Societal Innovation Toolbox. Werkzeuge für offene gesellschaftliche Innovation, TOGI-Schriftenreihe, Band 10, ePubli, Berlin (2014a). ISBN: 978-3-7375-1657-0.

Raffl, Celina/von Lucke, Jörn/Müller, Oliver/Zimmermann, Hans-Dieter/vom Brocke, Jan, Handbuch für offene gesellschaftliche Innovation, TOGI-Schriftenreihe, Band 11, ePubli, Berlin (2014b). ISBN: 978-3-7375-2027-0.
von Lucke, Jörn/Herzberg, Johann/Kluge, Ulrike/vom Brocke, Jan/Zimmermann, Hans-Dieter, Offene gesellschaftliche Innovation – Die Seealemannische Definition (Stand: 15. September 2012). In: Website des Forschungsprojektes «eSociety Bodensee 2020» (Hrsg.). http://esocietybodensee2020.wordpress.com/publikationen/offene-gesellschaftliche-innovation-die-seealemannische-definition aufgerufen 8. Dezember 2014 (2012).


 

Celina Raffl, Akademische Mitarbeiterin, Zeppelin Universität, The Open Government Institute (TOGI), Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen, DE, celina.raffl@zu.de; http://togi.zu.de

 

Jörn von Lucke, Professor, Zeppelin Universität, Direktor des The Open Government Institute (TOGI), Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen, DE, joern.vonlucke@zu.de; http://togi.zu.de

 

Gefördert wurde das Projekt aus Mitteln der Internationalen Bodensee-Hochschule (IBH). In einem grenzüberschreitenden Forschungsteam arbeiteten die Projektpartner der Zeppelin Universität rund um Prof. Dr. Jörn von Lucke (Projektleitung) und Mag. Celina Raffl (Projektkoordination und -durchführung), unterstützt von bis zu sieben wissenschaftlichen Hilfskräften, zusammen mit Dr. Oliver Müller und Prof. Dr. Jan vom Brocke von der Universität Liechtenstein sowie Dr. Hans-Dieter Zimmermann von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in St. Gallen (FHS St. Gallen).

 

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung der Projektergebnisse des Forschungsprojektes «eSociety Bodensee 2020 – Offene gesellschaftliche Innovation in der Bodensee-Region». Eine Übersicht der verwendeten Literatur der Kapitel und Abschnitte findet sich in den Abschlussberichten [Raffl et al. (2014a;b)].

  1. 1 Die EIdG ist inzwischen abgeschlossen und die Inhalte sind archiviert. Für weitere Informationen siehe http://webarchiv.bundestag.de.
  2. 2 Auf eine ausführliche Vorstellung und Evaluierung der einzelnen Projekte wird an dieser Stelle zugunsten einer gemeinsamen Evaluierung von offenen gesellschaftlichen Innovationsprojekten verzichtet. Diese kann im «Handbuch für offene gesellschaftliche Innovation» [Raffl et al. (2014b)] nachgelesen werden.
  3. 3 Eine genaue Erklärung der einzelnen Werkzeugklassen sowie die Beschreibung ausgewählter Anwendungsbeispiele sind im «Handbuch für offene gesellschaftliche Innovation» [Raffl et al. (2014b)] nachzulesen.