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E-Democracy und demografischer Wandel Gibt es da Zusammenhänge?

  • Author: Dagmar Lück-Schneider
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Dagmar Lück-Schneider, E-Democracy und demografischer Wandel Gibt es da Zusammenhänge?, in: Jusletter IT 26 February 2015
Die Einbindung von Menschen in staatliche Entscheidungsprozesse über elektronische Medien sollte für alle Bürger und Bürgerinnen eines Landes gleichermaßen gut möglich sein. In den nächsten Jahrzehnten wird sich in Deutschland ein dramatischer demografischer Wandel ereignen. Es ist nahe liegend, die Frage zu stellen, ob hieraus auch Auswirkungen für E-Democracy zu erwarten oder zu fordern sind, insbesondere für den zu E-Democracy zu rechnenden Aspekt der elektronischen Teilhabe (E-Participation) und welche Konsequenzen sich hieraus für die Verwaltungsinformatitk ergeben. Basierend auf Literaturrecherchen werden eigene Thesen aufgestellt bzw. Schlussfolgerungen gezogen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Demografischer Wandel in Deutschland
  • 2. E-Democracy
  • 3. Zusammenhänge
  • 3.1. Literaturfunde
  • 3.2. Eigene Thesen und Ableitungen
  • 4. Handlungsbedarfe für die Verwaltungsinformatik
  • 5. Abschlussbemerkung
  • 6. Literatur

1.

Demografischer Wandel in Deutschland ^

[1]
Die sich in Deutschland schon seit etlichen Jahren abzeichnenden umfassenden demografischen Veränderungen sind durch hierzu immer wiederkehrende Presse-Beiträge allgegenwärtig. Vor allem rücken immer wieder die sich hieraus ergebenen finanziellen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme ins Blickfeld [Bergmann u. a. (2012), 372]. Dieser Blickwinkel ist auch in der im Auftrag der Bundesregierung 2012 angefertigten Studie zu den Herausforderungen des demografischen Wandels vorherrschend [Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011)]. Hervorgehoben werden sollen hier die dort dargestellten, für unsere Fragestellung besonders relevanten folgenden prognostizierten Veränderungen: a) eine rückläufige Bevölkerungszahl, b) eine steigende Lebenserwartung, c) längere gesunde Lebensphasen, d) ein Rückgang der Erwerbspersonen.
[2]
Diese werden in der angegebenen Quelle in Zusammenhang mit zahlreichen Einflussgrößen wie etwa Geburtenziffer und Todesfällen, Lebenserwartung, Zuwanderung/Abwanderung bzw. Wanderungssaldo, Erwerbsquote, Eintrittsalter in eine Erwerbstätigkeit, Renteneintrittsalter, Lebensarbeitszeit, Arbeitslosigkeit diskutiert.
[3]
Die Studie arbeitet insbesondere die zu erwartenden Herausforderungen für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme heraus, hier insbesondere für die Rentensysteme und Krankenkassen. Als ein das finanzielle Risiko verschärfender Trend wird zudem auf eine zu erwartende Kostensteigerung der Gesundheitsdienstleistungen hingewiesen. Aufgrund des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts sei mit immer mehr neuen, aber oft auch teureren, medizinische Leistungen zu rechnen. Letzterer Punkt besitzt für diesen Beitrag nur insofern Bedeutung, als auch aus diesem Grund immer mehr hochbetagte Menschen in fittem Zustand gesellschaftliche Teilhabe wünschen.
[4]
Unter die Lösungsansätze der Studie fallen das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters (teilweise bereits erfolgt), eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung und lebenslanges Lernen, die Rückführung der Staatsverschuldung, die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (familienorientierte Arbeitszeiten, Kinderbetreuungsangebote), die Zuwanderung qualifizierter Einwanderer, langfristig verstärkt auch aus Nicht-EU-Ländern, die Erhöhung der Produktivität der Erwerbstätigen, verstärkte Bildungsanstrengungen, Maßnahmen zur Förderung von Innovationen, die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen und der Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen. Da diese Einfluss auf die Entwicklungen nehmen, spielen auch sie eine Rolle für abzuleitende Folgerungen.
[5]
Insgesamt soll der Blick auf einige zu den demografischen Entwicklungen hinzutretende weitere Parameter gesellschaftlichen Wandels gerichtet werden. Für unser Thema erscheinen von Belang: ein zunehmender technologischer Wandel, der Wandel disponibler Lebenszeitanteile, die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft, eine zunehmende Mobilität von Arbeitnehmern, eine zunehmende Individualisierung von Lebensstilen, eine zunehmende Globalisierung.

2.

E-Democracy ^

[6]
Unter E-Democracy soll hier im weiten Sinne die Nutzung von informations- und kommunikationstechnischer Infrastruktur zur Umsetzung demokratischer Prozesse verstanden werden. Unterschieden werden Informations- und Partizipationsangebote sowie elektronische Wahlen.
[7]
Informationsangebote sollen das Regierungshandeln transparent gestalten und als Basis eigener demokratischer Entscheidungsprozesse dienen. Sie sind auch zur Darstellung der Wirkung von Beteiligungsaktivitäten von großer Bedeutung.
[8]

Elektronische Partizipationsangebote umfassen Möglichkeiten zum Meinungsaustausch, zur Meinungsbündelung und zur Meinungsabgabe. Dabei fallen unter Meinungsbündelung Angebote, vorgegebenen Meinungen zu folgen und zur Meinungsabgabe z.B. elektronische Petitionen oder elektronische Wahlen.

[9]
Die in der Literatur diskutierten unterschiedlichen Überschneidungen bzw. Abgrenzungen der Begriffe E-Democracy und E-Government [Heise (o.A.)] spielen für diesen Beitrag keine weitere Rolle.

3.

Zusammenhänge ^

[10]
Zunächst werden hier Zusammenhänge dargestellt, die bei einer Recherche in Publikationen, die beide Themenfelder berühren, aufgefunden werden konnten. Anschließend werden zuvor noch nicht angesprochene nahe liegende Entwicklungen thesenartig aus den vorangegangenen Prognosen abgeleitet.

3.1.

Literaturfunde ^

[11]
Ausdrücklich weist die deutsche Nationale E-Government-Strategie den demografischen Wandel neben der Globalisierung, dem technologischen und dem Klimawandel als einen von vier grundlegenden Trends eines tiefergreifenden gesellschaftlichen Wandels aus [IT-Planungsrat (2011), 3]. In diesem Zusammenhang werden elektronische Lösungen vor allem als Vorteil für in ihrer Mobilität eingeschränkte, für ältere sowie für berufstätige Menschen als auch für solche in ländlichen Räumen als bedeutsam angesehen [IT-Planungsrat (2011), 9].
[12]

Hierauf geht Wilfried Bernhard als CIO Sachsen und Mitglied des IT-Planungsrates und damit als Mitgestalter der Strategie in einem Interview der Zeitschrift E-Government Computing [Klein (2011), o. A.] näher ein. Elektronische Prozessgestaltung könne helfen, Verwaltungskosten bei sinkenden Bevölkerungszahlen finanzierbar zu halten und Nachteile für ländliche Regionen reduzieren. Beteiligungsportale würden allerdings zusätzliche begleitende Maßnahmen benötigen, etwa die Darstellung der Wirkungen (Transparenz) sowie eine gezielte Förderung der Nutzung durch Schaffung einer durchgängigen Medienkompetenz sowie einer Breitbandversorgung aller Regionen.1

3.2.

Eigene Thesen und Ableitungen ^

[13]
Es erscheint nahe liegend, aus den prognostizierten Veränderungen weitere Konsequenzen abzuleiten. Dabei wird – wie derzeit gesellschaftlicher Konsens in Deutschland – davon ausgegangen, dass e-Democracy als eine von verschiedenen Möglichkeiten zur Verfügung steht. Ansonsten wären bis zu einer einheitlichen Nutzung über alle Gesellschafts- und Altersstrukturen hinweg Verschiebungen im Gefüge der gesellschaftlichen Teilhabe zu erwarten.

These 1 – Eine zunehmende Zahl geistig fitter, hochbetagter Menschen mit vergleichsweise viel verfügbarer Zeit legt nahe, E-Democracy als wichtiges alternatives Angebot für Menschen mit diversen, im hohen Alter stärker verbreiteten Einschränkungen (z.B. verminderte Mobilität, Seh-, Hör-, Orientierungsschwierigkeiten), aber vorhandenem politischen Interesse vorzuhalten und dies bei der vorgesehenen Bedienbarkeit der Angebote entsprechend zu berücksichtigen. Wie auch von Bernhard betont, wird eine Wahrnehmung solcher Angebote allerdings nicht ohne begleitende Maßnahmen funktionieren. Denkbar wären begleitende Ausstattungs- und Vermittlungsaktivitäten in engagierten Stadtteilgruppen, in Seniorenwohnheimen, Werbemaßnahmen über Werbespots nach gern gesehenen Fernsehprogrammen dieser Zielgruppe. Und zusätzlich müssen die Angebote das Vertrauen der Ansprechgruppe besitzen.

These 2 – Auf der anderen Seite sorgt ein zunehmend selbstverständlicher Umgang mit den neuen Technologien bei den nachwachsenden Generationen dafür, dass der Einsatz der neuen Medien auch zur Mitgestaltung der eigenen Umwelt bei entsprechender bildungspolitischer Ausrichtung selbstverständlicher werden wird. Dies kann langfristig einen Trend zu vorrangig elektronischen Angeboten unterstützen. Übergangsweise könnte sich diese Generation über solche Angebote stärker Gehör verschaffen, was als Gegenpol zum derzeitigen Ungleichgewicht (Junge/Alte) politisch erwünscht sein könnte. Denn einerseits nehmen ältere politische Beteiligungsangebote stärker wahr [Bergmann u.a. (2012), 375 ff.] und zum anderen wird die junge Generation überproportional künftige finanzielle Lasten zu tragen haben.

These 3 – Die Integration eingewanderter Menschen könnte über elektronische Partizipationsangebote gefördert werden, indem diese Angebote zusätzlich mehrsprachig aufgebaut werden. Themenfelder, die für diese Zielgruppen von besonderer Bedeutung sind, könnten Anreizcharakter besitzen. Die fortschreitende Globalisierung dürfte diesem Vorschlag entgegenkommen, weil Einwandernde zunehmend entsprechende Angebote bereits aus ihren Heimatländern kennen oder entsprechende Portale aufgrund ihrer Einreiseformalitäten kennengelernt haben.

These 4 – Der Trend einer zunehmenden Individualisierung wäre bei den Angeboten ebenfalls zu berücksichtigen. Das kann sich in Angeboten für unterschiedliche Endgeräte genauso zeigen wie in anpassbaren Oberflächen (s.o.). Andererseits ist jedoch zu erwarten, dass künftig individuelle Wünsche weit darüber hinausgehen werden. Je nach gewünschten Beteiligungsformen könnten unterschiedliche Formen der Mitwirkung – beispielsweise von der Organisation über Mitwirkung bis hin zur Mitverfolgung – ermöglicht werden. Auch das Angebot individualisierbarer Hilfen zählen unter diesen Punkt.

These 5 e-Partizipation sollte als eine «Maßnahme zur Förderungen von Innovationen» entwickelt werden.

4.

Handlungsbedarfe für die Verwaltungsinformatik ^

[14]
Vor der Gestaltung von Angeboten erscheint wesentlich, zunächst umfassende organisatorische und personelle Konzepte – im Kontext dieses Beitrags vornehmlich mit elektronischen – zu entwickeln. Diese Konzepte müssen den Umgang mit Bürgerpartizipation betreffen, damit Ideen nicht ins Leere laufen und Politikverdrossenheit vermieden wird. Andererseits muss sichergestellt sein, dass allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Beteiligungschancen eröffnet werden. Über eine verfassungsrechtliche Verankerung ist nachzudenken.
[15]
Für die elektronischen Angebote selbst wird eine Herausforderung darin bestehen, möglichst einheitliche und einfach bedienbare Angebote für die vorgestellten Ziele zu entwickeln. Dabei liegt die Herausforderung hier in den Absprachen zwischen den Anbietern, nicht auf technischer Seite sowie in der Entwicklung bedienerfreundlicher Lösungen. Beide genannten Kriterien senken Anwendungshürden und sind für die Akzeptanz der Angebote von hoher Bedeutung. So dürfte es für Betroffene nicht nachvollziehbar sein, warum gleiche Anliegen in unterschiedlichen Kommunen unterschiedlich gelöst werden und bei einem Umzug erlerntes Wissen keine Gültigkeit mehr besitzt.
[16]

Diese Anforderungen schließen individualisierbare Funktionalitäten zur Bedienbarkeit (z.B. Vorlesefunktion, Lupenfunktion, anpassbare Eingabemöglichkeiten), aber auch zur inhaltlichen Ausgestaltung nicht aus. Unterschiedliche Beteiligungsformen könnten beispielsweise durch Rollenkonzepte umgesetzt werden.

[17]

Hilfesysteme könnten unter didaktischen Gesichtspunkten z.B. durch den Einsatz von erklärenden Avataren noch deutlich besser werden. Hilfetexte sprechen nur erfahrene Zielgruppen an und setzen vorhandene Suchkompetenzen voraus.

5.

Abschlussbemerkung ^

[18]
Die hier dargestellten Entwicklungen gelten für Deutschland. Bei einer Ausweitung auf andere hoch industrialisierte Länder sind die dort gültigen Einflussgrößen (die jeweilige Geburtenrate, der Eintritt in das Rentenalter, die Einwanderungspolitik) zu berücksichtigen.

6.

Literatur ^

Bergmann, Michael/Konzelmann,Laura/Rattinger, Hans, Deutschland auf dem Weg in die «Rentner-Demokratie»? Eine empirische Untersuchung altersspezifischer Einstellungsunterschiede und ihrer Bedeutung für das Wahlverhalten auf Basis einer aktuellen Bevölkerungsumfrage. In: PVS 53. Jahrgang, Heft 3, S. 371–393.

Heise, Christian, Was ist elektronische Demokratie? http://www.e-demokratie.org/was-ist-e-demokratie/ abgerufen 9. Januar 2015 (o.A.).

IT-Planungsrat, Nationale E-Government-Strategie, Berlin (24. September 2010).

Klein, Manfred, Interview mit Wilfried Bernhardt zum Thema: Sachsen. Der Demografische Wandel verändert E-Government. In: E-Government Computing, Heft vom 2. Mai 2011. http://www.egovernment-computing.de/projekte/articles/313718/ abgerufen 9. Januar 2015 (2011).

Lück-Schneider, Dagmar, Gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Kapitel 2.1 In: Lück-Schneider, Dagmar, Sportberufe im Kontext neuerer Sportentwicklungen – Analyse öffentlicher Arbeitsmarktdaten (1997–2006) – (Dissertation). Universität Potsdam. Humanwissenschaftliche Fakultät, S. 6–10 (2008).

Roleff, Daniel, Digitale Politik – E-Democracy, E-Government und E-Partizipation. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 10, S. 24–27. http://www.frankfurter-hefte.de/upload/2011_10_Roleff_Web.pdf aufgerufen 9. Januar 2015 (2011).

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herausforderungen des demografischen Wandels. Expertise im Auftrag der Bundesregierung, Bonifatius, Paderborn (2011).

Sackmann, Reinhold/Jonda, Bernadette/Reinhold Maria (Hrsg), Demographie als Herausforderung für den öffentlichen Sektor. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden (2008).

Thome, Rainer, Entwicklungsperspektiven. Lernmodul zur New Economy. Universität Würzburg. http://www.virtuelle-schule-de.bnv-bamberg.de/net/winf/thome/content/files/modul_27986.pdf, abgerufen am 9. Januar 2015.


 

Dagmar Lück-Schneider, Professorin für Verwaltungsinformatik, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Fachbereich Allgemeine Verwaltung, Alt Friedrichsfelde 60, 10315 Berlin, DE, dagmar.lueck-schneider@hwr-berlin.de, http://www.hwr-berlin.de

  1. 1 Es geht allerdings nicht darum, Bürgern nur noch elektronische Angebote bereit zu stellen, sondern weitere Zugangskanäle, z.B. Telefon oder persönliche Vorsprache, zu ermöglichen.