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Aneignungs- und Nutzungsweisen Neuer Medien am Beispiel «Wahlen» insbesondere durch sehbehinderte und blinde Menschen

  • Authors: Irene Krebs / Tommy Dobs
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Irene Krebs / Tommy Dobs, Aneignungs- und Nutzungsweisen Neuer Medien am Beispiel «Wahlen» insbesondere durch sehbehinderte und blinde Menschen, in: Jusletter IT 26 February 2015
Das Internet hat sich im Laufe der Zeit in der medialen Welt etabliert und ist heute aus den Köpfen der Menschen nicht mehr wegzudenken. Überall im privaten und öffentlichen Raum sowie in der Arbeitswelt sind wir von Technik umgeben. Immer mehr Alltagstätigkeiten wie z.B. Einkäufe, Bankgeschäfte und Informationsbeschaffung finden im Internet statt und machen den Zugang zu diesen digitalen Inhalten zunehmend wichtiger. Doch wie sieht es mit dem konkreten Geschäftsvorgang «Wahlen» für sehbehinderte und blinde Menschen aus? Viele blinde und sehbehinderte Menschen machen von der Briefwahl Gebrauch. Zu Hause können sie sich von einer Person ihres Vertrauens beim Wählen helfen lassen. Seit zwölf Jahren gibt es zumindest bei Bundes- und Landtagswahlen in der BRD Wahlschablonen zusammen mit einer Hör-CD. Und um eben diese Medien nutzen zu können, bedarf es großer Intuition und entsprechender Kompetenz seitens der sehbehinderten und blinden Menschen. Der Beitrag will aufzeigen, wie in diesem konkreten Anwendungsfall eine gleichberechtigte Teilnahme und eine weitgehend selbstständige und barrierefreie Wahl durch diese betroffenen Menschen möglich werden können. Es gilt, zukünftig nicht nur Technologien voranzutreiben, sondern Menschen als Nutzer in die Gestaltung dieser Prozesse einzubeziehen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. State of the Art – Aufnahme relevanter Geschäftsprozesse
  • 2.1. Wahl aus Sicht des Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e.V.
  • 2.1.1. Bedeutung der Wahlschablone und der Audio-CD
  • 2.1.2. Aufbau und Anwendung der Wahlschablone
  • 2.1.3. Erstellungsprozess der Wahlschablone
  • 3. Beschreibung der Problemsituation
  • 3.1. Probleme aus Sicht des Dienstleisters
  • 3.2. Probleme aus Sicht des Nutzers
  • 4. Zusammenfassung und Ausblick
  • 5. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Über 80 Millionen Menschen leben in Deutschland; über 10% erfahren Barrieren im Alltag. Die Wahl als Instrument der persönlichen Beeinflussung regierungspolitischer Geschicke nutzen sehr wohl auch sehbehinderte und blinde Menschen. Global gesehen ist es keine Selbstverständlichkeit, über ein Wahlrecht zu verfügen. In Deutschland hingegen soll es kraft des Grundgesetzes (Artikel 38) jedem Staatsbürger möglich sein, die Politik in Landes- und Bundesgrenzen mitzubestimmen. Keine Grenzen sind gesetzt, weder das Geschlecht noch die Herkunft oder jegliche Behinderung spielen eine Rolle – jeder darf wählen. Ist die Wahlbeteiligung jedoch für sehbehinderte und blinde Menschen so ohne weiteres überhaupt möglich? Und welche Rolle spielt dabei der Begriff «Inklusion»?
[2]
Inklusion wird gemäß der Definition des Inklusionsbeirats der Staatlichen Koordinierungsstelle nach Artikel 33 der UN-Behindertenrechtskonvention wie folgt beschrieben:
[3]
«Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet, dass allen Menschen von Anfang an in allen gesellschaftlichen Bereichen eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe möglich ist. Inklusion verwirklicht sich im Zusammenleben in der Gemeinde – beim Einkaufen, bei der Arbeit, in der Freizeit, in der Familie, in Vereinen oder in der Nachbarschaft. Dementsprechend leben, arbeiten und lernen Menschen mit Behinderungen nicht in Sondereinrichtungen. Es gibt vielmehr einen ungehinderten, barrierefreien Zugang und eine umfassende Beteiligung von Menschen mit Behinderungen am bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben (oder: in allen Bereichen des Lebens)».1
[4]
Wählen kann ein sehbehinderter oder blinder Mensch – natürlich. Aber ist es so einfach, wie es sich sagt? Barrierefreiheit wird auf die Fahnen geschrieben, doch ob die Verantwortlichen wissen, was Barrierefreiheit bedeutet? Oftmals wird Barrierefreiheit nur darauf bezogen, dass man Ziele problemlos erreichen kann. Barrierefreiheit ist jedoch mehr als ein Fahrstuhl oder ein gesenktes Geländer. Barrieren sind für Personen, die unter Beeinträchtigung der Sehkraft leiden, selten wirklich analysiert und abgebaut. Ein Fahrstuhl ist zwar hilfreich, aber reicht dieser, um im Bürgeramt den Weg zum entsprechenden Büro zu finden? Meist gibt es eine Vielzahl an Räumen für die einzelnen Bezirke einer Stadt – wie findet ein Sehbehinderter den korrekten Weg? Aber die Probleme beginnen schon viel früher, denn wie informiert sich ein Blinder? Wie nehmen Sehbehinderte und Blinde an politischen Abstimmungen teil? Die wichtigste Frage ist das «Wie»! Wie werden sehbeeinträchtigte Personen informiert? Wie gelangen sie an Informationen zu Kandidaten, Parteien und Wahlprogrammen?
[5]
Die Medien berichten über anstehende Wahlen, geben Einblicke in Ausrichtungen der Parteien und helfen bei der Entscheidungsfindung. Aber die Nutzung der Medien, die wir Menschen ohne Sehbeeinträchtigung als simpel erachten, ist für Sehbehinderte und Blinde nicht a priori selbstverständlich. Vermutlich nicht – Welche Wege haben sehbeeinträchtigte Personen um Informationen zu erhalten? Die wichtigsten Medien in unserer Gesellschaft sind TV, Radio und das Internet. Das Internet ist für Sehbehinderte und Blinde das flexibelste Medium. Mit Erfahrung und diversen Hilfsmitteln ist es auch Sehbehinderten und Blinden möglich, diese Technologie trotz Einschränkung nutzen zu können. Aber auch dabei treten Hindernisse auf. Wie werden diese Probleme gelöst? Hilft der Staat? Wenn ja, hilft er ausreichend oder scheitert an diesem Punkt die Inklusion?

2.

State of the Art – Aufnahme relevanter Geschäftsprozesse ^

[6]

Unter der Leitung von Geschäftsführer Joachim Haar ist der Blinden- und Sehbehindertenverband Brandenburg e.V. (BSVB) für Betroffene und Angehörige die erste Anlaufstelle im Bundesland Brandenburg für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung. Das Bundesland Brandenburg unterteilt sich in 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte, in denen insgesamt 783 ordentlich registrierte Mitglieder wohnhaft sind. (Schätzungen des BSVB zufolge gibt es jedoch insgesamt ca. 5‘000 Blinde und Sehbehinderte im Bundesland.)2 Die höchste Priorität im Aufgabenspektrum des BSVB besteht darin, Voraussetzungen zu schaffen, dass Blinde und Sehbehinderte ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben führen können. Dabei sind sowohl die soziale Absicherung als auch die gesellschaftliche und berufliche Integration von höchster Bedeutung. Der Blinden- und Sehbehinderten Verband Brandenburg e.V. sieht sich demzufolge nicht nur als Ansprechpartner, sondern auch als Rechtshilfe und Unterstützer von Initiativen, die sich mit der Verbesserung des Lebensstandards sehbeeinträchtigter Personen beschäftigen. Zur besseren Betreuung ist der BSVB in mehrere Bezirksgruppen untergliedert. Insgesamt 24 Bezirksgruppen gibt es, um eine ausreichende Informations- und Betreuungs-Infrastruktur zu gewährleisten.

[7]
Eine entsprechende Unterstützung sehbehinderter und blinder Menschen ist beim Geschäftsprozess «Wählen» aus Sicht des BSVB unerläßlich. Während Wahlen als «normal»-sehender Mensch offensichtlich kaum größere Umstände machen, ist der Vorgang für blinde und sehbehinderte Personen weitaus aufwendiger und die Prozess-Kette anfälliger. Wenn von Inklusion gesprochen wird, dürfte es in diesem Bereich keine Unterschiede für sehende und nicht- oder schlecht-sehende Personen geben.

2.1.

Wahl aus Sicht des Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e.V. ^

[8]
Der Blindenverband ist für die Erstellung von Audio-CDs, der Wahlschablonen und der Distribution beider Güter verantwortlich. Diese beiden Güter werden in aufwendigen Schritten produziert und stellen ein unverzichtbares Hilfsmittel für eine eigenständige anonyme Wahl dar. Blinde und Sehbehinderte erhalten über den Postweg die Schablone und die CD.
[9]
Zu klären ist, welche Prozesse notwendig sind, damit die Wahlschablone und die Audio-CD an den Verbraucher gelangen und dieser am Wahlvorgang problemlos teilnehmen kann.

2.1.1.

Bedeutung der Wahlschablone und der Audio-CD ^

[10]
Erst seit dem Jahr 2002 ist es durch den Einsatz der Wahlschablone für blinde und sehbehinderte Personen möglich, vollkommen anonym und autark zu wählen. Bis dahin brachte die Nutzung des Stimmzettels viele Probleme mit sich. Denn es stellte sich immer öfter die Frage, wie blinde und sehbehinderte Personen an politischen Wahlen teilnehmen können, ohne dass ein Dritter unterstützend eingreifen musste. Die geheime Wahl ist im Land Brandenburg seit 2002 möglich. Wahlschablonen waren damals der erste Schritt zur selbstständigen, freien Wahl, ohne dass eine Vertrauensperson helfen musste und dementsprechend Kenntnis von der Wahl des Betroffenen erlangte. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) vom 27. April 2002 legte die Grundlage für die Einbeziehung und Berücksichtigung sehbeeinträchtigter Personen in politischen Entscheidungen. Darin heißt es:
«§ 1 Gesetzesziel: Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Dabei wird besonderen Bedürfnissen Rechnung getragen.3
§ 7 Benachteiligungsverbot für Träger öffentlicher Gewalt
(1) Die Dienststellen und sonstigen Einrichtungen der Bundesverwaltung, einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sollen im Rahmen ihres jeweiligen Aufgabenbereichs die in § 1 genannten Ziele aktiv fördern und bei der Planung von Maßnahmen beachten.4
Das Gleiche gilt für Landesverwaltungen, einschließlich der landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Bundesrecht ausführen. In Bereichen bestehender Benachteiligungen behinderter Menschen gegenüber nicht behinderten Menschen sind besondere Maßnahmen zum Abbau und zur Beseitigung dieser Benachteiligung zulässig. Bei der Anwendung von Gesetzen zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist den besonderen Belangen behinderter Frauen Rechnung zu tragen».5

 

[11]
Mit dem Gesetz spielten ab dem damaligen Zeitpunkt die Interessen und Bedürfnisse sehbehinderter und blinder Personen eine immens wichtigere Rolle als in der vorigen Zeit, obwohl das Grundgesetz bereits im Vorhinein diese Art der Wahlausübung vorgesehen hatte:
«(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen».6
[12]
Der Schwerpunkt dieses Absatzes liegt in Anbetracht der Wahlen von Sehbehinderten auf den Worten «frei» und «geheim». Es muss einem sehbehinderten Menschen möglich sein, die Wahl ohne jegliche Erläuterung oder Erklärung durchzuführen – der Wähler ist «frei». Die Vokabel «geheim» steht dafür, dass Dritte nicht über die gewählte Partei oder den gewählten Vertreter Bescheid wissen und damit die Anonymität gewährleistet werden kann.
[13]
Auch in der Europawahlordnung wurde folgendes festgehalten:
«(1) 1 Ein Wähler, der des Lesens unkundig ist oder wegen einer körperlichen Beeinträchtigung gehindert ist, den Stimmzettel zu kennzeichnen, zu falten oder selbst in die Wahlurne zu werfen, bestimmt eine andere Person, deren Hilfe er sich bei der Stimmabgabe bedienen will, und gibt dies dem Wahlvorstand bekannt. 2 Hilfsperson kann auch ein vom Wähler bestimmtes Mitglied des Wahlvorstandes sein.
(2) Die Hilfeleistung hat sich auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken. 2 Die Hilfsperson darf gemeinsam mit dem Wähler die Wahlkabine aufsuchen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist.
(3) Die Hilfsperson ist zur Geheimhaltung der Kenntnisse verpflichtet, die sie bei der Hilfeleistung von der Wahl eines anderen erlangt hat.
(4) Ein blinder oder sehbehinderter Wähler kann sich zur Kennzeichnung des Stimmzettels auch einer Stimmzettelschablone bedienen».7
[14]
Der Weg in eine Selbstbestimmung und die Teilhabe am alltäglichen öffentlichen Leben ist damit zumindest im Bereich politischer Wahlen für Sehbehinderte und Blinde gegeben.

2.1.2.

Aufbau und Anwendung der Wahlschablone ^

[15]
Die Wahlschablone ist ausgeklappt etwas größer als die DIN A3-Abmaßung. Jene Abmaßung ist davon abhängig, wie groß der normierte Stimmzettel ist, was wiederum durch die Anzahl der wählbaren Kandidaten und Parteien bestimmt wird. Mittig befindet sich ein Falz, damit die Wahlschablone als Umschlag genutzt werden kann. Bei der Durchführung der Wahl ist besonders darauf zu achten, dass die Wahlschablone an den Ecken anliegt, was wiederum durch entsprechende Falzungen an den Kanten erreicht wird. Die Funktionsweise ist simpel: der normierte Stimmzettel wird in den Umschlag bzw. in die ausgeklappte Schablone gelegt, sodass diese an den Ecken bzw. Falzungen anliegt. Auf der Vorderseite der Schablone befinden sich in Braille-Schrift sowie in erhabener Schwarzschrift alle Informationen zur Wahl (z.B. um welche Wahl es sich handelt, ob es eine Landtags-, Bundestags- oder Kommunalwahl ist und in welchem Jahr sie stattfindet). Um die entsprechende Stimme(n) für den Vertreter der Partei bzw. die Partei selbst abzugeben sind ausgestanzte Löcher vorgesehen. Auch hier werden für Blinde und Sehbehinderte Hilfestellungen gegeben, da den Vertretern oder Parteien einzelne Nummern zugewiesen sind, die ebenfalls durch Brailleschrift und in tastbare Normalschrift identifiziert werden können. Parteienkürzel können nicht auf die Wahlschablonen gedruckt werden, da die Anordnung der Wahlvorschläge unterschiedlich ist. Die Anordnung der Parteien ist hierarchisch. Die einzelnen Parteien samt Kandidaten sind entsprechend der Ergebnisse aus der vorigen Wahl sortiert.8

2.1.3.

Erstellungsprozess der Wahlschablone ^

[16]
Man unterscheidet zwischen Bundestags-, Europa-, Landes- und Kommunalwahlen. Jede Abstimmung ist individuell. Dementsprechend müssen viele Punkte differenziert betrachtet und jeweilige Besonderheiten bei der Erstellung der Wahlschablone berücksichtigt werden. Für die Konzeption ausschlaggebend ist der Stimmzettel. Wenn jener Stimmzettel normiert ist, gibt es keine Schwierigkeiten. Eine Normierung findet bei den europa- bzw. bundesweiten Wahlen statt. Bei der Europa-Wahl gibt es im Land Brandenburg einen Wahlkreis, dementsprechend gibt es einen normierten Stimmzettel. Bei der Bundestagswahl gibt es zwar mehr Wahlkreise, jedoch sieht die Wahlleitung vor, ebenfalls einen standardisierten Stimmzettel den Wahllokalen zur Verfügung zu stellen. Deutlich schwieriger gestaltet sich die Bestellung und Produktion von Wahlschablonen bei Wahlen auf Landes- oder Kommunalebene. Die Anzahl der Wahlkreise im Land Brandenburg bei Landeswahlen beträgt 44, während auf Kommunalebene 63 Gebiete berücksichtigt werden müssen. Aufgrund unterschiedlicher politischer Aufstellungen wäre es dann notwendig, regionsspezifische Wahlschablonen anfertigen zu lassen. Bei der letzten Landtagswahl in Brandenburg 2014 wurde dieser Aufwand erstmals betrieben. In der ersten Phase werden alle Rahmendaten besprochen. Der Austausch der Landeswahlbeauftragten mit dem Innenministerium ist dabei die Grundlage für anstehende Wahlen. Bei Bundestags- und vergleichbaren Wahlen dient dabei das sogenannte «Berliner Muster» als Vorlage für die Schablone. Die zuständige Wahlleitung fertigt zu jeder Abstimmung aktuell ein solches Muster an. Es werden Stückzahlen für Schablonen und CDs festgelegt. Nachdem die benötigten Mengen festgelegt worden sind, kann der entsprechende Auftrag erstellt und der Druckerei übermittelt werden. Diese Druckerei fertigt daraufhin ein Muster an, das dem BSVB e.V. wiederum zugesandt wird, um dieses zu überprüfen/validieren. Wenn das Probe-Muster genehmigt wurde, kann der Auftrag freigegeben und mit der Produktion der einzelnen Schablonen begonnen werden.

3.

Beschreibung der Problemsituation ^

[17]
Ohne eine funktionierende Zusammenarbeit von Wahlleitung und Blindenverband ist es kaum möglich, eine für jedermann gleichberechtigte Wahl durchzuführen. Aber nicht nur im Dienstleister-Bereich können Probleme den Wahlvorgang erschweren, auch aus Nutzer-Sicht sind einige Engpässe zu erkennen.

3.1.

Probleme aus Sicht des Dienstleisters ^

[18]
Im Rahmen der Zusammenarbeit mit diversen Interessenvertretern der Blinden- und-Sehbehinderten-Selbsthilfe wurden einige Missstände deutlich, die in Vorbereitung der Wahlen auftreten (z.B. bereits vor Erstellung der Wahlschablone und Audio-CD). Zur Verdeutlichung der Schwierigkeiten ist zunächst ein Blick auf die unterschiedliche Anzahl der Wahlkreise zu werfen, die für das Land Brandenburg Bedeutung haben. Bei Bundestags- und Europa-Wahlen haben sich alle Wahlkreise dem Standard des normierten Stimmzettels anzupassen. Der Aufwand ist dementsprechend gut abschätzbar und die Erstellung beider Güter problemlos, wenn die Wahlliste zeitnah kommuniziert worden ist. Hinsichtlich einer funktionierenden Abstimmung besitzt dabei die Kommunikation zwischen Wahlleitung und Wahlbeauftragten oberste Priorität. Eben jene Kommunikation wird umso bedeutender, je mehr Wahlkreise zu betrachten sind. Zwar ist auch auf Landesebene in Brandenburg eine Wahlschablonen-Norm durchgesetzt worden, trotzdem steigt der Aufwand um ein Vielfaches.9 Oftmals werden Übermittlungsfristen bezüglich der Wahllisten, auf denen sämtliche Kandidaten erscheinen, nicht eingehalten, sodass die Audio-CDs nicht produziert werden können. Diese Problematik deckt vor allem bei vorgezogenen Neuwahlen Missstände auf, da es nicht immer gelingt, dass alle Unterlagen zeitnah beim Blindenverband eingehen. Diese Abhängigkeit erschwert die Wahlvorbereitung und sorgte schon oft für Verzögerungen zu Lasten des Wählers. Bei Kommunalwahlen zeigt sich ein weiteres Hindernis: Zwar erscheinen die Wahlscheine pünktlich, jedoch druckt jeder Kreis die Zettel selbst. Damit haben die Scheine jeweils ein eigenes Format; eine Schablone ist somit nutzlos. Aus diesem Grund ist die Nutzung einer Wahlschablone bislang im kommunalen Bereich eher die Ausnahme. (Beispielsweise wurde 2014 das erste Mal bei der Spremberger Bürgermeisterwahl der Einsatz der Stimmzettelschablone erprobt und erfolgreich durchgeführt.)10

3.2.

Probleme aus Sicht des Nutzers ^

[19]
Aus Sicht der sehbeeinträchtigten Wähler beginnen die Probleme bereits beim Erhalt der Wahlbenachrichtigung. Die wesentlichen Informationen, wie beispielsweise Wahlkreis-Nummer und Wahl-Art sind weder in Braille-Schrift noch in reliefartiger Druckschrift vermerkt. Somit weiß der sehbeeinträchtigte Wähler nicht, welche Wahl ansteht noch welchem Wahlkreis er zugeordnet ist. Diese Informationen muss der blinde oder sehbehinderte Wähler durch Dritte erlangen. Ohne die Kenntnis des eigenen Wahlkreises sind Stimmzettelschablone und Audio-CD funktionslos. Andererseits ist der Erhalt beider Güter nicht garantiert. Entweder der Wähler ist beim Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e.V. registriert (in diesem Fall werden die Unterlagen automatisch zugesandt) oder die Person setzt sich mit dem Blindenverband in Kontakt und fordert kostenfrei ein solches Paket an.
[20]
Zur weiteren Erörterung ist zu unterscheiden zum einen in die Wahl im Wahllokal und zum anderen in die postalische Stimmabgabe. Insofern der Wahlkreis bekannt ist und die Medien bereitliegen, können die Unterlagen zur Briefwahl angefordert werden. Der Umstand, die Wahl am selbstbestimmten Ort durchzuführen, erscheint dabei als vorteilhaft gegenüber dem Gang ins Wahllokal. Positiv ist dabei aus Wähler-Sicht, dass sich der Vorgang gewissenhaft durchführen lässt und gegebenenfalls die Audio-CD nochmals gehört werden kann. Jedoch treten im Wahllokal einige Probleme auf. Zum einen ist der Platz in der Wahlkabine meist nicht ausreichend, sodass die sachgerechte Nutzung der Schablone verhindert wird. Die Audio-CD kann in den meisten Fällen nicht nochmals gehört werden, da die Wahllokale keine CD-Player sowie Kopfhörer bereitstellen bzw. nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind. Genauso wenig sind die Wahlbüros dazu angehalten, ausreichend Wahlschablonen für blinde und sehbehinderte Wähler zur Verfügung zu stellen. Damit wird Kurzentschlossenen die Möglichkeit der selbstbestimmten Teilhabe genommen. Auch wenn es die Möglichkeit gibt, eine Vertrauensperson mit in die Wahlkabine zu nehmen, widerspricht dieser Umstand dem Grundgesetz Artikel 38, bei dem von einer «freie[n], gleiche[n] und geheime[n] Wahl» die Rede ist.

4.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[21]
In der Öffentlichkeit scheint das Online-Votum Interesse zu wecken. Einige politische Einflussmaßnahmen sind bereits in der Gesellschaft akzeptiert, darunter überwiegend Anträge in den verschiedensten Bereichen. Wieso lässt aber die Internetwahl auf sich warten? Bevor es Wahlterminals oder die «Wahl von zu Hause» geben kann, muss die gesetzliche Seite betrachtet werden. Der Grund für eine Nicht-Einführung ist simpel und vermutlich auf Jahre hin festgesetzt: Die Auszählung der Stimmen. Aus dem bereits genannten Artikel 28 und Artikel 20 (1) und (2) ergibt sich der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl:

«(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.»11

[22]
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2009 den Einsatz von Wahlcomputern als verfassungswidrig erklärt. Dabei zählten folgende Argumentationen zu den entscheidenden Kriterien:

«a) die Manipulationsfähigkeit der Wahlgeräte. Unter Laborbedingungen wurde nachgewiesen, dass rein auf technischer Ebene eine Manipulation der Wahlgeräte erfolgen kann.

b) die Verletzung des Wahlrechtsgrundsatzes der «Öffentlichkeit». Seitens der Beschwerdeführer wird geltend gemacht, dass die Auszählung der elektronisch mittels Wahlgerät erfassten Stimmen und die Summenbildung des Wahlergebnisses im jeweiligen Stimmbezirk den Grundsatz der Öffentlichkeit verletze, da diese Vorgänge, der technischen Natur eines Wahlgerätes folgend, nicht analog der manuellen Auszählung von Stimmen erfolgt und verfolgt werden kann.»12 Mit dieser Entscheidung ist das Projekt Online-Votum in Deutschland für die nächsten Jahre allem Anschein nach nicht mehr als ein Traum und damit die Wahlschablone unverzichtbar für blinde und sehbehinderte Wähler.»

[23]
Wie geschildert ist auch der in der Wahlkabine zur Verfügung stehende Platz ein großes Problem bei der Stimmabgabe. Dieses Problem wird durch einen etwaigen CD-Player eher verschärft als gelöst. Ein Blinder oder Sehbehinderter ist dazu angehalten, sich die vergebene Nummer der entsprechenden Kandidaten zu merken. (Zwei Zahlen sind dementsprechend zu merken: eine Ziffer für die Erst-, die andere für die Zweitstimme.) Ist man bis kurz vor Stimmabgabe unsicher, wer gewählt werden soll, werden aus zwei Zahlen drei oder vier oder fünf. Dabei den Überblick zu behalten ist möglich, aber problematisch. Die Gefahr, das Kreuz im «falschen» Punkt zu setzen, steigt; die Auswirkungen einer unbewussten Stimmabgabe sind kaum abzuschätzen. Selbst wenn ein CD-Player im Wahlbüro ausliegt, würde die freie, selbstständige und geheime Wahl verletzt werden, es sei denn, der Wähler hört die komplette CD und gibt damit keinen Aufschluss darüber, an welcher Stelle man die entsprechende Nummer wissen wollte. Die Lösung für ein solches Problem kann eine Internetpräsenz darstellen, die nicht nur in der Durchführung der Wahl behilflich sein kann, sondern auch in Vorbereitung politischer Abstimmungen unterstützend eingreifen kann, ist aus Sicht der Betroffenen zwingend notwendig. Der Zugang zu politischen Wahlen muss allen potentiellen Wählern gleichermaßen möglich sein.

5.

Literatur ^

Artikel 20 (1),(2) aus dem deutschen Grundgesetz

§ 50 Stimmabgabe behinderter Wähler aus der Europawahlordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Mai 1994 (BGBl. I S. 957), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4335) geändert worden ist

Grundgesetz: Artikel 38 [Wahl des Deutschen Bundestages]

Auszug aus dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG)

http://www.bsvb.de, aufgerufen 23. Dezember 2014

http://bsvb.de/index.php/Beitrag/31, aufgerufen 23. Dezember 2014


 

Irene Krebs, Prof. Dr.-Ing., Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Lehrstuhl Industrielle Informationstechnik, Platz der Deutschen Einheit 1, 03046 Cottbus, DE, krebs@iit.tu-cottbus.de, http://www.tu-cottbus.de/fakultaet3/de/informationssysteme/

 

Tommy Dobs, Student, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Studiengang: E-Business, Platz der Deutschen Einheit 1, 03046 Cottbus, DE, dobstomm@TU-Cottbus.de

  1. 1 https://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschuere_UNKonvention_KK.pdf?__blob=publicationFile, aufgerufen 6. Januar 2015.
  2. 2 http://www.bsvb.de/index.php/Neuigkeiten/?PHPSESSID=b6d34e7f9f514bc4bb0fba6db94b12f, aufgerufen 23. Dezember 2014.
  3. 3 Auszug aus dem BGG.
  4. 4 Auszug aus dem BGG.
  5. 5 Auszug aus dem BGG.
  6. 6 Grundgesetz: Artikel 38 [Wahl des Deutschen Bundestages].
  7. 7 § 50 Stimmabgabe behinderter Wähler aus der Europawahlordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Mai 1994 (BGBl. I S. 957), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4335) geändert worden ist.
  8. 8 http://www.dbsv.org/dbsv/unsere-struktur/uebergreifende-fachausschuesse/gfah/barrierefrei-waehlen-serviceseite-des-dbsv/, aufgerufen 24. Dezember 2014.
  9. 9 http://www.masgf.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.186676.de, aufgerufen 24. Dezember 2014.
  10. 10 http://www.wochenkurier.info/suedbrandenburg/staedte-gemeinden/spree-neisse/spremberg/nachrichtendetails/obj/2014/02/27/neue-buergermeisterin-vereidigt/, aufgerufen 24. Dezember 2014.
  11. 11 Artikel 20 (1),(2) aus dem deutschen Grundgesetz.
  12. 12 http://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/wahlcomputer-verstossen-gegen-grundsatz-der-oeffentlichkeit, aufgerufen 26. Dezember 2014.