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«Alles online, oder was?»

Europa und das elektronische Wählen

  • Author: Gregor Wenda
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Gregor Wenda, «Alles online, oder was?», in: Jusletter IT 26 February 2015
Nach einem Beschluss des Ministerdelegiertenkomitees des Europarates vom 13. Jänner 2015 soll die 2004 verabschiedete Empfehlung «Rec(2004)11» des Europarates zur elektronischen Stimmabgabe (E-Voting) überarbeitet werden. Der vor über zehn Jahren erwartete baldige Durchbruch von E-Voting hat in Europa nicht stattgefunden; trotzdem ist der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in zunehmendem Maße in verschiedenen Phasen von Wahlen zu verzeichnen. Am Vorabend eines «Update» der E-Voting-Empfehlung des Europarates ist elektronisches Wählen im Kern damit zwar nur in wenigen europäischen Staaten Realität geworden, es findet sich aber kaum ein Land, das frei von diesbezüglichen Überlegungen oder Versuchen wäre oder auf IKT verzichten würde.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Stand der Dinge in Europa
  • 3. Weitere Entwicklung im Europarat
  • 4. Ausblick
  • 5. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]

Als in der 898. Sitzung des Ministerkomitees des Europarats am 30. September 2004 nach rund zweijähriger Arbeitszeit eine Empfehlung («Recommendation»)1 zu rechtlichen, operationellen und technischen Standards für E-Voting – in der Folge kurz Rec(2004)11 – angenommen wurde, stand die Thematik des E-Voting in Europa gerade in einer Art Hochblüte.2 Zahlreiche Staaten hatten innerstaatliche Commitments abgegeben, ihren Bürgerinnen und Bürgern Wahl- und Mitbestimmungsrechte in Zukunft via Internet3 ermöglichen zu wollen, in manchen wurden sogar die ersten realen «Gehversuche» in Richtung des Online-Wählens unternommen.4 Nachdem der Europarat sich als erste Internationale Organisation auf breiter Basis des elektronischen Wählens angenommen hatte und mit Rec(2004)11 ein rechtliches Instrument schuf, das bis heute einzigartig in seiner Bedeutung und praktischen Anwendung ist5, wurde die Empfehlung in den Folgejahren immer wieder zu einem wichtigen Referenzdokument für Regierungen und Parlamente bei Diskussionen über die Einführung von E-Voting. Die von Rec(2004)11 selbst festgelegte erste Evaluierung («Review») ihrer Standards nach zwei Jahren wurde 2008, 2010, 2012 – und schließlich 2014 – wiederholt. Da die «Recommendation» bei jedem Review Meeting mehr in die Jahre zu kommen schien und in unterschiedlichen Bereichen in der Praxis nicht oder nicht mehr anwendbar war, wurde 2012 von den Delegierten in Lochau bei Bregenz eine wirkliche Überarbeitung («Update») empfohlen.6 Anschließend schien die Zukunft der E-Voting-Aktivitäten des Europarates jedoch offen; aktive Impulse wurden, anders als in spezifischen Projekten zwischen 2002 und 2010, in Straßburg nicht mehr gesetzt. Um das bisher Erarbeitete nicht brach liegen zu lassen, initiierte das Bundesministerium für Inneres im Rahmen des österreichischen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarates am 19. Dezember 2013 in Wien ein informelles Expertentreffen, in dem die Vertreter von an E-Voting interessierten Staaten den aktuellen Wert und die Zukunft der Empfehlung berieten und – unterstützt von einem Gutachten – unmissverständlich zum Schluss kamen, die Ansicht des Review Meeting 2012 zu teilen und eine Aktualisierung der Rec(2004)11 vorzuschlagen. Als Gründe für eine Novellierung wurden unter anderem die bislang nicht entsprechend abgebildete Unterscheidung zwischen E-Voting im Wahllokal und als Distanzwahl und das Fehlen neuer Phänomene und Herausforderungen (z.B. die Nachkontrollierbarkeit der elektronischen Stimmabgabe – verifiability – durch Wählerinnen und Wähler, die sichere Authentifizierung der Wahlberechtigten oder die Gewährleistung einer für E-Voting geeigneten Wahlbeobachtung) ins Treffen geführt.7 Da die genauen Modalitäten eines solchen «Update» jedoch auf Ebene des Sekretariates des Europarates weiter behandelt und Gegenstand einer allfälligen nächsten «Review» werden sollten, wurde es bald wieder ruhig um die Materie des E-Voting. Im Frühjahr 2014 waren aus Straßburg gar informelle Signale zu vernehmen, dass ein nächstes Review Meeting mangels ausreichenden Interesses unter den Mitgliedstaaten (nach Wien waren nur 12 Staaten gekommen) möglicher Weise gar nicht stattfinden werde. Österreich lancierte daher gemeinsam mit Belgien, Estland, Lettland, Polen, der Schweiz und Ungarn ein «non-paper» zur Information des Ministerdelegiertenkomitees am 17. Juni 2014, in dem zur Abhaltung eines «5th Review Meeting» im Herbst 2014 aufgerufen und Österreich als möglicher Veranstaltungsort8 vorgeschlagen wurde. Das Sekretariat des Europarates stimmte dem Vorschlag in der Sitzung des Ministerdelegiertenkomitees am 17. Juni 2014 zu und machte damit den Weg frei für die 5. Evaluierungssitzung zu Rec(2004)11, die am 28. Oktober 2014 in Lochau bei Bregenz stattfand und bei der Österreich, vertreten durch das Bundesministerium für Inneres in seiner Eigenschaft als Election Management Body, als host country auftrat.

 

2.

Stand der Dinge in Europa ^

[2]

Das offizielle Review Meeting des Europarates in Österreich am 28. Oktober 2014 zeigte durch die Präsenz von 15 Staaten, durch zahlreiche schriftliche Informationen weiterer Länder und eine rege Diskussion im Plenum, dass die Thematik des elektronischen Wählens im Europarat auch weiterhin von Bedeutung ist.9 Die Teilnehmer stimmten nicht nur für eine Überarbeitung der Empfehlung ab 2015 (siehe unten 3.), sondern ermöglichten durch ihre Stellungnahmen auch einen aktuellen Blick auf die Bestrebungen verschiedener Teilnehmerstaaten, Wahlen und den Einsatz von Informationstechnologie mit einander zu verbinden. Der vor über zehn Jahren erwartete baldige Durchbruch von E-Voting, insbesondere von Internet-Voting, hat in Europa zwar nicht stattgefunden, der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ist aber dennoch in zunehmendem Maße bei Wahlen zu verzeichnen – sei es bei der Registrierung von Wählerinnen und Wählern, der Erstellung von Wählerverzeichnissen, der Ausstellung von Wahlunterlagen oder dem Einscannen von Stimmzetteln. Ungeachtet aller technischen Lösungen ist die unmittelbare Abgabe der Stimme in den meisten Staaten weiterhin nur konventionell auf Papier möglich. Nachdem die Entwicklungen zu E-Voting in Österreich in der Literatur bereits wiederholt aufbereitet worden sind, sollen nachfolgend – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige andere europäische Staaten herausgegriffen werden, die für die Skizzierung eines aktuellen Entwicklungsbildes besonders relevant erscheinen:10

  • In Albanien gibt es bereits nationale Identitätskarten, die in Zukunft für die Authentifizierung von Wählerinnen und Wählern herangezogen werden könnten. Zwei Projekte – eines zur Identifizierung von Wählern auf Grund ihrer ID-Karten in Wahllokalen, eines zum Einsatz optischer Scanner in zwei Zählzentren – wurden nicht weiterverfolgt. Seit 2013 wurden keine nennenswerten Schritte gesetzt.
  • Armenien hat im Rahmen der Parlamentswahlen 2012 erstmals diplomatischem Personal und dessen Familien auf Auslandsvertretungen ein System zur Online-Stimmabgabe zur Verfügung gestellt, das über die Website der zentralen Wahlkommission abgewickelt wurde. Etwa 200 Personen waren auf diese Weise wahlberechtigt, die eigenständige Rechtsgrundlage wurde noch vor den Parlamentswahlen 2012 verabschiedet. Ein weiterer Ausbau ist derzeit nicht angedacht.
  • Belgien hat auf Grund der Entwicklungen in den Niederlanden ab 2008 die lange Zeit in Verwendung stehenden Wahlmaschinen abgeschafft, setzt aber inzwischen testweise wieder Maschinen ein. 2012 und 2014 wurden solche mit einem voter-verified paper audit trail11 in der Region der Hauptstadt Brüssel genützt, wobei sich bei beiden Wahlen die Notwendigkeit für weitere Verbesserungen der Systeme und eine möglichst offene Kommunikation gezeigt hat.
  • In Bulgarien wurde seit 2004 über E-Voting-Lösungen diskutiert; eine Gesetzesänderung gestattete Internet-Voting-Piloten, die 2009 in neun Wahlbezirken durchgeführt wurden. Eine weitere gesetzliche Ausdehnung von remote voting wurde allerdings 2012 durch den bulgarischen Verfassungsgerichtshof gestoppt. Derzeit wird die Einführung von Wahlmaschinen ab 2015 erwogen, wobei keine konkreten Umsetzungspläne bekannt sind.
  • Estland12 hat Internet-Voting erstmals 2005 bei Gemeinderatswahlen eingesetzt und war zu der Zeit das erste Land der Welt, das rechtsverbindliches Online-Wählen ermöglichte. 2007 folgten die ersten Parlamentswahlen, in denen eine elektronische Distanzwahl angeboten wurde. Bei den Kommunalwahlen 2013 gaben 24,3 Prozent der Esten ihre Stimme über das Internet ab, bei der Europawahl 2014 waren es über 30 Prozent. Auf Grund von Wahlbeobachtungsberichten und Evaluierungen wurde das E-Voting-System in den vergangenen Jahren wiederholt ausgebaut und verbessert. So wurde ein eigenes siebenköpfiges Electronic Voting Committee aus IT-Experten zur Überwachung der elektronischen Wahlprozesse geschaffen, ein detailliertes Regelwerk für die IT-Prozesse erlassen und ein neues System zur Verifizierung (Nachkontrollierbarkeit) der elektronischen Stimmabgabe entwickelt, das nach Pilotversuchen für die kommenden Parlamentswahlen 2015 fix im Gesetz verankert wird.
  • Finnland hat 2008 den Einsatz von Internet-gestützten Wahlmaschinen in drei Gemeinden getestet, nach technischen und juristischen Kontroversen deren Verwendung aber nicht weiterverfolgt. 2013 wurde von der Regierung eine technische Arbeitsgruppe eingesetzt, die Möglichkeiten eines zusätzlichen Einsatzes von Internet-Voting prüfen sollte und in die auch die Privatwirtschaft eingebunden war. Im Juni 2014 legte die Arbeitsgruppe einen Bericht vor, auf Grund dessen die Regierung beschloss, den Einsatz der Online-Stimmabgabe bei konsultativen Referenden auf kommunaler Ebene weiterzuverfolgen. Zu diesem Zweck ist die Arbeitsgruppe nun mit der Ausarbeitung technischer Kriterien betraut.
  • Frankreich kennt zwei Formen der elektronischen Stimmabgabe: Einerseits Wahlmaschinen in den Wahllokalen verschiedener Kommunen13, deren Anzahl nach den Diskussionen in den Niederlanden und Deutschland jedoch nicht mehr erhöht wird; andererseits das Wählen via Internet, das nach Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage 2003 und nachfolgenden Pilotversuchen im Juni 2012 erstmals für die Kür bestimmter französischer Auslandsrepräsentanten durchgeführt wurde. Auch 2014 war, parallel zur Europawahl, den Auslandsfranzosen bestimmter Regionen die Wahl eigener Vertreter per Online-Voting erlaubt. Ein parlamentarischer Bericht stellte im April 2014 fest, dass die Kosten für die Internet-Wahl, insbesondere gemessen an der Wahlbeteiligung, sehr hoch seien, eine Abkehr aber dennoch nicht erwogen werden sollte, weil die Online-Stimmabgabe aus vielen internationalen Destinationen eine «praktische Notwendigkeit» sei.14
  • In Deutschland wurden in verschiedenen Bundesländern lange Zeit Maschinen in Wahllokalen eingesetzt. Auf Grund von Anfechtungen der Bundestagswahl 2005 entschied das Bundesverfassungsgericht am 3. März 200915, dass bei Wahlen nur elektronische Wahlgeräte zugelassen und verwendet werden dürften, die den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit genügen; dieser schreibt vor, dass «alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen». Die sei durch die verwendeten Maschinen auf Basis der Bundeswahlgeräteverordnung nicht sicher gestellt gewesen. Verfassungsrechtlich wurde vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht beanstandet, dass das Bundeswahlgesetz generell den Einsatz von Wahlgeräten zulässt. Dessen ungeachtet ist die elektronische Stimmabgabe seither in Deutschland kein Thema.
  • In den Niederlanden waren, ähnlich wie in Deutschland, seit den 1960er-Jahren Wahlmaschinen in Verwendung. Zudem wurde seit den 2000er-Jahren für die Wahlen bestimmter Gremien an Internet-Lösungen gearbeitet. 2008 wurde der Einsatz von Maschinen und dem Internet bei Wahlen vom Innenministerium gestoppt, um Vorwürfen einer NGO, die Wahlentscheidungen könnten ausgelesen werden, zu begegnen. Ab 2009 wurde daher ausschließlich auf Papier gewählt – zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Eine Forschungskommission, die 2013 gegründet wurde, erarbeitete Empfehlungen für einen zukünftigen neuerlichen Einsatz von IKT bei Wahlvorgängen, um die Stimmabgabe wieder schneller und zugänglicher zu machen. Demnach sollten Maschinen mit voter-verified paper audit trails ausreichend Transparenz und Sicherheit garantieren; in einem groß angelegten Projekt wird nun an Lösungen gearbeitet, die Drucker zum Erstellen von Stimmzetteln und eigenständige Scanner zum Einlesen dieser Stimmzettel vorsehen. Die Details einer solchen Umsetzung sind allerdings derzeit unklar.
  • Norwegen galt neben Estland lange als zweiter nördlicher Staat Europas mit großem Innovationspotential im Bereich von E-Voting. Nach einer Machbarkeitsstudie im Jahr 2006 wurde ein groß angelegtes Projekt zu Internet-Voting gestartet, für das eine eigene Rechtsgrundlage geschaffen wurde, die die Prinzipien der Rec(2004)11 mit einbezog. 2011 wurde bei den Kommunalwahlen in 10 Gemeinden Online-Wählen mit einer neu entwickelten Lösung angeboten, die das Nachkontrollieren der Stimmabgabe ermöglichte. 2013 wurde bei den Parlamentswahlen in 12 Gemeinden (rund 7 Prozent der Bevölkerung) das Wählen per Internet angeboten. Im Juni 2014 entschied die norwegische Regierung, die Piloten zu Internet-Voting nicht mehr fortzusetzen16.
  • Die Schweiz, ein durch die Briefwahl mit Distanzwahlverfahren bereits lange vertrauter Staat, begann 2002 mit den ersten Pilotversuchen zu «vote électronique» in drei Kantonen. Anfangs war die elektronische Stimmabgabe nur für lokale Wahlen und Referenda vorgesehen, 2011 wurde erstmals auch bei nationalen Parlamentswahlen E-Voting angeboten. Die Einführung erfolgt schrittweise und nur in jenen Kantonen, die selbst an Internet-Voting Interesse haben.17 In der derzeitigen ersten Ausbauphase können bis zu 50 Prozent der kantonalen Stimmberechtigten zu E-Voting zugelassen werden, maximal aber 30 Prozent der gesamtschweizerischen Wählerschaft. Mit Jänner 2014 wurden neue Rechtsgrundlagen in Kraft gesetzt, die unter anderem neue Risikoanalysen, mehr Transparenz und Schritte zur Verfizierung (Nachkontrollierbarkeit) festlegen. Bei etwa 30 Wahlen und Referenda war bisher eine elektronische Stimmabgabe möglich, von 170‘000 insgesamt zur Online-Wahl berechtigten Personen nützen bislang 26‘000 diese Möglichkeit. Bei der bundesweiten Volksabstimmung am 30. November 2014 haben zwölf Kantone18 Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt. Weitere Umsetzungsschritte, wie etwa die elektronische Unterschriftensammlung für Initiativ- und Referendumsbegehren («e-Collecting»), stehen nach wie vor aus.19
  • Die Türkei hat 2012 eine Rechtsgrundlage geschaffen, die im Ausland lebenden Staatsbürgern zukünftig die Verwendung von E-Voting in Wahlzentren an zahlreichen Standorten weltweit erlauben soll. Als wichtige Basis dafür gilt das computer-unterstützte zentrale Wählerregister «SEÇSİS», das Wählerinnen und Wähler auf Basis einer nationalen Identifikationsnummer erfasst und alle Phasen der Wählererfassung transparent gestaltet.
  • Ungarn, wo E-Voting bislang vor allem im Zusammenhang mit der Stimmabgabe aus dem Ausland thematisiert wurde, hat den Einsatz von IKT bisher auf das Auswerten von Stimmzetteln bei Briefwahlstimmen beschränkt. 2013 wurden erstmals Scanner eingesetzt, die allerdings zum Teil Probleme beim Einlesen aufwiesen. Eine Verbesserung der Technik bei zukünftigen Wahlen wird verfolgt.
  • Das Vereinigte Königreich galt lange als einer der ersten Staaten, der mit E-Voting-Piloten aufhorchen ließ. Die möglichen voting channels umfassten ab 2002 neben der Maschinenwahl im Wahllokal auch das Wählen an öffentlichen Kiosken und das Wählen per Internet. Nach den negativen Erfahrungen in anderen Staaten und kritischen Stimmen der UK Electoral Commission wurde E-Voting seit 2007 von der Regierung nicht weiter verfolgt. Die derzeitige Meinungsbildung im Vereinigten Königreich erscheint erneut in Bewegung geraten zu sein. So rief die Vorsitzende der UK Electoral Commission im März 2014 zu einer Modernisierung von Wahlen und einem «move to online voting» auf. In die gleiche Richtung gehen Empfehlungen der parlamentarischen Speakers Commission on Digital Democracy, die als Richtschnur für das Unterhaus im weiteren Umgang mit der digitalen Demokratie dienen sollen. Punkt 4 der Zielsetzungen besagt, dass 2020 «secure online voting should be an option for all voters»20.

3.

Weitere Entwicklung im Europarat ^

[3]

Am Ende der 5. Evaluierungssitzung zu Rec(2004)11 am 28. Oktober 2014 in Lochau bei Bregenz stand der Wunsch der anwesenden Staaten, E-Voting weiter im Portfolio des Europarates zu belassen und sobald wie möglich mit einer Überarbeitung der Empfehlung zu E-Voting im Rahmen einer eigenständigen «Ad-Hoc-Group of Experts» zu beginnen – dies insbesondere in Anlehnung an die bisherigen bewährten Formate. Die Conclusions des Meetings lauteten wie folgt:

The participants of the fifth Review Meeting on the Council of Ministers Recommendation Rec(2004)11 on legal, operational and technical standards on e-voting expressed the view that the upcoming update of CM Rec(2004)11 should be undertaken in a concentrated way by a special ad hoc group of experts, as soon as possible, but at the latest in the intergovernmental structure within the next Programme and Budget 2016–2017. To save costs, electronic means of exchange and negotiation should be used where possible. To assure the highest possible quality in the outcome of this update, this group of experts should be composed of government representatives from election management bodies supported, as necessary, by other relevant stakeholders such as academia, industry and civil society.
[4]

Die Eigenständigkeit der Expertengruppe, losgelöst von anderen Gremien des Europarates, war nicht nur den Delegierten in Lochau ein Anliegen, sondern wurde in der Folge auch im zuständigen Ausschuss des Ministerdelegiertenkomitees («GR-DEM»21) weiter diskutiert. Schon 2003 war E-Voting in die Hände einer ad-hoc installierten Expertengruppe gelegt worden. 22 Im 826. Meeting des Ministerkomitees am 5. Februar 2003 war zur Mitgliedschaft in dieser ersten E-Voting-Arbeitsgruppe des Europarates festgehalten worden, dass «(…) governments of all member states are entitled to appoint members with the following qualifications being desirable: experts in issues concerning legal, operational and technical standards for elections and also experience in procedures related to electoral matters and, where possible, ICT technical experience». Repräsentanten weiterer Gremien des Europarates, etwa der Parlamentarischen Versammlung, und von Institutionen wie der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament, konnten damals ohne Stimmrecht beigezogen worden.23

[5]

In der Sitzung der zuständigen «GR-DEM» am 13. Jänner 2015 kamen die Ergebnisse und Empfehlungen des 5th Review Meeting nach einer unerwarteten Vertagung im Dezember 2014 zur inhaltlichen Debatte. Österreich beantragte, die Conclusions aus Lochau umzusetzen und erhielt dabei Unterstützung von 20 anwesenden Staaten. Das Sekretariat des Europarates wurde daher beauftragt, bis zum nächsten Treffen einen Entscheidungsentwurf auszuarbeiten, welcher die Einrichtung einer «direkt dem Ministerdelegiertenkomitee unterstehenden» Ad-hoc Expertengruppe samt Mandat für die Novellierung der E-Voting-Empfehlung vorsehen soll. Nach Auskunft des Europarats-Sekretariates stehen für 2015 noch entsprechende Budgetmittel zur Verfügung; für das nächste Budget-Biennium (2016–2017) soll zur Fortführung der Arbeiten der Expertengruppe neu verhandelt werden.

4.

Ausblick ^

[6]

Nicht nur die breite Palette an Beispielen verschiedener europäischer Staaten, sondern auch die jüngsten Entwicklungen auf dem Parkett des Europarates zeigen, dass das elektronische Wählen weiterhin im Fokus vieler Staaten steht – wenn auch nicht mit dem gleichen Enthusiasmus und der gleichen Geschwindigkeit wie noch ein Jahrzehnt zuvor. Wissenschaft, Politik und Verwaltung haben erkannt, dass gerade beim Einsatz von IKT im Bereich des Wählens besondere Sensibilität erforderlich ist, um nicht nur sichere und verlässliche Systeme anzubieten, sondern auch unbegründete Ängste zu nehmen und umfassende Transparenz zu gewährleisten. Insofern hat sich der Begriff des E-Voting, wie ihn Rec(2004)11 definiert, augenscheinlich verbreitert: Wenn die Empfehlung aus dem Jahr 2004 davon spricht, dass es sich bei E-Voting um «an e-election or e-referendum» handle, das «the use of electronic means in at least the casting of the vote» involviere24, so scheint derzeit eher das Gegenteil der Fall zu sein, wenn man von IKT im Wahlbereich spricht. Die Elektronik greift zwar zunehmend um sich, allerdings weniger bei der Wahlhandlung selbst, sondern eher in verschiedenen Phasen rundherum (beispielsweise als unterstützendes Element nach einer Stimmabgabe auf Papier, etwa zum Scannen und Auszählen).25 Das Feld «Online-Wahlen» ist damit freilich nicht am Abstellgleis, sondern könnte durch die Erfahrungen im infrastrukturellen Bereich noch angereichert und gestärkt werden. Im Rahmen einer zukünftigen Aktualisierung der E-Voting-Empfehlung Rec(2004)11 sollten diese jedenfalls Berücksichtigung finden. Forderungen wie jene der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die in ihrer Sitzung in Straßburg am 30. Jänner 2015 zur Stärkung der Wahlbeteiligung von Auslandsbürgerinnen und -bürgern dazu aufgerufen hat, Wahlverfahren zu vereinfachen und «proxy, postal and e-voting» in den verschiedenen Wahlordnungen einzuführen, werden ebenfalls weiter Dynamik in die internationale E-Voting-Debatte bringen.26

5.

Literatur ^

Balthasar/Prosser, E-Voting in der «sonstigen Selbsverwaltung», JRP 2012, 47.

Buchsbaum, Aktuelle Entwicklungen zu E-Voting in Europa, JRP 2004, 106.

Driza Maurer, Ten Years Council of Europe Rec(2004)11: Lessons learned and Outlook, in Krimmer/Volkamer, EVOTE 2014 Proceedings (2014) 105.

Grabenwarter, Briefwahl und E-Voting: Rechtsvergleichende Aspekte und europarechtliche Rahmenbedingungen, JRP 2004, 70.

Krimmer/Lehner/Stangl/Varga/Stein/Wenda/Kozlik, E-Voting im Rahmen der Wahlen zur Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahl 2009, 547 ff. in Hauser/Kostal (Hrsg), Jahrbuch Hochschulrecht 2009.

Mundorf/Reiners, E-Voting als wegweisende Innovation in Estland, Innovative Verwaltung 2010/10, 42.

Pentz, Richtungsweisend – nur wohin? Die Judikatur des VfGH zu E-Voting, Juridikum 1/2012, 6.

Stein/Wenda, E-Voting in Österreich, SIAK-Journal 3/2005, 3.

Stein/Wenda, The Council of Europe and e-voting: History and impact of Rec(2004)11, in Krimmer/Volkamer, EVOTE 2014 Proceedings (2014) 105.

Vogl, Briefwahl und E-Voting auf Bundesebene, JRP 2006, 119.

Wenda, «Good Governance in the Information Society» – Der Europarat und E-Voting, in Schweighofer/Kummer (Hrsg.), Europäische Projektkultur als Beitrag zur Rationalisierung des Rechts, Tagungsband des 14. Internationalen Rechtsinformatik-Symposions IRIS 2011 (2011) 293.

Wenda, «Quo Vadis, E-Voting? Rückblick und Ausblick für Europa», in Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transparenz, Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik-Symposions IRIS 2014 (2014) 309.


 

Gregor Wenda, Stv. Leiter der Abteilung für Wahlangelegenheiten, Abteilung III/6, Bundesministerium für Inneres (BM.I), Republik Österreich, Herrengasse 7, 1014 Wien, AT, gregor.wenda@bmi.gv.at

  1. 1 Recommendation Rec(2004)11 of the Committee of Ministers to member states on legal, operational and technical standards for e-voting.
  2. 2 Vgl. dazu den Bericht der Unterarbeitsgruppe 3 zu E-Voting(Internationales») im österreichischen Bundesministerium für Inneres vom 20. Oktober 2004 (http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/wahlrecht/files/Bericht_UAG_3_Internationales.pdf, zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  3. 3 Vereinzelt hatten Staaten, so etwa die Niederlande oder Deutschland, daneben bereits seit längerer Zeit Maschinen in Wahllokalen im Einsatz.
  4. 4 So etwa in England bei regionalen Wahlen ab 2002, in der Schweiz ab 2003 oder in den Niederlanden bei der Europawahl 2004.
  5. 5 Vgl. dazu näher Gregor Wenda, Quo Vadis, E-Voting? Rückblick und Ausblick für Europa, in Tagungsband IRIS 2014.
  6. 6 Vgl. Report Fourth Review Meeting of 4 June 2013, DGII/Inf(2013)06
  7. 7 Zu den Hintergründen für ein «Update» vgl. im Detail Ardita Driza Maurer, Ten Years Council of Europe Rec(2004)11: Lessons learned and Outlook, in Krimmer/Volkamer, EVOTE 2014 Proceedings (2014) 105.
  8. 8 Und zwar im Rahmen der EVOTE 2014-Konferenz in Lochau bei Bregenz Ende Oktober 2014.
  9. 9 Vertreterinnen und Vertreter aus dem lateinamerikanischen Raum verwiesen dort auch auf die Relevanz, die Rec(2004)11 in den dortigen Staaten (wo E-Voting-Bestrebungen teilweise im Vormarsch sind) inzwischen einnimmt.
  10. 10 Grundlage für die Auflistung bilden neben dem Bericht vom 5th Review Meeting in Lochau am 28. Oktober 2014 zahlreiche vom Sekretariat des Europarates gesammelte Informationsbögen, persönliche Recherchen von Robert Krimmer (ODIHR Expert zu New Voting Technologies von 2010–2014), die Konferenzbände der in Lochau bei Bregenz abgehaltenen «EVOTE 2012» und «EVOTE 2014» sowie die Übersicht von IDEA-ACE (http://aceproject.org/ace-en/focus/e-voting/, zuletzt abgefragt am 8. Februar 2015).
  11. 11 Die Idee eines papiergestützten Referenzausdrucks, («voter-verified paper audit trail», kurz «VVPAT»), der Wahlberechtigten ermöglichen soll, ihre Stimmabgabe an einer Wahlmaschine nochmals zu kontrollieren, wurde bereits 2001 in der Literatur vorgeschlagen (vgl. Rebecca Mercuri, Electronic vote tabulation checks and balances [2001], http://repository.upenn.edu/dissertations/AAI3003665, zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  12. 12 Die anderen beiden baltischen Staaten, Lettland und Litauen, erwägen mit unterschiedlicher Intensität die Einführung von E-Voting. In Litauen wurden unverbindliche Tests zur allgemeinen Akzeptanz in kleinerem Rahmen durchgeführt, in Lettland die umrahmende IKT ausgebaut. Die lettische Wahlkommission ist weiter am Prüfen eines zukünftigen Einsatzes von Internet-Voting (http://www.lsm.lv/en/article/societ/society/no-e-voting-for-latvia-any-time-soon.a93774/, zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  13. 13 Nach letztem Stand 82 Kommunen mit rund 1,4 Millionen Wahlberechtigten (vgl. http://www.liberation.fr/politiques/2014/04/15/vote-electronique-un-rapport-parlementaire-appelle-a-la-prudence_997935, zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  14. 14 Vgl. den Bericht der «Commission des lois» des französischen Senates vom 9. April 2014: http://www.senat.fr/rap/r13-445/r13-445.html (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  15. 15 Zum Text der Entscheidung siehe: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/cs20090303_2bvc000307.html (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  16. 16 http://www.regjeringen.no/nb/dep/kmd/pressesenter/pressemeldinger/2014/Ikke-flere-forsok-med-stemmegivning-over-Internett-.html?id=764300 (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  17. 17 So werden bei einer Volksabstimmung im Kanton Zürich am 8. März 2015 erstmals auch Auslandsschweizerinnen und -schweizer dieses Kantons mittels E-Voting teilnehmen können (http://www.basellandschaftlichezeitung.ch/schweiz/zuercher-auslandschweizer-koennen-am-8-maerz-elektronisch-abstimmen-128759712; zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  18. 18 Es handelte sich um die Kantone Aargau, Basel-Stadt Bern, Freiburg, Genf, Graubünden, Luzern, Neuenburg, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau.
  19. 19 Vgl. Nadja Braun Binder, Quoren und Fristen bei der elektronischen Unterschriftensammlung (e-Collecting), Zeitschrift für Schweizerisches Recht 2014 I, 539.
  20. 20 http://www.digitaldemocracy.parliament.uk/chapter/summary#main-content (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  21. 21 Rapporteur Group on Democracy.
  22. 22 Das Integrated Project 1 (IP1) des Europarates mit der Bezeichnung «Making democratic institutions work» lief von 2002 bis 2004 und hatte vor allem zwei – getrennte – Schwerpunkte: IP1-S-EE (E-enabled Voting = E-Voting) und IP1-S-EG (E-Governance). Den Themen E-Voting und E-Governance wurde 2003 durch die Schaffung von zwei unterschiedlichen Arbeitsgruppen separat nachgegangen, wobei E-Voting nicht als «intersektoral», sondern als interdisziplinär («multidisciplinary») angesehen wurde.
  23. 23 Vgl. das Mandat der Arbeitsgruppe: https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?Ref=CM(2003)12&Language=lanEnglish
    &Site=COE&BackColorInternet=DBDCF2&BackColorIntranet=FDC864&BackColorLogged=FDC864
    (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).
  24. 24 Vgl. Recommendation Rec(2004)11, v.
  25. 25 Auch die Verwendung von Open-Source-Lösungen kann Wahlbehörden vor neue Herausforderungen stellen (vgl. etwa die Studie von International IDEA, The Use of Open Source Technology in Elections [2014]).
  26. 26 Vgl. die Tagesordnung unter: http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=21334&lang=en (zuletzt abgefragt: 26. Januar 2015).