Jusletter IT

Erste Skizze zur Verwaltung 4.0

Neuartige Formen der Kooperation in der öffentlichen Verwaltung durch intelligente Objekte und cyberphysikalische Systeme

  • Authors: Jörn von Lucke / Florian Schumacher
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015, Peer Reviewed – Jury LexisNexis Best Paper Award of IRIS2015
  • Citation: Jörn von Lucke / Florian Schumacher, Erste Skizze zur Verwaltung 4.0, in: Jusletter IT 26 February 2015
Im Internet der Dinge und im Internet der Dienste werden intelligente Objekte und darauf aufsetzende cyberphysikalische Systeme eine wichtige Rolle spielen. Deren Potentiale sind für viele Bereiche des öffentlichen Sektors bisher noch nicht erschlossen. Zwar beschäftigen sich Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland im «Arbeitskreis Industrie 4.0» seit 2007 mit deren Konsequenzen für industrielle Herstellungsprozesse, industriell hergestellte Produkte und ergänzende Dienstleistungen. Auch wurde versucht, die Potentiale auf die Energiewirtschaft, das Transportwesen und das Gesundheitswesen im Kontext smarter Städte zu übertragen. Eine Kombination von smarten Objekten, sensorgestützten Frühwarnsystemen und elektronischer Vorgangsbearbeitung sowie ihr Kooperationspotential wurden bisher für viele Kernbereiche des Verwaltungshandelns jedoch kaum durchdacht. Insofern wird es Zeit, das Forschungsfeld «Verwaltung 4.0» systematisch zu bestimmen, zu vermessen und mit Hilfe von Skizzen auch schrittweise zu erschließen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung – Forschungsfrage
  • 2. Häfler Definition von Verwaltung 4.0
  • 3. Leitbild für die inhaltliche Gestaltung von Verwaltung 4.0
  • 4. Eingebettete Systeme und intelligente Objekte
  • 5. Cyberphysikalische Systeme im öffentlichen Sektor
  • 6. Neuartige Kooperationsformen im Zeitalter des Internet der Dinge
  • 7. Neuartige Kooperationsformen im Zeitalter des Internet der Dienste
  • 8. Werkstattbericht mit erster Skizze: Gerichte 4.0 und Justizverwaltung 4.0
  • 9. Zusammenfassung und Ausblick
  • 10. Literatur

1.

Einleitung – Forschungsfrage ^

[1]
In Deutschland wird im Rahmen der Hightech-Strategie (http://www.hightech-strategie.de) seit 2006 gezielt Forschung um das Internet der Dinge gefördert. Aus Anwendungsszenarien für intelligente Objekte in industriellen Herstellungs- und Wertschöpfungsprozessen heraus entwickelte sich die Idee «Industrie 4.0», um das das Potential intelligenter Objekte, cyberphysikalischer Systeme und ihrer Vernetzung im industriellen Kontext zu vertiefen. Mittlerweile setzen Industrie, Verbände und Bundesregierung auf die Plattform Industrie 4.0 (http://www.plattform-i40.de), um gemeinsam das Forschungs- und Entwicklungsfeld zu erschließen und weltweit zu besetzen. Mit «Industrie 4.0» wird heute auf die Vernetzung, die Kommunikation und den Austausch von und zwischen intelligenten Objekten gezielt. «Industrie 4.0 meint im Kern die technische Integration von cyberphysikalischen Systemen in die Produktion und die Logistik sowie die Anwendung des Internets der Dinge und Dienste in industriellen Prozessen – einschließlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation.» [Forschungsunion/acatech (2013), S. 18].
[2]
Diese von Wirtschaft, Wissenschaft und der deutschen Bundesregierung formulierte Vision einer «Industrie 4.0» regt die Verwaltungs- und die Rechtsinformatik zur eigenen Leitbildentwicklung für eine «Verwaltung 4.0» an. Schließlich können die neuen technischen Möglichkeiten des Internet der Dinge und des Internet der Dienste auch im öffentlichen Sektor zu disruptiven Veränderungen führen, auf die sich Politik und Verwaltung vorbereiten sollte. Die Ansätze «smarter Städte» (Smart Cities) und die bisher vorgelegten Konzeptionen für Bildung, Gesundheit, Verkehr und Energie sind erste Schritte auf diesem Wege. Aufgrund ihrer Eigenständigkeit und Komplexität muss eine Vision zu «Verwaltung 4.0» jedoch mit Blick auf das Leistungsportfolio des öffentlichen Sektors sehr viel breiter aufgestellt werden. Was sollte aber konkret unter dem Schlagwort «Verwaltung 4.0» verstanden werden, um international anschlussfähig zu sein? Welche technischen und organisatorischen Ansätze sind in ein solches ganzheitliches Konzept einzubinden? In diesem Beitrag werden aus dem Blickwinkel der Verwaltungsinformatik wesentliche Definitionen und Leitbilder erarbeitet. Auf dieser Grundlage wurden dann in einem Workshop die sich eröffnenden Möglichkeiten für Kooperationen durch ausgewählte intelligente Objekte und cyberphysikalische Systeme beispielhaft an Gerichten und in der Justizverwaltung betrachtet, erarbeitet und skizziert. Der Blick auf das sich so bietende Potential führt zu der klaren Handlungsempfehlung, diese Betrachtung zeitnah auf den gesamten öffentlichen Sektor auszuweiten und im Sinne von «Verwaltung 4.0» zügig zu erschließen.

2.

Häfler Definition von Verwaltung 4.0 ^

[3]
Eine Übertragung der Kerngedanken des Zukunftsprojekts Industrie 4.0 auf die öffentliche Verwaltung muss den Anspruch haben, das gesamte Angebots- und Leistungsportfolio des öffentlichen Sektors abzudecken. Gerade die sich bietenden Gestaltungsoptionen von cyberphysikalischen Systemen, des Internets der Dinge und des Internets der Dienste eröffnen neuartige Möglichkeiten zur Modellierung und Gestaltung des künftigen öffentlichen Sektors. Daher gilt es ein Zukunftsbild «Verwaltung 4.0» aufzustellen, welches sich mit diesen drei Komponenten auseinandersetzt. In Anlehnung an die zentrale Definition von Industrie 4.0 [Forschungsunion/acatech (2013), S. 18] soll für den öffentlichen Sektor das folgende Begriffsverständnis im Sinne einer Häfler Definition von Verwaltung 4.0 [von Lucke/Schumacher (2014), in Veröffentlichung] verwendet werden:

«Verwaltung 4.0 meint im Kern die technische Integration von cyberphysikalischen Systemen in die öffentliche Verwaltung sowie die Anwendung des Internets der Dinge und der Dienste im Rahmen der Prozesse des Regierens und Verwaltens – einschließlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation

[4]
Ganz bewusst wird Bezug auf das Regierungs- und Verwaltungshandeln in seiner ganzen Breite und Vielfalt genommen. Wie die Speyerer Definition von E-Government [von Lucke/Reinermann (2000)] umfasst auch dieser Ansatz sowohl die lokale oder kommunale Ebene, die regionale oder Landesebene, die nationale oder Bundesebene sowie die supranationale und globale Ebene. Eingeschlossen ist somit der gesamte öffentliche Sektor, bestehend aus Legislative, Exekutive und Jurisdiktion sowie öffentlichen Unternehmen [von Lucke/Schumacher (2014)].

3.

Leitbild für die inhaltliche Gestaltung von Verwaltung 4.0 ^

[5]
Zur Konkretisierung des Schlagworts «Verwaltung 4.0» empfiehlt sich die Formulierung eines Leitbildes, in dem sich wesentliche Aspekte zur Gestaltung des öffentlichen Sektors wiederfinden:
[6]
«Intelligente Objekte wie etwa smarte Brillen, interaktive Leinwände und vernetzte Kleidungsstücke können in Ministerien, Behörden, Gerichten, Entscheidungsprozessen und Verfahrensabläufen sehr unterschiedliche Verwendung finden. Die flächendeckende Einführung interoperabler elektronischer Akten- und Vorgangsbearbeitungssysteme verlagert Dokumente, Akten, Vorgänge und darauf aufsetzende Dienste in das Internet der Dienste. Zentrale Aufgaben der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung lassen sich hochautomatisiert gestalten, ohne menschliche Entscheidungsträger aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Dies ermöglicht eine stärkere Massenbearbeitung von Einzelanträgen, Rechnungen und Genehmigungsprozessen. Intelligente Vorgänge unterstützen aktiv die Vorgangsbearbeitungsprozesse. Vorgänge steuern sich selbst durch Zuständigkeiten und dynamische Wertschöpfungsketten. Autonome, sich selbst organisierende Vorgangsbearbeitungssysteme mit Genehmigungsfiktion ersetzen die bewährte papierbasierte wie botenlastige Aktenhaltung. Portalbasierte einheitliche Ansprechpartner kümmern sich um das gesamte Anliegen der Bürger und Unternehmen, ohne diese mit administrativen Kenntnissen zu überfordern. Proaktive Verwaltungsleistungen und intelligente Bescheide ergänzen das Leistungsportfolio. All diese neuartigen kooperativen Ansätze stärken die dynamische Selbstorganisation und können zur Auflösung von klassischen Zuständigkeits- und Fachbereichsgrenzen führen. Gerade das disruptive Potential dieser vierten Generation der Digitalisierung für Staat und Verwaltung (Verwaltung 4.0: Smart Government) verlangt eine intensivere inhaltliche Auseinandersetzung, um sich frühzeitig auf die anstehenden Veränderungen einzustellen.» [von Lucke/Schumacher (2014)].

4.

Eingebettete Systeme und intelligente Objekte ^

[7]
Die eigentlichen revolutionären Veränderungen für Verwaltung 4.0 gehen von eingebetteten Systemen aus. Dies sind Mikroprozessoren, die über Netzwerke miteinander verbunden sind und die über diese sogar miteinander kommunizieren können. Sie sind Hardware- und Softwarekomponenten, die in ein Produkt integriert werden, um so weitere produktspezifische Funktionsmerkmale zu realisieren. Dadurch kann die Funktionalität und der Gebrauchswert des Produktes weiter erhöht werden [acatech (2011), S. 5 und Geisberger/Broy (2012), S. 254]. Im Prinzip werden physische Objekte (Dinge) mit steuerbaren Chips ausgestattet und über Funk vernetzt. Durch eine virtuelle Repräsentation im Internet erhalten diese Objekte eine eindeutig ansprechbare Identität. Interagieren solche Objekte miteinander oder mit Menschen, so kann diesen Dingen eine «gewisse Intelligenz» zugesprochen werden. Man spricht von «intelligenten Objekten mit Sensoren und Aktoren».
[8]
Sensoren sind technische Bauteile, die bestimmte physikalische oder chemische Eigenschaften qualitativ oder als Messgröße quantitativ erfassen und diese in eine digital weiterverarbeitbare Form umwandeln [Geisberger/Broy (2012), S. 139 & S. 255]. Diese laufend generierten Daten können auf Nachfrage weitergeleitet werden. Sensoren unterschiedlichster Art befinden sich heute bereits in Smartphones, Tablets, Tischen, Videokameras, Geräten, Maschinen, Autos, Straßen, Häusern, Geschäften, Büros und Produktionsstraßen [Rifkin (2014), S. 2]. Aktoren sind Komponenten aus Software, Elektronik und Mechanik, die auf digitale Stellwerte reagieren und so regulierend in ein Regelungssystem eingreifen. Im Prinzip setzen sie von einem Steuerungscomputer ausgehende Befehle in mechanische Bewegung oder andere physikalische Größen wie Druck, Temperatur, Töne oder Licht um und beeinflussen so ihre Umgebung. Auch Aktoren gibt es in einer breiten Vielfalt.
[9]
Intelligente Objekte verfügen in der Regel über einen Funkchip, über Sensoren und über Aktoren. So haben smarte Telefone (Smartphones) schon eine sehr weite Verbreitung gefunden. Mit solchen Telefonen können Benutzer nicht nur telefonieren, sondern auch Gespräche und Mitteilungen aufzeichnen, Fotografien machen, Videofilme drehen, Kurznachrichten und E-Mails empfangen und digitale Objekte beliebiger Art versenden. Viele weitere Anwendungen sind als Apps herunterladbar. Automatisch generierte Nutzungsprotokolle lassen sich aus der Ferne und teils ohne Wissen der Eigentümer auswerten. Auch Uhren, Armbänder und Fotokameras werden zunehmend intelligent, um gezielt Bewegungsprofile zu erzeugen und zu analysieren. Smarte Brillen wie etwa Google Glass erweitern das Blickfeld des Betrachters um elektronisch visualisierte Zusatzinformationen und verbessern dessen Wahrnehmung der Realität (Augmented Reality). In Verbindung mit Spracherkennung, Gesichtserkennung und Videoaufzeichnung eröffnen sich bisher ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten, die in der Gesellschaft nicht nur auf Freude, sondern aus ethischen Überlegungen auch auf Ablehnung stoßen könnten. Smarte oder interaktive Whiteboards sind digitale Tafeln, die mit einem Computer verbunden sind und diesen über eine mit Sensoren ausgestatte Projektionsfläche steuern. Die Gestaltung weiterer intelligenter Objekte ist auch künftig vorstellbar. Dabei ist zu bedenken, dass nicht nur eine Objektidee und deren hochwertige Umsetzung notwendig ist, sondern auch die Einbindung in ein cyberphysikalisches System [von Lucke/Schumacher (2014)].

5.

Cyberphysikalische Systeme im öffentlichen Sektor ^

[10]
Cyberphysikalische Systeme (CPS) sind heterogen vernetzte Gebilde, die reale physikalische Objekte mit digitalen Informations- und Kommunikationssystemen verknüpfen und kombinieren. Es handelt sich um IT-Systeme als Teil von Geräten, Gebilden oder Prozessen, die über Sensoren unmittelbar physikalische Daten erfassen und durch Aktoren auf physikalische Vorgänge einwirken. Sie werten aus und speichern vor allem die erfassten Daten. Zudem können sie aktiv oder reaktiv mit der physikalischen und der digitalen Welt interagieren. Dazu sind sie über digitale Kommunikationseinrichtungen untereinander (M2M) und in globalen Netzen (Internet) verbunden, so dass sie die weltweit verfügbaren Daten und Dienste nutzen können [acatech (2011), S. 13 und Geisberger/Broy (2012), S. 22]. Zur Aufgabenerledigung greifen sie in der Regel auf eine Vielzahl intelligenter Objekte, eingebetteter Systeme oder Sensornetze zurück, die sie auch im großen Umfang und über räumliche Entfernung nutzen. Durch ihre Anbindung an das Internet können CPS eine Reihe von neuartigen Funktionen, Diensten und Eigenschaften anbieten. Leistungsstarke CPS werden ihre verteilte Anwendungs- und Umgebungssituation unmittelbar erfassen, zusammen mit den Nutzern diese interaktiv beeinflussen und ihr Verhalten im Hinblick so auf die jeweilige Situation gezielt steuern [Geisberger/Broy (2012), S. 22]. Hieraus lassen sich smarte Ökosysteme entwickeln, in die IT-Systeme, Menschen, Daten, Dinge und Dienste gleichermaßen eingebunden werden und die sich teils selbst informieren, analysieren, überwachen und steuern. Ihre Vernetzung über das Internet bewirkt eine zunehmend nahtlose Verzahnung von realer mit digitaler Welt.
[11]
Acatech hat in seinen Studien das Potential und das Anwendungsspektrum von CPS in ersten ausgesuchten Bereichen bereits detailliert analysiert: Mobilität und Verkehr, Betreuung in der Medizin, intelligente Energienetze als Teile eines Smart Grids und intelligente Produktionsprozesse. Zudem werden Zug- und Flugverkehrssteuerungssysteme, Tsunami-Warnsysteme mit verteilter Erkennung, autonome Roboter und Drohnen bei gefährlichen Einsätzen sowie Sicherheitsüberwachung und -unterstützung erwähnt [Geisberger/Broy (2012), S. 29 ff. und 67 ff.]. CPS könnten in einer Fülle weitreichender Lösungs- und Anwendungsmöglichkeiten für alle Bereiche des Alltagslebens in bisher kaum vorstellbarer Weise Beiträge zu Sicherheit, Effizienz, Komfort und Gesundheit der Menschen leisten. Auf die Marktstrukturen wirken CPS disruptiv, denn sie werden bestehende Geschäftsmodelle und die Wettbewerbssituation grundlegend verändern, klassische Branchen transformieren und Marktführer herausfordern [acatech (2011), S. 5].
[12]
Es ist eine große Herausforderung, vertrauenswürdige und verlässliche CPS für den öffentlichen Sektor zu konzipieren, zu bauen, zu vernetzen, zu steuern, zu kontrollieren und zu warten (acatech 2011, S. 5). Im Gegensatz zu Frühwarn- und Risikosystemen muss in Staat und Verwaltung im Prinzip sichergestellt werden, dass Menschen weiterhin Entscheidungen selbst treffen können, Automation und Assistenz des Systems also nur nutzen, ohne sich von Rechnern bevormunden zu lassen. Schließlich sollen intelligente Objekte, Maschinen und Systeme auch weiterhin den Menschen, dem Volk und seinem Wohle dienen, nicht aber zum Instrument der Überwachung, Kontrolle und Unterdrückung werden. Diese ersten grundsätzlichen Überlegungen verweisen auf disruptive Veränderungen, einen enormen Spannungsbogen, gewollte Grenzen und vorhandene Risiken, auf die bei der Konzeption von CPS im öffentlichen Sektor und ihrer Einbindung in das Internet der Systeme Rücksicht zu nehmen ist. Eine Einbindung der Bürger, der Politik, der Verwaltungsmitarbeiter und verschiedener Wissenschaften in die Konzeption sollte daher von Anfang an ins. Auge gefasst werden [von Lucke/Schumacher (2014)].

6.

Neuartige Kooperationsformen im Zeitalter des Internet der Dinge ^

[13]
Die vierte Generation der Web-Technologien (Web 4.0) wird vor allem durch das Internet der Dinge und das Internet der Dienste geprägt werden. Die Veränderungskraft des Internet der Dinge resultiert aus der intelligenten Verknüpfung von eingebetteten Hard- und Softwaresystemen mit intelligenten Diensten aus der Cloud. Es verbindet intelligente Objekte mit ihren Sensoren und Aktoren sowie die darauf aufsetzenden CPS miteinander. Eingebettete Alltagsgegenstände und CPS lassen sich von Personen, Programmen, Diensten und Datenpaketen über das Internet eindeutig identifizieren, ansprechen, nutzen und steuern. Das Internet der Dinge steht damit für die globale «elektronische Vernetzung von Alltagsgegenständen» [BMBF (2013)] und den direkten gegenseitigen Informationsaustausch von Objekten ohne menschliche Eingriffe im Sinne einer echten Kommunikation von Maschine zu Maschine (M2M-Kommunikation).
[14]
Das Internet der Dinge eröffnet Organisationen neuartige Möglichkeiten sowohl zur Information und Analyse als auch zur Automation und Kontrolle. Werden bestehende Datenbestände von Objekten geöffnet und vernetzt, erweitern sich die Potentiale für eine breitere Informationsakquise und für bessere Analysen. Dies kann sich positiv auf Möglichkeiten zur Entscheidungsunterstützung auswirken. Beispielsweise lässt sich auf Basis von Sensordaten das Verhalten von Personen, Dingen, Diensten oder Daten weltweit verfolgen. Bewegungen von smarten Produkten und ihre Interaktionen sind jederzeit auswertbar. Geschäftsmodelle können sich auf solche verhaltensbasierte Datensammlungen stützen. Hier ist nicht nur an vereinfachte Recherchen, Überwachung und Berichterstattung durch die Nutzer selbst zu denken. Auch für Dritte eröffnen sich auf anonymer oder personalisierter Basis neuartige Auswertungsmöglichkeiten. Eine schnelle wie umfassende Auswertung der verfügbaren Sensordaten verbessert jede Umgebungs- und Situationswahrnehmung in Echtzeit. Die Aufmerksamkeit von Entscheidungsträgern kann durch eine leicht verständliche Aufbereitung und Visualisierung erhöht werden. Computerunterstützte detaillierte Untersuchungen und transparente Datenvisualisierung stärken sensorgetriebene Entscheidungsanalysen, die menschliche Entscheidungsträger in schwierigen Planungs- und Entscheidungssituationen zur eigenen Unterstützung heranziehen [Chui/Löffler/Roberts (2010), S. 3 ff.; von Lucke/Schumacher (2014)].
[15]
Viele Datensammlungen im Internet der Dinge können auch zur Automation und Kontrolle verwendet werden. Auf Basis aktueller Sensordaten und Nutzereingaben könnten etwa Prozesse in geschlossenen Systemen optimiert und über Aktoren und Feedback-Mechanismen auch selbst gesteuert werden. Dies eröffnet Einsparmöglichkeiten bei Verbrauch, Energiekosten und notwendigen menschlichen Eingriffen. Eine konsequente Umsetzung dieser Gedanken mit CPS sollte zu einem optimierten Ressourcenverbrauch innerhalb eines ganzen Netzwerks führen. Konsequent weitergedacht wären auch komplexe autonome Systeme vorstellbar, die in offenen Umgebungen mit großer Unsicherheit eingesetzt werden, in denen sofortige robuste Entscheidungen durch automatisierte Systeme erforderlich sind [Chui/Löffler/Roberts (2010), S. 6 ff.; von Lucke/Schumacher (2014)].
[16]

Das Konzept des Internets der Dinge legt die Grundlage zur umfassenden Vernetzung von Gegenständen über die TCP/IP-Protokolle. Intelligente Objekte, Sensoren und Aktoren werden ansprechbar und steuerbar. Smarte Lösungsansätze werden das Internet und die Intelligenz von CPS zur Bewältigung von Herausforderungen in einer Art und Weise nutzen, die in Dimensionen, Rechenleistung und Geschwindigkeiten bisher so kaum vorstellbar waren. Diesen Potentialen werden sich auch Staat und öffentliche Verwaltung dauerhaft nicht verschließen können. Trotzdem ist hier eine besondere Sensibilität geboten. Künftige auf intelligenten Alltagsgegenständen aufsetzende öffentliche Informationssysteme smarter Behörden und neuartige smarte Produkte dürfen nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen. Information, Analyse, Automation und Kontrolle über das Internet der Dinge sind innerhalb von Staat und Verwaltung dort zu begrenzen, wo sie die gewollten Lebenswelten, Arbeitswelten und Freiräume von Bürgern, Unternehmen, Beamten, Polizisten, Richtern, Angeklagten und anderen Betroffenen unverhältnismäßig einschränken oder gar Schäden oder Schlimmeres anrichten können. Zudem wird es zentrale Bereiche geben, etwa die Staatsführung, die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung, in denen die menschlichen Entscheidungsträger weiterhin voll in der Verantwortung bleiben wollen und entscheidungsunterstützende Systeme prinzipiell ablehnen. Dennoch besteht innerhalb dieses Rahmens für den öffentlichen Sektor ein großes Gestaltungspotential, das in den kommenden Jahren mit fachlichen Inhalten zu füllen ist [von Lucke/Schumacher (2014)].

7.

Neuartige Kooperationsformen im Zeitalter des Internet der Dienste ^

[17]
Ebenfalls zur vierten Generation der Web-Technologien gehört das «Internet der Dienste», in dem Dienste und Funktionalitäten als feingranulare Softwarekomponenten abgebildet und von Providern auf Anforderung über das Internet zur Verfügung gestellt werden. Web Services, Cloud Computing und standardisierte Schnittstellen ermöglichen dies. Die einzelnen Software-Bausteine sind als webbasierte Dienstleistungen (Web Services) miteinander integrierbar. Organisationen können modular einzelne Software-Komponenten zu komplexen und dennoch flexiblen Lösungen im Sinne einer dienste-orientierten Architektur (SOA: Service-Oriented Architecture) orchestrieren. Über Cloud Computing wird sichergestellt, dass auch externe IT-Ressourcen über das Internet genutzt werden können. Cloud-basierte Entwicklungsplattformen helfen, internetfähige Dienstleistungen über Organisationsgrenzen hinweg zu entwickeln und anzubieten. Dienstplattformen bündeln Komplettangebote, so dass Einzelangebote nicht mehr separat gesucht, verglichen, zusammengestellt und verknüpft werden müssen. Da alle Anwendungen webbasiert bereitgestellt werden, können diese plattform- und endgeräteunabhängig genutzt werden. Das Internet entwickelt sich so zum Baukasten für IKT-Anwendungen, IKT-Infrastrukturen und IKT-Dienste. In Verbindung mit Web 2.0-Technologien verbessert sich das Innovationspotential, da auf Anregungen, Impulse und Beschwerden zur Dienstleistungserbringung rasch reagiert werden kann [Berlecon Research (2010), S. 9 & S. 14 f. und Geisberger/Broy (2012), S. 247].
[18]
Die enge Verzahnung des Internet der Dienste mit dem Internet der Dinge beruht darauf, dass sich eine Reihe an realen Dingen bei mindestens gleichwertiger Funktionalität auch in webbasierte Dienste überführen und um ergänzende intelligente Funktionen erweitern lassen. Anstelle der technischen Weiterentwicklung von Dingen zu intelligenten Objekten tritt dann gleich die Neuentwicklung leistungsfähiger Web Services mit teils disruptiven Folgen. Vielfach ist der webbasierte Dienst deutlich effizienter und effektiver, so dass auf das Original und damit verbundene Medienbrüche komplett verzichtet werden könnte. Elektronische Akten- und Prozessunterstützungssysteme bieten gegenüber Papier und Akten etwa neuartige Möglichkeiten zur gleichzeitigen gemeinsamen Einsicht und Bearbeitung, zur Prozessoptimierung, zur Kostensenkung und zur Effizienzsteigerung. Gerade der von einer papierbasierten Informationsverarbeitung geprägte öffentliche Sektor möchte dieses Potential im Rahmen der elektronischen Verwaltungsarbeit (E-Verwaltung) künftig stärker nutzen. Der bewusster Verzicht auf Papier als Original eröffnet zudem für Eintrittskarten, Fahrkarten, Ausweise, Bescheide, Urkunden und Rechnungen neuartige webbasierte Möglichkeiten und darauf aufsetzende Geschäftsmodellinnovationen [von Lucke/Schumacher (2014)].
[19]
Das Konzept des Internet der Dienste gewinnt erst allmählich an Konturen. Staat und Verwaltung werden eigene Wege zum Aufbau einer dienste-orientierten Architektur (Government SOA) gehen. Eine koordinierte Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften, Ministerien und Behörden wäre aus Sicht der Steuerzahler wünschenswert, um Parallelentwicklungen bei Diensten und Prozessen zu vermeiden. Mit dem Aufbau eines Föderativen Informations- und Wissensmanagements (FIM) werden hierzu für die kommenden Jahrzehnte die ersten infrastrukturellen Grundlagen gelegt.

8.

Werkstattbericht mit erster Skizze: Gerichte 4.0 und Justizverwaltung 4.0 ^

[20]
In einem Workshop an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen wurde auf Grundlage von Definition, Leitbild und technischen Möglichkeiten eine erste Skizze erarbeitet, inwieweit intelligente Dinge und cyberphysikalische Systeme beispielhaft in Gerichten und Justizverwaltung (Tabelle 1) sinnvoll eingesetzt werden können:
[21]

«Die Rechtspflegeorgane sind für die Rechtsprechung zuständig. Richter verhandeln in Gerichten die Fälle mit Staatsanwaltschaften und Rechtsanwälten. Die Justizverwaltung schafft die sachlichen und personellen Voraussetzungen für eine geordnete Rechtspflege. Zugleich führt sie die Dienstaufsicht über die Organe der Rechtspflege, das Strafregister, die Handelsregister, die Grundbücher und den Strafvollzug mit Gefängnissen und Bewährungshilfen.» [von Lucke/Schumacher (2014)]

 

Information und Analyse   Automation und Steuerung
     
Verhaltensverfolgung   Prozessoptimierungen
  • Erfassung: Armband, Uhr & Smartphone
  • Intelligente Fußfessel
  • Intelligentes Register
  • Intelligentes Grundbuch
 
  • Gemeinsame Fallakte im Gerichtsverfahren
  • Intelligente Urteile und Beschlüsse
  • Intelligente Rechtsprechungsdatenbank
  • Intelligenter Strafbefehl
Verbesserte Situationswahrnehmung   Optimierter Ressourcenverbrauch
  • Intelligenter Richterarbeitsplatz
  • Gerichtscockpit für Gerichtsverwaltung
  • Intelligente Bewährungshilfe und Auflagenerfüllung
 
  • Planung zur Inhaftierung Verurteilter mit Vorhersagen zu kritischen Situationen
  • Automatische Überwachung der Einhaltung von bestimmten Bewährungsauflagen
Sensorgestützte Entscheidungsanalysen   Komplexe autonome Systeme
  • Lügendetektoren
  • Justizvollzugscockpit
  • Intelligent reagierende Handfessel und Fußfessel
 
  • Elektronischer Rechtsverkehr
  • Verbund elektronischer Handelsregister
  • Intelligentes Gefängnis (Smart Jail)
  • Intelligente Bewährungshilfe

Tabelle 1: Justizverwaltung 4.0: Neuartige Gestaltungsoptionen durch das Internet der Dinge

[22]
«Intelligente Objekte und cyberphysikalische Systeme werden überall dort Verwendung finden, wo sie Richtern, Staatsanwälten und Justizbeamten eine effizientere Wahrnehmung ihrer Aufgaben versprechen. Ein intelligentes Register oder Grundbuch informiert Berechtigte auf Wunsch proaktiv über Veränderungen, soweit solche Meldungen rechtlich zulässig sind. Elektronisch überwachbare Fußfesseln eignen sich bei ungefährlichen Straftätern für neuartige Formen des räumlich begrenzten Hausarrests. Verlässt ein Delinquent eine bestimmte Zone, wird ihm dies warnend signalisiert. Reagiert er nicht, wird die Verwaltung rasch aktiv. Dies entlastet den Strafvollzug personell und finanziell. Das Bewegungsverhalten von Personen im offenen Vollzug ließe sich alternativ mit intelligenten Armbändern, Uhren und Smartphones verfolgen. Richter profitieren von intelligenten Richterarbeitsplätzen und intelligenten Fallakten, die bei neuen Sachständen automatisch aktualisiert und visuell verständlich aufbereitet werden. Intelligente und ständig aktuelle Cockpits erleichtern dem Gerichtspersonal, Gefängnispersonal und Bewährungshelfern durch aktuelle Informationsaufbereitung ihre Arbeit. Funktionieren kollaborative Fallakten und der elektronische Rechtsverkehr, wäre eine ganz neue Form der Rechtsprechung vorstellbar. Richter, Staatsanwaltschaft und Rechtsanwälte hätten gleichzeitig Zugriff auf die Akte und könnten kollaborativ an einem Vergleich oder an der Rechtsprechung arbeiten. Werden die Dokumente des Urteils und des Strafbefehls mit Zusatzinformationen erweitert, könnten Rechtsprechungsdatenbanken zeitnah aktualisiert und Prozesse des Strafvollzugs optimiert werden. Die konsequente Vernetzung erlaubt zudem einen grenzüberschreitenden Verbund elektronischer Handelsregister und Grundbücher in Wirtschaftsräumen.» [von Lucke/Schumacher (2014)].

9.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[23]
Die vorangegangene Skizze zeigt beispielhaft das Potential des Internets der Dinge und der Dienste in Gerichten und Justizverwaltungen auf. Einige intelligente Objekte wie etwa intelligente Fußfesseln sind längst keine Science Fiction, sondern schon technisch entwickelt und praktisch wie etwa im Land Hessen im bewährten Einsatz. Sobald eine breitbandige Vernetzung sichergestellt wird, eröffnen sich weitere neuartige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit insbesondere über cyberphysikalische Systeme. Aber nicht alle Ansätze sind wünschenswert. Einige werfen sogar ethische und rechtliche Problemstellungen auf, die die tatsächliche Umsetzung in Frage stellen. Darüber und damit über die künftige Gestaltung von Staat und Verwaltung muss frühzeitig und umfassend mit Verwaltung, Politik, Experten, Wissenschaft und Bürgern reflektiert werden.
[24]
Heute gibt es bereits vielfältige inhaltliche und technische Ansätze für eine Konkretisierung von «Verwaltung 4.0» im Sinne intelligenter Objekte und cyberphysikalischer Systeme. Für den öffentlichen Sektor in Deutschland in seiner ganzen Breite fehlen bisher aber noch eine inhaltliche Auseinandersetzung, eine angemessene Reflektion und ein überzeugender Auftrag zur Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung. Dies ist mit Blick auf die Erfordernis einer zukunftsfähigen und nachhaltigen digitalen Infrastruktur rasch nötig und dringend erforderlich. Schuldenbremse und demographischer Wandel werden den öffentlichen Sektor und die auch Justiz spätestens ab 2020 dazu zwingen, mit sehr viel weniger Personal dieselben Aufgaben wahrzunehmen. Die verbleibende Zeit sollte daher genutzt werden, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur aufzubauen, um als handlungsfähiger Staat mit diesen künftigen Anforderungen erfolgreich umgehen zu können.

10.

Literatur ^

acatech: Cyber-Physical Systems – Innovationsmotor für Mobilität, Gesundheit, Energie und Produktion, acatech POSITION, Springer Verlag, Heidelberg (2011).

Berlecon Research GmbH: Das wirtschaftliche Potenzial des Internet der Dienste; Studie im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Berlin (2010).

Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zukunftsbild «Industrie 4.0», Berlin (2013).

Chui, Michael, Löffler, Markus und Roberts, Roger: The Internet of Things, in: The McKinsey Quarterly, 47. Jahrgang, Heft 2; Amsterdam, Atlanta (2010), S. 1–9.

Forschungsunion/acatech: Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort sichern – Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0, Abschlussbericht Arbeitskreis Industrie 4.0, Frankfurt (2013).

Geisberger, Eva und Broy, Manfred: agendaCPS – Integrierte Forschungsagenda Cyber-Physical Systems, acatech Studie, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., München/Garching (2012).

von Lucke, Jörn und Reinermann, Heinrich: Speyerer Definition von Electronic Government, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer (2000).

von Lucke, Jörn und Schumacher, Florian: Whitepaper «Verwaltung 4.0», Fraunhofer FOKUS & Zeppelin Universität, Berlin/Friedrichshafen (2014), in Veröffentlichung.

Rifkin, Jeremy: Digital Europe – The Rise of the Internet of Things and the Integration of the Single Market, in: European Commission: Digital Action Day 2014, Brüssel (2014).


 

Jörn von Lucke, Professor, Zeppelin Universität, The Open Government Institute, Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen, DE, Joern.vonLucke@zu.de; http://togi.zu.de und http://www.joernvonlucke.de

 

Florian Schumacher, Diplomand und studentischer Mitarbeiter, Zeppelin Universität, The Open Government Institute, Am Seemooser Horn 20, 88045 Friedrichshafen, DE, F.Schumacher@zeppelin-university.net; http://togi.zu.de