Jusletter IT

IT in der Normsetzung

Semantische Technologien als Lösungsansatz

  • Authors: Johann Höller / Martin Stabauer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Advanced Legal Informatics Systems and Applications
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Johann Höller / Martin Stabauer, IT in der Normsetzung, in: Jusletter IT 26 February 2015
Juristische Expertensysteme konnten sich am Markt nicht durchsetzen. Eine Technologie mit ähnlichem Anspruch ist das Semantic Web. Die Modellierung (eng begrenzter) rechtlicher Anwendungsfelder ist prototypisch nachgewiesen. Der Beitrag analysiert, auf welchen Einsatzfeldern ein wirtschaftlich sinnvoller Einsatz solcher Technologien mittelfristig möglich sein wird.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Aktuelle IT-Einsatzfelder im Recht
  • 2.1. Dokumentenmanagement
  • 2.2. Berechnungssysteme
  • 2.3. Transaktionssysteme
  • 2.4. Web 2.0-Anwendungen
  • 2.5. Zwischenfazit
  • 3. Semantische Modellierung
  • 3.1. Idee des Semantic Web
  • 3.2. Das Vorfeld des Normsetzungsprozesses
  • 3.3. Normsetzung = Modellbildung
  • 3.4. Der Aufwand semantischer Modellierung
  • 4. Einsatzgebiete
  • 4.1. Eng abgegrenzte Rechtsmaterien mit hoher Wiederverwendbarkeit
  • 4.2. Abrechnungsorientierte Rechtsmaterien
  • 5. Zukünftige Entwicklungen
  • 6. Fazit und Ausblick

1.

Einführung ^

[1]

Schon 1986 hielten Fiedler und Traunmüller1 einen Vortrag zu juristischen Expertensystemen. Zu jener Zeit wurden an Expertensysteme, nicht nur für juristische Anwendungsgebiete, große Erwartungen gerichtet. Man versuchte, auch spezifische Programmiersprachen für solche Expertensysteme zu entwickeln.2

[2]
Nach dem Hype über Expertensysteme im Allgemeinen und solche im Rechtskontext im Besonderen in den 80-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist es still geworden; zu sehr wurden die damals (sehr hoch) gesteckten Erwartungen bzw. Hoffnungen enttäuscht – bzw. von einer anderen Entwicklung überrollt: Der Entwicklung des World Wide Web – kurz WWW. Der erste Web-Server wurde 1991 veröffentlicht und das Web hat in der Folge durch die rasante Verbreitung die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen – auch im juristischen Bereich.

2.

Aktuelle IT-Einsatzfelder im Recht ^

[3]

Der IT-Einsatz in Recht und Verwaltung ist – auch ganz ohne Expertensysteme – in den letzten Jahrzehnten rasant angestiegen. Konzentrierte man sich in den ersten Jahrzehnten überwiegend auf «innerorganisatorische» Anwendungsfelder, so ist in den letzten Jahren vermehrt auch die Kommunikation mit den Bürgern Gegenstand der Automatisierung geworden. Damit einher geht der Begriffswandel von der Rechts- und Verwaltungsinformatik hin zu E-Government, E-Administration, E-Democracy oder E-Voting. Nachdem im wirtschaftlichen Bereich die E-Terminologie zunehmend von «digital» abgelöst wird (E-Business → Digital Business) und die EU-Kommission einen Kommissar für die Digitale Agenda bzw. nunmehr Digitale Wirtschaft und Gesellschaft benennt, werden wir wohl auch hier demnächst von Digital Government sprechen.3

2.1.

Dokumentenmanagement ^

[4]
Der Schwerpunkt der heute eingesetzten IT-Anwendungen ist dem Bereich «Dokumentenmanagement» zuzuordnen. Einheit der Betrachtung sind einzelne Dokumente – in allen denkbaren Formen, wie sie seit Jahrhunderten Bestandteile von Akten waren: Das beginnt bei einem Gesetzestext und reicht bis hin zu formularmäßig oder frei formulierten Anträgen oder sonstigen Anbringen aller Art, samt ggf. notwendiger Beilagen wie z.B. Bauplänen bis hin zu individuellen Entscheidungen (Bescheide oder Urteile). Soweit diese Dokumente heute nicht ohnehin bereits digital erstellt werden, können sie in ein digitales Format gebracht werden. Die Funktion der IT-Unterstützung besteht darin, dass solche digitalen Dokumente
  • gleichzeitig von mehreren Personen gelesen werden können – und damit Prozessabläufe beschleunigt werden, in dem z.B. Stellungnahmen parallel eingeholt werden können;
  • schneller von einem Ort zum anderen transportiert werden können und damit der Aktenlauf dramatisch verkürzt werden kann;
  • die Dokumente automatisch mit Metadaten wie z.B. Erstellungsdatum, letztes Änderungsdatum, Versionsnummer und der jeweilige Bearbeiter sowie zusätzliche durch den Bearbeiter eingebbare Metadaten (z.B. Klassifizierung, Beschlagwortung) versehen werden können, die einerseits der Suche, andererseits auch der Information über den Bearbeitungsstand dienen.
[5]
Auch die Mehrzahl der heute in Betrieb befindlichen Web-Anwendungen ist «dokumentenorientiert»; viele Dokumentenmanagementsysteme basieren daher heute auf Web-Technologien oder weisen zumindest eine Schnittstelle auf, so dass via Web-Interface auf sie zugegriffen werden kann.
[6]
Zu dieser Kategorie von Dokumentenmanagementanwendungen zählen also alle ELAK-Systeme genauso wie auch etwa das Portal «help.gv.at». Auch RIS präsentiert sich dem User eher in der Funktion als Dokumentenmanagementsystem, auch wenn hier der jeweilige Paragraph bzw. Artikel das Dokument darstellt. Die Besonderheit des RIS besteht darin, dass es sehr großzügige Unterstützung durch Metainformationen aufweist und insofern die Suche spürbar erleichtert.4

2.2.

Berechnungssysteme ^

[7]
Berechnungssysteme sind, wie auch im unternehmerischen Kontext, die älteste IT-Systemkategorie. Demgemäß ist es auch nicht verwunderlich, dass im Bereich des Steuerrechts die ersten IT-Anwendungen geschaffen wurden. Hier geht es darum, formelhaft definierte Arbeitsschritte zu automatisieren. Der Nutzen solcher Anwendungen ist evident – das Risiko auch: Grundvoraussetzung für die Richtigkeit des Ergebnisses ist, dass der Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen unzweideutig in ein Pflichtenheft transformiert wurde und dieses Pflichtenheft fehlerfrei in den Code einer Programmiersprache umgesetzt wurde. Das bedingt einen erheblichen Aufwand in die Implementierung und vor allem für den Test des Computerprogramms. Diese Aufgabe wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die juristische Fachsprache mit der der Informatik wenig gemein hat und daher gegenseitige Verständnisprobleme regelmäßig zu erwarten sind.
[8]
Mit den Möglichkeiten ist auch die Komplexität der Anwendung gestiegen. Waren die ersten Steuergesetze noch für die «händische» Berechnung erdacht worden, waren auch die dadurch begrenzten Möglichkeiten noch relativ einfach softwaretechnisch implementierbar. Mit den Möglichkeiten der Automatisierung wuchs auch die Komplexität – und das stellt heute schwer erfüllbare Anforderungen nicht nur an die Steuerzahler, sondern auch an die Softwaresysteme und deren Wartung. Häufige Änderungen machen den Code zunehmend schwieriger wartbar.

2.3.

Transaktionssysteme ^

[9]
Im Sinne des «One Stop» Government soll dem Bürger eine Anlaufstelle geboten werden – und somit der gesamte Prozess von der Informationsbereitstellung bis hin zur Erbringung der Leistung inkl. ggf. notwendiger Zahlungsvorgänge auf einem einheitlichen digitalen Weg zurückgelegt werden können. Auf diesem Weg werden typischerweise eine Reihe von Dokumenten erzeugt – aber auch eine Speicherung in Datenbanken, wie sie Voraussetzung für Transaktionssysteme ist, ist möglich. Im Idealfall kombiniert ein Transaktionssystem die Funktionen von Dokumentenmanagement und Berechnungssystem.

2.4.

Web 2.0-Anwendungen ^

[10]
Im Zuge der Blüte von Web 2.0 stellte sich natürlich auch die Frage der Anwendbarkeit dieser Technologie im Rechtsbereich. Im Bereich der (digitalen) Bürgermitbeteiligung ergeben sich sicherlich Anwendungsfelder – aber da im Zusammenhang dieser Themenstellung diesem Bereich nur geringe Potenziale zukommen dürften, wird auf diese Systemkategorie hier nicht näher eingegangen.

2.5.

Zwischenfazit ^

[11]

Da nun eine Reihe von Vorteilen bestehender IT-Systeme aufgezählt wurde, stellt sich die Frage: «Worin besteht dann das Problem, das durch semantische Technologien gelöst werden könnte?» Nun – alle diese Systeme bilden eine Unterstützung für den Experten, der über das Wissen bereits verfügt – oder in der Lage ist, sich dieses aus den Dokumenten zu erschließen. Wieso ist eine Website wie help.gv.at notwendig – oder wieso kann nicht wenigstens der Text auf der Website automatisch aus dem RIS generiert werden? Das geht deswegen nicht, weil ein Computerprogramm typischerweise nicht in der Lage ist, ein Dokument inhaltlich «zu verstehen». Auch daran wird seit langem gearbeitet – und wenn Sie an den Google-Übersetzungsdienst denken, dann wurden auch Fortschritte erzielt. Aber ehrlich – würden Sie darauf vertrauen, dass ein vergleichbares System rechtlich korrekte Entscheidungen treffen wird?

3.

Semantische Modellierung ^

3.1.

Idee des Semantic Web ^

[12]
Obwohl die Grundlagen der Semantischen Technologien älter als das Web sind (ebenso wie die dem Web zugrundeliegende Idee eines Hypertextsystems von Ted Nelson schon ca. 1960 erdacht wurde), ist die praktische Anwendbarkeit erst mit der Integration in das Web deutlich gestiegen – auch wenn sich auch hier ebenfalls die Erwartungen bisher nur zu einem geringen Teil erfüllt haben. So wird die einschlägige Publikation von Tim Berners-Lee (gemeinsam mit Hendler und Lassila) «The Semantic Web – A new form of Web content that is meaningful to computers will unleash a revolution of new possibilities»5 als Startpunkt des Semantic Web angesehen.
[13]
Wie auch der Titel dieser Arbeit bereits zum Ausdruck bringt, geht es beim Semantic Web darum, Computer in die Lage zu versetzen, die Bedeutung von Daten zu erfassen, es kommt damit der umgangssprachlichen Bedeutung von «Wissen» sehr nahe. Das «Rechtswissen» besteht in der Kenntnis der Regeln des Rechts im objektiven Sinn, wobei Wissen nicht nur die Wiedergabe der Regelungsinhalte umfasst, sondern auch deren Anwendung auf den konkreten Sachverhalt.
[14]
Semantic Web beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn Daten in dieser besonders qualifizierten Form vorliegen, nicht allerdings mit der Aufgabe, bestehende Dokumente (automatisiert) in eine solche Form zu bringen. Im Sinne der ABC-Analyse, mit geringem Aufwand einen großen Nutzen zu erzielen, konzentriert sich dieser Beitrag daher auf die Anwendung von Semantic Web.
[15]
Im Gegensatz zu der klassischen Vorgangsweise, den vorhandenen Rechtstext als Ausgangsbasis zu verwenden, auf dem die IT-Anwendung aufbaut, ist der hier verfolgte Ansatz im wahrsten Wortsinn «radikaler»: Es wird nämlich davon ausgegangen, dass Semantic Web Technologie schon bei der Erstellung der Norm Anwendung findet.6

3.2.

Das Vorfeld des Normsetzungsprozesses ^

[16]
Verfolgt man etwa die aktuelle Diskussion um die geplante Steuerreform, so werden Konzepte und Modelle vorgestellt, durch die man bestimmte Wirkungen erzielen möchte – aber diese Vorschläge haben ganz selten die Form, in der sie schlussendlich als Gesetz beschlossen werden. Gelänge es nun, bereits diese Vorschläge in einer Form zu präsentieren, die den Anforderungen der semantischen Modellierung genügen, dann würde das einerseits die Qualität der Vorschläge massiv erhöhen und auch die Überführung in einen Gesetzestext erleichtern.
[17]
Der hier vorgeschlagene Ansatz geht also davon aus, dass nicht die rein ausschließlich durch Menschen vorgenommene Bearbeitung von Dokumenten Basis einer Normsetzung sind, sondern Ontologien als spezielle Form einer Repräsentation des Wissens, das bereits im Vorfeld maschinelle Verarbeitung und Prüfung zulässt. Der Gesetzestext ist dann eine Variante der Repräsentation dieses Wissens; andere Repräsentationsformen könnten etwa eine graphische Darstellung der Wissensbasis sein oder ein interaktives Hilfesystem, das im Gegensatz zu help.gv.at nicht vorgefertigte Dokumente bereithält, sondern Antworten auf konkrete Fragen, wie z.B. die Suchmaschine WolframAlpha.7

3.3.

Normsetzung = Modellbildung ^

[18]
Die Unterscheidung zwischen Tatbestand und Sachverhalt bedarf hier keiner näheren Erläuterung. Dem liegt im Sinne der Informatik eine Modellbildung zugrunde. Die Tatbestandsmerkmale sind jene Eigenschaften bzw. Beziehungen eines konkreten Sachverhalts, die für die Rechtsfolge verantwortlich sind.
[19]
Jede Formulierung eines Tatbestands ist also Ergebnis eines Modellierungsprozesses, in dem aus der Fülle der Lebenssachverhalte bestimmte Attribute ausgewählt bzw. definiert werden. Im Gegensatz zur natürlichen Sprache stellt aber die Informatik in einer formalen Sprache höhere Anforderungen an die Beschreibung des Modells, z.B. die Eindeutigkeit eines Begriffs. Während Jugendliche früherer Generationen bei «Apache» wohl eher an einen Indianerstamm dachten, wird heutigen IT-affinen Personen wohl zuerst ein weit verbreiteter Web-Server in den Sinn kommen und Hubschrauber-Piloten ein amerikanisches Hubschrauber-Modell. Während der menschliche Leser die richtige Bedeutung meist aus dem Kontext wird erschließen können, gilt das für Computerprogramme nicht. Umgekehrt gilt dies auch für synonyme Begriffe; d. h. für Termini, die zwar anders lauten, aber dieselbe Bedeutung haben. Auch das kann man in einer formalen Sprache definieren – aber man muss das explizit machen. Es ist also deutlich komplizierter, einem Computer Anweisungen zu geben als einem anderen Menschen. Andererseits führen Computer Anweisungen aber deutlich schneller und zuverlässiger aus, zumal wenn es sich um Routineaufgaben handelt.
[20]

Allerdings vermeidet der Ansatz, bereits das zu lösende Problem semantisch zu modellieren, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die sich sonst bei der Formalisierung von Rechtsnormen stellt, nämlich das der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe.8

3.4.

Der Aufwand semantischer Modellierung ^

[21]

Mit den heute verfügbaren Hilfsmitteln stellt die semantische Modellierung immer noch einen großen Aufwand dar, wie aus dem folgenden Beispiel deutlich wird. §§ 1 und 2 EStG enthalten die grundlegenden Regeln der persönlichen und sachlichen Steuerpflicht. Soll das in diesen Formulierungen repräsentierte Wissen auch in maschinenverständlicher Form dargestellt werden, dann dauert das wesentlich länger als die Formulierung des bloßen Textes – und ist auch für den Menschen schwerer lesbar als der Text in der natürlichen Sprache.

[22]
Zur Verdeutlichung der folgenden Beispiele seien einige Begriffsdefinitionen angemerkt. «Klasse» meint in der Informatik eine Art Bauplan für Objekte mit geteilten Eigenschaften. Diese gemeinsamen Eigenschaften können an spezialisierte, abgeleitete Klassen («Subklassen») vererbt werden. Das Prinzip zeigt sich etwa darin, dass juristische Personen und natürliche Personen als Subklassen von Personen modelliert werden können. Unter «Beziehungen» zwischen Klassen versteht man jede Art von Verbindungen, Beispiele hierfür sind etwa jene der Vererbung zwischen Super- und Subklassen oder auch Eigenschaften konkreter natürlicher Personen wie deren Wohnsitz: PersonA hatWohnsitz Österreich.

Abbildung 1: Modelliertes Wissen

[23]
Mit «Thing» ist nicht das umgangssprachliche Ding als Sache gemeint, vielmehr ist owl:Thing die Superklasse aller existierenden Klassen – das Gegenteil hierzu wäre die leere Klasse owl:Nothing.
[24]
Der Aufwand der semantischen Modellierung relativiert sich jedoch schon bei recht einfachen Funktionalitäten. Beispielsweise ist im oben abgebildeten Graph § 1 Abs 1 EStG («Einkommenssteuerpflichtig sind nur natürliche Personen») nicht explizit modelliert, durch verhältnismäßig simples Reasoning ist dieses Wissen aber implizit enthalten. Die beiden Subklassen von «Einkommenssteuerpflichtig» definieren sich nämlich durch die beiden Beziehungen «hatWohnsitz» und «hatGewoehnlichenAufenthalt», die beide definitionsgemäß nur bei natürlichen Personen vorkommen können. So wird «Einkommenssteuerpflichtig» automatisch zu einer Subklasse von «NatuerlichePerson».

Abbildung 2: Implizites Wissen

[25]
Ein weiterer Schritt ist dann die Verknüpfung von dieser Art modelliertem Wissen und der ursprünglichen Struktur des Textes, um diesen bei Bedarf wiederherstellen zu können. Dieser Schritt verkompliziert das Erstellen nochmals erheblich, ermöglicht aber eine parallele Datenhaltung von semantischem Wissen und gut lesbarem Rechtstext. § 2 Abs 3 EStG beinhaltet die Aufzählung der Einkunftsarten und könnte modelliert etwa folgendermaßen aussehen:
[26]
Zusätzliche Algorithmen sorgen für die Ausgabe des Textes in korrekter Form und ersetzen dabei Verweise wie «estg:listeUntergeordnete» durch entsprechende Aufzählungen von modellierten Einkunftsarten.

4.

Einsatzgebiete ^

[27]
In Anbetracht der geschilderten Voraussetzungen erscheint es auch betriebswirtschaftlich derzeit nicht sinnvoll, den Normsetzungsprozess auf allen Ebenen auf Basis semantischer Modelle auch nur anzustreben. Vor allem das User-Interface heutiger Tools ist noch zu «expertenlastig», um breit eingesetzt werden zu können. Es müssen daher zusätzliche Voraussetzungen vorliegen, damit eine semantische Modellierung nach dem aktuellen Stand der Technik in Kürze sinnvoll sein wird.

4.1.

Eng abgegrenzte Rechtsmaterien mit hoher Wiederverwendbarkeit ^

[28]
Ein solcher Bereich sind etwa die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne und geben die Regeln vor, nach denen im jeweiligen Gebiet gebaut werden darf bzw. muss. Wie den Web-Informationen der Stadt Wien zu entnehmen ist9, sind die Pläne selbst nicht leicht zu lesen – und dennoch für viele von Bedeutung. Es wäre also ein lohnendes Ziel, den Prozess der Erstellung bzw. Abänderung solcher Verordnungen semantisch zu modellieren.
[29]

Auch die Curricula an Universitäten gehören in diese Kategorie; ein Curriculum ist gem. § 51 Abs. 2 Z. 24 «die Verordnung, mit der das Qualifikationsprofil, der Inhalt und der Aufbau eines Studiums und die Prüfungsordnung festgelegt werden». Sie sind insofern eng abgegrenzt, als sie letztendlich nur eine Frage beantworten: Hat jemand den Anspruch auf einen akademischen Grad erworben.

[30]
Die Wiederverwendbarkeit ergibt sich dadurch, dass diese Struktur sich bei allen Studienrichtungen wiederholt – auch wenn natürlich das Curriculum für das Diplomstudium Rechtswissenschaften inhaltlich ganz anders aussieht als das Curriculum für das Bachelorstudium Technische Physik.
[31]

Einen Prototyp für die semantische Modellierung eines Curriculums hat Stabauer im Rahmen seiner Dissertation10 entwickelt; Sie finden eine Demonstration dieses Prototyps als eigenen Beitrag ebenfalls in diesem Band.11

[32]
Eine eng abgegrenzte Rechtsmaterie wäre z.B. auch der Anhang zur Signaturverordnung über Algorithmen und Parameter für qualifizierte elektronische Signaturen. Eine semantische Modellierung in diesem Bereich stiftet allerdings nach Ansicht der Autoren wenig Nutzen, da diese Verordnung nur einmalig erlassen wird und es daher der Wiederverwendbarkeit mangelt.

4.2.

Abrechnungsorientierte Rechtsmaterien ^

[33]
Das zweite große Anwendungsfeld für semantische Systeme ergibt sich dort, wo die Regelung in einem rechnerisch festzustellenden Betrag mündet; das kann einerseits ein Zahlungsanspruch wie z.B. im Steuerrecht oder auch ein Leistungsanspruch (z.B. im Beihilfen- oder Pensionsrecht) sein. Der Vorteil semantischer Modellierung ergibt sich hier nicht aus Sicht der Wiederverwendbarkeit, sondern aus der der Weiterverwendbarkeit. Es geht hier um eine geschäftsprozessorientierte Sichtweise. Wie bereits in Kap. 2.2. ausgeführt, geht es bei solchen Anwendungen auch darum, die Abwicklung zu automatisieren. Wenn nun aber der Regelungsinhalt bereits in maschinell interpretierbarer Form vorliegt, dann ergeben sich gravierende Vorteile bei der Implementierung bzw. Wartung derartiger Softwaresysteme. Auch die Entwicklung hin zu Transaktionssystemen kann wesentlich unterstützt werden, indem bisher primär statische Formulare durch einen adaptiv an die jeweiligen Antworten angepassten individualisierten Dialog ersetzt werden können.

5.

Zukünftige Entwicklungen ^

[34]
An der Spitze des Gartner Reports zum Technology Hype Cycle steht gerade das «Internet of Things».12 Recht ist das Wissen über Beziehungen von Menschen untereinander bzw. ihre Beziehung zu Sachen. Es gab bisher kaum Bedarf für Regelungen für den selbständigen Wissensaustausch zwischen Sachen.
[35]
Ein Beispiel mag das erläutern: Ab voraussichtlich April 2018 wird in allen Autos ein automatisches Notrufsystem eingebaut sein, das einen automatischen Notruf absetzt, sobald die Crash-Sensoren den Airbag auslösen. Ein Auto wird also jederzeit «wissen», wo es sich gerade befindet, wie schnell es fährt usw. Rasant schreitet auch die Technik voran, die den Fahrer unterstützt – und teilweise schon ganz überflüssig macht. Derzeit wird noch heftig diskutiert, wem beim Auto diese Daten «gehören» – dem Hersteller des Autos oder dem Eigentümer.13
[36]
Langfristig werden sich diese Fragen allerdings ganz anders stellen: Wenn Autos autonom fahren können, wieso sollen sie dann überhaupt in der Lage sein, schneller zu fahren als dies eine Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt? Oder wenn Sensoren die Gefahr von Glatteis oder Nebel registrieren, wieso sollte jemand schneller fahren dürfen als technisch beherrschbar ist? Wenn es dann noch so etwas wie einen Führerschein geben sollte, wieso sollte sich ein Auto überhaupt in Betrieb nehmen lassen, wenn das nicht automatisch geprüft und bestätigt wurde? Wenn es zu den Standardfunktionen eines «Dings» gehört, bestimmte Regeln einhalten zu können, dann stellt sich die Frage ganz schnell umgekehrt, nämlich wer dafür verantwortlich ist, wenn etwas nicht funktioniert.
[37]
Ein solches Szenario mag heute noch wie ein unmäßiger Eingriff in Freiheits- und/oder Datenschutzrechte klingen. Möglicherweise wird die Möglichkeit, bestimmte Regeln von der Auslastung, dem Straßenzustand, der Witterung usw. abhängig zu machen, überhaupt das Ende von starren Regelungen etwa im Straßenverkehr bedeuten, wie wir sie derzeit kennen. In einem solchen «Smart Traffic»-System, in dem alle Objekte direkt miteinander kommunizieren und daher das Gesamtsystem technisch «verstehen» können, sind Bestimmungen für das Verhalten im Straßenverkehr in der heutigen Form vielleicht entbehrlich – aber mit Sicherheit wird man nicht ohne Regeln auskommen.

6.

Fazit und Ausblick ^

[38]
Semantische Technologien werden derzeit noch spärlich eingesetzt. Dieser Umstand ist durch einen relativ hohen Aufwand bei ihrer Implementierung auch durchaus nachvollziehbar. Der Nutzen ist beschränkt, wenn man versucht, mit ihrer Anwendung erst NACH der Normsetzung zu starten.
[39]
Zumindest für eng abgegrenzte Aufgabenfelder kann mit Prototypen mit den heute verfügbaren Werkzeugen ein nutzenstiftender Einsatz nachgewiesen werden; ein umfassender Einsatz ist heute allerdings noch nicht sinnvoll möglich. Es gilt daher, sich vorerst auf die am meisten Erfolg versprechenden Einsatzfelder zu konzentrieren.
[40]
Besonders erfolgversprechend erscheint in Zukunft jener Bereich, der technisch bereits auf semantische Informationen aufbaut, wie dies im Bereich des Internets der Dinge der Fall sein wird. Da mit dieser absehbaren Entwicklung auch eine Reihe ganz neuer Fragen zu lösen sein wird, bietet es sich an, zur Beantwortung dieser neuen Fragen dann auch rechtsinformatorisch neue Ansätze zu verwenden. Der digitale Jurist wird insbesondere dort gefordert sein, wo Innovationen digitaler Technik die Gesellschaft grundlegend verändern.14

 

Johann Höller, Professor, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Datenverarbeitung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Altenberger Straße 69, 4040 Linz, AT, johann.hoeller@jku.at; http://www.idv.edu

 

Martin Stabauer, Universitätsassistent, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Datenverarbeitung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Altenberger Straße 69, 4040 Linz, AT, martin.stabauer@jku.at; http://www.idv.edu

  1. 1 Fiedler, Herbert/Traunmüller, Roland, Formalisierung im Recht und Juristische Expertensysteme, in: Informatik-Anwendungen — Trends und Perspektiven Berlin, 6.–10. Oktober 1986 Proceedings, Springer Berlin Heidelberg, S. 367–382 (1986).
  2. 2 Gordon, Thomas F./Quirchmayr, Gerald, OBLOG – eine Programmiersprache für juristische Expertensysteme, in: Erdmann, Ulrich/Fiedler, Roland/Haft, Fritjof/Traunmüller, Roland (Hrsg.), Computergestützte juristische Expertensysteme, S. 123–134 (1986).
  3. 3 Im Vorwort zum Jusletter IT vom 11. Dezember 2014 bezeichnen Schweighofer/Kummer ebenfalls bereits den «digitalen Juristen» als Leitthema, der fähig sein muss, sich in dieser digitalen Welt zu bewegen. Der vorliegende Ansatz konzentriert sich auf die praktische Umsetzbarkeit und nutzt nur Teile der theoretischen Modelle, die die Rechtsinformatik entwickelt hat. Daher wird hier – auch aus Platzgründen – auf eine Wiedergabe der entsprechenden Literatur verzichtet. Diese findet sich etwa im Beitrag Stabauer, Martin/Höller, JohannEin integrativer Ansatz zur semantischen Modellierung von Rechtstexten – das Zusammenwirken von Softwareentwicklung und Ontologien, in: Jusletter IT 11. Dezember 2014.
  4. 4 Die RIS-Daten sind zwar auch in maschinenlesbarem Format im Rahmen des Open Data Portals (www.data.gv.at) verfügbar, allerdings genügen die vorhandenen Metainformationen den Anforderungen für linked open data nicht.
  5. 5 Berners-Lee, Tim/Hendler, James/Lassila, Ora, The Semantic Web: A new form of Web content that is meaningful to computers will unleash a revolution of new possibilities, in: Scientific American, 284 (5), S. 34–43 (2001).
  6. 6 Ein vergleichbarer Ansatz – allerdings auf der Ebene der Sachverhaltsmodellierung – findet sich in: Raabe, Oliver/Baumann, Christian/Funk, Christian/Wacker, Richard/Oberle, Daniel, Lawful service engineering – Formalisierung des Rechts im Internet der Dienste, in: Jusletter IT 1. September 2010, Rz 11 (2010).
  7. 7 http://www.wolframalpha.com, Abruf am 8. Januar 2015 (2015).
  8. 8 Vgl. Raabe, Oliver/Baumann, Christian/Funk, Christian/Wacker, Richard/Oberle, Daniel, Lawful service engineering – Formalisierung des Rechts im Internet der Dienste, in: Jusletter IT 1. September 2010, Rz 13 f. (2010).
  9. 9 Vgl. https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/flaechenwidmung/planzeigen/planlesen.html, Abruf am 7. Januar 2015 (2015).
  10. 10 Stabauer, Martin, Der Nutzen semantischer Technologien bei Erstellung und Pflege von Rechtstexten am Beispiel von Curricula, Linz (2014).
  11. 11 Stabauer, Martin/Höller, Johann, Verordnungen erstellen ohne Rechtskenntnisse – Demonstration eines Curriculum-Designprozesses, IRIS 2015.
  12. 12 http://semanticweb.com/gartner-reports-internet-things-tops-technology-hype-cycle_b44134, Abruf am 8. Januar 2015 (2015).
  13. 13 Vgl. o. V., Der Kampf um die Daten, in: auto touring, November 2014, S. 18; http://ereader.autotouring.at/reader/autotouring/OOE/2014/11#18, Abruf am 7. Januar 2015 (2014).
  14. 14 «Digitale Technologien verändern unsere Welt und unser Leben – und zwar komplett.»: aus Tost, Daniel, Digitalkommissar Oettinger: Gründlichkeit vor Schnelligkeit, in: http://www.euractiv.de/sections/europawahlen-2014/digitalkommissar-oettinger-gruendlichkeit-vor-schnelligkeit-308791, Abruf am 7. Januar 2015 (2015).