1.
Einleitung ^
Ganz abgesehen von der strafrechtlichen Komponente ist Wettbetrug aber ein großes Problem für den Sport. Sogar das Internationale Olympische Komitee sieht es auf einer Ebene mit Doping2, wobei es grundverschieden ist: Während bei Doping einzelne Sportler unerlaubte Mittel nehmen um sich einen Vorteil zu verschaffen, nehmen bei Wettbetrug die Sportler meist sogar absichtlich Nachteile in Kauf und verlieren zum Beispiel ein Spiel um sich einen materiellen Vorteil zu verschaffen. Aber auch in einer anderen Hinsicht ist ein Unterschied gegenüber Doping zu merken. Gibt es bei Doping anerkannte Dopingtests, die die schwarzen Schafe doch zumindest auf lange Sicht oft enttarnen, gibt es derartige Tests bei Wettbetrug nicht. Hier ist man vollständig auf sogenannte «Whistleblower» angewiesen ohne die – laut Wissen des Autors – noch keine einzige Spielmanipulation aufgedeckt worden wäre.
Dieser Artikel versucht hier anzusetzen und Tests zu entwerfen, mit denen Spielbetrug aufgedeckt werden kann. Zwar gibt es derzeit schon vorliegende Fraud Detection Systeme3, die die Wettquoten analysieren und Quotenverschiebungen mathematisch untersuchen, allerdings kann es dafür verschiedenste Gründe geben und diese werden noch nicht ausreichend berücksichtigt. Auch wenn die Aussage des in der Verfolgung von Wettbetrugs wahrscheinlich federführenden Bochumer Staatsanwaltes, dass diese Systeme komplett versagt haben4, nicht gänzlich geteilt werden kann, so sind sie doch sicherlich nicht alleine ausreichend, um Wettbetrüger zu überführen.
2.
Wettquoten ^
Um dies verstehen zu können, ist es wichtig, einmal zu wissen, wie Wettquoten überhaupt entstehen und durch welche Einflüsse sie verändert werden.
2.1.
Entstehung von Wettquoten ^
Wenn eine Wette von einem Buchmacher angeboten wird, so hat er die schwere Aufgabe eine Anfangsquote für diese festzulegen. Diese werden basierend auf Statistikdaten und der gewünschten Gewinnmarge des Wettbüros (durch Festlegung einer Auszahlungsquote) fixiert. Sind zwei Mannschaften etwa gleich stark, so gewinnt Team A mit einer Wahrscheinlichkeit von 35%, Team B ebenfalls zu 35% und zu 30% endet das Spiel Unentschieden. Diese Gleichverteilung geht dabei von einem neutralen Austragungsort für das Spiel aus, bei Berücksichtigung eines Heimvorteils – bei ansonsten gleichstarken Mannschaften – gewinnt das Heimteam zu 45%, die Auswärtsmannschaft zu 29% und zu 26% geht das Spiel Unentschieden aus. Natürlich sind im Regelfall die beiden Mannschaften nicht gleich stark, daher werden noch vergangene Ergebnisse berücksichtigt, um möglichst realistische Wahrscheinlichkeitswerte als Grundlagen für die Wettquoten-Startwerte zu erhalten. Für die Fixierung der Wettquote ist dann auch die Auszahlungsquote des Wettbüros relevant, die üblicherweise zwischen 88% und 98% liegt. Diese legt fest, wie viel das Wettbüro bei gleich verteilten Einsätzen wieder auszahlt, der Rest verbleibt sozusagen als Gewinn. Liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg von Team A etwa bei 20% und hat das Wettbüro eine Auszahlungsquote von 90%, so ergibt sich die Wettquote aus der Formel 1/20*90, also 4,5.
Diese Quote, die auf statistischen Werten beruht, ist dabei aber nur ein Anfangswert, auf den auch nur sehr geringe Einsatzhöhen akzeptiert werden. Je nach den Wetten, die in Folge eingehen, verändern sich dann die im Laufe der Zeit die Quoten und die möglichen Einsatzhöhen steigen.
2.2.
Veränderung von Wettquoten ^
3.
Wettquotenanalysen ^
3.1.
Fraud Detection Systeme ^
Die Untersuchung derartiger Quotenverschiebungen wird durch entsprechende Frühwarnsysteme (Fraud Detection Systeme) wie etwa Sportradar bereits umfangreich abgedeckt. Diese beliefern einerseits die Wettkonzerne mit allen möglichen Services wie Statistiken, Livebildern, Analysetools, etc. und analysieren die Wettmärkte mit 300 Millionen Datensätzen pro Tag. Diese Datensätze erhalten sie dabei andererseits auch von genau diesen Wettanbietern. Laut Eigenangaben sind von den pro Saison analysierten 35.000 Fußballspielen ca. 130 auffällig, von denen wird also davon ausgegangen, dass sie manipuliert worden sind5.
Basierend auf diesen auffälligen Spielen werden von diesen Systemen auch schon umfassende Datenbanken gehalten, mit denen die Spieler, Mannschaften und Schiedsrichter, die wiederholt an derartig auffälligen Spielen beteiligt sind, ermittelt werden können. Jede einzelne Mannschaft erhält somit eine Art «Betrugs-Gesamtwert»6.
Sinnvoll wäre auch noch deutlich mehr Daten von den Wettanbietern einzusammeln, etwa könnte die geographische Streuung der getätigten Einsätze kontrolliert werden. Im Regelfall werden Setzungen im Falle eines Wettbetruges nicht nur von einem einzelnen Wetter vorgenommen, sondern von mehreren, damit die Setzungen nicht so auffällig sind. Im Falle eines Wettbetruges – sofern dieser nicht von einer internationalen Vereinigung durchgeführt wird – kann aber davon ausgegangen werden, dass diese Wetter zusammenhängend sind, also etwa im gleichen geographischen Raum leben.
3.2.
Wettquoten im Vergleich zwischen den Wettanbietern ^
In diesem Zusammenhang muss natürlich auch festgehalten werden, dass größere Abweichungen zwischen verschiedenen Wettbüros ein Indiz für eine Manipulation sein können. Da diejenigen die manipulieren ja nicht gleichmäßig über alle Wettbüros agieren, sondern meist nur einige wenige auswählen, ergeben sich dadurch extreme Abweichungen zwischen den Büros, die von den Manipulatoren ausgewählt wurden und denen, bei denen nur redliche Wetter spielen.
4.
Rahmenbedingungen ^
4.1.
Andere stark quotenbeeinflussende Umstände ^
Eine der massivsten Quotenverschiebungen der letzten Jahre war wohl bei den Wetten auf den Eurovision Songcontest 2014 zu beobachten. Der österreichische Beitrag von Conchita Wurst war anfangs bei den Wettbüros ca. um Platz 15 mit Siegquoten von ca. 1:40 gereiht. Nach einerseits großartigen Vorstellungen bei Halbfinale und Finale und andererseits auf einer Welle der Toleranz schwimmend ging diese Quote aber steil bergab. Die Quote lag – knapp nach dem Finalauftritt aber noch zu einem Zeitpunkt bevor Jury und Publikum abgestimmt hatten – auf einem Top 5 Platz bei unfassbar niedrigen 1:1,02. Hier war also eine gigantische – aber erklärbare – Quotenverschiebung erfolgt.
4.2.
Forenbeobachtung ^
Gerade die Foren sind auch gute Hinweisgeber für das Erkennen von Wettbetrug, zwar ist ein automatisiertes Durchsuchen für alles im Vorhinein nicht möglich, jedoch bei Rasterfahndung könnte man das ganz spezifisch machen. Es stellt sich heraus, dass viele der jetzt bekannten kritischen Spiele in den einschlägigen Wettforen schon lange diskutiert worden sind, teilweise sogar schon bevor der Anpfiff erfolgte.
Eine möglichst automatisierte Analyse von Wettforeneinträgen wird daher unumgänglich sein, um sich dieser Thematik annähern zu können.
4.3.
Hinzuziehen anderer Experten ^
Sehr sinnvoll wäre es wohl auch, andere Experten hinzuzuziehen, z.B. Körperspracheexperten. Gerade dadurch könnten wohl auch häufig Spieler, die nicht die volle Leistung bringen, entlarvt werden. Wenn es auch nicht immer so dramatisch sein wird, dass sich die Spieler, die verloren haben, gegenseitig abklatschen9, so sind vielleicht doch Regungen erkennbar, die dem eigentlichen Ziel eines Sportlers, nämlich möglichst gut abzuschneiden, widersprechen würden.
4.4.
Bereitschaft für einen Wettbetrug ^
In einem Report der University of Salford10 wurde eine Formel aufgestellt, die ermitteln soll, ob ein Spieler eine Manipulation durchführt. Dabei wird abgewogen zwischen den Kosten und Erträgen eines Wettbetruges. Dieser ist umso wahrscheinlicher je größer der Gewinn und je geringer die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung bzw. die Höhe des Schadens (rechtlich, Image, etc.) sind. Auch wenn die dabei verwendete Formel nur wirtschaftliche Aspekte abdeckt, kann sie sicherlich eine Ausgangsbasis für eine Formel, die die Wahrscheinlichkeit eines Wettbetruges in einem konkreten Fall ermittelt, sein.
5.
Spielverlauf ^
Gerade hier in der Analyse des Spielverlaufs besteht daher viel Nachholbedarf. Der kanadische Aufdeckerjournalist Declan Hill hat sich wissenschaftlich mit dieser Thematik auseinandergesetzt und erwiesenermaßen manipulierte Spiele mit normalen Referenzspielen verglichen. Dabei konnten einige Auffälligkeiten, wie der Zeitpunkt und die Anzahl der Tore festgestellt werden.
Eine derartige Datenbank ist momentan, so unfassbar dies klingt, eigentlich nur in Fragmenten in dem Werk von Declan Hill11 vorhanden. Dieses müsste aber unbedingt massiv ausgebaut und wohl auch offiziell von den Verbänden geführt werden. Dann wäre es aber möglich, jedes Spiel und natürlich insbesondere die Spiele, die auf Grund der Quoten bzw. der oben erwähnten Rahmenbedingungen verdächtig sind, auf entsprechende statistische Übereinstimmung mit den erwiesenen manipulierten Spielen zu untersuchen.
Aber nicht nur der Vergleich mit anderen manipulierten Spielen ist interessant, auch sonst gibt es umfassende Informationen über Fußballspiele und gerade bei wichtigen Partien werden verschiedenste Werte, wie etwa gewonnene Zweikämpfe, erfolgreiche Pässe oder sogar gelaufene Kilometer jedes Spielers, aufgezeichnet. Auch existieren umfangreichste Statistiksammlungen12, sodass hier Auffälligkeiten sicherlich aufgedeckt werden können.
6.
Wissensdatenbank ^
- Veränderung der Wettquoten
- Vergleich der Wettquoten zwischen den einzelnen Wettbüros
- Signalmeldungen der Fraud Detection Systeme
- Sämtliche Nachrichten zu den Spielen, auch diejenigen im Vorfeld, bzw. welche von Live-Tickern
- Meldungen aus den diversen Foren
- Einschätzungen anderer Experten, etwa für Körpersprache
- Monetäre Bewertung für die Bereitschaft zu einem Wettbetrug
- Spielverlauf, insbesondere im Vergleich zu bekannt manipulierten Spielen
- Statistische Auswertungen zum Spiel, etwa Laufumfang der einzelnen Spieler
Natürlich kann eine derartige Datenbank nicht so ohne weiteres aufgebaut werden. Dazu ist Kooperation notwendig, zwischen den Wettbüros, den Verbänden, den Journalisten, den Fans, den Wettern, den Schiedsrichtern, den Trainern und natürlich den Spielern. Sie alle sind Datenlieferanten und können Daten in diese Wissensdatenbank liefern.
7.
Schlussfolgerungen ^
Markus Knasmüller, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (u.a. für Sportwetten) sowie Leiter der Software-Entwicklung der BMD Systemhaus GmbH, Sierninger Straße 190, 4400, Steyr, AT, knasmueller@bmd.com; http://www.bmd.com
- 1 Stand Januar 2015.
- 2 Z.B. Welt, IOC-Maßnahmen gegen Wettbetrug, Die Welt, http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article113379890/IOC-Massnahmen-gegen-Wettbetrug.html, aufgerufen 1. Dezember 2014.
- 3 Sportradar Security Services, World Match Fixing: The problem and the solution, Sportradar AG, St. Gallen, S. 60 ff. (2014).
- 4 Welt, Staatsanwalt Bachmann: Frühwarnsystem hat versagt, Die Welt, http://www.welt.de/newsticker/sport-news/article113416516/Staatsanwalt-Bachmann-Fruehwarnsystem-hat-versagt.html, aufgerufen 14. Dezember 2014.
- 5 Koerl, Wettbetrugstechniken und Abwehrmaßnahmen im internationalen Fußball, In: Wettkampfmanipulationen und Schutzmechanismen, Steiner (Hrsg.), Nomos Verlag, Baden-Baden, S. 21 (2012).
- 6 Forrest, Schattenspiele, Wilhelm Heyne Verlag, München, S. 250 (2014).
- 7 So sind etwa laut den Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Prozess in Bochum 200 manipulierte Spiele entdeckt worden, nur bei sechs von denen gab es aber eine entsprechende Alarmmeldung seitens Sportradar, siehe SportAccord, Study Sports betting and corruption, Paris (2012).
- 8 Best, Der gekaufte Fußball, Murmann Verlag, Hamburg, S. 25 (2013).
- 9 Forrest, Schattenspiele, Wilhelm Heyne Verlag, München, S. 258 (2014).
- 10 Forrest, McHale und McAuley, Risks to the Integrity of Sports from Betting Corruption, University of Salford (2008).
- 11 Hill, The Insider´s Guide to Match-Fixing in Football, Anne McDermid & Associates Limited, Toronto (2013).
- 12 Z.B. Anderson und Sally, Die Wahrheit liegt auf dem Platz, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg (2014).