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Partizipation in Verwaltungsverfahren

Sonderverfahrensrecht nach § 40 KommAustria-Gesetz (KOG)

  • Author: Susanne Forizs
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Susanne Forizs, Partizipation in Verwaltungsverfahren, in: Jusletter IT 26 February 2015
Die IRIS 2015 steht unter dem Generalthema Kooperation. Das «Weißbuch – Europäisches Regieren» (KOM(2001) 428 endgültig, Amtsblatt C 287 vom 12. Oktober 2001) sieht eine verstärkte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger vor. Einer der wesentlichen Grundsätze ist Partizipation. Dieser Grundsatz verlangt die stärkere Einbeziehung der Stakeholder als auch der Bürger in die Gesetzgebung und auch in die Rechtsanwendung. Auf Grund der weiter steigenden Bedeutung subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere auf Grund unionsrechtlicher Vorgaben besteht für Verwaltungsbehörden vermehrt die Herausforderung, Verwaltungsverfahren mit einer großen Anzahl von Parteien zu führen. Dieser Herausforderung begegnet der Gesetzgeber u.a. durch die Schaffung von Sonderverfahrensrecht. Es werden im Rahmen des Beitrages die Besonderheiten des Großverfahrens nach § 40 KOG dargestellt und als möglicher Lösungsansatz für die Herausforderung skizziert, Verwaltungsverfahren mit einer großen Anzahl an Parteien zu führen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Allgemeine Großverfahrensregelungen
  • 2. Großverfahren nach § 40 KOG
  • 2.1. Großverfahren nach § 40 KOG
  • 2.2. Voraussetzungen für die Einleitung eines Großverfahrens nach § 40 KOG
  • 2.3. Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung mittels Edikt nach § 40 KOG
  • 2.4. Anberaumung der mündlichen Verhandlung mittels Edikt und Präklusion
  • 2.5. Zustellung und Kundmachungen mittels Edikt auf der Website der Regulierungsbehörde; Verfahrensführung unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen
  • 3. Marktanalyseverfahren vor der Telekom-Control-Kommission unter Anwendung der Großverfahrensregelungen
  • 3.1. Voraussetzung
  • 3.2. Edikte
  • 3.3. Zustellungen über das elektronische Kommunikationssystem
  • 4. Schlussfolgerungen
  • 5. Literatur

1.

Allgemeine Großverfahrensregelungen ^

[1]
Die Gewährleistung rechtlicher Beteiligung an Verwaltungsverfahren mit einer großen Anzahl von Parteien stellt eine Herausforderung dar. Das österreichischen Verwaltungsverfahren kennt den Begriff der «Parteien» nach § 8 AVG 1991, die an der Sache wegen eines Rechtsanspruchs oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, und den Begriff der «Beteiligten», die an der Ermittlung des Sachverhaltes mitwirken, aber keine Parteienrechte haben. Auf Grund der gesteigerten Bedeutung subjektiver öffentlicher Rechte, insbesondere auch auf Grund unionsrechtlicher Vorgaben (Judikate des EuGH; C-426/05 Tele2, C-74/08 Mellor, C-237/07 Janecek, C-282/13 T-Mobile Austria) besteht für Verwaltungsbehörden vermehrt die Herausforderung, Verwaltungsverfahren mit einer großen Anzahl von Parteien zu führen; dies wird in Zukunft weiter zunehmen. Der Gesetzgeber hat den Regelungsbedarf erkannt und für den Bereich elektronische Kommunikationsdienste und -netze mit § 40 KOG zusätzlich zu den bereits bestehenden Großverfahrensregelungen (§ 44a AVG 1991) ein Sonderverfahrensrecht für Verfahren der Regulierungsbehörden unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen geschaffen. Das Sonderverfahrensrecht soll der gesteigerten Bedeutung subjektiver öffentlicher Rechte Rechnung tragen.
[2]

Der Gesetzgeber hat bereits im Jahr 1998 mit der Novelle BGBl I 1998/158 eine spezielle Regelung für Großverfahren in das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetzt 1991 (AVG 1991) eingeführt, insbesondere um den Problemen hinsichtlich übergangener Parteien in verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren mit vielen hunderten Beteiligten (vor allem im Umweltschutzbereich) zu begegnen.1 Die im AVG 1991 vorgesehenen Großverfahrensregelungen sind im Gegensatz zu den Großverfahrensregelungen nach § 40 KOG nur auf antragsgebundene Verfahren anwendbar, nicht jedoch auf amtswegig von der Behörde eingeleitete Verfahren.

2.

Großverfahren nach § 40 KOG ^

2.1.

Großverfahren nach § 40 KOG ^

[3]
Mit der Novelle BGBl 102/2011 hat der Gesetzgeber Sonderbestimmungen für die Durchführung von Großverfahren in das KommAustria-Gesetz aufgenommen. Die Sonderregelungen gelten in Verfahren vor der Kommunikationsbehörde Austria und der Telekom-Control-Kommission und der RTR-GmbH.
[4]

Die Einleitung mittels Edikt ist nach § 40 KOG für Verfahren, die amtswegig einzuleiten sind, wie etwas Verfahren zur Marktdefinition und -analyse nach §§ 36 ff. TKG 2003 oder Aufsichtsverfahren nach §§ 91 TKG 2003, möglich.

2.2.

Voraussetzungen für die Einleitung eines Großverfahrens nach § 40 KOG ^

[5]
Nach § 40 Abs. 1 KOG können die Regulierungsbehörden die Einleitung eines Verfahrens mit einem Edikt kundmachen, wenn voraussichtlich mehr als 100 Parteien beteiligt sind. Zur Frage, welche Methoden zur Beurteilung der Frage, ob voraussichtlich mehr als 100 Parteien beteiligt sind, kann die Rechtsprechung zu § 44a AVG herangezogen werden, da ihr Wortlaut hinsichtlich dieser Voraussetzung dem § 40 Abs. 1 KOG weitgehend gleicht. Die Behörde hat zur Frage, ob voraussichtlich mehr als 100 Parteien beteiligt sind, nach der Rechtsprechung2 zu § 44a AVG 1991 eine Prognoseentscheidung zur treffen.3 Dies bedeutet, dass die Prognose auf konkrete Tatsachen und Erfahrungssätze zu stützen ist. Im Bereich des Immissionsschutzes wird etwa eine sog «Ausbreitungsrechnung» herangezogen, d.h. dass die Behörde ein Ausbreitungsmodell hinsichtlich der Immissionen erstellen und die im Ausbreitungsgebiet wohnenden Personen als Beteiligte eruieren muss.4

2.3.

Rechtsfolgen einer Verfahrenseinleitung mittels Edikt nach § 40 KOG ^

[6]
Wurde die Einleitung eines Verfahrens mit Edikt kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass jemand seine Stellung als Partei verliert, wenn er nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Veröffentlichung des Edikts seine Betroffenheit schriftlich glaubhaft macht. In Marktanalyseverfahren gilt diese Rechtsfolge jedoch nicht für jenes Unternehmen, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen, beibehalten, auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden sollen. Diese Unternehmen verlieren ihre Parteistellung nach § 37a Abs. 2 TKG 2003 nicht (vgl. auch § 91 Abs. 6 TKG 2003 in Bezug auf Aufsichtsverfahren nach § 91 TKG 2003, usw.).

2.4.

Anberaumung der mündlichen Verhandlung mittels Edikt und Präklusion ^

[7]
Hat die Regulierungsbehörde nach § 40 Abs. 1 KOG das Verfahren mittels Edikt eingeleitet, so kann die Regulierungsbehörde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ebenfalls durch Edikt vornehmen. Das Edikt ist nach § 40 Abs. 5 KOG auf der Website der Regulierungsbehörde kundzumachen. § 40 Abs. 4 KOG verweist auf die Geltung, der von § 42 Abs. 1 AVG 1991 normierten Rechtsfolgen.
[8]
Dies hat zur Folge, dass in diesem Stadium des Verfahrens Parteien ihre Parteistellung verlieren, sofern sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Amtsstunden bei der Behörde oder während der mündlichen Verhandlung Einwendungen erheben.

2.5.

Zustellung und Kundmachungen mittels Edikt auf der Website der Regulierungsbehörde; Verfahrensführung unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen ^

[9]
Nach § 40 Abs. 6 KOG können Kundmachungen und Zustellungen im Verfahren durch Edikt auf der Website der Regulierungsbehörde vorgenommen werden, sofern bereits die Einleitung eines Verfahrens mit Edikt kundgemacht wurde.
[10]
Weiters können nach § 40 Abs. 7 KOG die Verfahren unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen geführt werden.

3.

Marktanalyseverfahren vor der Telekom-Control-Kommission unter Anwendung der Großverfahrensregelungen ^

[11]

Die Telekom-Control-Kommission hat erstmals im Jahr 2012 die Verfahren zur Markdefinition und -analyse nach §§ 36 ff. TKG 2003 mittels Edikt nach § 40 Abs. 1 KOG eingeleitet und unter Anwendung der Großverfahrensregelungen durchgeführt.

3.1.

Voraussetzung ^

[12]
Auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs, C-426/05 vom 21. Februar 2008 i.V.m. dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. März 2008, Zl. 2008/03/0020 ist in Verfahren all jenen Parteistellung einzuräumen, die von der Entscheidung im Sinne von Art. 4 der Rahmenrichtlinie (2002/21/EG i.d.F. 2009/140/EG) «betroffen» sind. In Betracht kommen die Mitbewerber des Unternehmens mit beträchtlicher Marktmacht.5 Die beabsichtigte Aufnahme eines öffentlichen Kommunikationsdienstes oder -netzes ist gemäß § 15 Abs. 1 TKG 2003 bei der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) zur Anzeige zu bringen (Allgemeingenehmigung). Die Liste der Allgemeingenehmigungen ist auf der Website der RTR-GmbH unter https://www.rtr.at/de/tk/ListeAGGTK abrufbar und umfasst rund 700 Unternehmen. Zusätzlich können auch andere Personen bzw. Unternehmen von der Entscheidung im Marktanalyseverfahren betroffen sein.

3.2.

Edikte ^

[13]
Das Edikt zur Verfahrenseinleitung wurde auf der Website der RTR-GmbH (als Geschäftsstelle der Telekom-Control-Kommission) nach § 40 Abs. 5 KOG kundgemacht (https://www.rtr.at/de/tk/Edikte) mit dem Hinweis, dass innerhalb von sechs Wochen ab Veröffentlichung des Edikts die Betroffenheit schriftlich glaubhaft zu machen ist, um die Parteistellung nicht zu verlieren. Die Anberaumung der mündlichen Verhandlung wurde ebenfalls mittels Edikt auf der Website gemäß § 40 Abs. 4 KOG kundgemacht. Die endgültige Anzahl der Parteien steht auf Grund der besonderen Verfahrensregeln erst nach der mündlichen Verhandlung fest (siehe Ausführungen unter Punkt 2.4. Anberaumung der mündlichen Verhandlung mittels Edikt und Präklusion).

3.3.

Zustellungen über das elektronische Kommunikationssystem ^

[14]
Die Zustellungen an die Parteien können nach § 40 KOG i.V.m. § 37 ZustG über das elektronische Kommunikationssystem der RTR-GmbH (e-Gov-Portal) vorgenommen werden.
[15]
Nach § 37 Abs. 2 ZustG ist die Zustellung über das elektronische Kommunikationssystem unzulässig, wenn die Voraussetzungen für die Zustellung durch einen Zustelldienst vorliegen (sog «Zustellkopfabfrage» nach § 34 Abs. 1 ZustG).
[16]
Die Zustellung über das elektronische Kommunikationssystem (e-Gov-Portal der RTR-GmbH) besteht aus mehreren Elementen. Zunächst wird eine Bekanntmachung auf der Website der RTR-GmbH veröffentlicht (https://www.rtr.at/de/tk/Bekanntmachungen). Die Bekanntmachung enthält die Information, dass Aktenbestandteile für die Parteien zum Abruf bereitgehalten werden. Die Aktenbestandteile werden im e-Gov-Portal zum Abruf (nur) durch die Parteien bereitgehalten. Die Zustellung gilt gemäß § 37 Abs. 1 letzter Satz ZustG am dritten Werktag nach dem erstmaligen Bereithalten des Aktenbestandteils/der Aktenbestandteile als bewirkt. Die Zustellung gilt unabhängig davon, ob die Parteien die zum Abrufbereit gehaltenen Aktenbestandteile tatsächlich abrufen, am dritten Tag nach dem erstmaligen Bereithalten als bewirkt.
[17]
Im Rahmen des Vortrages werden die praktischen Erfahrungen mit der Anwendung der Großverfahrensregelungen dargestellt.

4.

Schlussfolgerungen ^

[18]
Auf Grund der dargestellten Rechtsprechung des EuGH und VwGH hat die Telekom-Control-Kommission die amtswegigen Verfahren zur Marktdefinition und -analyse mit einer großen Anzahl von Parteien durchzuführen, ohne in den Anwendungsbereich des § 44a AVG zu fallen, da die Verfahren amtswegig einzuleiten sind. Die Sonderregelungen für Großverfahren nach § 40 KOG ermöglichen eine effiziente Verfahrensführung unter Beiziehung einer großen Anzahl von Parteien und unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen.

5.

Literatur ^

Feiel, Parteistellung in Verfahren nach dem TKG 2003, MR 2008, 385.

Grabenwarter, Großverfahren nach dem AVG, ZfV 2000/1741a, 721 ff.

Hengstschläger/Leeb, AVG (2. Ausgabe 2014).

Matzka, E-Partizipation im Verwaltungsverfahren, 2011, facultas.

Thienel, Massenverfahren – typische Probleme und mögliche Lösungen, ZfV 1996, 3 f.


 

Susanne Forizs, Juristin, Mitarbeiterin der Rechtsabteilung, Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, Mariahilfer Straße 77–79, 1060 Wien, AT, susanne.forizs@rtr.at; http://www.rtr.at

  1. 1 Thienel, Massenverfahren – typische Probleme und mögliche Lösungen, ZfV 1996, 3 f.
  2. 2 VwGH 2006/04/0250 vom 11. Oktober 2007.
  3. 3 Hengstschläger/Leeb, AVG (2. Ausgabe 2014) § 44a Rz. 4 (Stand 1. Juli 2005, rdb.at).
  4. 4 Grabenwarter, Großverfahren nach dem AVG, ZfV 2000/1741a, 721 ff.
  5. 5 Feiel, Parteistellung in Verfahren nach dem TKG 2003, MR 2008, 385.