1.
Ausgangslage ^
Die öffentliche Auftragsvergabe ist ein wirtschaftlich wesentlicher Faktor in der Europäischen Union.1 Bis zuletzt wurde nur ein Bruchteil der Vergaben auf elektronischem Wege durchgeführt, obwohl hier wesentliche Kosteneinsparungen und Verfahrensbeschleunigungen zu erwarten sind.2 Die Bestrebungen der Union zur Förderung der elektronischen Vergabe haben auch Eingang in das Vergaberichtlinienpaket 20143 gefunden. Besonderer Schwerpunkt der neuen Regelungen sind – neben dem Vorrang des Bestangebotsprinzips und der nun vermehrten Verpflichtung zur elektronischen Vergabe4 – die Schaffung eines neuen Ausnahmetatbestands, der interkommunalen Kooperation. Nach der Analyse, welche Ausnahmefälle vom Vergaberecht mit diesem Tatbestand wirklich umfasst sind, stellt sich hier die Frage, ob die Normierung weiterer Ausnahmetatbestände von der Ausschreibungspflicht nicht gerade der Intention der Europäischen Union, elektronische Vergaben zu fördern, entgegensteht. Dieser Trend zu Beschleunigung und Vereinfachung der Vergaben bis hin zum oft plakativ verwendeten Statement «Heraus aus dem Vergaberecht» zeigt sich auch durch die seit geraumer Zeit praktizierte Vereinfachung der Vergaben im Unterschwellenbereich und an der bis zuletzt auf 31. Dezember 2016 befristeten SchwellenwerteVO5, mit welcher der Anwendungsbereich der dann zulässigen Direktvergabe durch Erhöhung der vergabefreien Schwellenwerte vergrößert wird. Damit sind als erste Indikation die Ausnahmeregelungen für das komplexe Vergaberegime auf zwei Ebenen abgedeckt, einerseits für den weiten Bereich der Bagatellvergaben, dort kann eine Direktvergabe ohne Wettbewerb zulässig sein, andererseits dort, wo der Auftraggeber ggf. auch mit anderen Auftraggebern gemeinsam Leistungen für sich selbst erbringt, dann kann eine In-house-Vergabe oder eine interkommunale Kooperation zulässig sein, die ebenfalls außerhalb des Wettbewerbs agieren. Mit dem vorliegenden Beitrag sollen nun die möglichen Auswirkungen der interkommunalen Zusammenarbeit auf die elektronische Vergabe und die Frage untersucht werden, ob damit die Intention der Union, elektronische Vergabe zu fördern, nicht tatsächlich konterkariert wird.
Wie steht diese Tendenz, weitere Ausnahmen vom Vergaberecht zu schaffen im Einklang mit der Förderung (elektronischer) Vergaben? Grundsätzlich ist es für eine Anwendung des Vergaberechts nach der europäischen Rsp.6 ausreichend, dass eine «Vereinbarung zwischen zwei wirklich verschiedenen Personen getroffen wurde (...) [wobei es] genügt, dass der Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde.» Etwas anderes soll (nur) dann gelten, wenn der Auftraggeber über die fragliche Person, die den Auftrag für ihn ausführen soll, eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für ihn verrichtet.7 Diese Betrachtung ist Ausgangpunkt unserer Analyse.
2.
Europäische Grundlagen zu elektronischer Vergabe und interkommunalen Kooperation ^
Die klassische Vergaberichtlinie für Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge8, die Sektorenrichtlinie9 und die neue Konzessionsrichtlinie10 sehen den erweiterten Einsatz von elektronischen Beschaffungsformen vor. Die Europäische Kommission hat zuvor im Zuge eines Aktionsplans zur Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften über die elektronische Vergabe Erläuterungen11 veröffentlicht, die den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der neuen Vergaberichtlinien behilflich sein sollten. Ziel ist es demnach, den Behörden durch die elektronische Vergabe einen besseren Einkauf zu ermöglichen und ein besseres Preis- / Leistungsverhältnis am Markt zu erzielen. Es soll der Wettbewerb gefördert und Bürokratie abgebaut werden, was den Unternehmen die Bewerbung um öffentliche Aufträge erleichtert.12 Voraussetzung dafür war und ist, die Interoperabilität der elektronischen Rechnungsstellungssysteme (durch e-Rechnungen13) unionsweit sicherzustellen, um Einzellösungen von Mitgliedstaaten, die bloß zur Fragmentierung des Binnenmarktes beitragen und eine grenzüberschreitende Auftragsvergabe erschweren, zu verhindern.14 Da nun i.d.Z. fortlaufend bestimmte neue Techniken der Online-Beschaffung entwickelt werden, die es ermöglichen, die Effizienz des öffentlichen Beschaffungswesens durch die Verringerung des Zeitaufwandes und durch Einsparungseffekte zu verbessern,15 sollen die öffentlichen Auftraggeber im Zuge des neuen Vergaberichtlinienpakets 2014 gehalten sein, vermehrt diese Techniken zur Online-Beschaffung einzusetzen, soweit damit die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz eingehalten werden können.
Die neuen Vergaberichtlinien sehen aber auch die interkommunale Kooperation als neuen Ausnahmetatbestand vor26. Bevor man hier das Verhältnis zur elektronischen Vergabe analysieren kann, ist klarzustellen, welche Fälle die interkommunale Zusammenarbeit abdecken kann. Demnach soll ein ausschließlich zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag dann nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberegimes fallen, wenn der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern mit dem Ziel begründet, sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden. Weiter muss die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein und dürfen die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt nur weniger als 20% der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen. Diese gesamte Bestimmung scheint unübersichtlich. Zum besseren Verständnis dieser Regelung scheint deren historische Genese erforderlich.
Die von der europäischen Rsp.50 geschaffenen Voraussetzungen für eine formfreie interkommunale Zusammenarbeit sind nun – zusammengefasst – die Folgenden:
- Zusammenarbeit von öffentlichen Auftraggebern;
- keine Beteiligung Privater bei der Zusammenarbeit;
- die Ausführung von zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen dient der Erreichung gemeinsamer Ziele;
- die Zusammenarbeit liegt ausschließlich im öffentlichen Interesse;
- die öffentlichen Auftraggeber erbringen auf dem offenen Markt gemeinsam weniger als 20% der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten.
Erforderlich ist schließlich, dass die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20% der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen. Mit diesem Tatbestandselement wird darauf abgestellt, dass der freie Markt durch interkommunale Zusammenarbeit nicht übermäßig eingeschränkt wird. Klargestellt ist insoweit, dass zur Bestimmung des prozentualen Anteils der Tätigkeiten der durchschnittliche Gesamtumsatz, oder ein geeigneter alternativer tätigkeitsgestützter Wert wie z.B. Kosten, die der betreffenden juristischen Person oder dem betreffenden öffentlichen Auftraggeber während der letzten drei Jahre vor Vergabe des Auftrags in Bezug auf Dienstleistungen, Lieferungen und Bauleistungen entstanden sind, herangezogen werden. Liegen für die letzten drei Jahre keine Angaben über den Umsatz oder einen geeigneten alternativen tätigkeitsgestützten Wert wie z.B. Kosten vor oder sind sie nicht mehr relevant, weil die betreffende juristische Person oder der betreffende öffentliche Auftraggeber gerade gegründet wurde oder erst vor kurzem ihre beziehungsweise seine Tätigkeit aufgenommen hat oder weil sie ihre beziehungsweise er seine Tätigkeiten umstrukturiert hat, genügt es, wenn sie beziehungsweise er – vor allem durch Prognosen über die Geschäftsentwicklung – den tätigkeitsgestützten Wert glaubhaft macht.
5.
Interkommunale Zusammenarbeit und elektronische Vergabe – wie passt das zusammen? ^
- 1 Sie schlägt mit 19% des BIP der Union zu Buche, vgl. Haslhofer, PEPPOL: Technisch harmonisierte Online-Vergabeverfahren in Europa, JusIT 2011/19, 41 m.w.N. in Fn. 1; Holoubek/Fuchs/Holzinger, Vergaberecht4, 9f.
- 2 Die Union ist hier 2010 noch von lediglich etwa 5% der Vergaben innerhalb der EU ausgegangen, die auf elektronischem Wege durchgeführt werden; Siehe: Europäische Kommission, Grünbuch zum Ausbau der e-Beschaffung in der EU, KOM(2010)571 (endg.), 20.
- 3 Das Vergaberichtlinienpaket 2014, welches bis 18. April 2016 in nationales Recht umzusetzen ist, beinhaltet RL 2014/24/EU vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe, die RL 2014/25/EU vom 26. Februar 2014 über den Sektorenbereich und die RL 2014/23/EU vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe.
- 4 Gerade hinsichtlich der elektronischen Angebotsabgabe.
- 5 Verordnung des Bundeskanzlers betreffend die Anpassung von im Bundesvergabegesetz 2006 festgesetzten Schwellenwerten – Schwellenwerteverordnung 2012, BGBL II Nr. 95/2012 i.d.F. BGBL II Nr. 292/2014.
- 6 EuGH 18. November 1998, Rs. C-107/98, Teckal, Rn. 50; EuGH 7. Dezember 2000, Rs. C-94/99, ARGE Gewässerschutz, Rn. 40; ua.
- 7 Schlussanträge des Generalanwalts Leger vom 15. Juni 2000 in Rs. C-94/99, ARGE Gewässerschutz, Rn. 53.
- 8 RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über öffentliche Auftragsvergaben und zur Aufhebung der RL 2004/18/EG.
- 9 RL 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie Postdienste und zur Aufhebung der RL 2004/17/EG vom 31. März 2004.
- 10 RL 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe.
- 11 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52004DC0841.
- 12 Gölles, Pressemitteilung der EU-Kms (IP/05/948), RPA (2005), 212; Götzl, Neugestaltung des rechtlichen Rahmens für Vergaben im Unterschwellenbereich als Chance für die elektronische Vergabe, 315.
- 13 Vgl. www.erechnung.gv.at.
- 14 KOM(2013) 449 (endg.); vgl. § 5 IKT-Konsolidierungsgesetz, BGBl I Nr. 35/2012; Pachner, ZVG-Aktuell, ZVB 2013/121, 400.
- 15 So bereits die 12. Begründungserwägung der durch RL 2014/24/EU aufgehobenen RL 2004/18/EG.
- 16 Art. 22 Abs. 1 RL 2014/24/EU.
- 17 Informations- und Kommunikationstechnologie, vgl. insb. die Technische Spezifikationen im IKT-Bereich, die gemäß den Artikeln 13 und 14 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 festgelegt wurden.
- 18 Art. 22 Abs. 2 der RL 2014/24/EU.
- 19 Art. 22 Abs. 4 der RL 2014/24/EU.
- 20 Art. 22 Abs. 5 der RL 2014/24/EU.
- 21 Art. 22 Abs. 5 lit. b und c der RL 2014/24/EU.
- 22 Art. 22 Abs. 6 lit. a der RL 2014/24/EU.
- 23 Vgl. Erwägungsgrund 52 der RL 2014/24/EU.
- 24 Art. 22 der RL 2014/24/EU.
- 25 Vgl. Art. 106 der RL 2014/24/EU.
- 26 In Art. 12 Abs. 4 und 5 RL 2014/24/EU und Art. 28 Abs. 4 und 5 RL 2014/25/EU.
- 27 Ausführlich Götzl, Einzug der interkommunalen Zusammenarbeit – Auszug des Vergaberechts? Die interkommunale Kooperation als partielles Ende des Vergaberechts – eine Bestandsaufnahme, RPA 2015/3, 144.
- 28 EuGH 18. November 1998, Rs. C-107/98, Teckal.
- 29 Vgl. EuGH 11. Januar 2005, Rs. C-26/03, Stadt Halle; EuGH 13. Oktober 2005, Rs. C-458/03, Parking Brixen; EuGH 10. November 2005, Rs. C-29/04, Mödling; EuGH 11. Mai 2006, Rs. C-340/04, Carbotermo; EuGH 19. April 2007, Rs. C-295/05, Asemfo; EuGH 18. Dezember 2007, Rs. C-220/06, Asociación Profesional.
- 30 EuGH 11. Januar 2005, Rs. C-26/03, Stadt Halle.
- 31 Vgl. EuGH 10. November 2005, Rs. C-29/04, Mödling, Rn. 38.
- 32 EuGH 19. April 2007, Rs. C-295/05, Asemfo.
- 33 I.d.S. Oppel, Interkommunale Zusammenarbeit, ZVB 2014, 32 f.
- 34 EuGH 9. Juni 2009, Rs. C-480/06, Stadtreinigung Hamburg.
- 35 EuGH 19. Dezember 2012, Rs. C-159/11, Ordine degli Ingengneri; EuGH 13. Juni 2013, Rs. C-386/11, Piepenbrock.
- 36 Vgl. Oppel, Interkommunale Zusammenarbeit, ZVB 2014, 34.
- 37 EuGH 19. Dezember 2012, Rs. C-159/11, Ordine degli Ingengneri.
- 38 EuGH 13. Juni 2013, Rs. C-386/11, Piepenbrock.
- 39 EuGH 8. Mai 2014, Rs. C-15/13, TU Hamburg-Harburg.
- 40 EuGH 29. November 2012, verb. Rs. C-182/11 und C-183/11, Econord, RPA 2013, 106 [Reisner].
- 41 Statt vieler: Reisner, Neues zur In-House-Vergabe, RPA 2013, 69; Götzl/Möller, Aktueller Stand der In-House-Vergabe – Der Versuch einer Systematisierung, RPA 2008, 66.
- 42 VwGH 17. Juni 2014, 2013/04/0020, Korneuburg.
- 43 Reisner, Neues zur In-House-Vergabe, RPA 2013, 74.
- 44 VwGH 17. Juni 2014, 2013/04/0020, Korneuburg.
- 45 Ausführlich Gast/Götzl, Einzug der interkommunalen Zusammenarbeit – Auszug des Vergaberechts? Die interkommunale Kooperation als partielles Ende des Vergaberechts – eine Bestandsaufnahme, RPA 2016, 144.
- 46 EuGH 13. November 2008, Rs. C-324/07, Coditel.
- 47 Oppel, Interkommunale Zusammenarbeit, ZVB 2014, 34.
- 48 Vgl. EuGH 10. November 2005, Rs. C-29/04, Mödling.
- 49 EuGH 9. Juni 2009, Rs. C-480/06, Stadtreinigung Hamburg, Rn. 44 und 47; vgl. ferner EuGH 19. Dezember 2012, Rs. C-159/11, Ordine degli Ingengneri; EuGH 13. Juni 2013, Rs. C-386/11, Piepenbrock.
- 50 EuGH 18. November 1998, Rs. C-107/98, Teckal, Rn. 50; EuGH 7. Dezember 2000, Rs. C-94/99, ARGE Gewässerschutz, Rn. 40; ua.
- 51 EuGH 9. Juni 2009, Rs. C-480/06, Stadtreinigung Hamburg, Rn. 37; VwGH 17. Juni 2014, 2013/04/0020, Korneuburg.
- 52 Erwägung 33 zu RL 2014/24/EU.
- 53 EuGH 9. Juni 2009, Rs. C-480/06, Stadtreinigung Hamburg, Rn. 44 und 47 m.V.a. EuGH 11. Januar 2005, Rs. C-26/03, Stadt Halle, Rn. 50 und 51.
- 54 Art. 22 Abs. 1 RL 2014/24/EU.
- 55 Art. 22 Abs. 5 der RL 2014/24/EU.
- 56 Art. 22 Abs. 6 lit. a der RL 2014/24/EU.