Jusletter IT

Netzwerke & Rechtsinformatik

  • Authors: Erich Schweighofer / Friedrich Lachmayer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Notes on the General Topic
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Erich Schweighofer / Friedrich Lachmayer, Netzwerke & Rechtsinformatik, in: Jusletter IT 25 February 2016
Sowohl die Netze als auch die Rechtsinformatik weisen eine duale Struktur auf (Elemente – Relationen bzw. Recht – Informatik).
Nunmehr orientieren sich die Kommunikationsformen am Netzwerk der Stakeholder der Rechtsordnung. Rechtsordnungen werden zunehmend im neuen elektronischen Umfeld des Internets und erst mittelbar mit ihren bisherigen normativen Adressaten publiziert.
Die Auswirkungen auf die Rechtswirklichkeit sind insbesondere in ihrem Zusammenwirken mit den Netzwerkstrukturen in ihrem dialektischen Formenreichtum derzeit nicht absehbar. Die Vernetzung wird von einer Hilfsfunktion zu einem wesentlichen Teil der Wissensrepräsentation und der Kommunikation im Recht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Netzwerkeffekt
  • 3. Relevanz des Netzwerkeffekts im Recht
  • 4. Das Internet als Kommunikationsplattform der juristischen Agora
  • 5. Die wesentlichen Netzwerke im Recht
  • 5.1. Autoritäten der Rechtsordnung / Multi-Stakeholder-Ansatz
  • 5.2. Vernetzte Dokumentenwelt
  • 5.3. Sprachliche Brücken zur Wissenswelt und realen Welt
  • 5.3.1. Thesaurus
  • 5.3.2. Lebenssituationen
  • 6. Duale Struktur der Netze und der Rechtsinformatik
  • 7. Schlussfolgerungen und Ausblick

1.

Einleitung ^

[1]

Eine der wesentlichen Aufgaben der Rechtsinformatik ist die Überwindung der Textgebundenheit der Rechtsinformatik, weil die Kosten für die rechtliche Kommunikation im Wissens- und Netzwerkzeitalter bei alleiniger Nutzung von Text- und Sprachmedien zu hoch sind. Mit dem Internet spielen zwar die Beschaffungs- und Verteilungskosten fast keine Rolle mehr. Aber trotz leichter Verfügbarkeit der Materialien und leistungsstarker Suchmaschinen ist sehr aufwändig geworden, immer auf dem letzten Stand zu bleiben. Die notwendige Effizienzsteigerung kann nur dadurch erreicht werden, wenn ein Modell des Rechtssystems geschaffen wird, dass die Rolle der Stakeholder abbilden kann als auch semantische Kommunikation mit hoher Effizienz erlaubt. Netzwerke sind eine wesentliche Ergänzung der Rechtsinformation als auch der Formalisierung. Damit können nicht nur die Kommunikationsakte in der Rechtsordnung und deren Relevanz wesentlich besser beschrieben werden. Es wird damit auch der Weg zu einer Theoriebildung in der Rechtsinformatik gestärkt.

[2]
«Netzwerke» sind Systeme, deren Struktur sich als Graph beschreiben lässt; als eine Menge von Elementen (Knoten), die mittels Verbindungen (Kanten), miteinander verbunden sind. Die Relationen sind daher vielfältig, können redundant sein und unterschiedliche Bedeutung (Gewichtung) aufweisen.1 Schon in den 1970er Jahren hat sich Leo Reisinger damit beschäftigt.2 Aufbauen und Pflegen der Netzwerke, das «Netzwerken», sowohl im realen Leben als auch in Sozialen Netzwerken, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Ahti Saarenpää spricht daher nicht mehr von der Wissensgesellschaft, sondern von der Netzwerkgesellschaft.3
[3]

Im Recht gibt die Kooperationsstruktur die Netzwerkstruktur vor. «Kooperation» ist das zweckgerichtete Zusammenwirken von Aktionen von Lebewesen, Menschen oder Organisationen, die durch Arbeitsteilung ein gemeinsames Ziel besser erreichen wollen. Ohne Kooperation gibt es keine Systembildung. Die Rolle im Netzwerk reflektiert die Bedeutung als Stakeholder des Systems (oder nach Fritjof Haft als Autorität des Rechts)4. Derzeit ist es ein System mit Menschen; zunehmend spielen Maschinen eine Rolle (z.B. FinanzOnline). Typisch für das Recht ist zusätzlich, dass auch Dokumente eine wichtige Eigenrolle spielen – bahnbrechende Gesetze, Leitentscheidungen, aber auch Flaggschiff-Kommentare. Daher ist es naheliegend, auch das Rechtssystem als ein Bündel von Netzwerken zu verstehen und zu analysieren. Die Vernetzung der Dokumente ist ein wesentlicher Mehrwert von Rechtsinformationssystemen (Netzwerksicht des Rechts nach Qiang Lu und Jack Conrad).5

[4]
Die Informations- und Wissensgesellschaft mit dem Streben nach digitalen Grundrechten erfordert hier grundlegendes Umdenken bei den Juristen. Das Internet hat die Kommunikation revolutioniert. Diese nutzend, sichert die Rechtsinformatik mit den Textkorpora in Rechtsinformationssystemen die Informationsgrundversorgung. Die zunehmende Bereitstellung semantischer Dokumente öffnet den Weg zur Maschine-Mensch- oder auch Maschine-Maschine-Kommunikation.  Damit wird der Weg frei für mehr Effizienz bei geringeren Kosten; einem wesentlichen Ziel der Jurisprudenz im 21. Jahrhundert. Die Entwicklung ist schleichend, aber nachhaltig und die Rechtsinformatik steht im Zentrum, weil sich das Wissensnetzwerk wesentlich ändert.

2.

Netzwerkeffekt ^

[5]
Der Netzwerkeffekt ist ein Begriff der Volkswirtschaft und beschreibt die Änderung des Nutzes eines Produkts für den Konsumenten durch die Anzahl anderer Verbraucher desselben Produktes (oder komplementärer Produkte).6 Der Produktnutzen ist abhängig von der gesamten Nutzerzahl. Die Kommunikationstechnologien sind klassische Beispiele von positiven Netzwerkeffekten (z.B. Telefon).
[6]

Als Faustregel wurde von Robert Metcalfe das sogenannte Metcalfe’sche Gesetz  über das Kosten-zu-Nutzen-Verhältnis von Kommunikationssystemen entwickelt.7 Demnach wächst der Nutzen eines Kommunikationssystems proportional zur Anzahl der möglichen Verbindungen zwischen den Teilnehmern (also etwa dem Quadrat der Teilnehmerzahl); die Kosten hingegen nur proportional zur Teilnehmerzahl steigen. Rod Beckstrom hat dies in einer erstmals 2008 veröffentlichten Berechnungsmethode verfeinert.8

3.

Relevanz des Netzwerkeffekts im Recht ^

[7]

Reine Rechtslehre. 2. Aufl.,Deuticke, Wien, S. 196 ff. (1960)An sich sind im Rechtssystem die Rechte und Pflichten der Personen (mehr oder weniger) durch die Verfassung bestimmt; dies gilt natürlich auch für die durch positives Recht geschaffenen Institutionen und deren Aufgaben und Funktionen.9 Dieses Recht schafft durch entsprechende Sanktionen ausreichende Anerkennung. Mehr Recht ist daher mit mehr Rechtsbeziehungen verbunden; je mehr es davon gibt, umso höher ist die Anerkennung und damit der Nutzen des Rechts, insbes. für die Wirtschaft (ubi ius, ibi commercium).

[8]
Zur Effektivität des Normensystems bedarf es der Anerkennung wie auch der Sanktionen. In beiden Fällen entstehen soziale, durch Recht determinierte Beziehungen. Das Recht wird gelebt, viel öfter durch Anerkennung als auch Sanktionsakte. Das Bündel dieser Beziehungen – zwischen Bürgern, zwischen Rechtsorganen und Bürgern, aber auch zwischen Rechtsorganen selbst – ist der Maßstab für die Qualität des Netzwerks Recht. Die ungeheure Fülle dieser Beziehungen erfordert eine Klassierung nach Rechtsorganen, Rechtsinstituten, Normen, Regionen etc. Ohne diese Fülle von funktionierenden Beziehungen zwischen den Stakeholdern der Rechtsordnung gibt es keine funktionierende Rechtsordnung.
[9]
Idealerweise ist schon mit der Anwendbarkeit der Norm ein sehr starker Netzwerkeffekt zwischen den berufenen Rechtsorganen und den Rechtsunterworfenen gegeben: die Norm selbst ist nur eine von sehr vielen; die Anzahl der durch diese Norm bestimmten Rechtsbeziehungen steigt exponentiell an. Das Recht ist anerkannt und determiniert Rechte und Pflichten der jeweiligen sozioökonomischen Beziehungen.
[10]
Rechtsinstitute wie Gewohnheitsrecht zeigen aber, dass im Völkerrecht oder auch Privatrecht eine gewisse Skepsis besteht, mit dem positiven Recht sämtliche Phänomene des Rechts abzubilden. Derselbe Netzwerkeffekt kann auch eintreten, wenn die Rechtsunterworfenen selbst durch Stabilisierung sozialer Gewohnheiten diese mit Rechtsverbindlichkeit ausstatten und sich in der Folge daran orientieren. Auch im Verfassungsrecht zeigt der Begriff der Realverfassung, dass eine gewisse Überlagerung des positiven Rechts erfolgt kann.
[11]
Abgesehen von der Rechtssoziologie10 – welche als soziologische Disziplin die Wechselwirkung von Rechtsordnung und sozialer Wirklichkeit untersucht – ist die Frage, welche Rechtsorgane und welche Normen soziales Verhalten bestimmen, für die Rechtsinformatik bedeutsam.
[12]

Die Wissens- und Netzwerkgesellschaft zeichnet sich auch für wesentlich intensivere Informations- und Kommunikation im Recht aus, was zu einer ständigen und nachhaltigen Veränderung des Wissensnetzwerks Rechts geführt hat. 11 War früher die juristische Bibliothek, die eigenen Akten und das persönliche Netzwerk Kern des Wissensmanagements, so sind es heute die elektronisch verfügbaren Informationsquellen, die eigenen Dateien, oft schon in der Cloud, die Beteiligung an den semantischen und Sozialen Netzwerken sowie ergänzend und nach wie vor wesentlich das persönliche Netzwerk des Juristen. Das Potential von Sozialen Netzwerken ist im juristischen Bereich bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Noch im Bereich der intelligenten Formulare bewegt sich die Beteiligung am semantischen Web. Mit (semi)automatischer Bearbeitung von semantisch eindeutig strukturierten Anfragen könnte wesentlich mehr Rechtshilfe bei «Standardfällen» geboten werden, und zwar sowohl vom öffentlichen als auch vom privaten Sektor (z.B. Probe-Einkommensteuererklärung, Probe-Mietvertrag, Probe-Arbeitsvertrag).

[13]
Für die Informationsanbieter bedeutet dies, dass der Netzwerkfaktor für die Wissensaufbereitung und -verteilung ein wesentlicher Faktor geworden ist. Die Autoritäten des Rechts sind im Hinblick auf ihren Netzwerkfaktor – üblicher ist die Bezeichnung als Relevanzfaktor – abzubilden. Die steigende Bedeutung des Ranking im Recht12 zeigt, dass neben der Abbildung von Ideal- und Realverfassung auch der dahinterliegende Faktor der Relevanz – der Vernetzung – wichtig ist. Es ist wichtig, dass die Wissenschaft das stärker werdende «Personenmarketing» (insbes. von Anwaltskanzleien)13 bei wissenschaftlichen Rankings relativiert.
[14]
Die Rechtsinformation und -dokumentation hat ihre diesbezüglichen Dokumentationswerkzeuge in den letzten Jahrzehnten wesentlich ausgebaut. War es früher vornehmlich lineare Dokumentation mit Indices und Registern, ist mit dem Aufkommen von Hypertext die nicht-lineare Vernetzung von Informationsbausteinen, die Darstellung der Position von Dokumenten und Autoren im Vernetzungsnetzwerk oder nunmehr auch die Vernetzung mit den Nutzern zunehmend von Bedeutung.

4.

Das Internet als Kommunikationsplattform der juristischen Agora ^

[15]

Das Internet ist nunmehr die wesentliche Kommunikationsplattform der Juristen. War früher die Zahl der wesentlichen Informationsanbieter schon durch die Ressourcen beschränkt, ist diese Schranke nunmehr wesentlich reduziert. Die formalen Kommunikations- und Handlungsformen (Gesetzesentwurf, Gesetz, Klage, Schriftsatz, Plädoyer, Urteil, Handbuch, Kommentar etc.) sind schon aus rechtlichen Gründen unverzichtbar, stehen aber kommunikationsmäßig neben den informellen Kommunikations- und Handlungsformen. Dadurch wird die juristische Agora vielschichtig. Sie besteht aus den Kommunikationsforen des Gesetzgebers, der Gerichte, den Diskussionsforen der Wissenschaft, dem öffentlichen Dialog in Massenmedien und in Sozialen Netzwerken etc.; dazu gibt es eine Vielfalt von bi- und multilateralen Dialogen.

[16]

Die sehr papiergebundene bzw. physische Kommunikation vor Ort wird zunehmend elektronisch durchgeführt. Elektronischer Rechtsverkehr, Austausch von Dokumenten per E-Mail oder Cloud, Online-Treffen, etc. ist nunmehr wesentlicher Teil der Kommunikationsoptionen von Juristen. Papier bleibt bedeutsam; aber viel eher als effizienteres und bequemeres Arbeitsmittel als auch Papierdokument an sich.

[17]

Aus der Sicht der Rechtsinformatik ist bedeutsam, dass damit die notwendige und auch gewünschte Vielfalt von Kommunikationsformen möglich ist. Normen oder Urteile werden nicht mehr nur im Gesetzblatt bzw. Gerichtssammlung elektronisch publiziert, sondern finden sich auch in einer Zusammenfassung auf den Homepages oder auch sozialen Websites der jeweiligen Ministerien oder Gerichtshöfe bzw. in visualisierter Form in einer Bürgerinformationsplattform; dazu könnte es ein logisch-ontologisches Wissenssystem geben. Die juristische Diskussion erweitert sich von Beiträgen in juristischen Fachzeitschriften um Blogs, Statements in sozialen Medien etc. Der Austausch wird vielschichtiger, flexibler, wechselseitiger und auch schneller. Es wird an innovativen Verlagen liegen, diese Vielfalt entsprechend aufzubereiten. Des Weiteren wird eine neue Form der wechselseitigen Kommunikation mit der Öffentlichkeit gefunden werden müssen. Ein in der Praxis erst in Ansätzen befindliches Feld ist die semantische Kommunikation. In der AI & Recht-Forschung wurden bereits wesentliche Grundlagen geschaffen.14

5.

Die wesentlichen Netzwerke im Recht ^

[18]

Wenn auch das persönliche Netzwerk subjektiv am bedeutsamsten erscheint; für die Rechtsordnung sind die Netzwerkbündel wesentlich. Über diese definieren sich die Rollen der Stakeholder des Systems (oder nach Fritjof Haft der Autoritäten des Rechts)15 und ihre Beziehungsgeflechte. Menschen sind dominant, aber Maschinen spielen als Automaten eine immer stärkere unterstützende Rolle. Typisch für das Recht ist das Eigenleben von Dokumenten und ihren Relationen. Die Vernetzung der Dokumente ist ein wesentlicher Mehrwert von Rechtsinformationssystemen. Daher ist die Vernetzte Dokumentenwelt von großer Bedeutung. Weiters kann noch die Subsumption unterstützt werden, wenn eine Vernetzung mit der realen Welt und deren Repräsentationen erfolgt.

5.1.

Autoritäten der Rechtsordnung / Multi-Stakeholder-Ansatz ^

[19]
In der Rechtsordnung ist es von wesentlicher Bedeutung, welche Rolle und Funktion man ausübt; nach dieser werden die jeweiligen Kommunikationsakte bewertet. Während Gesetze der Parlamente bzw. Urteile der Höchstgerichte aufgrund der jeweiligen Funktion höchste Aufmerksamkeit genießen und sogar in formale Publikationsakte «gegossen» werden müssen, sind einzelne Meinungsäußerungen im Sozialen Web oder von unbekannten Wissenschaftlern unbeachtlich. Haft hat diese Stakeholder als Autoritäten des Rechts bezeichnet. Aufgrund ihrer Funktion sind die Kommunikationsakte bedeutsam. Der Multi-Stakeholder-Ansatz kommt aus dem internationalen Recht und bezeichnet ein System unterschiedlicher Stakeholder in einem institutionellen Rahmen, die sich an einen kooperativen Governanceprozess beteiligen, Entscheidungen beschließen und die Implementierung überwachen.16
[20]
Aus der Sicht der Rechtsinformatik ist es wesentlich, diese Autoritäten oder Stakeholder zu identifizieren und ihre Kommunikationsakte in den Textkorpus Recht aufzunehmen, um die Dokumentation des Rechtsetzungs- und -anwendungsprozesses vornehmen zu können.

5.2.

Vernetzte Dokumentenwelt ^

[21]
Der elektronische Textkorpus Recht bildet den Rechtsetzungs- und -anwendungsprozess ab. Gegenüber der Bibliothek und dem Aktenarchiv hat er die Vorteile der Medienneutralität, der problemlosen Integration von Bildern und Videos sowie der ort- und zeitungebundenen Zugänglichkeit als Cloud-Lösung. Des Weiteren kann er um semantische Elemente erweitert werden und ist damit offen für (Semi-)Automatisierung. Der Textkorpus Recht ist damit die Basis für die gewünschte Effizienzsteigerung des Rechtssystems sowie Charakteristikum dafür, dass der Wissensfaktor «industrialisiert» wird17.
[22]

Die Erweiterung des Textkopus im Sinne der 8 Sichtweisen-Theorie18 von Schweighofer (basierend auf dem Ansatz von Lu und Conrad) hat zwei Elemente der Vernetzung: Verweisungsnetzwerk bzw. Nutzerfeedback. Das Verweisungsnetzwerk beschreibt die Beziehungen zwischen den Dokumenten im Textkorpus; d.h. es wird dokumentiert, ob ein Dokument andere zitiert (Verweisungen) oder von anderen zitiert wird (Rückverweisungen). Wichtig ist hierbei, dass nicht nur die Dokumente selbst, sondern auch ihre Strukturelemente, wie Artikel, Sektionen, Paragrafen, Listen etc. zitiert werden. Des Weiteren ist eine Klassifikation der unterschiedlichen Formen der Verweisung erforderlich. Die Integration von Nutzerfeedback bedeutet, dass die Bewertung der breiten Öffentlichkeit in die Relevanz einfließen kann. Dies kann durch Rückverweisungen erfolgen; noch besser aber dadurch, dass Nutzerverhalten automatisiert gesammelt wird und bei entsprechender Dichte (d.h. ausreichender Zahl von anonymisierten Nutzungen) Schlussfolgerungen über die Relevanzbewertung durch die Nutzer gezogen werden.

5.3.

Sprachliche Brücken zur Wissenswelt und realen Welt ^

[23]

Die Größe des Textkorpus macht es erforderlich, dass für Dokumentationszwecke neben dem Dokumentennetzwerk weitere sprachliche Brücken gebaut werden. Als solche haben sich Thesauri bzw. lexikalische Ontologien und Lebenssituationen bewährt. Die Wissensnetzwerke zum juristischen Textkorpus werden informationswissenschaftlich oder bürgerfreundlich dargestellt. Soziale Netzwerke unterstützen persönliche Netzwerke und fallen daher nicht unter diese Gruppe.

5.3.1.

Thesaurus ^

[24]

Ein Thesaurus ist ein kontrolliertes Vokabular zur thematischen Beschreibung eines Wissensgebiets.19 Der Kern besteht aus einem System von Begriffen, die mit Relationen weiter beschrieben werden (z.B. Synonyme, Ober- und Unterbegriffe, gegenteilige Begriffe etc.). Damit wird die thematische Vernetzung der Dokumente zu einer Wissenssammlung möglich. In der EU wird EUROVOC eingesetzt.

5.3.2.

Lebenssituationen ^

[25]
In der Bürgerinformation hat sich die Vernetzung von Dokumenten mit Lebenssituationen bewährt. Als solche sind konkrete Vorgänge im Leben gemeint, die rechtlich geregelt sind und behördliche Schritte erfordern (z.B. Heirat, Geburt, Wohnen etc.). Die jeweilige Rechtsinformation wird sprachlich oder durch Visualisierung verdichtet; dem Dokument kommt eher nur Referenzfunktion zu. Wesentlich wichtiger ist die Vernetzung zu den jeweiligen Formularen bzw. Online-Amtswegen.20

6.

Duale Struktur der Netze und der Rechtsinformatik ^

[26]
Sowohl die Netze als auch die Rechtsinformatik weisen eine duale Struktur auf: Die Netze bestehen aus den Elementen und den Relationen, die Rechtsinformatik als interdisziplinäre Wissenschaft aus den beiden Komponenten Recht und Informatik.
[27]
Beiden gemeinsam ist, dass die duale Struktur verschieden betont werden kann:
[28]
Bei den Netzen sind es zunächst die Elemente, die in den Vordergrund treten. Die Relationen zwischen ihnen sind implizit vorhanden, werden zumeist nur vereinzelt repräsentiert sein. Die Fülle aller denkbaren Relationen zwischen den gegebenen Elementen ist zwar potentiell angelegt, doch als solche zumeist nicht explizit ausgewiesen. In einem personellen Umfeld etwa mit einer Menge von Personen werden zwar einige der Relationen ins Bewusstsein gerückt und benannt sein, die Vielzahl der Relationen zwischen allen den beteiligten Personen hingegen ist eher ein Gegenstand der Theorie der Gruppendynamik als eine mentale Wirklichkeit.
[29]

Es können aber auch die Relationen betont sein und die Elemente in den Hintergrund treten. Das war in der Rechtstheorie der Fall, als Hans Kelsen mit der Reinen Rechtslehre einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Theorie der Person vorgeschlagen hat: Wurden bis dahin die Personen als Entitäten angesehen, die neben den Sachen zu den Grundelementen des rechtlichen Systems gezählt wurden, so brachte die Definition Kelsens, dass Personen nur die Einheit von Rechten und Pflichten seien21, eine grundlegende Änderung mit sich. Entgegen der bisherigen Substanz-Ontologie kam es zu einer Relationen-Ontologie, indem die rechtlichen Relationalelemente wie Rechte und Pflichten als tragende Elemente des Systems angesehen wurden.

[30]
Auch beim Internet selbst zeichnet sich diese Entwicklung ab, indem die kommunikativen Relationen betont und zur eigentlichen Entität erhoben werden. Das Internet als globales Auditorium und Forum ist von dieser gleichsam eigenständig gewordenen Relationalität her zu sehen, Mit der Substantialisierung als Netzwerk ist der Schritt getan, das Netzwerk selbst auch als eigenständigen Player in das globale Spiel einzubringen.
[31]
In diese Richtung geht etwa die Publikation der staatlichen Rechtsordnungen im Internet. Die staatlichen Rechtsnormen sind zwar formell nach wie vor an die sogenannten Rechtsunterworfenen adressiert, doch von der Distanz der Theorie her gesehen hat es den Anschein, als kommunizieren die Staaten hinsichtlich ihre Rechtsordnungen im neuen elektronischen Umfeld primär mit der globalen Entität des Internet und erst mittelbar mit ihren bisherigen normativen Adressaten.
[32]
Theoretisch gesehen ist das nichts Neues. Das heute im Internet zum Ausdruck kommende Kommunikationsmodell wurde schon vor etwa 300 Jahren angedacht und zwar in dem Gedankenmodell der Prästabilierten Harmonie von Leibniz22. Die als untereinander kommunikationslos gedachten «fensterlosen» Monaden sind nicht durch direkte kommunikative Relationen untereinander verbunden sondern durch das strikt zentrierte Netzwerk der prästabilierten Harmonie, das als solches eigens benannt ist und als tertium communicationis23 dient. Im Sinne dieses von Leibniz vorausgedachten Kommunikationsmodells ist die Kommunikation der einzelnen Internetuser über die zentralen Netzwerkknoten strukturiert.
[33]
Auch bei der dual konzipierten Rechtsinformatik gibt es diese beiden Möglichkeiten der unterschiedlichen fokussieren. Bei dem IT-Recht liegt der Schwerpunkt im Recht, freilich mit einem techniknahen Regelungsgegenstand. Es kann bei der Rechtsinformatik aber auch der Schwerpunkt auf die Informatikseite gelegt werden. IRIS versucht auf der Metaebene des wissenschaftlichen Diskurses beide Realisierungsvarianten zu vereinen.
[34]
Diese beiden Richtungen der Konzeption und Fokussierung dualer Systeme bringen fürs Erste einen erhöhten Aufwand mit sich, zumindest bei der Rechtsinformatik ist das sicherlich der Fall, doch kann sich daraus eine höchst wichtige Elastizität und Anpassungsfähigkeit der jeweiligen Gesamtsysteme ergeben.
[35]
Wahrscheinlich gehört die Rechtsinformatik zu den am meisten dynamischen Gebieten der Rechtswissenschaft, welche innerhalb kurzer Zeit durch grundlegende Änderungen gekennzeichnet sind, wie etwa durch den Übergang vom traditionellen juristischen Begriffssystem über die Thesauruskonstruktionen der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts bis hin zu den nunmehr sich abzeichnenden rechtlichen Ontologien. Ein anderes Beispiel ist die Rechtsanwendung, die in automatisierten Entscheidungen wie auch in den Apps eine qualitativ neue Intensität erreicht.
[36]
Ein Erklärungsmodell der Metaebene, welches mit prinzipiellen Änderungen umzugehen vermag, ist die Dialektik. Die Übergangsform der dialektischen Negation verbindet zwei Zustände in einer ganz radikalen Weise, indem die Transformation zugleich auch als Aufhebung des bisherigen angesehen wird.
[37]
Die Auswirkungen der Rechtsinformatik auf die Rechtswirklichkeit sind insbesondere in ihrem Zusammenwirken mit den Netzwerkstrukturen des Internet in ihrem dialektischen Formenreichtum von Synthesen derzeit nicht absehbar. Hat etwa die Gratisinternetkundmachung des RIS den Rechtszugang der Bürgerinnen und Bürger grundlegend verändert, so kann das neue elektromische Medium auch Auswirkung auf die juristische Argumentationspraxis mit sich bringen, wie dies etwa in den jährlichen JURIX-Tagungen bzw. den zweijährlichen ICAIL Konferenzen schon seit längerem angedacht wird.
[38]
Die duale Struktur sowohl der Netzwerke als auch der Rechtsinformatik ist wie erwähnt dialektisch zu sehen, zumal die Synthesen bisheriger Gegensätze neue Wirklichkeiten, auch im Sinne von neuen Wirkungen, zu schaffen vermögen. Ein Themenvergleich der maßgeblichen internationalen Konferenzen im Bereiche der Rechtsinformatik macht diese wissenschaftliche wie auch gesellschaftlich relevante Dynamik sehr deutlich.

7.

Schlussfolgerungen und Ausblick ^

[39]
Wir leben heute in der Wissens- und Netzwerkgesellschaft. Sowohl die Netze als auch die Rechtsinformatik weisen eine duale Struktur auf: Die Netze bestehen aus den Elementen und den Relationen, die Rechtsinformatik als interdisziplinäre Wissenschaft aus den beiden Komponenten Recht und Informatik. Die Rechtsinformatik hilft der Rechtswissenschaft, die Textgebundenheit zu überwinden und neue Kommunikationsformen im Netzwerk der Stakeholder der Rechtsordnung zu etablieren. Es hat den Anschein, dass Staaten ihre Rechtsordnungen im neuen elektronischen Umfeld primär mit der Entität des Internets und erst mittelbar mit ihren bisherigen normativen Adressaten publizieren. Damit wird die notwendige höhere Effizienz des Rechts erreicht, die in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft notwendig ist. Dieses Kommunikationsmodell wurde aber schon vor etwa 300 Jahren von Leibniz im Gedankenmodell der Monadenlehre angedacht. Die Kommunikation der einzelnen Internetuser wird über die zentralen Netzwerkknoten strukturiert.
[40]
Die Auswirkungen der Rechtsinformatik auf die Rechtswirklichkeit sind insbesondere in ihrem Zusammenwirken mit den Netzwerkstrukturen des Internet in ihrem dialektischen Formenreichtum von Synthesen derzeit nicht absehbar. Es scheint in die Richtung einer umfassenden Vernetzung gehen: Alles ist vernetzt – Dokumente, Bürger, Bürger & Dokumente, Juristen & Dokumente etc. etc. Die Vernetzung wird von einer Hilfsfunktion zu einem wesentlichen Teil der Repräsentation des Wissens und der Kommunikation im Recht.
  1. 1 Wikipedia DE, Netzwerk, https://de.wikipedia.org/wiki/Netzwerk (zuletzt abgefragt: 24. Januar 2016).
  2. 2 Reisinger, Leo, Strukturwissenschaftliche Grundlagen der Rechtsinformatik. Leykam, Graz (1987); Reisinger, Leo, Rechtsinformatik. Walter de Gruyter, Berlin/New York (1977).
  3. 3 Saarenpää, Ahti, Legal Informatics Today, The View from The University of Lapland. In: Erich Schweighofer, Ahti Sarenpää, Janos Böszörmenyi (Hrsg.), Proc. KnowRi§ht 2012, OCG, Wien 2013, pp. 21–26 (2013).
  4. 4 Haft, Fritjof, Juristische Schreibschule, Anleitung zum strukturierten Schreiben. Edition Normfall, Frankfurt, S. 225 ff. (2009). Der Text «Das Zitieren von Autoritäten» erschien erstmal 1994.
  5. 5 Lu, Qiang, Conrad, Jack, Next generation legal search – It’s already here. In: VoxPopuLII, https://blog.law.cornell.edu/voxpop/2013/03/28/next-generation-legal-search-its-already-here/ (zuletzt abgefragt: 3. Februar 2016) (2013).
  6. 6 Wikipedia DE, Netzwerkeffekt, http://de.wikipedia.org/wiki/Netzwerkeffekt (zuletzt abgefragt: 17. Januar 2016).
  7. 7 Seine Überlegungen wurden durch Georg Gilder publiziert: Metcalfe’s Law and Legacy, zuerst publiziert: Forbes ASAP, September 13, 1993, online verfügbar: http://www.seas.upenn.edu/~gaj1/metgg.html (zuletzt abgefragt: 17. Januar 2016) (1993).
  8. 8 Beckström, Rod, The Economics of Networks and Cybersecurity. Präsentation:
  9. 9 Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 196 ff. (1960).
  10. 10 Wikipedia DE, Rechtssoziologie, https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtssoziologie (zuletzt abgefragt: 3. Februar 2016); Zippelius, Reinhold, Grundbegriffe der Rechts- und Staatssoziologie, 3. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen (2012); Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Mit textkritischen Erläuterungen hrsg. von Johannes Winckelmann, 5., rev. Aufl., Mohr, Tübingen 1976 (1922).
  11. 11 Vgl. Schweighofer, Erich, Von der Wissensrepräsentation zum Wissensmanagement im e-Government. In: Schweighofer, Erich et al. (Hrsg.), IT in Recht und Staat, Aktuelle Fragen der Rechtsinformatik 2002, Verlag Österreich, S. 85–94 (2002).
  12. 12 Geist, Anton, Rechtsdatenbanken und Relevanzsortierung, Dissertation, Universität Wien, in Fertigstellung (2016).
  13. 13 Z.B. für viele die Kolumne Legal§People, Branchen-News aus der Welt des Rechts des Rechtspanoramas der österreichischen Tageszeitung «Die Presse», http://diepresse.com (zuletzt abgefragt: 8. Februar 2016).
  14. 14 Einen guten Überblick geben die Tagungsbande der JURIX- bzw. der ICAIL-Konferenzen.
  15. 15 Haft (2014), FN 4.
  16. 16 Kleinwächter, Wolfgang, Es herrscht kalter Krieg. In: iRights Media (Hrsg.), Das Netz 2012, iRights Media (2012); Schweighofer, Erich, Praktische Voraussetzungen für das Internet als Instrument der Demokratie. In: MIND, #5: Internet und Demokratie, Juni 2013, 42–43 (2013).
  17. 17 Vgl. Steinmüller, Wilhelm, Informationstechnologie und Gesellschaft, Einführung in die Angewandte Informatik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1993).
  18. 18 Schweighofer, Erich, Rechtsdatalystik – Versuch einer Teiltheorie der Rechtsinformatik. In: Schweighofer, Erich, Kummer, Franz, Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Kooperation, Tagungsband des 18. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2015, 26.–28. Februar 2015, books@ocg.at, Wien 2015, 61–72 (2015).
  19. 19 Schweighofer, Erich, Juristische Thesauri und Rechtssprache. In: Erich Schweighofer, Franz Kummer, Walter Hötzendorfer, (Hrsg.), Abstraktion und Applikation, Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, 21. –23. Februar 2013, books@ocg.at, Wien 2013, 389–392; Wikipedia DE, Thesaurus, https://de.wikipedia.org/wiki/Thesaurus (zuletzt abgefragt: 3. Februar 2016).
  20. 20 Website HELP.gv.at, https://www.help.gv.at (zuletzt abgefragt: 3. Februar 2016); vgl. auch den Beitrag von Andreas Krenmayr, Roland Traunmüller, Bürgerinformationssysteme und semantische Technologien, in diesem IRIS-Tagungsband (2016).
  21. 21 Kelsen (1960), FN 9, S. 177.
  22. 22 Leibniz, Gottfried Wilhelm, Monadologie, Philipp Reclam jun., 7853, Stuttgart (1998).
  23. 23 Lachmayer, Friedrich, Das tertium comparationis im Recht, In: Ulfried Neumann et al. (Hrsg.), Verantwortetes Recht, Die Rechtsphilosophie Arthur Kaufmanns, ARSP Beiheft Nr. 100, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, S. 68 (2005).