1.
Alles dreht sich um eine Verfassungsbestimmung ^
Ein Versuch, diese Frage ein für alle Mal zu bereinigen, ist im Jahr 2013 gescheitert, weil der weiter unten noch mehrfach erwähnte Initiativantrag 2177/A (XXIV. GP)5 – oftmals auch als «Demokratiepaket» bezeichnet – entgegen den Erwartungen der Experten des Bundesministeriums für Inneres nicht in die Realität umgesetzt werden konnte. Die für die parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich gewesene Zustimmung von Oppositionsparteien wurde mit deren Forderungen nach einem obligaten Referendum bei Volksbegehren mit bestimmter Qualität und einem bestimmten Maß an Unterstützung junktimiert. Letztendlich sind die diesbezüglichen Anstrengungen für einen Kompromiss aber erfolglos geblieben. Der Text der Bestimmung in der beabsichtigten Fassung des Entwurfs hätte – übergeführt in einen Artikel 26a B-VG – wie folgt gelautet:
«(2) Die Führung der Wählerevidenz und die Anlegung der entsprechenden Verzeichnisse bei einer Wahl zum Europäischen Parlament, einer Wahl zum Nationalrat, einer Wahl des Bundespräsidenten, einer Volksabstimmung und einer Volksbefragung obliegt der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich. Die Speicherung der Daten der Wählerevidenzen erfolgt in einem zentralen Wählerregister; die Länder und Gemeinden können diese Daten für gleichartige Verzeichnisse verwenden.»6
2.
Der Ist-Zustand mit Blick auf Lösungen in anderen Ländern ^
3.
Der Idealzustand aus österreichischer Sicht ^
4.
Zwischen Ist-Zustand und Idealzustand – das Wahlrechtsänderungsgesetz 2015 als verfassungsrechtliche Gratwanderung ^
Die Datenbank «Zentrale Wählerevidenz» wurde bis vor Kurzem auf dem Großrechnersystem IBM 370 geführt und stellt eine weitestgehend ungeprüfte Aneinanderreihung der Datensätze der einzelnen lokalen Wählerevidenzen der Gemeinden dar. Die Qualität der Daten, die ihrer gesetzlichen Zweckbindung nach bislang ausschließlich dazu bestimmt waren, an die im Parlament vertretenen Parteien weitergeleitet zu werden, muss als schlecht bezeichnet werden. Die Rechtsgrundlage für diese Vorgänge nach dem Wählerevidenzgesetz 1973 in der bis Ende 2015 geltenden Fassung lautete wie folgt:
«§ 3 (4) Sofern Gemeinden die Wählerevidenz automationsunterstützt führen oder bei Dienstleistungen im Datenverkehr andere Rechtsträger in Anspruch nehmen, haben sie die Daten der Wählerevidenz dem Bundesministerium für Inneres zur Speicherung und unentgeltlichen Auskunftserteilung an die zur Vertretung nach außen berufenen Organe der im Nationalrat vertretenen Parteien mittels maschinell lesbarer Datenträger oder im Weg der Datenfernverarbeitung zu übermitteln. Eine derartige Auskunft hat jeweils alle Daten der Wählerevidenz einer Gemeinde zu enthalten; eine Übermittlung mittels maschinell lesbarer Datenträger oder im Weg der Datenfernverarbeitung ist zulässig. Die Daten des Wählerevidenzregisters beim Bundesministerium für Inneres dürfen mit den Daten des Zentralen Melderegisters (§ 16 des Meldegesetzes 1991) verknüpft werden. Zum Zweck eines Datenabgleichs bei der amtswegigen Versendung von Wahlkarten oder Stimmkarten (§ 2a Abs. 6 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 letzter Satz NRWO oder § 5a Abs. 5 letzter Satz des Bundespräsidentenwahlgesetzes 1971) können die Daten der lokalen Wählerevidenz mit den Daten des Zentralen Melderegisters verknüpft werden.»
Ein wesentliches Merkmal der neu zu schaffenden Datenbank «ZWE-Neu» sollte sein, dass Bedienstete des Bundesministeriums für Inneres – legal – in die Datenbank – auch mittels Suchabfrage – Einsicht nehmen können und insbesondere bei der Überprüfung von Wahlvorschlägen im Auftrag der Bundeswahlbehörde nachsehen können, ob eine Person in der Wählerevidenz einer Gemeinde erfasst ist oder nicht. Eine gründliche rechtliche Überprüfung hat ergeben, dass hier auch die geltende Rechtslage ausgereicht hätte und es lediglich einer Anpassung der Applikation bedurft hätte. Alles in allem wäre es aber schwierig gewesen, im Rahmen der zwingend erforderlichen technischen Umstellungen im Bereich der Schnittstelle und im Bereich der bestehenden Datenbank ohne eine Gesetzesänderung eine sinnvolle Lösung unter Verwendung bereits seit 2013 geleisteter Vorarbeiten zu schaffen. Der Sachzwang, die bewährte Wahlkarten-Logistik der Europawahl 2014 zumindest auf die Bundespräsidentenwahl 2016 zu übertragen, war die Ursache, dass Ende 2015 neben den hierfür notwendigen Gesetzesänderungen die erhofften Änderungen im Wählerevidenzgesetz 1973 und im Europa-Wählerevidenzgesetz – mit Inkrafttreten zum 1. Jänner 2016 – umgesetzt werden konnten.20 Die maßgebliche Bestimmung des Wählerevidenzgesetzes 1973 (§ 3 Abs. 4 und 5) lautet nunmehr:
«(4) Zum Zweck eines Datenabgleichs bei der amtswegigen Versendung von Wahlkarten oder Stimmkarten (§ 2a Abs. 6 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 letzter Satz NRWO oder § 5a Abs. 5 letzter Satz des Bundespräsidentenwahlgesetzes 1971) können die Daten der lokalen Wählerevidenz mit den Daten des Zentralen Melderegisters (§ 16 MeldeG) verknüpft werden. Zur Überprüfung der Plausibilität und der Richtigkeit der Eintragungen dürfen die Gemeinden ihre Wählerevidenzen dem Bundesminister für Inneres überlassen, der als Dienstleister diese Daten für die jeweilige Gemeinde mit dem Zentralen Melderegister abgleichen darf, um über fehlerhafte oder nicht plausible Eintragungen zu verständigen.
(5) Sofern Gemeinden die Wählerevidenz automationsunterstützt führen oder bei Dienstleistungen im Datenverkehr andere Rechtsträger in Anspruch nehmen, haben sie die Daten der Wählerevidenz dem Bundesminister für Inneres zur Speicherung und unentgeltlichen Auskunftserteilung an die zur Vertretung nach außen berufenen Organe der im Nationalrat vertretenen Parteien mittels maschinell lesbarer Datenträger oder im Weg der Datenfernverarbeitung zu übermitteln. Eine derartige Auskunft hat jeweils alle Daten der Wählerevidenz einer Gemeinde zu enthalten; eine Übermittlung mittels maschinell lesbarer Datenträger oder im Weg der Datenfernverarbeitung ist zulässig. Die Daten dieser Zentralen Wählerevidenz beim Bundesminister für Inneres dürfen mit den Daten des Zentralen Melderegisters verknüpft werden. Der Bundesminister für Inneres ist überdies ermächtigt, diese Daten zur Überprüfung von Wahlvorschlägen zu verwenden.»
Die ebenfalls zum 1. Jänner 2016 in Kraft getretene Bestimmung betreffend die Zentrale Europa-Wählerevidenz im Europa-Wählerevidenzgesetz (§ 13 Abs. 2 und 3) lautet wie folgt:
«(2) Zu diesem Zweck haben die Gemeinden die Informationen gemäß Abs. 1 einmal jährlich zum Stichtag 31. Dezember, spätestens am 15. Jänner, zusätzlich unmittelbar nach dem Stichtag einer Wahl zum Europäischen Parlament dem Bundesminister für Inneres mittels Datenfernverarbeitung zu übermitteln. Sollten sich nach Abschluss der Wählerverzeichnisse (§ 22 EuWO) Änderungen in der Europa-Wählerevidenz ergeben, sind diese dem Bundesminister für Inneres unverzüglich bekanntzugeben. Hierbei sind Informationen gemäß Abs. 1 als solche zu kennzeichnen.
(3) Zur Überprüfung der Plausibilität und der Richtigkeit der Eintragungen dürfen die Gemeinden ihre Europa-Wählerevidenzen dem Bundesminister für Inneres überlassen, der als Dienstleister diese Daten für die jeweilige Gemeinde mit dem Zentralen Melderegister abgleichen darf, um über fehlerhafte oder nicht plausible Eintragungen zu verständigen. Der Bundesminister für Inneres ist überdies ermächtigt, die übermittelten Daten der Europa-Wählerevidenzen zur Überprüfung von Wahlvorschlägen zu verwenden.»
In der Praxis wird die in Rede stehende neue Datenbank für die Gemeinden kaum Änderungen mit sich bringen. Grund hierfür ist, dass eine überwiegende Zahl der Gemeinden ihre Wählerevidenz-Daten in der Praxis nicht selbst aktualisiert und wartet, sondern sich hierzu eines Providers bedient, der auf solche Aufgaben spezialisiert ist. Für ganz große Gemeinden (in der Regel Statutarstädte), die sich keines Providers bedienen, sondern für die Evidenzhaltung der Wahlberechtigten «handgestrickte» Lösungen heranziehen, wird es nicht schwer sein, sich in Zusammenarbeit mit dem Rechenzentrum des BMI den Gegebenheiten anzupassen.
5.
Skalierbar in mehrere Richtungen ^
- 1 Erstmals zu finden im österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz ist eine inhaltlich gleichlautende Bestimmung in der Fassung der als «Zweite Bundes-Verfassungsnovelle» bezeichneten Novellierung mit der BGBl. Nr. 392/1929, die die Absatzbezeichnung «(8)» aufwies und wie folgt lautete: «Die Wählerverzeichnisse werden von den Gemeinden, sofern aber Gemeinden zum örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde gehören, von dieser unter Mitwirkung der Gemeinde angelegt».
- 2 Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten (Wählerevidenzgesetz), BGBl. Nr. 243/1960.
- 3 Die relativierende Einschätzung beruht auf dem Umstand, dass zu dieser Frage eine Entscheidung des VfGH bislang nicht herbeigeführt worden ist.
- 4 Z.B. § 29 Abs. 1 der Nationalrats-Wahlordnung, BGBl. Nr. 129/1949.
- 5 Antrag der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates 1975, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972 und das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert, das Volksbegehrengesetz 2013 und das Wählerevidenzgesetz 2013 erlassen sowie das Volksbegehrengesetz 1973 und das Wählerevidenzgesetz 1973 aufgehoben werden, 2177/A (XXIV. GP).
- 6 Art. 1 Z 3 des Gesetzesentwurfs im Initiativantrag laut Anm. 5 in der Fassung des «Gesamtändernden Abänderungsantrages vom 28. Juni 2013».
- 7 Stein, «Volksbegehren goes online», in: Abstraktion und Applikation, Tagungsband des IRIS 2013, 303 ff.
- 8 Das «Zentrale Melderegister» wurde mit der Novelle zum Meldegesetz, BGBl I Nr. 28/2001, geschaffen.
- 9 § 2 Abs. 2 letzter Satz des Wählerevidenzgesetzes 1973, BGBl. Nr. 601/1973, in der Fassung des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2007, BGBl. I Nr. 28/2007: «Die Verständigung kann entfallen, wenn der Zuzug durch einen Vorgang im Zentralen Melderegister belegt ist.»
- 10 Vgl. § 2a Abs. 1 und 2 des Wählerevidenzgesetzes 1973.
- 11 Stein/Vogl/Wenda, NRWO³ (2010), Anm. zu § 22 ff. NRWO.
- 12 Siehe FN 7.
- 13 Siehe FN 5.
- 14 Vgl. OTS von BM Spindelegger vom 11. September 2012: «Mehr Bürgernähe durch zentrales Wählerregister».
- 15 § 3 Abs. 4 des Wählerevidenzgesetzes 1973 i.d.F. der Meldegesetznovelle 1985, BGBl. Nr. 427/1985.
- 16 § 13 des Europa-Wählerevidenzgesetzes (EuWEG), BGBl. Nr. 118/1996.
- 17 Siehe FN 5.
-
18
§ 13 Abs. 2 und 5 EuWEG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung:
«(2) Zu diesem Zweck haben die Gemeinden die Informationen gemäß Abs. 1 einmal jährlich zum Stichtag 31. Dezember, zusätzlich unmittelbar nach dem Stichtag einer Wahl zum Europäischen Parlament dem Land zu übermitteln. Sollten sich nach Abschluß der Wählerverzeichnisse (§ 22 EuWO) Änderungen in der Europa-Wählerevidenz ergeben, sind diese dem Land unverzüglich bekanntzugeben.»
«(5) Die Länder haben die Daten der Gemeinden dem Bundesminister für Inneres jeweils zum 15. Jänner, zusätzlich zu den sich aus Abs. 2 ergebenden Zeitpunkten mittels Datenfernverarbeitung zu übermitteln.» - 19 Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (Amtsblatt Nr. L 329 vom 30. Dezember 1993 S. 34–38), geändert durch Artikel 1 der Richtlinie 2013/1/EU des Rates vom 20. Dezember 2012 (Amtsblatt Nr. L 26 vom 26. Januar 2013, S. 27–29).
- 20 Wahlrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 158/2015, Art. 3 und 4.
- 21 Siehe FN 20.