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Keine Pflicht für Facebook Schweiz zur Herausgabe von Nutzerdaten

  • Author: Jurius
  • Category: News
  • Region: Switzerland
  • Field of law: Data Protection
  • Citation: Jurius, Keine Pflicht für Facebook Schweiz zur Herausgabe von Nutzerdaten, in: Jusletter IT 18 May 2017
BGer – The prosecution of the Canton of Waadt cannot oblige Facebook Switzerland Sàrl to hand over data of a Facebook account allegedly opened in Switzerland. The concerned data is neither owned by nor under control of Facebook Switzerland. To access the data, it needs to be requested by virtue of a mutual legal assistance from Facebook Ireland Ltd. The Supreme Court endorses the complaints from Facebook Switzerland and its both directors. (Judgements 1B_185/2016, 1B_186/2016, 1B_188/2016) (ah)
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2015 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt auf Anzeige eines belgischen Journalisten ein Strafverfahren wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung gegen Unbekannt. Der Anzeiger machte geltend, dass jemand auf einem mutmasslich in der Schweiz eröffneten Facebook-Konto unter einem Pseudonym antisemitische Äusserungen gegen ihn gepostet habe. Die Staatsanwaltschaft verfügte daraufhin gegen Facebook Schweiz und die beiden Geschäftsführer der Gesellschaft unter anderem die Herausgabe der Identität, der Zugangsdaten, sowie der IP-Adresse des fraglichen Kontoinhabers. Gegen die Herausgabeverfügung erhoben Facebook Schweiz und die beiden Geschäftsführer Beschwerden beim Kantonsgericht des Kantons Waadt. Sie machten geltend, dass sie die Facebook-Website nicht selber verwalten würden. Die Anordnung müsse an Facebook Irland erfolgen, da die geforderten Informationen in deren Händen seien, was von Facebook Irland bestätigt wurde. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde 2016 ab. Dagegen erhoben Facebook Schweiz sowie die beiden Geschäftsführer Beschwerden an das Bundesgericht.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut und hebt das Urteil des Kantonsgerichts sowie die Herausgabeverfügung der Staatsanwaltschaft auf. Aus Art. 265 der Strafprozessordnung (StPO) und Art. 18 des internationalen Übereinkommens über die Cyberkriminalität ergibt sich, dass sich die Herausgabeverfügung nur gegen jemanden richten kann, der Inhaber oder Besitzer der Daten ist, oder der eine faktische und rechtliche Kontrolle darüber ausübt. Keines der Dokumente, auf die sich das Kantonsgericht bei seinem Entscheid gestützt hat, lässt den Schluss zu, dass Facebook Schweiz Inhaberin der geforderten Daten wäre oder direkten Zugang zu den Daten der Nutzer hätte. Vielmehr ergibt sich, dass Facebook Irland Vertragspartner von Facebook-Nutzern ausserhalb der USA und Kanada ist und die Kontrolle über die entsprechenden Personendaten ausübt. Der Geschäftszweck von Facebook Schweiz beschränkt sich auf das Support-Marketing, den Verkauf von Werbeflächen sowie auf Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Facebook Schweiz handelt auch nicht in Vertretung von Facebook Irland. Die Daten können somit von Facebook Schweiz nicht herausverlangt werden. Um an die gewünschten Daten zu gelangen, müsste die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt ein Rechtshilfeersuchen in Strafsachen an Irland stellen.

Urteile des Bundesgerichts 1B_185/2016, 1B_186/2016 und 1B_188/2016 vom 16. November 2016

Quelle: Medienmitteilung des Bundesgerichts Nr. 185/2016 vom 12. Dezember 2016