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Das neue zentrale Wählerregister

  • Authors: Robert Stein / Gregor Wenda
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2017
  • Citation: Robert Stein / Gregor Wenda, Das neue zentrale Wählerregister, in: Jusletter IT 23 February 2017
«Was lange währt, wird endlich gut». Mit Fug und Recht kann man dieses Sprichwort auf die Genese des «Zentralen Wählerregisters» («ZeWaeR») anwenden. Ein im Jahr 2013 mehrfach modifizierter Gesetzesentwurf zur Errichtung eines Zentralen Wählerregisters fand nicht die für die Umsetzung erforderliche parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit. Als Konsequenz wurden die nach geltendem Recht im BMI eingerichtete «Zentrale Wählerevidenz» sowie die «Zentrale Europa-Wählerevidenz» einer Modernisierung unterzogen. Probleme bei der Bundespräsidentenwahl 2016, die nur bedingt mit der Erfassung der Wahlberechtigten zu tun hatten, waren der Auslöser dafür, dass sich der Gesetzgeber im zweiten Halbjahr 2016 dazu entschloss, in der laufenden Legislaturperiode doch noch ein Zentrales Wählerregister zu schaffen und mit 1. Jänner 2018 Wirklichkeit werden zu lassen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. «ZeWaeR» – die Vorgeschichte
  • 2. Das Wahlrechtsänderungsgesetz 2017
  • 3. Skalierung – in die Breite und in die Tiefe
  • 4. «Skalierung in die Breite» – Anwendung auf Wahlereignisse auf der Ebene der Länder
  • 5. «Skalierung in die Tiefe»
  • 5.1. Die erste Skalierung: Wahlkarten-Erfassung
  • 5.2. Vom «Self Mailer» zur amtswegigen Ausstellung der Wahlkarten
  • 5.3. Erfassung der Mitglieder der Wahlbehörden
  • 5.4. Lückenlose Verfolgung des Weges von Wahlkarten
  • 5.5. Stimmabgabe in jedem Wahllokal
  • 5.6. E-Voting
  • 5.7. Elemente der direkten Demokratie außerhalb des Wahlrechts
  • 6. Ausblick

1.

«ZeWaeR» – die Vorgeschichte ^

[1]

Die Vorgeschichte des «Zentralen Wählerregisters» – in der Folge als «ZeWaeR» bezeichnet – gliedert sich in drei Phasen. Im Spätsommer 2012 hatten sich sowohl die Bundesregierung als auch die Klubs der Regierungsparteien dazu bekannt, bis Ende 2013 ein «ZeWaeR» schaffen zu wollen. Zum damaligen Zeitpunkt sollte die geplante Datenapplikation neben den behördeninternen Vorteilen (insbesondere Verbesserung der Datenqualität und Clearingmöglichkeiten) einerseits die Möglichkeit bieten, Volksbegehren von jeder Gemeinde aus auch online unterstützen zu können, andererseits die Registrierung und Priorierung von unterstützungswilligen Personen hinsichtlich der nach dem Geschäftsordnungsgesetz des Parlaments eingerichteten Instrumenten der direkten Demokratie1 zu gewährleisten. Im ersten Halbjahr 2013 kam es – «von Verfassungsausschuss zu Verfassungsausschuss» – zu mehreren Modifikationen des im Bundesministerium für Inneres (BMI) erstellten, aber als Initiativantrag der Regierungsparteien eingebrachten Gesetzesentwurfs2. Mitte 2013 sah es kurze Zeit so aus, als hätte es eine Einigung zwischen den Regierungsparteien und dem GRÜNE-Klub gegeben, zu einem modifizierten Gesetzesentwurf neben den oben grob beschriebenen Möglichkeiten auch den gelegentlich als «Durchstich» bezeichneten Rechtsvorgang zu ermöglichen. Gemeint ist hier die Möglichkeit, mit einem qualifizierten, also bestimmte zusätzliche, schon bei der Einleitung aufzuweisende Voraussetzungen erfüllenden Volksbegehren, das einen deutlich höheren Schwellwert als die nach geltenden Recht geforderten Unterstützungen für eine parlamentarische Behandlung überschritten hat, automatisch zu einem Plebiszit zu verhelfen. Hatten die Oppositionsparteien lange Zeit für diesen «Durchstich» die obligate Abhaltung einer Volksabstimmung3 gefordert, so hatte man sich auf die obligate Abhaltung einer Volksbefragung nach geltendem Recht geeinigt. Pressekonferenzen der Klubobmänner der Regierungsparteien deuteten allerdings schon kurze Zeit später darauf hin, dass es in der XXIV. Gesetzgebungsperiode zu keiner Einigung kommen würde; in Presseaussendungen wurde insbesondere auf die zur erwartenden – zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhandenen – zahlreichen zu evaluierenden Reaktionen im parlamentarischen Begutachtungsverfahren hingewiesen.

[2]
In der XXV. Gesetzgebungsperiode waren im Regierungsprogramm keine Anzeichen erkennbar, die Schaffung eines ZeWaeR rasch umzusetzen. Nach dem Scheitern des oben erwähnten Entwurfs wäre es auch extrem unwahrscheinlich gewesen, dass sich eine Oppositionspartei gefunden hätte, die bereit gewesen wäre, der Schaffung eines zentralen Wählerregisters ohne Kaufpreis des «Durchstichs» mittels Ermöglichung einer Verfassungsmehrheit zu einem Erfolg zu verhelfen.
[3]

Es liegt in der Natur der Sache, dass in einem Ministerium, das eine Datenanwendung wie das ZeWaeR zu vollziehen hat, bereits im Vorfeld zu einer hierzu notwendigen, umfangreichen Gesetzesänderung gewisse Vorarbeiten getätigt werden müssen, wenn die politische Einigung fix scheint. Beim Projekt ZeWaeR war es möglich, die ressortintern geleisteten Vorarbeiten – hierbei handelt es sich insbesondere um Studien – weitgehend in ein Projekt überzuführen, das den Arbeitstitel «ZWE-neu ZeWaeR ready»4 erhielt. Sowohl die Großrechner-Plattform der alten «Zentralen Wählerevidenz» als auch die MS-Access-Lösung der Zentralen Europawählerevidenz waren in die Jahre gekommen und wiesen bei der Vollziehung erhebliche Mängel auf. Man kam daher im BMI überein, die beiden Applikationen zusammenzuführen und der größtmöglichen Modernisierung und Erweiterung zuzuführen, die weitgehend ohne Gesetzesänderung5 umsetzbar war. Anfang 2016 waren die Arbeiten an dieser Datenapplikation bereits weit fortgeschritten, lediglich das «GUI» für die «Zentrale Europawählerevidenz» war – und ist – noch nicht in Produktion.6

[4]

Die aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 20167 notwendig gewordene Wiederholung des zweiten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl 2016 und die in der Folge aufgrund fehlerhafter Wahlkartenkuverts notwendige Verschiebung dieser Wiederholungswahl vom 2. Oktober 2016 auf den 4. Dezember 2016 waren der Auslöser, über verschiedene Risikominimierungen im Bereich der Vollziehung von bundesweiten Wahlen in Österreich nachzudenken. Schon bei einem vom Bundesminister für Inneres für den 15. Juni 2016 einberufenen «Runden Tisch», an dem Vertreter der Parlamentsklubs, des Österreichischen Städtebundes, des Österreichischen Gemeindebundes, der Ämter der Landeregierungen, des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres und des Auslandsösterreicher-Weltbundes teilgenommen hatten, war unter den Anwesenden deutliches Interesse an der baldigen Schaffung eines ZeWaeR erkennbar.8 Am 8. Juli 2016 wurde von Abgeordneten der Regierungsparteien erneut ein Initiativantrag zur Errichtung eines ZeWaeR eingebracht.9 Im Vorfeld dazu wurde im BMI wiederum ein Entwurf erstellt und den Klubs der Regierungsparteien – deren Vorgaben folgend – zur Verfügung gestellt. Der Entwurf war, was die Bereiche «ZeWaeR» (in engerem Sinn) und «Volksbegehren» betrifft, identisch mit dem Entwurf aus dem Jahr 2012.10 Es wurden allerdings einerseits alle Bereiche herausgenommen, die Neuerungen im Bereich der Geschäftsordnung des Nationalrats betrafen, andererseits wurde auf den oben erwähnten «Durchstich», dessen Umsetzung mit der Schaffung des ZeWaeR seitens der Oppositionsparteien lange Zeit junktimiert war, verzichtet. Auch seinerzeit geplante neue Regelungen zur parlamentarischen Behandlung von Volksbegehren flossen in den Entwurf nicht ein.

[5]
Eine im Herbst 2016 zwischen den Klubs der Regierungsparteien und jenen der Oppositionsparteien geführte pragmatische Diskussion mündete relativ rasch in eine Einigung, das ZeWaeR in die Praxis umzusetzen. Die Schaffung des ZeWaeR wurde dabei legistisch in ein größeres Gesetzespaket, das Wahlrechtsänderungsgesetz 201711, eingebettet, das neben dem ZeWaeR u.a. auch die durch den Wegfall des Bezirks Wien-Umgebung notwendig gewordene neue Wahlkreiseinteilung für Niederösterreich, einige Präzisierungen bei den Regeln betreffend die Auswertung von Wahlkarten durch die Bezirkswahlbehörden sowie Regelungen über eine Pauschalentschädigung für die mit der Durchführung sowie Verschiebung der Durchführung des zweiten Wahlganges der Bundespräsidentenwahl 2016 verbundenen Kosten enthält.

2.

Das Wahlrechtsänderungsgesetz 2017 ^

[6]
Die Beschaffenheit des ZeWaeR hat sich in seiner Grundsubstanz, wie sie im Wahlrechtsänderungsgesetz 2017 verankert ist, gegenüber dem Entwurf aus dem Jahr 2012 bzw. 2013 nicht geändert und wurde im IRIS-Tagungsband des Jahres 2013 detailliert erläutert.12 Da die dort getroffenen Aussagen noch immer Geltung haben, findet sich hier nur eine Zusammenfassung.
[7]

Vorangestellt wurde dem Paket die Verankerung des ZeWaeR in der Bundesverfassung. Es war unumgänglich, verfassungsrechtliche Anpassungen vorzunehmen. Der Gesetzgeber kam diesem Erfordernis nach, indem er die für die Registrierung von Wählerinnen und Wählern maßgebliche Bestimmung aus Art. 26 in Art. 26a übergeführt hat. Art. 26a Abs. 2 lautet:

 

 

«(2) Die Führung der Wählerevidenz und die Anlegung der entsprechenden Verzeichnisse bei einer Wahl zum Europäischen Parlament, einer Wahl zum Nationalrat, einer Wahl des Bundespräsidenten, einer Volksabstimmung und einer Volksbefragung obliegt der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich. Die Speicherung der Daten der Wählerevidenzen erfolgt in einem zentralen Wählerregister, in dem auch Wählerevidenzen aufgrund der Landesgesetzgebung gespeichert werden können; die Länder und Gemeinden können diese Daten für solche Verzeichnisse in ihrem Zuständigkeitsbereich verwenden.»

[8]

Für die Umsetzung der Änderungen bei der Durchführung von Volksbegehren wurde Art. 41 Abs. 2 B-VG neu gestaltet:

 

«(2) Jedes von 100 000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder unterstützte Volksbegehren ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Stimmberechtigt ist, wer am letzten Tag des Eintragungszeitraums das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt. Das Volksbegehren muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen und kann in Form eines Gesetzesantrages gestellt werden. Bundesgesetzlich kann eine elektronische Unterstützung eines Volksbegehrens durch die Stimmberechtigten vorgesehen werden, wobei zu gewährleisten ist, dass sie nur persönlich und nur einmal erfolgt.»

[9]
Zur Implementierung des ZeWaeR – inklusive der Änderungen bei der Durchführung von Volksbegehren – enthält das Wahlrechtsänderungsgesetz 2017 folgende Elemente13:
  • Möglichkeit, Unterstützungserklärungen und Eintragungen für Volksbegehren in Papierform in jeder Gemeinde zu tätigen.
  • Möglichkeit, online (mittels qualifizierter digitaler Signatur, auch mit Handy-Signatur) Unterstützungserklärungen und Eintragungen für Volksbegehren zu tätigen.
  • Möglichkeit, dass Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher online (mittels qualifizierter digitaler Signatur) Unterstützungserklärungen und Eintragungen für Volksbegehren tätigen könnten.
  • Verbesserung des «Clearings» aller Wahlberechtigten, insbesondere im Hinblick auf allfällige Doppelregistrierung von vermeintlichen Auslandsösterreichern und Auslandsösterreicherinnen.
  • Verbesserte Datenqualität bei der Weitergabe der Wählerevidenz-Daten an die im Nationalrat vertretenen Parteien.
  • Zielsichere Zuordnung von Häftlingen zu einer Wählerevidenz während der Haft (unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 4 B-VG).
  • Stark vereinfachte Beauskunftung anderer EU-Mitgliedstaaten im Sinne der Richtlinie 93/109/EG bezüglich wahlberechtigter Unionsbürgerinnen und Unionsbürger bei Europawahlen.
  • Wegfall des bestehenden Verfahrens für die Ermittlung des Ergebnisses von Volksbegehren (Niederschriften, Sofortmeldungen und dergleichen sind obsolet).
  • Wesentliche Vereinfachungen für Gemeinden bei Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Wählerevidenz und der Europa-Wählerevidenz.
  • Skalierungsmöglichkeit durch Implementierbarkeit einer Evidenz der ausgestellten und der rücklangenden Wahlkarten durch Anpassung der einschlägigen Wahlrechtskodifikationen.14

3.

Skalierung – in die Breite und in die Tiefe ^

[10]
Seit langer Zeit werden für ein zu schaffendes zentrales Wählerregister mannigfaltige Anwendungsmöglichkeiten für einen weiteren Ausbau gesehen. Zum einen fällt darunter das Ziel, dass auf Länderebene «das Rad nicht neu erfunden werden muss» und somit auch Landtagswahlen und Gemeinderatswahlen unter Heranziehung der Datenanwendung ZeWaeR administriert werden können. Zum anderen werden mannigfaltige Verwendungsmöglichkeiten der Datenanwendung gesehen, die entweder der Sicherheit beim Vollzug von Wahlen oder für zusätzliche Instrumente der direkten Demokratie dienen können.
[11]
Der Gesetzgeber ist mit Anwendungsmöglichkeiten bei der Implementierung des ZeWaeR in der Rechtsordnung behutsam vorgegangen. Als derzeit einzige den Bürgerinnen und Bürgern direkt zum Vorteil gereichende Anwendungsmöglichkeit hat er die Unterstützung von Volksbegehren von jeder Gemeinde (und nicht nur von der «Hauptwohnsitz-Gemeinde) aus oder auch online vorgesehen. Gleichsam als «erste Skalierung» hat er dann die zentrale Speicherung und Löschung der Daten von Anträgen auf Ausstellung von Wahlkarten gesetzlich verankert. Es muss als klug angesehen werden, dass bei der Errichtung des ZeWaeR, die im BMI im Laufe des Jahres 2017 gemeinsam mit den nachgeordneten Behörden erfolgen wird, zunächst ein klagloses Funktionieren sichergestellt werden wird, ehe dann schrittweise weitere Erweiterungen der Datenanwendung einerseits «in die Breite», andererseits «in die Tiefe» vorgenommen werden können.

4.

«Skalierung in die Breite» – Anwendung auf Wahlereignisse auf der Ebene der Länder ^

[12]
Schon bei der gesetzlichen Implementierung des ZeWaeR haben Ländervertreterinnen und Ländervertreter wie auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier wiederholt das Interesse bekundet, dass in Hinkunft auch Landtagswahlen und Gemeinderatswahlen unter Heranziehung dieser Datenanwendung durchgeführt werden können. Eine solche Heranziehung scheint mehr als naheliegend. Mittelfristig hätte unter Beachtung des Ziels einer möglichst ökonomischen und sparsamen Verwaltung niemand Verständnis, dass für die Durchführung von Wahlen Doppelinfrastrukturen beibehalten oder aufgebaut werden. Schon bei der Beschlussfassung des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2017 hat der Gesetzgeber daher die legistischen «Schnittstellen» für eine zeitnahe Implementierung von Landesgesetzen, die die Heranziehung des ZeWaeR ermöglicht, vorgesehen. Im Einzelnen ist hierbei auf den zweiten Satz der oben zitierten Bestimmung des Art. 26a Abs. 2 B-VG zu verweisen.
[13]
Die Umsetzung der «Skalierung in die Breite» hätte zur Folge, dass die Datenanwendung um Datenansätze erweitert werden müsste, die bislang nicht enthalten sind. Hierbei handelt es sich insbesondere um die lückenlose Erfassung der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, sind diese doch auf der «Ebene der lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe»15 für Gemeinderatswahlen bzw. in Wien für Bezirksvertretungswahlen wahlberechtigt. Eine weitere Herausforderung bei der in Rede stehenden Skalierung stellen die rechtlichen Gegebenheiten in Niederösterreich und im Burgenland dar. In diesen Ländern sind Inhaberinnen und Inhaber von Zweitwohnsitzen bei Landtagswahlen wahlberechtigt, bei Gemeinderatswahlen wäre es sogar möglich, bei Besitz eines «weiteren ordentlichen Wohnsitzes» in mehr als zwei Gemeinden wahlberechtigt zu sein. In den genannten Ländern wird im Fall einer Heranziehung des ZeWaeR zur Administration von nach Landesrecht durchzuführenden Wahlen zu beachten sein, dass Datensätze der «Zweitwohnsitzer» in der Datenanwendung nicht dupliziert werden, aber durch entsprechende EDV-mäßige Kennzeichnung dennoch eine Doppel-Stimmabgabe bei bundesweiten Wahlen verhindert wird.

5.

«Skalierung in die Tiefe» ^

[14]
Zu beachten gilt es, dass bei einer Datenanwendung wie dem ZeWaeR eine Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten immer nur durch entsprechende Implementierung in der Rechtsordnung möglich sein wird. Es sind sowohl Erweiterungen der Datenanwendung vorstellbar, die entweder einer höheren Datenqualität oder einer Verbesserung im administrativen Bereich dienen könnten. Es wären allerdings auch Erweiterungen vorstellbar, die zusätzliche Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern bei Instrumenten der direkten Demokratie darstellen könnten. Für die Länderebene hat der Gesetzgeber allerdings eine klare Abgrenzung hinsichtlich der Skalierungsmöglichkeiten dahingehend gezogen, dass die Heranziehung der Datenanwendung auf Bereiche des Wahlrechts im weiteren Sinne beschränkt ist. Mit dem Ausdruck «Länder und Gemeinden können diese Daten für solche Verzeichnisse in ihrem Zuständigkeitsbereich verwenden» im oben zitierten Art. 26a Abs. 2 B-VG sollte klargestellt sein, dass das ZeWaeR auf lokaler Ebene nicht etwa zur Erfassung von Daten für unverbindliche Meinungsumfragen oder dgl. herangezogen werden kann.

5.1.

Die erste Skalierung: Wahlkarten-Erfassung ^

[15]
Bereits im Wahlrechtsänderungsgesetz 2017 mitberücksichtigt ist die hinkünftige Verpflichtung der Gemeinden, die Anträge auf Ausstellung von Wahlkarten sowie die Löschung dieser Daten im ZeWaeR, und nicht wie bisher auf dem Wählerverzeichnis (in Papierform) oder in einer vom Provider zur Verfügung gestellten lokalen Datenanwendung festzuhalten. Mit dieser Regelung wird bewirkt, dass die Daten der Anträge auf Ausstellung von Wahlkarten nicht mehr im Vorfeld zur Wahl in den Wählerverzeichnissen festgehalten werden, sondern dass die Wählerverzeichnisse aufgrund der im ZeWaeR gespeicherten Daten am Freitag vor dem Wahltag neu ausgedruckt werden. Hierbei wurde gesetzlich verankert, dass die Ausstellung von Wahlkarten in den Wählerverzeichnissen deutlicher gekennzeichnet werden muss als bisher. Dadurch soll einerseits vermieden werden, dass auf die Kennzeichnung des Namens einer wahlberechtigten Person, für die eine Wahlkarte ausgestellt wurde, vergessen wird, andererseits, dass eine gesetzeskonform erfolgte Kennzeichnung wegen möglicherweise überlappender Aufbewahrung der Wählerverzeichnisse während der Stimmabgabe übersehen wird. Mit dieser Bestimmung ist obendrein sichergestellt, dass die Daten der Ausstellung von Wahlkartenanträgen nach unanfechtbarem Feststehen der Wahl gelöscht werden und – ein großer Vorteil für die Gemeinden – dass die Zahlen der ausgestellten Wahlkarten von den Gemeinden nicht mehr «händisch» weitergeleitet werden müssen, sondern dem BMI am Tag vor dem Wahltag automationsunterstützt zur Verfügung stehen werden.

5.2.

Vom «Self Mailer» zur amtswegigen Ausstellung der Wahlkarten ^

[16]
Das BMI hat bei zurückliegenden Wahlen mehrmals versucht, mittels «Self Mailer» an alle wahlberechtigten Personen heranzutreten. Dieses von der Post AG angebotene Produkt hatte den Nachteil, dass die Information, in der zwei Formulare zur Stellung eines Antrags auf Ausstellung einer Wahlkarte eingebettet waren, einerseits an alle Haushalte gesendet werden musste und manche Personen mangels Staatsbürgerschaft vom Inhalt der Information nicht betroffen waren, andererseits in manchen Haushalten ein größerer Bedarf an Anforderungskarten gegeben war, als mit dem Produkt abgedeckt war. Obendrein waren «Überlappungen» mit den von größeren Gemeinden verpflichtend zu versendenden «amtlichen Wahlinformationen»16 zu verzeichnen, die teilweise ebenfalls mit Anforderungskarten – und zwar «individualisiert» – ausgestattet waren. Rein technisch gesehen wäre es möglich, «amtliche Wahlinformationen» lückenlos – und mit individualisierten Anforderungskarten versehen – an alle Wahlberechtigten zu versenden. Es stellt sich aber die Frage der Finanzierung einer solchen, derzeit den Gemeinden zufallenden Maßnahme.
[17]

Noch «eine Stufe höher» anzusiedeln wäre eine amtswegige Zusendung der Wahlkarten an alle Wahlberechtigten. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, dass sich bezüglich der Ausstellung von Wahlkarten die aufwändige Verwaltung für die Antragstellungen erübrigen würde. Abgesehen von der erforderlichen finanziellen Bedeckung wäre eine Anpassung des Art. 26 B-VG erforderlich, in dem für die Ausübung der Briefwahl eine Begründung für die Verhinderung einer Person zum Aufsuchen eines Wahllokals verankert ist. Dieses Erfordernis der Begründung eines Wahlkartenantrags – auf Grund des Wesens der Briefwahl als Ausnahme zur Urnenwahl17 – wurde vom Verfassungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom 1. Juli 201618 erneut betont.

5.3.

Erfassung der Mitglieder der Wahlbehörden ^

[18]
Nach derzeitiger Rechtslage besteht weder für die Bundeswahlbehörde noch für das BMI eine Handhabe, die Zahl der Mitglieder von Wahlbehörden und die Zugehörigkeit zu den zur Entsendung befugten Parteien festzustellen. Auch ein individuelles Herantreten an diesen Personenkreis, z.B. zum Propagieren von Schulungsmaßnahmen wie dem im Vorfeld zur Bundespräsidentenwahl 2016 vom BMI bereitgestellten E-Learning-Tool, ist nicht möglich. Das ZeWaeR würde sich grundsätzlich gut dazu eignen, dass die jeweiligen Gebietskörperschaften die Tatsache der Mitgliedschaft in einer Wahlbehörde bei den Namen der Wahlberechtigten in der Datenapplikation jeweils kennzeichnen. Eine solche Erfassung hätte den Vorteil, dass gesetzlich verankerte Inkompatibilitäten (z.B. die gleichzeitige Mitgliedschaft in einer Gemeindewahlbehörde und in einer Bezirkswahlbehörde) festgestellt und verhindert werden könnten und generell sichergestellt wäre, dass nur wahlberechtigte Personen als Mitglieder von Wahlbehörden tätig werden.

5.4.

Lückenlose Verfolgung des Weges von Wahlkarten ^

[19]
Das geltende Recht bietet eine Fülle von gesetzlich verankerten Sicherheitsmaßnahmen, die einen Missbrauch der Briefwahl verhindern sollen. Die Rückverfolgbarkeit einer Wahlkarte ist nach der derzeitigen Rechtslage allerdings letztendlich nicht gegeben und könnte nur im Rahmen eines höchstgerichtlichen Verfahrens mit enormen administrativem Aufwand umgesetzt werden. Mit einer Erweiterung des ZeWaeR wäre es möglich, den Weg der Wahlkarten lückenlos zu verfolgen. Hierzu müsste bei der Erfassung einer zur Briefwahl verwendeten Wahlkarte diese – zweckmäßigerweise mit Barcode oder QR-Code versehen – im ZeWaeR erfasst werden. Eine solche Erfassung hätte – zumindest im Nachhinein – auch für die in den Wahllokalen oder vor «fliegenden Wahlbehörden» verwendeten Wahlkarten stattzufinden.

5.5.

Stimmabgabe in jedem Wahllokal ^

[20]

Unter Heranziehung des ZeWaeR wäre es bei Bundespräsidentenwahlen, Europawahlen, Volksabstimmungen und Volksbefragungen theoretisch möglich, allen Wahlberechtigten eine Stimmabgabe in jedem Wahllokal in Österreich ohne Wahlkarte zu ermöglichen. Hierzu wäre allerdings eine lückenlose EDV-mäßige Vernetzung aller Wahllokale erforderlich. Geklärt werden müsste vor der Implementierung einer Lösung einerseits die Frage der Kostentragung, andererseits auch die Frage einer hinreichenden Ausfallssicherung der EDV-Geräte. Für eine Nationalratswahl müsste obendrein beachtet werden, dass die Wahllokale lückenlos mit 39 verschiedenen Stimmzetteln aus den 39 Regionalwahlkreisen ausgestattet sein müssten. Diese Maßnahme würde ebenfalls zusätzliche Kosten nach sich ziehen und könnte ebenfalls eine Fehlerquelle darstellen.

5.6.

E-Voting ^

[21]

Obwohl in Österreich zuletzt eine verstärkte politische Diskussion über die Implementierung einer E-Voting-Lösung zu verzeichnen war, ist eine diesbezügliche gesetzliche Regelung – unter Berücksichtigung des derzeitigen Stimmungsbildes bei den im Parlament vertretenen Parteien – für die nächsten Jahre als nicht allzu wahrscheinlich anzusehen. Für die Verankerung einer E-Voting-Lösung in der Bundesverfassung wäre jedenfalls eine parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit – vergleichbar mit der Einführung der Briefwahl – erforderlich.19 Neben Art. 26 Abs. 6 B-VG wären auch die einschlägigen Wahlgesetze entsprechend anzupassen. Für die Einführung von E-Voting ist das Vorhandensein eines funktionierenden ZeWaeR unerlässlich. Mit der Schaffung des ZeWaeR ist jedenfalls der erste Schritt für mögliche zukünftige E-Voting-Lösungen gesetzt.20

5.7.

Elemente der direkten Demokratie außerhalb des Wahlrechts ^

[22]
Schon 2012 war angedacht, das ZeWaeR auch zur Vermeidung von Doppel-Unterstützungen bei geplanten parlamentarischen Instrumenten der direkten Demokratie – konkret bei einem «parlamentarischen Anliegen» sowie bei einer «parlamentarischen Bürgerinitiative» – einzusetzen.21 Die Heranziehung des ZeWaeR für solche Zwecke bedürfte einer umfassenden legistischen Vorbereitung. Die Benützung wäre allerdings wesentlich zweckmäßiger als die Schaffung von Parallelstrukturen.

6.

Ausblick ^

[23]
Unter der Annahme, dass das zum 1. Jänner 2018 funktionierende ZeWaeR bei Bürgerinnen und Bürgern wie auch bei den vollziehenden Gemeinden Anklang findet, ist damit zu rechnen, dass Erweiterungen durch entsprechende Gesetzesänderungen rasch umgesetzt werden könnten. Mit einer Heranziehung der Datenanwendung für Wahlen auf Landesebene kann schon für das Jahr 2018 insbesondere in jenen Ländern gerechnet werden, in denen in diesem Jahr Wahlen durchzuführen sind. Bei Erweiterungen durch den Bundesgesetzgeber wird es darauf ankommen, ob diese zusätzliche Kosten nach sich ziehen oder ob mit der gesetzlichen Maßnahme sogar Einsparungen verbunden sind. Generell kann aber prognostiziert werden, dass ein funktionierendes ZeWaeR in Zukunft diverse Erweiterungsmöglichkeiten bieten wird, die über die Vorstellungskraft von das Wahlrecht zum gegenwärtigen Zeitpunkt vollziehenden Personen weit hinausgeht.
  1. 1 Näheres siehe Punkt 5.7. Konkret beinhaltete der Entwurf laut Anm. 3 ein «elektronisches Anliegen» sowie eine «elektronische Bürgerinitiative».
  2. 2 Antrag der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972 und das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert, das Volksbegehrengesetz 2013 und das Wählerevidenzgesetz 2013 erlassen sowie das Volksbegehrengesetz 1973 und das Wählerevidenzgesetz 1973 aufgehoben werden, 2177/A (XXIV. GP).
  3. 3 Eigentlich war ein Plebiszit sui generis, also eine Volksbefragung mit Bindungswirkung, gemeint.
  4. 4 Bedeutet «übersetzt»: Überarbeitung der seit 1983 eingerichteten «Zentralen Wählerevidenz», Überführung auf eine neue EDV-Plattform, DV-technische Zusammenführung mit der «Zentralen Europawählerevidenz» (ZEUWE) mit dem Augenmerk einer Erweiterung auf die Datenanwendung ZeWaeR.
  5. 5 Erforderlich war lediglich eine kleine einfachgesetzliche Änderung, die insbesondere das Testen der Datenanwendung ermöglicht hat; vgl. § 3 Abs. 4 und 5 des Wählerevidenzgesetzes 1973 sowie § 13 des Europa-Wählerevidenzgesetzes, jeweils in der Fassung des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2015, BGBl. I Nr. 158/2015.
  6. 6 Die in den Jahren 2015 und 2016 im BMI vorgenommenen Arbeiten sind ausführlich dargestellt in Stein, Zentrale Wählerevidenz – nach mehr als 30 Jahren höchste Zeit für «Runderneuerung», in: Schweighofer/Hötzendorfer/Kummer/Borges (Hrsg.), Netzwerke – Tagungsband des 19. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2016, books@ocg, Wien 2016, S. 277 ff.
  7. 7 Zahl: W I 6/2016.
  8. 8 Vgl. Der Standard, Innenministerium für zentrales Wählerregister, 15. Juni 2016 (http://derstandard.at/2000038994415/Anfechtung-der-Praesidentenwahl-Unklar-wen-FPOe-zur-Verhandlung-schickt; alle Internetquellen abgerufen am 2. Februar 2017).
  9. 9 Vgl. IA 1809/A XXV. GP.
  10. 10 Als Basis wurde die Fassung des Entwurfs vom 28. Juni 2013 (vgl. Anm. 3) herangezogen, in dem zahlreiche – insbesondere datenschutzrechtliche – Aspekte berücksichtigt waren, die sich zuvor im Rahmen mehrerer Sitzungen des Verfassungsausschusses ergeben hatten.
  11. 11 Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert sowie das Volksbegehrengesetz 2018 und das Wählerevidenzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungsgesetz 2017), BGBl. I Nr. 106/2016.
  12. 12 Stein, «Volksbegehren goes online», in: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Abstraktion und Applikation – Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2013, books@ocg, Wien 2013, S. 303 ff.
  13. 13 Quelle: Selbständiger Antrag der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, die Europawahlordnung, das Europa-Wählerevidenzgesetz, das Volksabstimmungsgesetz 1972, das Volksbefragungsgesetz 1989 geändert sowie das Volksbegehrengesetz 2018 und das Wählerevidenzgesetz 2018 erlassen werden (Wahlrechtsänderungsgesetz 2017), 1809/A XXV. GP.
  14. 14 Diese geplante Skalierung wurde im Zug der parlamentarischen Behandlung des Entwurfs mit dem Abänderungsantrag AA-173 XXV. GP zeitgleich mit der Beschlussfassung des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2017 bereits umgesetzt. Näheres siehe Punkt 5.1.
  15. 15 Vgl. Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, Art. 2 e.a.
  16. 16 Vgl. § 36 Abs. 3 NRWO.
  17. 17 Vgl. Vogl, Die Bundespräsidentenwahl 2016 aus Sicht der Verwaltung, in: Adamovich/Frank/Funk/Holzinger (Hrsg.), Festschrift für Gerhart Holzinger, Verlag Österreich, Wien 2017 (in Druck).
  18. 18 Vgl. Anm. 8.
  19. 19 Vgl. Vogl, Briefwahl und E-Voting auf Bundesebene, JRP 2004, S. 119 ff.
  20. 20 Vgl. bereits die Empfehlung der Arbeitsgruppe zu E-Voting im BMI vom 15. November 2004: «Auf einfachgesetzlicher Ebene ist für die Abwicklung eines E-Voting-Vorgangs die Schaffung einer E-Voting-tauglichen Zentralen Wählerevidenz Grundvoraussetzung.» (http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/faq/files/Abschlussbericht_E_Voting_2004_11_29.pdf).
  21. 21 Näheres siehe Anm. 3.