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Um das Wissen von den Rechtsbegriffen aufzuspüren und zu ermessen, muss man bei ihrem Gebrauch die beiden unterschiedlichen Ebenen ihrer Verwendung, nämlich die bürgerliche und die philosophisch-wissenschaftliche unterscheiden, da nach Arnheim «die Sprache hauptsächlich abhängig ist von der Wahrnehmung, in der sie ihr Fundament hat».
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Der Grund, wann der juristisch vorgebildete Mensch die Rechtsbegriffe überhaupt einsetzt, ist einerseits, um sich seiner juristischen Gedanken bewusst zu werden und sich diese einzuprägen und andererseits, mittels der bestehenden Rechtsbegriffe die subjektive Sicht eines Gedankengangs anderen mitzuteilen.
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Hierin fußt die Problematik des Wissens um die Unvollkommenheit der Rechtsbegriffe parallel zu Leibniz‘ generalisierten Unvollkommenheit der Worte, denn der Sinn der juristischen Verwendung von Rechtsbegriffen liegt in der Generalisierung von Rechtsvorgängen, die der Erleichterung des Umgangs des bürgerlichen Lebens mit der Rechtskommunikation dient. Im Gegensatz dazu liegt der philosophisch-wissenschaftliche Gebrauch in der genauen Begriffsbildung, was nach Leibniz in der sicheren Wahrheit in allgemeinen Sätzen zum Ausdruck kommt.
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Da die Jurisprudenz als eigene Wissenschaft auf genaue und allgemein gültige Begriffsbildungen angewiesen ist, ist es notwendig, die Schwierigkeiten bei der Begriffsbildung und ihrer Weitergabe an Dritte zu erkennen, zu spezifizieren und darzustellen. Denn es ist nach Leibniz eine Herausforderung, «die Idee, die jedes Wort» -und somit aus meiner Sicht auch jeder Rechtsbegriff- «bezeichnet hat zu erkennen und zu behalten».
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Um die erkannten Ideen zu behalten, die im Gehirn auf der visuellen Ebene entstanden sind, stellt sich hierbei die Frage, in welcher Form das Wissen um die Ideen anderen mitgeteilt werden sollte und kann und ob der bisher als einzig und allein als wahrer Weg der linearen Wissensvermittlung von Rechtsbegriffen angesehene und akzeptierte lineare Weg nicht neu auf seine visuellen Möglichkeiten überdacht werden sollte.
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Auch die mögliche Divergenz von Wortbedeutung und realer Wesenheit des Wortes spielt hierbei eine Rolle, genauso wie die Bezeichnung der Modi, die so Leibniz «dem Zweifel und der Unvollkommenheit ausgesetzt sind». Wenn die Idee der Modi sich mannigfaltig zusammensetzt, wie dies bei den meisten Rechtsbegriffen der Fall ist, so bedeuten sie im Geiste zweier verschiedener Personen selten genau dasselbe und das Gesagte oder das Geschriebene ist oft mehrdeutig. Hier spricht Leibniz die Begriffe der Jurisprudenz an, die oft von moralischen Vorstellungen geprägt sind und deren lineare Vermittlung durch Worte – somit auch durch Rechtsbegriffe – doch regelmäßig Verständnisprobleme aufwirft. Die soziologische Zeit-Entwicklungsachse muss hierbei bei der Betrachtung der juristischen Termini bezüglich ihrer Verständlichkeit und der daraus resultierenden Herausforderung der Entschlüsselung der Begrifflichkeiten Berücksichtigung finden.
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Nach Leibniz entsteht auch Streit über den Sinn der Worte und die Eigentümlichkeit der Sprache, obwohl der allgemeine Gebrauch diesen bei der gewöhnlichen Unterhaltung hinlänglich regelt.
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Oft werden Rechtsbegriffe sowohl von den juristisch vorgebildeten, als auch von den ungebildeten Menschen ohne große Überlegung verwendet und es stellt sich heraus, dass die Leute mit denselben Fachtermini verschiedene Rechtsinhalte und Begrifflichkeiten verbinden. Diese Schwierigkeiten in der Kommunikation werden umso deutlicher, je mehr man auch den zeitlichen Zusammenhang und den soziologischen Hintergrund mit einbezieht. Ein Rechtsbegriff, der vor längerer Zeit geprägt wurde und den damaligen moralischen Vorstellungen entsprochen hat, kann seine Bedeutung in der heutigen Zeit verändert haben. Beim zweifelhaften Verständnis sind allerdings die Rechtsbegriffe davon ausgenommen, «wenn sie Vorschriften über das, was wir glauben oder tun sollen, enthalten».
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Oft führen aber auch mangelhafte Übersetzung und die falsch verstandene Auslegung der Gelehrten zu Missverständnissen bei der Wortbildung und Deutung der Begriffe. Trotzdem sagt Leibniz, liegt es in unserer Macht, die Bezeichnungen wenigstens in irgendeiner Gelehrtensprache festzustellen und sich über sie zu «ver-ständigen».
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Da Leibniz diese von ihm so bezeichnete Gelehrtensprache an dieser Stelle nicht weiter definiert, lässt er so die Folgerung zu, dass ein «Verständlich machen» nicht nur auf der linearen Ebene erfolgen muss, um ein «allgemeines Verständnis» der Ideen zu bewirken.
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Es kann vielmehr auch die visuelle Ebene bei der Bildung von Rechtsbegriffen hilfreich sein, denn dass Rechtsbegriffe allein aus Ihrer Linearität heraus betrachtet, häufig zu Missverständnissen führen, wie Leibniz übrigens für Worte im allgemeinen dargelegt hat, ist unzweifelhaft.
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So wie Leibniz feststellt, dass die Ideen die zuverlässigsten und nützlichsten sind, so kann festgestellt werden, dass die Natur oft visuell arbeitet und sie auch vielfach ihre Ideen auf der Visualisierung begründet.
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Dies würde für die Linearität des Wissens bedeuten, das Visuelle nicht länger als Möglichkeit der Wissensvermittlung zu ignorieren und alle Worte durch Visualisierungen, z.B. multisensorische (oder, wer die allumfassende Begrifflichkeit scheut, nur generalisierend durch bildliche) Darstellungen zu ersetzen, die nur noch gebündelte Rechtsbegriffe oder aber zukünftig keine Worte mehr enthalten!? Hierbei müssen neue Wege der Visualisierung miteinbezogen werden, die über eine Ikonisierung hinauszugehen haben.
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Ob man nun weit zurück auf Leibniz oder in die jüngere Zeit auf McLuhan/Fiore, Virilio, Lyotard, Derrida oder sogar Sloterdijk zurückgreift mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass die visuelle Jurisprudenz ihre Daseinsberechtigung auch aus der Philosophie erhält.