1.
Einleitung ^
Im Zuge der oben dargestellten funktionalen Durchdringung der individuellen und gesellschaftlichen Lebensbereiche durch SN werden diese auch zum Gegenstand des Rechts [Hornung & Müller-Terpitz 2015, S. 1 f.]. Dabei treten verschiedene Rechtsbereiche wie etwa das Urheber- und Datenschutzrecht, das Persönlichkeitsrecht bzw. straf-, arbeits- oder medienrechtliche Sachverhalte in den Mittelpunkt der Betrachtung (ebenda). Der versierte Umgang mit rechtlichen Sachverhalten stellt einen zentralen Pfeiler in zeitgenössischen Konzepten von Media Literacy dar [Luckmann 2008; O’Neill 2010; Koltay 2011] und wird im Kontext einer «culture of legality» auch von der Europäischen Kommission [2007] eingefordert.
2.
Legal Literacy – Related Work ^
Laut Zariski [2014, S. 19 f.] bezieht sich der Begriff Legal Literacy ursprünglich auf die Fähigkeit von Rechtsexperten rechtliche Dokumente richtig zu lesen, zu verstehen und auch selbst zu verfassen. Über die Jahre wurde der Begriff aber weiterentwickelt und umschloss sämtliche Bürger ohne rechtliche Vor- oder Ausbildung. Das Konzept der Legal Literacy beschreibt, dass Personen rechtliche Problemstellungen zuerst kritisch hinterfragen, basierend darauf ihre Entscheidungen treffen, sich selbstständig und souverän in einer Rechtsmaterie bewegen, gegebenenfalls am Rechtsdiskurs beteiligen und ein aktiver Teil der Gesellschaft werden [ebd.].
Untersuchungen zum Stand der Legal Literacy in Bezug auf das Urheberrecht wurden vor allem unter akademisch gebildeten Personen durchgeführt [Aufderheide et al. 2015; Ax-Fultz 2015; Morrison & Secker 2015; Schmidt & English 2015; Todorova et al. 2014; Charbonneau & Priehs 2014; Dryden 2012; Hannah 2010; Oppenheim & Woodward 2004]. Bei diesen Studien stehen jene Berufsgruppen im Mittelpunkt, die einen immanenten Bezug zu urheberrechtlichen Sachverhalten haben. Breit angelegte, länderspezifische quantitative Studien finden sich für die USA [Edwards et al. 2013] sowie für Spanien [Muriel-Torrado & Fernández-Molina 2015]. In beiden Fällen wird den Teilnehmenden ein für den rechtssicheren Gebrauch unzureichendes Wissensniveau attestiert sowohl betreffend die Nutzung von bestehendem als auch den Schutz neu generierten Contents. Für Österreich erfasst eine Studie zur digitalen Content-Nutzung [GfK 2013 & 2015] u.a. Daten zum Rechtsbewusstsein in Bezug auf urheberrechtliche Bestimmungen und Urheberrechtsverletzungen. Die Ergebnisse der als «repräsentativ» deklarierten Online-Umfrage zeigen, dass das Bewusstsein für allgemeine urheberrechtliche Bestimmungen im Internet zwar wächst, dass das Nutzungsverhalten in sozialen Netzwerken allerdings vom effektiven Wissen abweicht. Diese Befunde werden in den qualitativen Studien von Rakebrand [2014] und Bauer [2011] zum urheberrechtlichen Verständnis von Internet-Nutzern in Bezug auf User-Generated-Content weitgehend bestätigt. Insbesondere Rakebrand [2014] attestiert den jungen Nutzergruppen ein tendenziell mangelndes Rechtsbewusstsein, Verständnisschwierigkeiten zur gültigen Rechtslage sowie ein mangelndes Problembewusstsein zum Internet als Öffentlichkeit generierendes Medium.
3.
Fragestellungen ^
FF1: Stimmt das selbsteingeschätzte und das faktische Urheberrechtswissen bei SN-Nutzern überein?
FF2: Welche Faktoren beeinflussen das selbstgeschätzte und das faktische Urheberrechtswissen der SN-Nutzer?
FF3: Existiert ein Zusammenhang zwischen dem faktischen Urheberrechtswissen und der Urheberrechtspraxis von SN-Nutzern?
4.1.
Datenerhebung und Sample ^
Zur Untersuchung des Gegenstandes wurde eine quantitative Online-Befragung [Taddicken & Batinic 2014] durchgeführt, die sich grundsätzlich an alle Personen richtete, die soziale Netzwerke in Österreich nutzen und deren Nutzungsverhalten in den Rechtsrahmen des Urheberrechts fällt. Damit sind in Österreich ca. 71% der Internetnutzer untersuchungsrelevant [GfK 2015]. Die Verteilung des Fragebogens erfolgte zufallsgesteuert, die Teilnahme erfolgte auf Basis der Selbstselektion. Zur Validierung des Fragebogens wurden im Zeitraum von 5. bis 17. Juni 2016 drei Pretests durchgeführt. Im Befragungszeitraum von 18. Juni bis 4. Oktober 2016 wurden insgesamt 430 ausgefüllte Fragebögen gesammelt. Um die Repräsentativität der Ergebnisse zu erhöhen, wurde der Untersuchungsgegenstand auf die Altersgruppe der 16- bis 44-jährigen eingeschränkt. Dies wird damit argumentiert, dass in dieser Altersgruppe die höchste Nutzung sozialer Netzwerke feststellbar ist [Statistik Austria 2015] und diese im Fokus unserer Studie liegt. Damit kamen 370 Fragebögen zur Auswertung (gewichtet 369). Die Auswertung erfolgte mittels Software SPSS v24.
4.2.
Datenanalyse ^
Die Daten wurden in drei Schritten statisch ausgewertet: (1) deskriptive Darstellung des Samples, (2) Homogenitätstests zur Überprüfung der Unterschiede zwischen selbstgeschätzter und faktischer Legal Literacy und (3) ordinale logistische Regressionsanalyse zur Feststellung von Ursache-Wirkungszusammenhängen zwischen Legal Literacy (LL), definiert als Urheberrechtswissen in sozialen Netzwerken, und den in FF2 definierten erklärenden Variablen. In unserem Regressionsmodell wird die abhängige Variable yi* einerseits als selbstgeschätzte und andererseits als faktische LL definiert und durch die nachfolgende Regressionsgleichung beschrieben:
Pr (yi*) = α0 + α1Einstellungi + α2Nutzungsintensitäti + α3Aktivitätsniveaui + α4Alteri + α5Geschlechti + α6Bildungi + εi
Dabei nehmen die abhängigen und unabhängigen Variablen die in Tabelle 1 beschriebenen Werte an:
Abhängige Variablen: | |
Selbstgeschätzte LL | Eigene Beurteilung der Rechtskenntnisse (1 = niedrig, 2= mittel, 3 = hoch) |
Faktische LL | Summe der korrekten Antworten zum Urheberrecht (0–20 = niedrige LL, 21–25 = mittlere LL, 26–30 = hohe LL) |
Unabhängige Variablen: | |
Einstellung zu SN | Einstellung gegenüber SN (1 = eher negativ, 2 = neutral, 3 = eher positiv) |
Aktivitätsniveau | Selbstgeschätztes Aktivitätsniveau in Bezug auf Posten, Teilen, Verlinken, Liken (1 = wenig aktiv, 2 = normal aktiv, 3 = sehr aktiv) |
Alter | Altersgruppen (1 = 16–24 Jahre, 2 = 25–34 Jahre, 3 = 35–44 Jahre) |
Dummy: Nutzungsintensität | Index der Nutzungsintensität definiert als Summe der abgefragten Nutzungshäufigkeit pro soziales Netzwerk (4 = täglich, 3 = mehrmals pro Woche, 2 = mehrmals im Monat, 1 = gar nicht), wobei 10 soziale Netzwerke zur Auswahl standen; Unterscheidung von zwei Usertypen (0–20 Punkte = Nicht-Intensivnutzer, 21–40 Punkte = Intensivnutzer); 1 = Intensivnutzer, 0 = Nicht-Intensivnutzer |
Dummy: Geschlecht | 0 = männlich, 1 = weiblich |
Dummy: Hochschulabschluss | 0 = kein Hochschulabschluss, 1 = Hochschulabschluss |
Tabelle 1: Beschreibung der Variablen im Regressionsmodell
5.1.
Deskriptive Beschreibung des Samples ^
N (=369) | Prozent | ||
Geschlecht | männlich | 173 | 46,9% |
weiblich | 196 | 53,1% | |
Alter | 16–24 | 107 | 29,0% |
25–34 | 136 | 37,0% | |
35–44 | 125 | 34,0% | |
Bildung | kein Hochschulabschluss | 164 | 44,5% |
Hochschulabschluss | 205 | 55,5% | |
Einstellung SN | eher negativ | 38 | 10,2% |
neutral | 121 | 32,9% | |
eher positiv | 210 | 56,9% | |
Nutzungsintensität | Nicht-Intensivnutzer | 187 | 50,6% |
Intensivnutzer | 182 | 49,4% | |
Aktivitätsniveau | niedrig | 164 | 44,5% |
mittel | 122 | 33,2% | |
hoch | 82 | 22,3% | |
Faktische LL | niedrig | 114 | 31,0% |
mittel | 180 | 48,7% | |
hoch | 75 | 20,3% | |
Geschätzte LL | niedrig | 83 | 22,6% |
mittel | 162 | 43,8% | |
hoch | 124 | 33,7% | |
Verzicht Veröffentlichung | Ja | 173 | 46,9% |
nein | 196 | 53,1% | |
Creative Commons Content genutzt | ja | 182 | 49,3% |
nein | 76 | 20,7% | |
weiß nicht | 111 | 30,0% | |
Content unter Creative Commons lizenziert | ja | 53 | 14,4% |
nein | 259 | 70,2% | |
weiß nicht | 57 | 15,4% |
Tabelle 2: Deskriptive Beschreibung des Samples
56,9% der Teilnehmer sind sozialen Netzwerken gegenüber eher positiv eingestellt, 10,2% äußern sich ablehnend. Intensivnutzer (49,4%) und Nicht-Intensivnutzer (50,6%) halten sich die Waage, wobei sich 44,5% ein niedriges – und damit eher passives – Aktivitätsniveau zuschreiben. 22,3% der Nutzer attestieren sich ein hohes Aktivitätsniveau. 31% der Befragten weisen ein niedriges faktisches Urheberrechtswissen aus, 48,7% ein mittelmäßiges sowie 20,3% ein hohes. Eine gegenteilige Verteilung der Werte ergibt sich für das selbstgeschätzte Urheberrechtswissen. 22,6% attestieren sich ein niedriges Wissen, 43,8% ein mittelmäßiges und 33,7% ein hohes. In Bezug auf die Urheberrechtspraxis ist feststellbar, dass 53,1% der befragten noch nie auf das Veröffentlichen eines Beitrages verzichtet haben. Jedoch haben 49,3% bereits von Creative Commons Content Gebrauch gemacht und 14,4% haben bereits einmal Content unter Creative Commons Lizenzen zur Verfügung gestellt.
5.2.
Übereinstimmung zwischen selbstgeschätzter und faktischer Legal Literacy ^
5.3.
Einflussfaktoren auf die Legal Literacy ^
Bezugnehmend auf die FF2 – Welche Faktoren beeinflussen das selbstgeschätzte und das faktische Urheberrechtswissen der SN-Nutzer? – zeigt sich eine interessante Befundlage (Tabelle 3).
Selbsteingeschätzte LL | Faktische LL | |
Alter: 16–24 | -0,931*** | -0,738** |
(0,301) | (0,305) | |
Alter: 25–34 | -0,274 | -0,333 |
(0,253) | (0,255) | |
Dummy: männlich | 0,444** | 0,484** |
(0,221) | (0,224) | |
Dummy: kein Hochschulabschluss | -0,422* | -0,846*** |
(0,236) | (0,243) | |
Dummy: kein Intensivnutzer | -0,207 | -0,436* |
(0,222) | (0,226) | |
Aktivitätsniveau (niedrig) | -0,515* | -0,626** |
(0,280) | (0,283) | |
Aktivitätsniveau (mittel) | -0,378 | -0,525** |
(0,278) | (0,279) | |
Einstellung (negativ) | 0,217 | -0,250 |
(0,364) | (0,368) | |
Einstellung (neutral) | -0,625*** | -0,287 |
(0,232) | (0,235) | |
Pseudo-R2 | 0,156 | 0,171 |
N | 369 | 369 |
Anmerkung: *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,1 |
Tabelle 3: Gewichtete Ergebnisse der ordinalen Regressionsanalyse zu Legal Literacy
5.4.
Zusammenhang zwischen Urheberrechtswissen und -praxis ^
6.
Conclusio und Limitationen ^
Limitierend gilt festzuhalten, dass die Erhebung der Daten auf Basis der Selbstselektion und der Selbstbeauskunftung erfolgte, woraus sich Verzerrungen in Bezug auf Selbstdarstellung (z.B. soziale Erwünschtheitseffekte) ergeben. Das Erhebungsdesign orientierte sich jedoch an internationalen Standards der Literacy-Forschung, wodurch sichergestellt wurde, dass die Verzerrungseffekte minimiert und entsprechende Vergleichbarkeit mit anderen Befunden hergestellt werden konnten. Grundsätzlich ist in Übereinstimmung mit anderen Studien [Rakebrand 2014, Bauer 2011, GfK 2013 & 2015] feststellbar, dass eine Diskrepanz zwischen effektivem Urheberrechtswissen und eine daran geknüpfte Praxis existiert. Faktoren wie Alter, Bildungsgrad, Geschlecht, Aktivitätsniveau und Nutzungsintensität haben einen signifikanten Einfluss auf das faktische Urheberechtswissen, wobei der Wissenstand mit abnehmenden Alter und Bildungsgrad sinkt, bei tendenzieller Überschätzung des eigenen Wissensstandes bei jüngeren Nutzern. Dies ist dahingehend problematisch, als insbesondere in jungen Nutzergruppen das Aktivitätsniveau und die SN-Nutzung sehr hoch sind. Besorgniserregend ist weiters, dass den jüngeren Nutzern ein tendenziell achtloser Umgang bei der aktiven Nutzung sozialer Netzwerke zugeschrieben werden kann. In Summe muss daher die Legal Literacy in Bezug auf das Urheberrecht in der untersuchten Nutzergruppe als unzureichend eingestuft werden. Die vorliegende Studie konnte dazu beitragen, ein differenzierteres Verständnis der Problemlage zu entwickeln, wodurch eine Grundlage für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Rechtskompetenz gelegt wurden, die in Folgestudien ausgearbeitet werden sollen. Denn es ist notwendig, dass Nutzer von sozialen Netzwerken ein notwendiges und hinreichendes Maß an Legal Literacy entwickeln, welches ihnen erlaubt, die Balance zwischen ihrer Kommunikationspraxis im Internet und den urheberrechtlichen Anforderungen zu wahren [Gathegi 2014, S. 101 f.].
7.
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