1.1.
Ursprung ^
Die von Lawrence Lessig geprägte Wendung Code is Law1 war ursprünglich eine prägnante Zusammenfassung der Tatsache, dass im Cyberspace – zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Buchs ein neues Phänomen – zu den bis dahin bekannten Regulierungskräften2
- Markt
- Architektur
- soziale Normen
- Recht
eine weitere hinzugekommen ist: Code, also Software, die in der digitalen Welt faktisch Verhalten steuert.
Er stellt aber ausdrücklich fest, dass Code is Law nicht bedeutet, dass Software und Rechtsvorschriften bzw. -normen dasselbe oder gleichzusetzen sind.3 Vielmehr soll diese prägnante Formulierung darauf hinweisen, dass Code ähnlich wie die anderen Kräfte Verhalten reguliert4: «Das Gesetz reguliert, indem es Möglichkeiten, die der Einzelne nutzen kann, zulässt oder einschränkt, um ihn zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Der Code tut dasselbe.»5
In der Folge zeigte sich, dass tatsächlich immer häufiger das Verhalten von Benutzern durch Code bzw. technische Architekturen gesteuert wird und regulation by technology entweder als Ergänzung oder vielfach auch in Konkurrenz zur Rechtsordnung eingesetzt wird.6 Zahlreiche Beispiele sind bekannt, bei denen Unternehmen ihre – vermeintlichen – Rechte lieber über Code und Produktgestaltung, als über den Rechtsweg durchzusetzen versuchten.7
1.2.
… und Neuinterpretation ^
Zusätzlich verselbständigte sich die prägnante Formulierung und wurde zu einem Schlagwort, das der Rechtfertigung für ungezügelte regulation by technology diente. Der kritische Ansatz von Lawrence Lessig8 ging verloren und aus Code is Law wurde die Formel Code = Law.
Zum einen wurde aus dem Software-Entwickler, also dem Erzeuger des Codes, ein Gesetzgeber, ein Erzeugen von Law. Da aber nach Ansicht von manchen Verfechtern der Idee, dass der Cyberspace ein rechtsfreier Raum ist, Code das einzige zulässige bzw. mögliche Regulationsmittel ist, erhält der Programmierer bzw. in der Praxis dessen Auftraggeber oder Arbeitgeber dadurch die Stellung eines absoluten, unbeschränkten Gesetzgebers. Es ist daher nicht überraschend, dass inzwischen in Zusammenfassungen9 von Vorträgen eigentlich selbstverständliche Aussagen wie
- You cannot escape from law.
- Daher muss Code im Einklang mit dem geltenden Recht formuliert werden.
als bemerkenswerte Thesen oder als besonders hervorzuhebende Aussagen zitiert werden.
Es geht dann aber nicht mehr um Fragen der effizienten Gestaltung von Rechtstexten oder die Erhöhung ihrer Verständlichkeit12. Vielmehr wird unter Annahme eines aggressiven Vorrangs13 der Informatik vorgegeben, was Recht in Zukunft sein soll und wie es gestaltet wird. Unter dem Slogan software is eating law14 wird die Zukunft im computational law15 gesehen. Ziel ist es, ein besseres – oder aus Sicht der Vertreter dieser Bewegung – endlich funktionierendes Rechtssystem aufzubauen, denn «when the law becomes publicly verifiable and openly computational, it will be possible to make more definite legal statements and ensure more predictable legal outcomes»16.
2.
Begriffe ^
2.1.
Smart ^
So hält Melanie Swan zu einem auf einer Blockchain aufbauenden Register fest: «In this system, all property could become smart property; this is the notion of encoding every asset to the blockchain with a unique identifier such that the asset can be tracked, controlled, and exchanged (bought or sold) on the blockchain.»17
Da keine EDV-Anwendung, die Daten in einer Datenbank dauerhaft speichert, ohne eindeutige Bezeichner auskommt, könnten alle diese gespeicherten Daten als smart bezeichnet werden. Alleine durch solche eindeutigen Bezeichner wird Software jedoch nicht klug, schlau oder intelligent.18
2.2.
Code ^
Im englischen Sprachraum verstehen Juristen unter Code «a systematic collection or revision of laws, rules or regulations»19, also kodifizierte Rechtvorschriften.
- (1) Code: collection of rules/Sammlung von Regeln
- (2) Code: Folge von Anweisungen und Regeln, die ein Computer abarbeitet.
Da es sich nach dieser Argumentation in beiden Fällen nur um Regeln handelt, sind juristischer Code und Programmcode dasselbe. Es ist bald eine automatische Übersetzung möglich von juristischem Code in Programmcode und umgekehrt möglich.20 Juristen der Zukunft werden daher wie Programmierer arbeiten.21
2.3.
Law ^
2.4.
Smart Contract ^
Dies kann in einem im Blog-Beitrag «Code is Law is Code»22 eingebetteten Foliensatz23 nachvollzogen werden. Dort wird in einer Beschreibung mathematischer Eigenschaften einer formalen Sprache für die Formulierung von Verträgen von der juristischen Definition eines Vertrags ausgegangen: «A contract is a binding agreement between two or more persons that is enforceable by law.» Da eine verbindliche Übereinkunft in dieser Allgemeinheit mathematisch nicht fassbar ist, wird diese juristische Definition als conventional contract bezeichnet und abweichend etwas definiert, was mit einem Vertrag nur wenig zu tun hat: der deontic e-contract. «An e-contract is a machine-readable contract» bzw. ausführlicher «A contract is a document which engages several parties in a transaction and stipulates their (conditional) obligations, rights, and prohibitions, as well as penalties in case of contract violations.» Aus seiner Willenserklärung wird ein Dokument und dafür – für den in dem Dokument den zulässigen Text – wird dann eine formale Grammatik definiert. Diese Contract Specification Language könnte dann die Grundlage für eine Programmiersprache sein.
Verträge sind in die übergeordnete Rechtsordnung eingebettet und durch den Gesetzgeber kann in sie eingegriffen werden, indem z.B. durch Konsumentenschutzbestimmungen bestimmte Vertragsinhalte für ungültig erklärt werden. Gemäß der Code = Law-Formel sind Verträge in Blockchain-Umgebungen nur in diese eingebettet und nicht mehr veränderbar. Sie sind – zumindest vom Konzept her – von der Rechtsordnung abgekoppelt.25
- Sie sind smart in dem Sinn, dass jedes einzelne dieser Programme eindeutig identifiziert ist.
- Der Code des Smart Contracts ist – entsprechend dem Konzept von Gesetzen im Sinn von Naturgesetzen – unveränderbar.
- Eine Auslegung der Code-Regeln ist nicht möglich. Das Programm reagiert – entsprechend dem Konzept von Gesetzen im Sinn von Naturgesetzen – nur durch Auswertung und Bearbeitung der mit Werten befüllten Variablen im Code.
- Entscheidend ist entsprechend der Code = Law-Formel nur der Programmcode des Smart Contracts und der Blockchain-Umgebung. Die zuständige Rechtsordnung wird ausgeblendet.
3.
Modell der Rechtsanwendung im Code = Law-Universum ^
Rechtstheoretische Modelle der Rechtsanwendung sind zwischen den beiden in Abbildung 1 dargestellten Extremen angesiedelt.26
Keine der in der Rechtstheorie vertretenen Positionen entspricht einer der beiden Extremstandpunkte. Das Modell der Smart Contracts erscheint jedoch wie eine direkte Umsetzung der Kombination der Extrempositionen beider Modelle. Abbildung 2 zeigt die Struktur dieser Rechtsanwendungssituation.
Der Betreiber der Blockchain kann im Sinne der Code = Law-Formel als Gesetzgeber angesehen werden. So lange die Blockchain-Umgebung nicht in eine Rechtsordnung eingebunden ist, ist er dies absolut und nur durch die technischen Möglichkeiten beschränkt. Dass diese absoluten Möglichkeiten auch genutzt werden, hat der Fall von The DAO gezeigt, bei dem das zentrale Grundprinzip der Blockchain-Technologie, die Unveränderbarkeit der Blockchain, durch die Betreiber in einem Einzelfall aufgehoben wurde.27
- Werden im Programm Smart Contract-Vereinbarungen, die durch einen Vertrag beschlossen wurden, also durch den Vertragsschluss erzeugte Rechtsnormen, umgesetzt, so kann dies nur über Programmcode geschehen. In diesem Sinn ist diese Abbildung in Software ein Beispiel für Law is Code.
- Die programmatische Ausgestaltung der Blockchain-Umgebung, in der die einzelnen Blockchains als Anwendungen laufen, gibt vor, wie eine konkrete Blockchain ausgestaltet werden kann und welcher Programmcode in Blockchains überhaupt ausgeführt werden kann. Die Blockchain-Umgebung entspricht daher als Metaebene der Verfassung für den Smart Contract-Code. In diesem Sinn gilt auch für die Umsetzung dieser Regelungskonzepte Law is Code.
4.
Rückwirkungen auf die Rechtsordnung ^
5.
Literatur ^
Abegg, Lukas, Code is law? Not Quite Yet, coindesk, https://www.coindesk.com/code-is-law-not-quite-yet/, 27. August 2016.
Andreessen, Marc, Why Software Is Eating the World, Andreessen Horowitz, https://a16z.com/2016/08/20/why-software-is-eating-the-world/, erstmals veröffentlicht in The Wall Street Journal am 20. August 2011.
Anjum, Muhammad Salman, Blockchain Smart Contract: Code is LAW, LinkedIn, https://www.linkedin.com/pulse/blockchain-smart-contract-code-law-muhammad-salman-anjum-feelogical-/, 27. August 2016.
Filippi, Primavera DE/Samer Hassan, Blockchain technology as a regulatory technology: From code is law to law is code, First Monday, Volume 21, Number 12–5 December 2016, http://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/7113/5657, DOI http://dx.doi.org/10.5210/fm.v21i12.7113.
Garner, Bryan A. (Hrsg.), Black’s Law Dictionary, West Group, St. Paul, 1999.
Gerard, David, Attack of the 50 Foot Blockchain, 2017.
Greenwood, Dazza, Law Itself is the Killer Blockchain App, Computational Law, https://computationallaw.org/law-itself-is-the-killer-blockchain-app-5ccf7d86d8d8?lipi=urn%3Ali%3Apage%3Ad_flagship3_pulse_read%3Bdhk%2F4EsfRjq%2FIzq0Gk3XvQ%3D%3D, 11. Juni 2016.
Greenspan, Gideon, Smart contracts and the DAO implosion, MultiChain, https://www.multichain.com/blog/2016/06/smart-contracts-the-dao-implosion/, 22. Juni 2016.
Kahlig, Wolfgang, Ist Rechtsklarheit überhaupt erwünscht? In: Glück, Beate/Lachmayer, Friedrich/Schefbeck, Günther/Schweighofer, Erich (Hrsg.), Elektronische Schnittstellen in der Staatsorganisation. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dr. Josef Souhrada, Österreichische Computer Gesellschaft, Wien 2015, S. 109–117.
Lenk, Klaus, Die neuen Instrumente der weltweiten digitalen Governance, Verwaltung und Management, 2016, Heft 5, S. 227–240.
Lessig, Lawrence, Code und andere Gesetze des Cyberspace, Berlin Verlag, Berlin 2001.
Lessig, Lawrence, Code 2,0, Basic Books, New York 2006.
Lessig, Lawrence, Code Is Law, Harvard Magazine, https://www.harvardmagazine.com/2000/01/code-is-law-html, 1. Januar 2000.
Mastronardi, Philippe, Angewandte Rechtstheorie, Haupt Verlag, Bern 2009.
Murck, Patrick, Who Controls the Blockchain?, Harvard Business Review, https://hbr.org/2017/04/who-controls-the-blockchain, 19. April 2016.
Pace, Meng/Prisacariu, Cristian/Schneider, Gerardo, Model Checking Contracts – A Case Study, ATVA’07 Tokyo, Japan, http://www.cse.chalmers.se/~gersch/slides-talks/slides-ATVA-07.pdf, 22–25. Oktober 2007
Roark, Brian/Sproat, Richard, Computational Approaches to Morphology and Syntax, Oxford University Press, New York 2007.
Reuter, Michael, Is Code Law? Eine rechtliche Einordnung von Blockchain und Smart Contracts durch Dr. Markus Kaulartz, Datarelle, http://datarella.de/is-code-law-eine-rechtliche-einordnung-von-blockchain-und-smart-contracts-durch-dr-markus-kaulartz/, 26. Januar 2017.
Schneider, Jochen/Schroth, Ulrich, Sichtweisen juristischer Normanwendung: Determination, Argumentation und Entscheidung In: Kaufmann, Arthur/Hassemer, Winfried (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, C. F. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg 1989, S. 421–464.
Siegel, David, It’s Time for Smart Law, Medium, https://medium.com/@pullnews/its-time-for-smart-law-f218598dee92, 2. Mai 2017.
Sorge, Christoph, Modellierung in Recht und Informatik In: Oostrom, Samuel van/Weth, Stephan (Hrsg.), Festschrift für Maximilian Herberger, juris GmbH, Saarbrücken 2016, S. 877–884.
Swan, Melanie, Blockchain, O’Reilly, Sebastopol 2015.
Szabo, Nick, A Formal Language for Analyzing Contracts, http://nakamotoinstitute.org/contract-language/, 2002.
Weng Wong, Meng, Code is Law is Code, Medium, https://medium.com/@Legalese/code-is-law-is-code-4492c864f33f, 20. Januar 2017.
Wu, Tim, When Code Isn’t Law, Virginia Law Review, 2003, Vol 89 Nr 4, S. 679–751.
- 1 Lessig 2001; vgl. auch Lessig 2006 und Lessig 2000.
- 2 Lessig 2001, S. 161.
- 3 Lessig 2001, S. 383: «Der Code ist nicht Gesetz, so wenig wie die Konstruktion eines Flugzeugs Gesetz ist.» Unverändert Lessig 2006, S. 324.
- 4 Wu 2003, S. 687: «The idea is, that programmers make choices that constrain online capability, and that such choices are regulatory in their effects.»
- 5 Lessig 2001, S. 383.
- 6 Vgl. Lenk 2016, S. 231 f.
- 7 Vgl. Filippi/Samer 2016.
- 8 Lessig 2001, S. 414: «Wenn wir die verschiedenen regulierenden Instanzen relativieren … werden wir erkennen dass Freiheit nicht einfach dadurch geschaffen wird, dass wir dem Recht Grenzen setzen. Freiheit schaffen wir vielmehr durch Strukturen, die dem Einzelnen einen Spielraum für seine Entscheidungen belassen, so eng dieser Spielraum auch sein mag.»
- 9 Reuter 2017.
- 10 Siegel 2017: «Thinking like a lawyer and thinking like a programmer aren’t that different.»
- 11 Szabo 2002.
- 12 Vgl. Kahlig 2015.
- 13 Vgl. http://legalese.com (alle Websites zuletzt abgerufen am 6. Januar 2018): «They believe in world-domination of the engineering class; everything can be reduced to an algorithm and legal documents are not going to be spared.»
- 14 http://legalese.com in Anlehnung an Andreessen 2011.
- 15 http://legalese.com.
- 16 Greenwood 2016.
- 17 Swan 2015, S. viii (Hervorhebung im Original).
- 18 Geschickt werden in Texten, die die Revolutionierung des Rechts mit Blockchain-Technologie bewerben, die beiden Bedeutungen vermischt, wenn unter der Überschrift «Smart Words for Smart Contracts» von «smart (mostly young) lawyers» gesprochen wird. (Siegel 2017).
- 19 Garner 1999, S. 250.
- 20 «Soon, we will be able to scan our legacy documents, translate them into simple language, then into code, and then into legal ecosystems that plug and play, reducing vast amounts of complexity and opening new possibilities we haven’t even thought of yet.» (Siegel 2017).
- 21 «I think in five years most law schools will be teaching, probably requiring, coding skills.» (Siegel 2017).
- 22 Weng Wong 2017.
- 23 Pace/Prisacariu/Schneider 2007.
- 24 Vgl. http://legalese.com: «Academic contract formalisations are just now beginning to satisfy the necessary properties for reduction to software practice.»
- 25 Vgl. z.B. das Code is Law-Konzept, aber auch die Diskussionen im Anschluss an den Vorfall, bei dem die Smart Contracts der Ethereum-Blockchain Anwendung The DAO durch Hacker kompromittiert wurden und dadurch großer finanzieller Schaden entstand: «The original vision of the Ethereum creators was that computer code should, quite literally, be treated as law in their community and serve as replacement for legal agreements and regulation. The DAO creators embraced this vision and noted that participants should look exclusively to the application’s code as dispositive on all matters. The code was the contract and the law for The DAO.» (Murck 2016) Vgl. dazu auch Gerard 2017, S. 101 ff.
- 26 Vgl. Mastronardi 2009, S. 31 ff.
- 27 Murck 2016; vgl. auch Fn. 25.