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Das Internet als Pranger (?) – Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht

  • Authors: Stefan Szücs / Christian Szücs
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: IP Law
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2018
  • Citation: Stefan Szücs / Christian Szücs, Das Internet als Pranger (?) – Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht, in: Jusletter IT 22 February 2018
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zu einer Verschärfung des europäischen Kapitalmarktrechts geführt. Dies zeigt sich nicht zuletzt im Ausbau des Sanktionsregimes. Bestimmte Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften und die damit in Zusammenhang stehende Verhängung von Geldstrafen (sog. naming and shaming) sind nunmehr zwingend im Internet zu veröffentlichen. Zwar waren solche Veröffentlichungen auch früher bereits möglich, doch sind sie heute vielfach verpflichtend. Dabei erfolgt eine Veröffentlichung mitunter schon vor Rechtskraft der Entscheidung.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht vor der Finanz- und Wirtschaftskrise
  • 3. Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht seit der Finanz- und Wirtschaftskrise
  • 4. Conclusio
  • 5. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]

Die Veröffentlichung einer Sanktion stellt ein altbekanntes Sanktionsinstrument dar.1 In der kapitalmarktrechtlichen Literatur – wie z.T. auch in anderen Bereichen – herrscht hierfür der englische Begriff des naming and shaming vor.2 Von der Finanzmarktaufsichtsbehörde wird dabei der Name einer Person oder eines Unternehmens (naming) unter Angabe eines Negativums in Form der Erwähnung des Verstoßes gegen eine Rechtsnorm und/oder unter Angabe der dagegen verhängten Sanktion (shaming) veröffentlicht.

[2]

Die Veröffentlichung erfolgt im Internet und zwar auf der Internetseite der Behörde. Veröffentlichungen zählen zu den sensibelsten und eingriffsintensivsten kapitalmarktrechtlichen Sanktionen.3 Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht schlechthin verwehrt, Bestimmungen zu erlassen, durch welche Aufsichtsbehörden Marktteilnehmer überwachen und die Ergebnisse dieser Überwachung veröffentlichen, mit dem Ziel, dadurch die Einhaltung der Marktvorschriften sicherzustellen und zu fördern.4 Ohne genügende gesetzliche Grundlage ist eine Veröffentlichung unter Nennung des Namens bzw. bei mangelnder Anonymisierung «prinzipiell rechtswidrig».5 Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der Bestimmungen verfassungs- und europarechtliche Vorgaben zu beachten. Neben einem legitimen Zweck muss die Veröffentlichung geeignet und erforderlich sein und sich auf das notwendige Maß beschränken.

[3]

Die Problematik einer Veröffentlichung liegt darin, dass eine einmal veröffentlichte Information – sei sie nun richtig oder falsch – sich nicht mehr zurückholen lässt.6 Selbst wenn ein Interneteintrag gelöscht, d.h. von der Internetseite der Behörde entfernt wird, so besteht doch das Risiko, dass der gelöschte Eintrag über Suchmaschinen und Zwischenspeicher noch im Internet verfügbar ist.7 Veröffentlichungen im Internet verfolgen Betroffene potenziell lebenslang.8 Das Internet wird von einigen Autoren als moderner Pranger verstanden. Auch im Internet erfolge eine Zurschaustellung verbunden mit einer Stigmatisierung. Eine Namensnennung sei bei einer Veröffentlichung im Internet nur zu rechtfertigen, wenn es ihrer zum Schutze Dritter bedarf.9

[4]

Auf der anderen Seite ist das Internet ein ausgesprochen kostengünstiges Medium, das in den letzten Jahren auch im Kapitalmarkt(recht) verstärkt Verwendung findet – selbst von den Finanzmarktaufsichtsbehörden.10 Naming and shaming sei – so Kalss/Oppitz/Zollner11 – im Kapitalmarktrecht «europarechtlich akzeptiert». Es ist aber stets nicht ohne Kritik geblieben.12

2.

Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht vor der Finanz- und Wirtschaftskrise ^

[5]

Bis zur Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (RL 2013/50/EU) kannte das europäische Kapitalmarktrecht die Veröffentlichung von Verwaltungsübertretungen unter Namensnennung und die Veröffentlichung der dazugehörigen Verwaltungsstrafen «in nur sehr eingeschränktem Umfang».13 Zu Beginn der sog. ersten Richtliniengeneration noch gar nicht explizit vorgesehen, brachte erst die zweite Richtliniengeneration das naming and shaming in das europäische Kapitalmarktrecht.14 Es wurde jedoch nur die Möglichkeit für die nationalen Finanzmarktaufsichtsbehörden geschaffen, bestimmte Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften und die damit in Zusammenhang stehende Verhängung von Geldstrafen zu veröffentlichen. Eine Verpflichtung, dies zu tun, enthielten diese Bestimmungen nicht.

[6]

So sah etwa Art. 28 Abs. 2 der Transparenz-Richtlinie (2004/109/EG) schon in der Stammfassung vor, dass die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständige nationale Finanzmarktaufsichtsbehörde alle Maßnahmen und Sanktionen öffentlich bekannt geben kann, die wegen Verstößen gegen gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften ergriffen bzw. verhängt werden, sofern nicht eine solche Bekanntgabe die Stabilität der Finanzmärkte erheblich gefährdet oder den Betroffenen einen unverhältnismäßig großen Schaden zufügt. Ähnliche Formulierungen – gemeint: die Möglichkeit, jedoch nicht die Verpflichtung zur Veröffentlichung – enthielten Art. 14 Abs. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie (RL 2003/6/EG), Art. 51 Abs. 3 der MiFID-Richtlinie (RL 2004/39/EG) sowie Art. 25 Abs. 2 der Prospektrichtlinie (RL 2003/71/EG).

[7]

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten wurden die europarechtlichen Bestimmungen, die den nationalen Finanzmarktaufsichtsbehörden ein naming and shaming ermöglichten, unterschiedlich umgesetzt. Zum Teil wurden ausgefeilte Systeme der Offenlegung etabliert.15 So konnten bspw. in Deutschland gemäß § 40b WpHG a.F. nur unanfechtbare Maßnahmen bzw. rechtskräftige Entscheidungen veröffentlicht werden. In Österreich wurde in Umsetzung von Art. 14 Abs. 4 der Marktmissbrauchsrichtlinie (RL 2003/6/EG) mit § 48q Abs. 4 BörseG hingegen eine Regelung geschaffen, wonach die Finanzmarktaufsicht, kurz: FMA, Verstöße gegen Rechtsvorschriften und die damit in Zusammenhang stehende Verhängung von Sanktionen schon während eines laufenden Verfahrens veröffentlichen konnte.16 Da die Regelung keine verfahrensrechtliche Absicherung für die Betroffenen vorsah – insb. waren die betroffenen Marktteilnehmer vor der Veröffentlichung durch die FMA nicht zu hören –, war die Regelung umstritten.

[8]

Durch die BörseG-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 83/2012, wurde § 48q BörseG insofern geändert, als ein Abs. 4a angefügt wurde. Dieser Absatz enthielt für den Betroffenen die Möglichkeit, die Veröffentlichung der FMA in einem nachträglichen bescheidmäßig zu erledigenden Verfahren überprüfen zu lassen. Wurde die Rechtswidrigkeit einer Veröffentlichung festgestellt, so war die Veröffentlichung richtigzustellen oder zu widerrufen. Auf Wunsch des Betroffenen konnte der Interneteintrag auch ohne Widerruf gelöscht werden. Die Anfügung von Abs. 4a erfolgte als Reaktion auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes17 zu einer funktional gleichgelagerten Bestimmung im Bankwesengesetz, in der der Verfassungsgerichtshof das Fehlen eines adäquaten Instrumentariums zur Abwehr und zur Folgenbeseitigung ungerechtfertigter Veröffentlichungen als Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot und gegen das Rechtsstaatsprinzip gewertet hatte.18

[9]

Die FMA hat von der Möglichkeit des naming and shaming bei kapitalmarktrechtlichen Verstößen vergleichsweise spärlich Gebrauch gemacht.19 Dies mag nicht zuletzt darin begründet sein, dass die Veröffentlichung von Verstößen gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften und die damit in Zusammenhang stehende Veröffentlichung von Sanktionen von Teilen der Literatur äußerst kritisch gesehen wird. Trotz Anfügung eines (Teil-)Absatzes sei es «nach wie vor problematisch», wenn eine Veröffentlichung erfolgt, ohne dass der Betroffene zuvor angehört wird oder die Möglichkeit hat, die Veröffentlichung durch einen Rechtsbehelf zu verhindern bzw. zeitlich aufzuschieben.20 Auch in Deutschland war die Behördenpraxis – obwohl gemäß § 40b WpHG a.F. dort nur unanfechtbare Maßnahmen bzw. rechtskräftige Entscheidungen veröffentlicht werden konnten – ähnlich zurückhaltend.21

3.

Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ^

[10]

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Europäische Kommission im Dezember 2010 eine Mitteilung zur Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor herausgegeben.22 In dieser Mitteilung bezweifelte die Europäische Kommission, dass Finanzmarktvorschriften bislang stets eingehalten und ordnungsgemäß angewandt worden seien. Die zum 1. Jänner 2011 neu geschaffenen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden sollen in Zukunft für die Einhaltung und für eine EU-weite Anwendung der Finanzmarktvorschriften sorgen. Strengere Sanktionsregelungen seien erforderlich, um der Gefahr unzureichend funktionierender Finanzmärkte vorzubeugen. Neben angemessenen Verwaltungssanktionen bei Verstößen gegen zentrale Bestimmungen und der Einführung strafrechtlicher Sanktionen für schwerste Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Bestimmungen wurde die öffentliche Bekanntmachung von Sanktionen propagiert. Die zuständigen Finanzmarktaufsichtsbehörden sollen «dazu verpflichtet werden, Sanktionen grundsätzlich publik zu machen.»23

[11]

Der Europäische Gesetzgeber ist diesem Ansatz der Kommission gefolgt; neuere Rechtsetzungsakte sehen eine verpflichtende Veröffentlichung bestimmter Verstöße und der damit in Zusammenhang stehenden Verhängung von Sanktionen vor (z.B. Art. 29 der Transparenz-Richtlinie neu, Art. 71 der MiFID-II-Richtlinie). Zudem haben z.T. Verordnungen Richtlinien abgelöst: Art. 34 der Marktmissbrauchsverordnung (VO (EU) Nr. 596/2014) sowie Art. 42 der Prospektverordnung (VO (EU) 2017/1129) sehen anders als die entsprechenden Bestimmungen in den Vorgängerrichtlinien eine verpflichtende Veröffentlichung – selbst vor Rechtskraft der Entscheidung – vor.

4.

Conclusio ^

[12]
Die FMA muss bestimmte Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften und die damit in Zusammenhang stehende Sanktionsverhängung nunmehr grundsätzlich veröffentlichen, während sie früher dies konnte.
[13]
Die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite der FMA (www.fma.gv.at/). Ein Absehen von der Veröffentlichung ist bloß in einigen wenigen Fällen möglich. Dies ist insoweit problematisch als eine Internetveröffentlichung wie ein moderner Pranger wirkt bzw. wirken kann.
[14]
Der Europäische Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der hier in Frage stehenden Bestimmungen möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen. Auch eine Vereinbarkeit der Bestimmungen mit der Europäischen Grundrechtscharta ist nicht zweifelsfrei gegeben.

5.

Literatur ^

Burgard, Ulrich/Heimann, Carsten, Beteiligungspublizität nach dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, WM 2015, S. 1445–1453.

Gruber, Michael, Europäisches Kapitalmarktrecht – Stand und Entwicklungstendenzen, ZFR 2006, S. 62–68.

Gruber, Michael/Raschauer, Nikolaus (Hrsg.), Wertpapieraufsichtsgesetz – Kommentar, Wien: LexisNexis, Onlineaktualisierung 1.01 (Dezember 2011).

Heidinger, Markus, Kritisches zum Sanktionensystem der börserechtlichen Transparenzvorschriften (Teil II), ZFR 2016, S. 159–162.

Iseli, Thomas, Veröffentlichung von Verfügungen durch die FINMA, in: Jusletter 17. Oktober 2011, S. 1–6.

Kalss, Susanne/Oelkers, Janine, Öffentliche Bekanntgabe – ein wirksames Aufsichtsinstrument im Kapitalmarktrecht? In: ÖBA 2009, S. 123–143.

Kalss, Susanne/Oppitz, Martin/Zollner, Johannes, Kapitalmarktrecht – System, 2. Auflage, Wien: Linde, 2015.

Nartowska, urszula/Knierbein, Michael, Ausgewählte Aspekte des «Naming and Shaming» nach § 40c WpHG, NZG 2016, S. 256–261.

Raschauer, Nikolaus, Investorenwarnungen im Finanzmarktaufsichtsrecht. Ausgewählte Überlegungen zu Zweck und Problematik behördlicher Warnmeldungen, ÖZW 2008, S. 95–102.

Schmieszek, Hans-Peter/Langner, Olaf, Der Pranger: Instrument moderner Finanz- und Wirtschaftsregulierung? In: WM 2014, S. 1893–1901.

Thaler, Christian, Sanktionen bei Marktmissbrauch, Wien: Manz, 2014.

Veil, Rüdiger, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014.

Vervessos, Nikolaos A., Das naming and shaming als Sanktion gegen kapitalmarktrechtliches Fehlverhalten, in: Hopt, Klaus A./Tzouganatos, Dimitris (Hrsg.), Das Europäische Wirtschaftsrecht vor neuen Herausforderungen. Beiträge aus Deutschland und Griechenland, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014, S. 149–180.

Watter, Rolf/Kägi, Urs, Öffentliche Informationen über Verfahren und Entscheide in der Finanzmarktaufsicht – zwischen Transparenz und Pranger, AJP/PJA 2005, S. 39–52.

Wendt, Domenik Henning, «Naming and Shaming» im Privatversicherungsrecht, VersR 2016, S. 1277–1283.

  1. 1 In diesem Sinne Vervessos 2014, S. 151.
  2. 2 Vgl. Veil 2014, § 12 Rz 1.
  3. 3 Vgl. Thaler 2014, S. 101.
  4. 4 So Raschauer 2008, S. 95, unter Bezugnahme auf VfGH 15. März 2007, G 138/06, VfSlg. 18.110, wo es aber um die Veröffentlichung von Ergebnissen einer Werbebeobachtung durch die KommAustria, also um keine kapitalmarktrechtliche Angelegenheit ging.
  5. 5 Watter/Kägi 2005, S. 45.
  6. 6 Dazu Kalss/Oelkers 2009, S. 129; ebenso Thaler 2014, S. 101.
  7. 7 So Iseli 2011, S. 5.
  8. 8 Vgl. Schmieszek/Langner 2014, S. 1898.
  9. 9 Vgl. Heidinger 2016, S. 162.
  10. 10 Vgl. Szücs/Szücs 2017, S. 663 ff.
  11. 11 Kalss/Oppitz/Zollner 2015, § 2 Rz 143.
  12. 12 Vgl. Wendt 2016, S. 1277.
  13. 13 Nartowska/Knierbein 2016, S. 256.
  14. 14 Zu den Richtliniengenerationen im europäischen Kapitalmarktrecht insb. Gruber 2006, S. 62 ff.
  15. 15 Vgl. Kalss/Oelkers 2009, S. 126.
  16. 16 § 48q Abs. 4 BörseG trat am 1. Januar 2005 in Kraft.
  17. 17 VfGH 12. März 2009, G 164/08, VfSlg. 18.747.
  18. 18 Zu § 48q Abs. 4 BörseG funktional gleichgelagerte kapitalmarktrechtliche Bestimmungen fanden bzw. finden sich in § 86 Abs. 6 Z. 7 BörseG, § 16a KMG, § 92 Abs. 6 WAG 2007 sowie in § 22c FMABG. Diese Bestimmungen traten allesamt erst nach dem 1. Januar 2005 in Kraft, sodass das Hauptaugenmerk hier auf § 48q BörseG liegen soll. Die Anfügung eines neuen (Teil-)Absatzes in Reaktion auf das VfGH-Erkenntnis erfolgte gleichwohl zuerst im WAG 2007 und zwar zeitgleich mit der Änderung des Bankwesengesetzes, also noch im Jahr 2009.
  19. 19 Dazu Thaler 2014, S. 113 f.
  20. 20 So zum WAG 2007 Raschauer in Gruber/N. Raschauer 2011, § 94 WAG Rz 41.
  21. 21 Siehe Burgard/Heimann 2015, S. 1452 f.
  22. 22 Veröffentlicht als KOM(2010) 716 endg.
  23. 23 Europäische Kommission, «Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor», KOM(2010) 716 endg., S. 13, ohne Hervorhebung im Original.