1.
Einleitung ^
Soziale Medien haben in die Kapitalmarktkommunikation längst Eingang gefunden. Insbesondere Twitter wird zur raschen Verbreitung kapitalmarktrelevanter Informationen genutzt. Die Finanzmarktaufsicht in Österreich, kurz: FMA, sieht in Twitter «die schnellste Nachrichtenagentur der Welt».1 Die FMA selbst nutzt Twitter unter dem Profilnamen @FMA_AT bzw. der Adresse https://twitter.com/FMA_AT seit Mai 2017. Auch von Unternehmensseite rückt der Einsatz Sozialer Medien und damit von Twitter in den Vordergrund.2 Die Nutzung von Twitter durch Unternehmen, die den Kapitalmarkt nutzen, ist nicht unproblematisch, besser gesagt: deren Twitter-Nutzung erfordert die Einhaltung bestimmter Regeln. Da einzelne Anleger(gruppen) gegenüber anderen bei der erstmaligen Veröffentlichung von kursrelevanten Informationen nicht benachteiligt werden dürfen, hat der Europäische Gesetzgeber für die erstmalige Veröffentlichung kursrelevanter Informationen ein spezifisches Veröffentlichungsregime vorgesehen.
2.
Twitter-Nutzung – empirische Erhebung ^
Die Autoren dieses Beitrags haben in der Kalenderwoche 1 des Jahres 2018 die Internetseiten der an der Wiener Börse notierenden österreichischen Aktiengesellschaften untersucht. Dies deshalb, da die Unternehmenshomepage die zentrale Plattform für kapitalmarktrelevante Informationen ist3 und die Vermutung besteht, dass von der Unternehmenshomepage zu den genutzten Sozialen Medien verlinkt wird.4 Darüber hinaus haben die Autoren mit Hilfe von Google nach einer entsprechenden Nutzung der Sozialen Medien gesucht.
Dabei hat sich gezeigt, dass Soziale Medien von den börsenotierten österreichischen Aktiengesellschaften aktuell noch sehr unterschiedlich genutzt werden, auch und insbesondere was die Nutzung zum Zwecke der Kapitalmarktinformation anbelangt. Insofern ähnelt die Situation jener vor zehn bis 15 Jahren, als es um die Zurverfügungstellung von Kapitalmarktinformationen auf der Unternehmenshompage ging.5 Während einzelne börsenotierte Unternehmen bereits mehrere Soziale Medien (Twitter, Facebook, Youtube, etc.) gleichzeitig, aufeinander abgestimmt und intensiv nutzen6, haben andere börsenotierte Aktiengesellschaften die Sozialen Medien zum Zweck der Kapitalmarktinformation noch nicht entdeckt.7 Eine Verlinkung von der Unternehmenshomepage zu den jeweils genutzten Sozialen Medien erfolgt keineswegs durchgängig.8
Nicht alle börsenotierte österreichische Aktiengesellschaften, die Soziale Medien nutzen, nutzen auch Twitter.9 Zudem wird nicht jeder Twitter-Account zum Zwecke der Kapitalmarktinformation herangezogen. Auch sind Unterschiede in der Twitter-Nutzung zwischen Unternehmen, deren Aktien im sog. Prime Market der Wiener Börse gehandelt werden, und Unternehmen, deren Aktien in niedrigeren Marktsegmenten gehandelt werden, festzustellen.10 Neben der Twitter-Nutzung durch das Unternehmen erfolgt in Österreich in erst wenigen Fällen eine weitere, eigenständige Nutzung dieses Sozialen Mediums durch Vorstandsmitglieder mit eigenen Accounts.11 Die Wiener Börse stellt zu den an ihr gehandelten Aktien nicht nur Preisdaten im Internet zur Verfügung, sondern auch Informationen über die Unternehmen. Seit kurzem gibt es im Bereich «News» neben den Rubriken «APA-News» und «Ad-hoc-News» eine Rubrik «Twitter», wo Tweets eingestellt werden können.12
3.
Europäisches Veröffentlichungsregime für kapitalmarktrelevante Informationen ^
Das Kapitalmarktrecht ist stark europarechtlich präformiert. Für Anlegerentscheidungen spielen Informationen eine wesentliche Rolle. Die erstmalige Veröffentlichung kursrelevanter Informationen darf einzelne Anleger(gruppen) gegenüber anderen Anleger(gruppen) nicht ungerechtfertigter Weise benachteiligen.13 Eine «informationelle Gleichbehandlung»14 soll sichergestellt werden. Der Europäische Gesetzgeber hat sohin für die Erstveröffentlichung kursrelevanter Informationen ein spezifisches Veröffentlichungsregime vorgesehen.
Dieses Veröffentlichungsregime hatte über Jahre hinweg ihr Fundament in der Marktmissbrauchsrichtlinie (RL 2003/6/EG) und in der Transparenzrichtlinie (RL 2004/109/EG).15 Durch unverzügliche und angemessene öffentliche Bekanntgabe von kursrelevanten Informationen werde die Marktintegrität gefördert. Eine selektive Weitergabe von Informationen könne hingegen dazu führen, dass das Vertrauen der Anleger in den Markt schwindet.16 Nach Art. 6 der Marktmissbrauchsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass kursrelevante Informationen sobald als möglich der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Näheres sei durch Durchführungsrichtlinie zu regeln.17 Die später erlassene Transparenzrichtlinie sah in Art. 21 Abs. 1 vor, dass kapitalmarktrelevante Informationen grundsätzlich über Medien (Plural!) zu veröffentlichen sind, von denen vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen an die Öffentlichkeit in der gesamten Gemeinschaft weiterleiten.18 Eine Einstellung der Informationen allein auf der Unternehmenshomepage reichte hierfür nicht. Soziale Medien wie Twitter waren dem Europäischen Gesetzgeber Anfang/Mitte der 2000er Jahre noch unbekannt. Daneben sah Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass die Informationen einem amtlich bestellten System zugeleitet werden.19
Mit der neuen Transparenzrichtlinie20 und der neuen Marktmissbrauchsverordnung21 wurde das Veröffentlichungsregime im Wesentlichen unverändert gelassen. Art. 21 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie wurde nicht geändert. Die einschlägige Bestimmung in der Marktmissbrauchsverordnung findet sich in Art. 17. Dort heißt es, dass die Informationen in einer Art und Weise zu veröffentlichen sind, die es der Öffentlichkeit ermöglicht, «schnell auf sie zuzugreifen […] und sie vollständig, korrekt und rechtzeitig zu bewerten.» Diese Formulierung würde den Einsatz von Twitter zum Zwecke der Erstveröffentlichung kursrelevanter Informationen nicht ausschließen. Jedoch hat sich die zum 1. Jänner 2011 neu geschaffene Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA in ihrem Final Report für den Entwurf der Technischen Standards zur Marktmissbrauchsverordnung22 zur Stellung Sozialer Medien im kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungsregime wie folgt geäußert:
«ESMA considers that […] a disclosure of the information […] via other ways of publication, such as issuer's website, and mobile or web based social media (e.g. blogs, social network site), with no communication to the media would not meet the requirements of proper dissemination of inside information, and thus of appropriate public disclosure.»23
Damit haben Soziale Medien nach der Auffassung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA im Regime für die Erstveröffentlichung kursrelevanter Informationen gegenwärtig keinen besonderen Platz. Dies bedeutet, dass kursrelevante Informationen der Öffentlichkeit nicht vorab über Twitter mitgeteilt werden dürfen. Sind die Informationen aber schon veröffentlicht, dann darf «gezwitschert» werden. Auch dürfen Informationen ohne Kursrelevanz grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt – und damit auch als Erstes – über Soziale Medien wie Twitter in die Öffentlichkeit getragen werden.24 Ebenso ist es erlaubt, auf Twitter neutral auf eine bevorstehende Veröffentlichung kursrelevanter Informationen hinzuweisen.25
4.
Veröffentlichungsregime für kapitalmarktrelevante Informationen in Österreich ^
Die nationalen Rechtsgrundlagen für die Erstveröffentlichung kapitalmarktrelevanter Informationen finden sich in Österreich im Börsegesetz, kurz: BörseG, sowie in der Veröffentlichungs- und Meldeverordnung der FMA, kurz: VMV. Beide Rechtsgrundlagen wurden mit 3. Januar 2018 geändert und tragen seither den Beisatz «2018».26 Nach § 119 Abs. 7 BörseG 2018 (vormals: § 82 Abs. 8 BörseG) haben kursrelevante Informationen zunächst über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem veröffentlicht zu werden, welches zumindest innerhalb der Europäischen Union verbreitet ist. Nach § 2 Abs. 2 VMV 2018 hat diese Veröffentlichung jedenfalls über Thomson Reuters, Bloomberg oder Dow Jones Newswire zu geschehen.27
5.
Conclusio ^
Die Nutzung von Twitter zum Zwecke der Kapitalmarktinformation nimmt stetig zu. Für die Erstveröffentlichung kursrelevanter Informationen ist dieses Soziale Medium gegenwärtig nicht vorgesehen.
6.
Literatur ^
Heindl, Gisela, Das geplante europäische elektronische Zugangsportal zur Vernetzung der amtlich bestellten Systeme nach der revidierten Transparenzrichtlinie, in: Schweighofer, Erich (Hrsg.), Netzwerke. Tagungsband des 19. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2016, Wien: OCG, 2016, S. 619–624.
Kalss, Susanne/Oppitz, Martin/Zollner, Johannes, Kapitalmarktrecht – System, 2. Auflage, Wien: Linde, 2015.
Klöhn, Lars/Bartmann, Niklas, Kapitalmarktkommunikation über soziale Medien. Verbreitung, ökonomischer Hintergrund und Rechtsrahmen in Deutschland, AG 2014, S. 737–748.
Kovarova-Simecek, Monika, Die IR-Website – A Window of Opportunity. Eine Analyse des IR-Webauftritts österreichischer börsenotierter Unternehmen, CFOaktuell 2017, S. 240–248.
Mayer-Uellner, Richard, Kapitalmarktrechtliche Unternehmenspublizität über soziale Medien, NZG 2013, S. 1052–1055.
Pietzcker, Dominik/Ennenbach, Simone/Lorenz, Lara, Der twitternde Vorstand, in: Stumpf, Marcus (Hrsg.), Kommunikation und Digitalisierung, Wiesbaden: VS Verlag, 2018, im Erscheinen.
Temmel, Christian (Hrsg.), Börsegesetz – Praxiskommentar, Wien: LexisNexis, 2011.
Szücs, Christian, Das Internet als Instrument der Finanzinformation, in: Schweighofer, Erich et al. (Hrsg.), e-Staat und e-Wirtschaft aus rechtlicher Sicht. Tagungsband des 9. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2006, Stuttgart u.a.: Boorberg, 2006, S. 377–382.
Szücs, Stefan/Szücs, Christian, Von vor 20 Jahren bis heute: Internet und Kapitalmarktrecht, in: Schweighofer, Erich et al. (Hrsg.), Trends und Communities in der Rechtsinformatik. Tagungsband des 20. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2017, Wien: öcg, 2017, S. 663–670.
- 1 Die FMA übernimmt hier eine vorgefundene Begrifflichkeit (https://www.fma.gv.at/fma-startet-unter-fma_at-eigenen-nachrichtenkanal-auf-twitter/; alle Websiten zuletzt abgerufen am 2. Januar 2018). Peter Sempelmann, damals Leiter Digitale Medien bei der Zeitung Wirtschaftsblatt und heute Leiter der Online-Redaktion beim Wirtschaftsmagazin trend, hat diese Worte schon im Jahr 2012 gebraucht (vgl. http://derstandard.at/1338558506232/PR-Tag-2012-Twitter-ist-die-schnellste-Nachrichtenagentur-der-Welt).
- 2 Vgl. Kovarova-Simecek 2017, S. 246.
- 3 Dazu Szücs/Szücs 2017, S. 664.
- 4 In diesem Sinne Kovarova-Simecek 2017, S. 245.
- 5 Dazu Szücs 2006, S. 377 ff.
- 6 Zu dieser Kategorie von Unternehmen zählen u.a. CA Immo AG, voestalpine AG und Wienerberger AG. Alle drei Unternehmen führen schon auf ihrer Einstiegsseite die von ihnen genutzten Sozialen Medien mit Symbol auf. Durch Anklicken des Symbols gelangt man zum jeweiligen Bereich in den Sozialen Medien. Bei der Wienerberger AG gibt es überdies noch eine Kurzübersicht über die genutzten Sozialen Medien auf deren Internetseiten (https://www.wienerberger.com/de/social-media-auftritt-der-wienerberger-gruppe.html). Eine solche Kurzübersicht findet sich auch auf den Internetseiten der OMV AG, welche jedoch auf ihrer Einstiegsseite lediglich die Symbole für Facebook und Youtube aufführt, obgleich viel mehr Kanäle – u.a. auch Twitter – bespielt werden (siehe http://www.omv.com/portal/01/com/socialmedia).
- 7 Kovarova-Simecek 2017, S. 245, spricht davon, dass knapp die Hälfte der österreichischen börsenotierten Unternehmen Soziale Medien als Kommunikationsplattform noch nicht nutzen.
- 8 Damit wurde die oben geäußerte Vermutung nicht bzw. nur zum Teil bestätigt.
- 9 Einzelne Unternehmen haben ihren Twitter-Account sogar wieder ruhend gestellt, schicken folglich keine Meldungen mehr aus (z.B. @STRABAG_SE – 25. Februar 2011: «This is our last tweet for the time beeing. For up-to-date information on STRABAG visit www.strabag.com») oder haben zwar einen Twitter-Account, haben diesen jedoch bislang nicht genutzt (z.B. AGRANA Beteiligungs-AG).
- 10 Der Prime Market ist das oberste Marktsegment der Wiener Börse, für welches spezielle Anforderungen gelten. Je «höher» das Marktsegment, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der Nutzung von Twitter zum Zwecke der Kapitalmarktinformation.
- 11 Zur diesbezüglichen Situation in Deutschland siehe Pietzcker/Ennenbach/Lorenz 2018, im Erscheinen.
- 12 Die Rubrik gibt es seit 21. Dezember 2017 (e-mail der Wiener Börse AG vom 8. Januar 2018 an den Erstautor). Bei denjenigen börsenotierten Aktiengesellschaften, die Twitter nicht nutzen, fehlt diese Rubrik.
- 13 In diesem Sinne, wenn auch mit einer etwas anderen Wortwahl Mayer-Uellner 2013, S. 1052.
- 14 Kalss/Oppitz/Zollner 2015, § 16 Rz 4.
- 15 Die beiden Richtlinien waren aufeinander abgestimmt; gleiches galt für die Änderungen dieser Richtlinien.
- 16 So Erwägungsgrund 24 der Marktmissbrauchsrichtlinie.
- 17 Erfolgt mit Art. 2 der RL 2003/124/EG.
- 18 Das Europarecht ist von der Vorstellung getragen, dass Gelder nicht mehr rein national angelegt werden, sondern über Landesgrenzen hinweg. Auch wenn dies in der Realität nicht für jeden Anleger zutreffen mag, so soll ein Anleger, der in einem anderen Mitgliedstaat investiert, keiner Diskriminierung unterliegen – auch nicht, was den Zugang zu Informationen anbelangt.
- 19 Siehe dazu Heindl 2016, S. 619 ff.
- 20 RL 2004/109/EG i.d.F. RL 2013/50/EU.
- 21 VO (EU) Nr. 596/2014.
- 22 ESMA, Final Report – Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, ESMA/2015/1455 (abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2015-esma-1455_-_final_report_mar_ts.pdf).
- 23 Ebendort, Pkt. 188, S. 44 (ohne Hervorhebung im Original).
- 24 In diesem Sinne schon Klöhn/Bartmann 2014, S. 747.
- 25 Nicht erlaubt wäre bspw. «Morgen kommt Rekordgewinn!»
- 26 Bei der VMV wurde zudem der Langtitel von «Veröffentlichungs- und Meldeverordnung» auf «Verbreitungs- und Meldeverordnung» umgestellt.
- 27 Welches der drei Informationsverbreitungssysteme ein Unternehmen wählt, ist diesem überlassen (vgl. Lechner/Temmel 2011, § 48d BörseG Rz 43, noch zur Vorgängerbestimmung § 11 Abs. 2 VMV).