Jusletter IT

Die Digitale Transformation einer Kreisverwaltung: Erfahrungen aus dem Kreis Bergstrasse

  • Authors: Stefanie Köhl / Gert Lefèvre / Petra Steffens / Thomas Wieland
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government, E-Justice
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2019
  • Citation: Stefanie Köhl / Gert Lefèvre / Petra Steffens / Thomas Wieland, Die Digitale Transformation einer Kreisverwaltung: Erfahrungen aus dem Kreis Bergstrasse, in: Jusletter IT 21. February 2019
Im Jahr 2015 hat der Landkreis Bergstraße eine auf fünf Jahre ausgelegte eGovernment-Strategie und Roadmap beschlossen. Zur Halbzeit wurden im Rahmen einer Evaluation der Umsetzungsstand geprüft und die Erfahrungen reflektiert, um die weiteren Digitalisierungsschritte zu planen und ggf. Anpassungen im Vorgehen vorzunehmen. Dabei kristallisierten sich vor allem drei Themenfelder für künftige Optimierungsmaßnahmen heraus: Projekt- und Veränderungsmanagement, Zusammenspiel von IT und Arbeitsorganisation sowie Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch. In diesem Beitrag wird dargelegt, welche Erkenntnisse gewonnen wurden und welche Maßnahmen daraus abgeleitet wurden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. eGovernment im Landkreis Bergstraße
  • 2. Evaluation der eGovernment-Strategie und Roadmap
  • 3. Lessons learned für die digitale Transformation der Kreisverwaltung
  • 3.1. Projekt- und Veränderungsmanagement
  • 3.2. Zusammenspiel von IT und Arbeitsorganisation
  • 3.3. Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch
  • 3.4. Dynamische Digitalisierung in dezentraler Initiative – Ergebnis eines agilen Roll-out
  • 4. Zusammenfassung und Ausblick

1.

eGovernment im Landkreis Bergstraße ^

[1]

Der Landkreis Bergstraße im südlichen Teil des Bundeslands Hessen gehört mit der Metropolregion Rhein-Main und der Metropolregion Rhein-Neckar gleich zwei wirtschaftsstarken europäischen Metropolregionen an. Für die Unternehmen, aber auch für deren Beschäftigte, stellen der einfache Zugang zur Verwaltung und durchgängige digitale Verwaltungsleistungen über föderale Grenzen hinweg einen wichtigen Standortfaktor dar.

[2]

Um die hierfür erforderlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozesse systematisch und abteilungsübergreifend auf den Weg zu bringen, hat die Behördenleitung des Landkreises Bergstraße im vierten Quartal 2014 die «Stabsstelle eGovernment» eingerichtet. Ihre Aufgabe ist die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses, Prozesse der Leistungserstellung zu digitalisieren und die Transformation hin zu einer modernen Verwaltung einzuleiten. Zur wissenschaftlichen Begleitung des eGovernment-Strategieprozesses wurde das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS eingebunden.

[3]

Der Strategieprozess resultierte in einer auf fünf Jahre ausgelegten Grundsatzplanung im Sinne eines Masterplans und einer Durchführungsplanung im Sinne einer Roadmap. Der Masterplan beinhaltete Themen-Cluster, aus denen einzelne Projekte entwickelt wurden, die sowohl Leuchtturmprojekte als auch Quick-Win-Projekte umfassen. Zum Aufbau der notwendigen eGovernment-Infrastruktur sowie zur Durchführung fachlicher Projekte und begleitender Maßnahmen sah die Roadmap verschiedene Handlungsfelder vor, welche die Ebenen Strategie, Fachlichkeit aus Sicht von Organisation und Technologie, Infrastruktur sowie Projekt- und Change-Management abbilden. Die Roadmap wurde nach dem sog. «Gegenstromverfahren» erstellt, einem Vorgehensmodell, das die strategische Sicht der Kreisleitung und die operative Sicht der Fachabteilungen, der Querschnittsfunktionen und aller Interessenvertreter (z.B. Personalrat, Datenschutz, etc.) in einem Gesamtkonzept verband und sich somit auf einen breiten Konsens von Fach- und Leitungsebene stützen konnte1. Sie legte die zeitliche Abfolge der priorisierten Einzelprojekte fest. Auf Grundlage der Roadmap wurden konkrete Projektsteckbriefe entwickelt und mit der Umsetzung der einzelnen Maßnahmen begonnen.

[4]

Der strategische Ansatz sah von Beginn an vor, die internen Prozesse der Leistungserstellung in den Fokus zu stellen, weshalb die Umsetzung der elektronischen Akte mit Workflow- und Beteiligungsprozessen im Sinne eines Enterprise-Content-Management-Systems als Nukleus der Digitalisierungsstrategie prioritär vorangetrieben wurde. Neben der Einführung der eAkte in ersten Bereichen des Landkreises wurden zahlreiche weitere Vorhaben des Masterplans projektiert und in den Jahren 2015 bis 2018 bereits umgesetzt, so insbesondere digitale Genehmigungs- und Freigabeverfahren, ein digitales Posteingangs- und -ausgangsmanagement, ein komplexes Verfahren zum elektronischen Versand von Postzustellungsaufträgen sowie der elektronische Rücklauf von Zustellungsurkunden.

2.

Evaluation der eGovernment-Strategie und Roadmap ^

[5]

Zur Halbzeit der Strategie- und Roadmap-Umsetzung wurde der Status Quo untersucht, um die weitere Umsetzung zu planen und ggf. Anpassungen im Vorgehen vorzunehmen. Hierzu wurde ein externes Evaluationsteam mit Experten der eGovernment Consulting and Development GmbH, des SHI Stein-Hardenberg Instituts und des Fraunhofer-Instituts FOKUS beauftragt. Wie bereits bei der Definition der eGovernment-Strategie im Jahr 2015 wurde auch bei der Evaluation und der Fortschreibung im bewährten Gegenstromverfahren vorgegangen.

  • In einem Fokusgruppen-Workshop2 wurde vorrangig die Sicht der Fachebene, die bereits in eGovernment-Projekte involviert war, erhoben.
  • Anschließend an den Fokusgruppen-Workshop wurden zwei Befragungen durchgeführt: a) mit Abteilungs- und Eigenbetriebsleitungen, um den weiteren Roll-Out des Projekts eAkte zu planen, und b) mit IT-Beauftragten der dezentralen Organisationseinheiten, um deren Sicht auf den bisherigen Umsetzungsstand einzuholen.
  • In einem abschließenden Strategieworkshop mit der Leitungsebene wurden die Erfahrungen der bisherigen Umsetzung in einer Gesamtschau reflektiert und «lessons learned» identifiziert.
[6]

Auf Basis der Erkenntnisse der drei Phasen des Evaluationsprozesses wurden Aktionsbereiche bestimmt und konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die eine weitere erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierungsstrategie des Kreises Bergstraße unterstützen sollten.

3.

Lessons learned für die digitale Transformation der Kreisverwaltung ^

[7]

Im Rahmen der Evaluation kristallisierten sich vor allem drei Themenfelder heraus, in denen Lernerfahrungen gesammelt wurden und die projektübergreifend die Notwendigkeit für Optimierungsmaßnahmen erkennen ließen. Die identifizierten Themenfelder betrafen das Projekt- und Veränderungsmanagement, das Zusammenspiel von IT und Arbeitsorganisation sowie das Wissensmanagement. Aus den in diesen Bereichen gewonnenen Erfahrungen wurden bereits erste Maßnahmen abgeleitet und initiiert. Diese werden im Folgenden kurz beschrieben.

3.1.

Projekt- und Veränderungsmanagement ^

[8]

Modernisierungsvorhaben durchlaufen weitgehend stereotype Phasen. Die von den Veränderungsprozessen betroffenen Rollen, Querschnittsorganisationen und Interessenvertretungen sind dabei in hohem Maße identisch. Die Definition eines Standardvorgehens, z.B. in Form einer behördeninternen Rahmen-Modernisierungsvereinbarung, ermöglicht es, das Einführungs- und Umsetzungsmanagement durch ein «Change-Modell» zu flankieren. Ziel dabei ist es, die Steuerung und Kommunikation der Veränderungsprozesse sowie die Qualifizierung der Mitarbeitenden durch ein mit allen relevanten Akteuren abgestimmtes Vorgehensmodell zu unterstützen und so die Akzeptanz innerhalb der Behörde zu fördern. Insbesondere die Wahrnehmung der gesetzlich geregelten Beteiligungsrechte des Personalrats wird so auch in einem agilen Projektumfeld trotz enger personeller Ressourcen der Personalvertreter sichergestellt.

[9]

Zur Abstützung der eGovernment-Umsetzung wurde in Kreis Bergstraße eine Modernisierungsvereinbarung zwischen den eGovernment-Verantwortlichen, der Behördenleitung und dem Personalrat geschlossen. Diese besteht aus drei aufeinander bezogenen Bestandteilen: einem Regelungstext, einem generischen Prozessteil und einem spezifischen Rahmenprojektplan für die Umsetzung der Modernisierungsvorhaben. Alle drei Bestandteile beziehen sich auf identische und eindeutig referenzierbare Objekte, so dass die Arbeitspakete des Projektplans je nach Kontext und Zielgruppe in einer geeigneten Sicht unter Bezug auf dieselben Objekte dargestellt werden können.

[10]

Der Regelungstext besteht aus einem beschreibenden Teil, in dem u.a. Grundsätze zum Projektmanagement, zur Beteiligung der Mitarbeitenden, zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Barrierefreiheit, zu Qualifizierung und Schulungen, etc. niedergeschrieben sind. Im Prozessteil ist ein generisches Vorgehensmodell für die Projektumsetzung dargelegt; dieses ermöglicht einen schnellen Überblick über die Abfolge der Arbeitspakete und die involvierten Stakeholder. Jede Passage des Regelungstexts ist mit einem eigenen generischen Teilprozess hinterlegt.

[11]

Für die Planung der Digitalisierungsvorhaben in Kreis Bergstraße wurden alle Aktivitäten («To-Dos») der Prozesse in den Rahmenprojektplan übernommen und dort individuell ergänzt. Auf diese Weise konnte für jedes Modernisierungsvorhaben das gleiche Projekt-Template als Grundlage benutzt und auf dieser Basis ein individueller Projektplan erstellt werden. Der so entstandene Rahmenprojektplan verbesserte die frühzeitige Planbarkeit der Vorhaben, da die Aktivitäten zur Umsetzung bereits vor Projektstart transparent waren. Mit ihrem generischen Vorgehensmodell und dessen individueller Anpassung an konkrete Projektkontexte stellte die Rahmen-Modernisierungsvereinbarung somit sowohl eine regulatorische Grundlage als auch ein wichtiges Instrument für die effiziente und transparente Umsetzung der eGovernment-Roadmap und für das hierfür erforderliche Projektmanagement dar.

3.2.

Zusammenspiel von IT und Arbeitsorganisation ^

[12]

Modernisierungsvorhaben im Kontext der Digitalisierung der Verwaltung betreffen grundsätzlich alle Organisationseinheiten. Dabei besteht eine große Herausforderung darin, in einer von vorwiegend statischen Planungen geprägten Arbeitskultur Roll-Out-Prozesse an neu identifizierte Anforderungen anzupassen und agil zu implementieren.

[13]

Im Kontext der Umstellung auf medienbruchfreie Leistungserstellungsprozesse und der damit verbundenen Einführung eines verwaltungsweiten Dokumentenmanagementsystems wurde in Kreis Bergstraße ein Vorgehen konzipiert, das ein Gleichgewicht zwischen der Berücksichtigung individueller Anforderungen und der erwarteten Einführungsgeschwindigkeit herstellte. Um Anforderungsänderungen innerhalb eines knapp bemessenen Umsetzungszeitraums berücksichtigen zu können, hat der Kreis Bergstraße vor allem zwei Ansätze verfolgt: man hat sich zum einen für ein agiles Multi-Projektmanagement nach Prince23 entschieden; zum anderen wurden die Erfahrungen aus drei Pilotbereichen so standardisiert, dass bei aller Individualität subjektiver Anforderungen möglichst Standardszenarien zum Einsatz kamen, die in einem überschaubaren Zeitraum die produktive Nutzung verwaltungsweit ermöglichten.

[14]

So wurde für den Roll-Out des Dokumentenmanagementsystems (DMS) ein Korb von 60 Standardarbeitspaketen definiert. Für 21 Abteilungen wurden diese je nach den spezifischen Anforderungen für den DMS-Einsatz instanziiert und auf einer Zeitachse angeordnet. So entstanden abteilungsspezifische Projektpläne für die DMS-Einführung. Die Arbeitspakete der Projektpläne wurden entsprechend einer bereitgestellten Vorlage («Template») definiert, die den unterschiedlichen Projektleitungen eine einheitliche Struktur vorgaben.

[15]

In enger Zusammenarbeit mit dem DMS-Dienstleister wurde ein Rollenmodell definiert, das für die bei der Einführung eines DMS in einer Behörde anfallenden Aufgaben Verantwortlichkeiten (zentral, dezentral und extern) definierte und mit der Rollenstruktur des Dienstleisters korrespondierte. Bei der Projektorganisation wurde die fachliche Beteiligung von Anfang an vorgesehen, so dass die Produktivsetzung des DMS in den einzelnen Bereichen bereits fachlich vorbereitet und damit kein schwieriges Unterfangen mehr war. Der Roll-Out wurde von drei spezifisch ausgebildeten Projektmanagern verantwortet, die jeweils mehrere Roll-Out-Projekt parallel umsetzten. Die Anordnung der Projekte auf einer Zeitachse und deren Zuordnung zu den zentralen Projektmanagern wurde mit der Behördenleitung und den dezentralen Organisationseinheiten vereinbart.

[16]

Zur Umsetzung der Modernisierungsvereinbarung wurde die bereits existierende Zentrale Steuerungsgruppe zur Umsetzung der eGovernment-Roadmap in eine Strategische Steuerungsgruppe (SSG) und in eine Operative Steuerungsgruppe zur Begleitung der Pilotprojekte (OSG) unterteilt. Die SSG folgt einer Matrixorganisation, deren Arbeitsgrundlage die geschlossene Modernisierungsvereinbarung ist. Sie ist zuständig für den strategischen Rahmen der Verwaltungsmodernisierung mit IT. Die OSG arbeitet stärker projekt- und themenbezogen und übersetzt die strategischen Ziele in konkrete Projekte, die wiederum über das Strategische Steuerungsteam in die Roadmap integriert werden.

3.3.

Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch ^

[17]

Innovationsvorhaben leiden häufig daran, dass die Anforderungen zum Zeitpunkt einer Produktivsetzung der Lösung noch nicht vollständig bekannt sind bzw. sein können. Typisch für die Einführung von Innovationen ist auch, dass der Bedarf an prozessualen Veränderungen nicht bereits zu Projektbeginn deutlich ist, sondern sich erst im Zuge der Einführung konkretisiert. Erst wenn die Innovationen und Prozesse in der Linie ausgerollt werden, werden die zu implementierenden Sollprozesse deutlich. Unerlässlich sind daher Methoden für einen begleitenden Erkenntnisgewinn, ein iteratives Vorgehen und die Zerlegung komplexer Projekte in einzelne Phasen mit kritischer Würdigung der Inkremente jeder Phase hinsichtlich notweniger Anforderungsanpassungen bei den Phasenübergängen.

[18]

Durch den Start der DMS-Einführung in drei Pilotbereichen wurde in Kreis Bergstraße ein experimentelles Vorgehen realisiert. Dabei ging es weniger darum, den Funktionsumfang technischer Lösungen auszuloten, als vielmehr darum, die organisatorischen Wirkungen technischer Funktionen und Stellschrauben zu erproben. Sollprozesse entstehen nicht durch die Umsetzung eines technischen Konzepts, sondern durch den Transfer des technisch Machbaren zur Gestaltung medienbruchfreier ablauforganisatorischer Prozesse. Die dabei erzielbaren Erkenntnisse konstituieren ein zentrales Lernfeld für die Verwaltungsdigitalisierung.

[19]

Mit dem Abschluss der DMS-Pilotierung und der dabei gewonnenen Wissensbasis wandelte sich das weitere Vorgehen für den DMS-Roll-Out vom Experimentierstadium hin zu einer Anwendung von Szenarien. Diese Szenarien basierten auf dokumentiertem Wissen und den Erfahrungen der Projektleitungen (zentral und fachlich) sowie der Prozessverantwortlichen. Die Wissensbasis der DMS-Pilotierung und der stufenweise DMS-Roll-Out über mehrere Jahre folgten und folgen einem kaskadierenden Ausbau des Anwendungswissens. So stehen z.B. die dezentralen Prozessverantwortlichen abgeschlossener Projekte den weiteren Roll-Out-Projekten als Berater zur Seite. Die Projektmanager für den Roll-Out praktizieren die kollegiale Intervision als definiertes Vorgehen des Erfahrungsaustausches und der Wissensweitergabe. Zur Vorbereitung auf ihre Rolle als Projektmanager durchlaufen sie ein Curriculum, das fünf Bausteine (eGovernment-Strategie, Projektmanagement nach Prince2, ITIL, Prozessmanagement, Führung und Beratung im Projektmanagement) umfasst.

[20]

Auf der Grundlage der Austauschplattform EAGLE4 für den kommunalen Sektor ist Wissen nicht nur statisch vorgegebener Content, sondern Gegenstand eines kollaborativen Aufbaus und der gemeinschaftlichen Nutzung von Lernressourcen. Das in Kreis Bergstraße praktizierte Vorgehen zum graduellen Aufbau des Anwendungswissens und zum kontinuierlichen Austausch der Modernisierungserfahrungen kann durch EAGLE in einer auf Behördenbedarfe ausgerichteten Weise informationstechnisch unterstützt werden.

3.4.

Dynamische Digitalisierung in dezentraler Initiative – Ergebnis eines agilen Roll-out ^

[21]

Mit dem Abschluss der DMS-Pilotprojekte erfolgte die Übergabe der Lösungen an die Prozessverantwortlichen der Abteilungen. Die Verantwortung für die Umsetzung, die Nutzung und die Ergebnisse der digitalen Sollprozesse lag so nunmehr in einer Hand. Dabei zeigte sich, dass die Pilotprojekte digitales Denken gefördert hatten. Als besonders erfreulich ist zu werten, dass in Folge der Pilotprojekte dezentrale Initiativen zur weiteren Realisierung medienbruchfreier Leistungserstellungsprozesse entstanden, für die die Pilotprojekte wichtige Impulse geliefert hatten.

[22]

So hat die Sensibilisierung für die Umsetzungsmöglichkeiten digitaler End-to-End-Prozesse unter Einbezug der Leistungsempfänger – sowohl im Input- als auch im Output-Management – bereits innovative Lösungen hervorgebracht. So wurde der Kreis Bergstraße Pionier eines auf Seiten der Verwaltung durchgängig digitalen Ablaufprozesses für Postzustellungsurkunden mit automatisierter Ablage der Urkundenrückläufe in der zugehörigen digitalen Akte im DMS. Weiterhin entstand eine mit dem DMS gekoppelte Upload-Funktion für Antragsunterlagen über ein Antragsportal mit Zugang durch autorisierte Leistungsantragsteller; dieses erfreut sich beim Job Center einer regen Nachfrage. Besonders positiv zu werten ist, dass all diese Lösungen keinen proprietären Charakter haben, sondern im Zusammenspiel mit dem zentralen verwaltungsweiten DMS in unterschiedlichen fachlichen Prozessen zum Einsatz kommen können. Hier wurde, ausgelöst durch die Fachverantwortlichen, ein Beispiel für ein innovatives, modulares, service-orientiertes Prozessmanagement geschaffen.

4.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[23]

Der Kreis Bergstraße hat mit der eGovernment-Roadmap aus dem Jahr 2015 eine systematische und zugleich praxisorientierte Grundlage geschaffen, um Digitalisierung als strategisches Thema zu positionieren und inkrementell zu realisieren. Die eGovernment-Roadmap fungierte dabei als eine Navigationshilfe, um komplexe Projekte wie die Einführung eines DMS umzusetzen. Strategien und Roadmaps sind jedoch nicht statisch. Vielmehr unterliegen sie sich ändernden Rahmenbedingungen, sich ändernden Bedarfen und Anforderungen sowie dem technologischen Fortschritt und Erkenntnisgewinn. Aus diesem Grund wurde zur Umsetzungshalbzeit eine Evaluation beauftragt, mit dem Ziel, den Umsetzungsstand der Roadmap zu bestimmen, Erfahrungen und Feedback aller Ebenen zu erheben und die gemachten Erfahrungen kritisch zu reflektieren und zu bewerten. Insgesamt zeigten die Ergebnisse der Evaluation, dass der Umsetzungsstand weitgehend den Planungen der Roadmap entsprach. Es wurden aber auch deutlich Herausforderungen für den weiteren Digitalisierungsprozess und «lessons learned» erkennbar. Aufgrund der agilen Arbeitsweise des Kreises Bergstraße war es möglich, schon während der laufenden Evaluation auf das Feedback und die artikulierte Kritik zu reagieren und dringend erforderliche Maßnahmen unmittelbar umzusetzen. So konnte die Strategie so justiert werden, dass die organisatorischen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Multiprojektmanagement für die Digitalisierung gegeben waren. Der Roll-Out des DMS und die verwaltungsweite Nutzung medienbruchfreier (dokumentenbasierter) Prozesse sollen bis zum 31. Dezember 2022 abgeschlossen sein.

[24]

Der Kreis Bergstraße hat alle Voraussetzungen geschaffen, um die gesetzten Digitalisierungsziele zu erreichen. Er kann aufgrund seiner empirisch motivierten und strategisch reflektierten Vorgehensweise als Best Practice im kommunalen eGovernment angesehen werden.

Danksagung: Die Autoren danken Herrn Prof. Tino Schuppan, Professor für Public Management und eGovernment und wissenschaftlicher Direktor des SHI Stein-Hardenberg Instituts, für die wertvollen innovativen Impulse zur Umsetzung des in Kreis Bergstraße geplanten Modernisierungsprozesses.

  1. 1 Vgl. hierzu: Lefèfre/Martin/Steffens/Wieland, Landkreis Bergstrasse startet E-Government in Bestzeit. eGov Präsenz 1/2016 (S. 72–73).
  2. 2 In Fokusgruppen-Workshops diskutiert eine aufgrund einer Stakeholder-Analyse getroffene Auswahl an Personen auf Basis ihrer individuellen Erfahrungen über ein bestimmtes Thema. Dabei können aus der dynamischen Interaktion der Gruppenteilnehmer Erkenntnisse gewonnen werden, die aus Einzelinterviews nicht hervorgehen. Mittels Fokusgruppen können in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum qualitative Daten von mehr als einer Person gewonnen werden. Vgl. hierzu: Krueger/Casey, Focus Groups: A Practical Guide for Applied Research, 3rd ed., Sage Publications, Thousand Oaks (CA) 2000.
  3. 3 Prince2 (Projects in Controlled Environments) ist eine prozessorientierte und skalierbare Projektmanagementmethode. Sie bildet einen strukturierten Rahmen für Projekte und gibt den Mitgliedern des Projektmanagementteams anhand des Prozessmodells konkrete Handlungsempfehlungen für jede Projektphase. Vgl. Axelos, Erfolgreiche Projekte managen mit Prince2, The Stationary Office, Norwich (GB) 2017.
  4. 4 EAGLE – Enhanced Government Learning – ist eine integrierte Wissens- und Austauschplattform, speziell für Gemeinden im ländlichen Raum. Durch EAGLE wird der einfache und schnelle Zugang zu aufgabenrelevanten Informationen für die Durchführung von Kommunalaufgaben und den (informellen) Austausch, auch über kommunale Grenzen hinweg, erleichtert oder sogar erst ermöglicht. EAGLE hilft bei der stichwort- und aufgabenbezogenen Suche nach Inhalten (über Themen oder Wikis), den Austausch mittels Community-Funktionen wie Foren und Gruppen sowie das Erstellen und Verwalten eigener Inhalte. Dabei ist EAGLE für unterschiedlichste Anwendungskontexte einsetzbar, seien es alltägliche Verwaltungsaufgaben, Projektarbeit, Roll-Out von IT-Systemen, etc. Vgl. Schilling/Schmeling/Steffens, Wissensmanagement, situatives Lernen, Fortbildung in der ÖV – drei Sichten, ein Thema, in: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Trends und Communities der Rechtsinformatik: Tagungsband des 20. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2017, OCG Wien (S. 263–270).