Jusletter IT

Voraussetzungen und Chancen des «Internet Court» in Hangzhou/China – ein Modell?

  • Authors: Georg Gesk / Viola Schmid
  • Category: Articles
  • Region: Germany, China
  • Field of law: E-Government, E-Justice
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2019
  • Citation: Georg Gesk / Viola Schmid, Voraussetzungen und Chancen des «Internet Court» in Hangzhou/China – ein Modell?, in: Jusletter IT 21. February 2019
Seit 2015 wurde der «Internet Court» in Hangzhou aufgebaut. Basierend auf «experimenteller ‹Norm›setzung» entscheidet das Gericht in «online-Verhandlungen» über Rechtsbeziehungen und -akte, welche über das Internet zustande kommen, insbesondere Rechtsgeschäfte. Hierfür transformiert eine neutrale Institution analoge in digitale Beweismittel. Der Trend zur «totalen Digitalisierung» einer teilweise nach wie vor analogen Welt hat normative, institutionelle und organisatorische Voraussetzungen und Auswirkungen. Diese werden in einer Matrix dargestellt, kommentiert und evaluiert.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Institutionelle Vorarbeiten und-geschichte des ersten Internet Court
  • 2. Gründung und normative Grundlagen des Internet Court in Hangzhou/China – abstrakt
  • 2.1. Errichtung des ersten Internet Court
  • 2.2. Gerichtsverfassungs-, -verfahrens- und Prozessrecht – sui generis und «experimentelle Normgebung»
  • 2.3. Rechtliche und politische Verbindlichkeit von 2.2.
  • 3. (Normative) Grundlagen des Internet Court in Hangzhou/China – konkret
  • 3.1. Sachliche Zuständigkeit
  • 3.1.1. Status 18. September 2017
  • 3.1.2. Status jedenfalls 23. Dezember 2018
  • 3.2. Beweiserhebung und Beweiswürdigung
  • 3.2.1. (Elektronische) Beweismittel
  • 3.2.2. Transferprozesse für Beweismittel aus der Realworld in den Cyberspace
  • 3.3. Verhandlungen und Entscheidungen unter Einbeziehung von Maschinen/Robotern und Algorithmen
  • 4. (Öffentlichkeit der) Verhandlungen wie Entscheidungen?
  • 4.1. Entscheidungen
  • 4.2. Verhandlungen
  • 5. Ein Modell (für die VR China) – die Ausweitung des Modellversuchs auf Peking und Guangzhou
[1]
Der vorliegende Beitrag ist eine aktuelle1 und sektorspezifische («Internetjustiz») Analyse der Entwicklungen der E-Justiz in der Volksrepublik (VR) China in den Jahren 2015 ff.2 Der Koautor Georg Gesk ermöglicht als Professor für Chinesisches Recht den «orginalsprachlichen» Zugang zum chinesischem Rechtssystem und zeichnet insoweit für Recherche wie Inhalte verantwortlich. Die Koautorin Viola Schmid sucht diese Forschungen in eine globale Cyberlawagenda3 mit einem Element der Technikrechtsvergleichung – «E-Justiz der Vergangenheit und Zukunft» (Basics XIII) –4 zu integrieren wie nutzbar zu machen. Für diesen ersten gemeinsamen Beitrag wurde im Interesse der Übersichtlichkeit auf Vollständigkeit der chinesisch-sprachlichen Nachweise verzichtet und eine Auswahl in englischer Sprache nachvollziehbarer Quellen getroffen:

1.

Institutionelle Vorarbeiten und-geschichte des ersten Internet Court ^

[2]
Der erste «Internet Court» (eigene Übersetzung杭州互联网法院) der Volksrepublik (VR) China wurde am 18. August 2017 am «Eisenbahngericht» der Stadt Hangzhou eröffnet.5 Der Standort «Hangzhou» und die Denomination «Eisenbahngericht» erklären sich zum einen durch das dortige Digitalisierungs-Cluster6 und zum anderen durch die traditionell7 überregionale örtliche Zuständigkeit dieser chinesischen «Eisenbahngerichte».8 Sie schienen daher für Streitigkeiten im Bereich des E-Commerce, die oft schwer in örtlich-regionale Gerichtszuständigkeiten einzuordnen sind, geeignet.
[3]
In Hangzhou hatte man zudem mit E-Commerce-Verfahren bereits vor 2017 Erfahrungen gesammelt: Schon im Vorfeld der Verkündung der Initiative «Internet+» durch den Staatsrat9, hatte das Obervolksgericht Zhejiang am 27. April 2015 die Genehmigung zur Errichtung von «E-Commerce-Kammern» an mehreren Gerichten der Stadt Hangzhou erteilt.10 Folglich konnte die erste solche «Kammer» am 28. Mai 2015 ihre Arbeit aufnehmen.
[4]
Durch die Errichtung spezialisierter Kammern erhoffte man positive Auswirkungen auf den E-Commerce. Kläger11 sollten nicht durch lange Wege (örtlich und zeitlich) von der Einforderung ihrer Rechte abgehalten werden. Effektive und effiziente Rechtsschutzverfahren sollten zu einer qualitativen Verbesserung wie auch einer erhöhten Akzeptanz des internetbasierten Handels (E-Commerce) führen.

2.

Gründung und normative Grundlagen des Internet Court in Hangzhou/China – abstrakt ^

2.1.

Errichtung des ersten Internet Court ^

[5]
Da §§ 12 III, 15 Gerichtsverfassungsgesetz der VR China (中华人民共和国人民法院组织法)12 ausdrücklich die Einrichtung von Fachgerichten (专门法院) vorsehen, konnten auf dieser gesetzlichen Grundlage und mit direkter Anweisung aus obersten Parteigremien13 die E-Commerce Kammern zum 18. August 2017 in einen «Internet Court» transformiert werden.14 Diese Transformation erweiterte zum einen die Zuständigkeit des Internet Court im Vergleich zu den E-Commerce-Kammern und beinhaltete eine Konzentration dieser Art von Streitigkeiten auf ein Gericht (anstelle der Kammern, welche zuvor an mehreren Gerichten in Hangzhou angesiedelt waren). Konsequent musste die digitale (Gerichts-)Infrastruktur zunächst nur an einer Institution auf- und ausgebaut werden. Darüber hinaus wurde so die Bündelung von juristischer und technischer Expertise innerhalb einer Institution möglich.

2.2.

Gerichtsverfassungs-, -verfahrens- und Prozessrecht – sui generis und «experimentelle Normgebung» ^

[6]
Insoweit sind die normativen Grundlagen für den Internet Court weder unmittelbar und/oder grammatisch dem Gerichtsverfassungsgesetz oder der Zivilprozessordnung zu entnehmen. Vielmehr handelt es sich um eine andere und neue Rechtssetzung, die hier als «sui generis» bezeichnet wird.15 Trotz der Tatsache, dass sie vornehmlich vom Internet Court in Hangzhou selbst verfasst wie erlassen wird16 und – teilweise auch nach mehr als einem Jahr seit Gründung des Gerichts – als «experimentelle Normgebung» klassifiziert wird,17 besitzt sie innerhalb des Systems der VR China Verbindlichkeit.

2.3.

Rechtliche und politische Verbindlichkeit von 2.2. ^

[7]
Grundlagen sind die Ermächtigung/Genehmigung der obersten Gremien der KP Chinas und des Obersten Volksgerichtshofs (最高人民法院, OVG). Es handelt sich um ein Anschauungsbeispiel, wie die chinesische Doktrin des «Primats des Parlaments», die in der VR China ein Modell der Gewaltenteilung westlicher Prägung ausschließt, eine Ermächtigung wie einen «Ermessensspielraum für Normierung» durch dem Parlament untergeordnete Institutionen beinhaltet wie eröffnet. Dies gilt trotz der unvollständigen Regelung im Gesetzgebungsgesetz18 auch für Institutionen der Justiz und ermöglicht es daher dem Internet Court in Hangzhou seine (fachliche) Expertise direkt in die für das eigene Verfahren notwendigen Normen zu integrieren. Da sich das Gericht einer dreifachen Aufsicht gegenübersieht – der politischen Aufsicht durch die Reformkommission der Kommunistischen Partei (KP) Chinas, der parlamentarischen Aufsicht durch den Volkskongress der Stadt Hangzhou und der Fach- und Rechtsaufsicht durch die übergeordnete Justiz – gehen die staatlichen Stellen in der VR China scheinbar davon aus, dass hiermit ein ausreichendes Maß an Kontrolle vorhanden ist, um (justizielle) Willkür auszuschließen.

3.

(Normative) Grundlagen des Internet Court in Hangzhou/China – konkret ^

3.1.

Sachliche Zuständigkeit ^

3.1.1.

Status 18. September 2017 ^

[8]
Der Internet Court in Hangzhou war nach Art. 1 des «Wegweiser für die Zuständigkeit des Internet Court Hangzhou» (杭州互联网法院案件管辖指引) in der Fassung vom 18. September 201719 «nur» für folgende sechs Fallgruppen zuständig:
  1. Vertragsstreitigkeiten im Internethandel, -service und im Internetverleih von geringen Beträgen;
  2. Streitigkeiten über Zugehörigkeit und Verletzungen von geistigem Eigentum;
  3. Streitigkeiten bei Verletzungen der Persönlichkeitsrechte im Internet;
  4. Bestimmte Streitigkeiten bei Internetverkäufen;
  5. Streitigkeiten über Internet-Domains;
  6. Streitigkeiten über Verwaltungsakte, welche im Zuge der Internetverwaltung erfolgt sind

3.1.2.

Status jedenfalls 23. Dezember 2018 ^

[9]
Diese Konturierung der «Internetjustiz» (eigene Terminologie) ist in der aktuellen Version desselben Dokuments20 ohne Angaben eines Veränderungsdatums auf elf Fallgruppen erweitert worden. Zum einen sind in der aktuellen Version zB die Sachverhalte des alten Art. 1 Nr. 1 entzerrt worden, so dass aus bislang einer nunmehr drei Nummern wurden. Was substantiell neu hinzukam, ist die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft am Internet Court eine Klage im öffentlichen Interesse zu erheben (Art. 1 Nr. 10).

3.2.

Beweiserhebung und Beweiswürdigung ^

3.2.1.

(Elektronische) Beweismittel ^

[10]
Eine Analyse der obigen Fallgruppen unter funktionalen/sachlichen Aspekten ergibt, dass es immer um Rechtsgeschäfte wie deliktische Handlungen geht, die über das Internet begründet oder dort begangen wurden. Konsequent ist zumindest ein Teil der Kommunikation wie Handlungen, welche sich etwa vor, während und nach der Begründung des Rechtsgeschäfts ereignet haben, über die chinesische Vorratsdatenspeicherung21 erheb- wie ermittelbar. Es scheint darüber hinaus zu einem reverse engineering zu kommen, bei dem Vorratsdaten etwa als blockchain zur Beweissicherung von (zurückliegenden) Verletzungen von geistigem Eigentum eingesetzt werden.22 Um dies zu ermöglichen hat der Internet Court eine eigene Beweisplattform erstellt und die technischen und verfahrensmäßigen Parameter in den weiter oben bereits erwähnten «(experimentellen) Bestimmungen über die elektronische Beweisplattform des Internet Court Hangzhou» in der Fassung vom 28. Juni 2018 hinterlegt.23

3.2.2.

Transferprozesse für Beweismittel aus der Realworld in den Cyberspace ^

[11]
Für den Fall, dass es sich um Internet-Käufe incl. Versand oder ähnliches handelt, ist es jedoch unausweichlich, dass ein Teil der Beweismittel (zB erworbene und gelieferte oder zurückgegebene Waren) nur in analoger und in nicht-digitalisierter Form vorliegt. Wer also das gesamte Verfahren vor Gericht über das Internet abwickeln will und sich in der Verhandlung nicht per Augenschein über den Zustand einer Sache informieren kann, muss auch Beweismittel der hier so genannten Realworld im Vorfeld digitalisieren. Dazu hat der Internet Court in Hangzhou eine eigene Behörde geschaffen, die ausschließlich auf Antrag und in objektivierter Weise Beweismittel digitalisieren soll («Transferneutralität»– eigene Terminologie) und so eine digitale «Verhandlungsfähigkeit» von Realworldbeweismitteln erzeugt. Mittlerweile scheinen die Entwicklungen so weit fortgeschritten, dass die entsprechenden Bestimmungen es allgemein Dritten (also nicht dem Gericht oder der Behörde) ermöglichen, digitale Beweismittel zu erstellen, die dann in einer blockchain hinterlegt werden, um die damit in Zusammenhang stehenden Daten fälschungssicher aufzubereiten. Auch insoweit sei auf die «(experimentellen) Bestimmungen über die elektronische Beweisplattform des Internet Court Hangzhou» in der Fassung vom 28. Juni 2018 verwiesen.24

3.3.

Verhandlungen und Entscheidungen unter Einbeziehung von Maschinen/Robotern und Algorithmen ^

[12]
An einer weiteren Stelle gehen die Entwicklungen seit Gründung des Internet Court Hangzhou bereits einen wichtigen Schritt weiter. Je nach Komplexität des Falls existieren drei verschiedene Modi der Verhandlung und Entscheidung: synchrone Verhandlung, diachrone Verhandlung, und autonome (also KI-gestützte) Verhandlung.25 Als Argument für autonome Verhandlungen, welche von der Annahme des Falls bis zur Erstellung des Urteilstenors auf künstlicher Intelligenz (incl. KI-gestütztem Web-Mining zum Zwecke der Beweismittelsicherung etc.) ohne menschliche (richterliche) Interferenz im Internet Court ablaufen, wird vorgebracht, dass es in Fällen, die rein auf einer sich wiederholenden Routine basieren, Richter von eben dieser ermüdenden Routine befreit würden, um sich wichtigeren und komplexeren Fällen zuwenden zu können.26

4.

(Öffentlichkeit der) Verhandlungen wie Entscheidungen? ^

[13]
Nach Angaben der Reformkommission im OVG hatte der Internet Court von Januar bis August 2018 insgesamt 12.103 anhängige Fälle, im gleichen Zeitraum konnten 10.646 Fälle erledigt werden. Bis Ende Oktober waren die Fallzahlen bereits auf 14.233 anhängige und 11.794 erledigte Fälle angestiegen.27 Die durchschnittliche Zeitdauer, welche zur Fallerledigung benötigt wurde, betrug 28 Minuten, die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug 41 Tage. Verglichen mit traditionellen Verfahren sind das 60% weniger Zeitaufwand und nur etwa die Hälfte an Verfahrensdauer. Die Betroffenen hatten in der überwiegenden Mehrzahl die Urteile akzeptiert, denn in 98,59% der Fälle erlangte das erstinstanzliche Urteil Rechtskraft.28

4.1.

Entscheidungen ^

[14]
Im Versuch, die Transparenz der Justiz zu erweitern, sind alle chinesischen Gerichte seit Ende 2014 vom OVG angewiesen, diejenigen Urteile, die sich zur Publikation eignen, über das Justizinternetportal der chinesischen Gerichte29 zu veröffentlichen. Da sich bei der Größe des Landes auf diese Weise sehr schnell sehr viele Urteile ansammeln, ist jedes Gericht dazu aufgerufen, selbst aus seinen Urteilen diejenigen Entscheidungen auszusuchen, die es für wegweisend oder für typisch erachtet.
[15]
Aus diesem Grunde hat auch das Internetgericht in Hangzhou einige Urteile ausgewählt und publiziert, deren Zielsetzung zunächst in einer Klärung typischer Fallkonstellationen besteht.30 Mittlerweile wurde ein Teil der Fälle, welche der Internet Court Hangzhou als wegweisend publiziert hat, auch vom OVG offiziell in die «Reihe typischer Fälle» aufgenommen.31 Auch wenn diese Fälle keine starre Bindungswirkung entfalten, signalisieren sie vermittels der Publikation durch die jeweiligen Gerichte, zu welcher Auslegungspraxis das jeweilige Gericht tendiert und entwickeln daher eine «weiche Bindungswirkung». Gleichzeitig lassen sich auf Grund dieser Fälle und der in deren Rahmen kommunizierten Gerichtsmeinung Rückschlüsse auf Arbeitsweise und Effizienz des Gerichts ziehen.

4.2.

Verhandlungen ^

[16]
Der Internet Court in Hangzhou erstrebt keine allgemeine Publizität durch Ermöglichung derTeilnahme an der gerichtlichen Verhandlung - obwohl Aufzeichnungen und Musterverhandlungen online abrufbar sind.32 Was als wesentlich wichtiger betrachtet wird, sind die Transparenz der digitalen Standards und die Akzeptanz des Ergebnisses.33 Da mittlerweile auch Fälle des internationalen E-Commerce etc. in Hangzhou verhandelt werden34, ist vorhersehbar, dass die hier entwickelten Normen wie geübten Praktiken Standardisierungspotential auch für Europa und Bedeutung etwa für europäische Konsumenten entfalten können.

5.

Ein Modell (für die VR China) – die Ausweitung des Modellversuchs auf Peking und Guangzhou ^

[17]
Die Zahlen der Fallbearbeitung und der Akzeptanz durch die Betroffenen scheinen eindeutig: der Internet Court Hangzhou wird in China als Erfolgsmodell betrachtet. Aus diesem Grund hat die Reformkommission der KP Chinas am 6. Juli 2018 eine Ausweitung des Modellversuchs der Internet Courts auf Beijing (北京, Peking) und Guangzhou (广州, Kanton) beschlossen.
[18]
Seither wurden am 16. August 2018 die Richter des Internet Court Beijing durch den Ständigen Ausschuss des Volkskongress der Stadt Beijing ernannt35; das Gericht selbst hat ebenfalls die bestehende Infrastruktur des Eisenbahngerichts Peking genutzt und wurde am 9. September 2018 eröffnet36; der Internet Court Guangzhou wurde am 29. September 2018 offiziell eröffnet37.
[19]
Dabei fällt auf, dass die Gerichte in Hangzhou, Beijing und Guangzhou unterschiedliche Strukturen in ihrer digitalen Präsentation und in ihren Zuständigkeiten zugrundelegen. Während etwa der Internet Court Hangzhou die Verwendung einer landesweiten blockchain für Beweismittel betont, fängt am Internet Court Beijing ein prominenter Zugang für Richter den Blick, wobei in funktionaler Hinsicht insbesondere die Unterteilung in Urteils- und Schiedsverfahren betont wird. Aus der Ankündigung des Internet Court in Guangzhou wird deutlich, dass man dort versucht, die «Bedienungsfreundlichkeit» (Motto: das sechsfache «ein Klick») zu erhöhen, bis hin zur Einführung und Verwendung einer Gerichts-App.38 An diesen unterschiedlichen Ausrichtungen kann man ersehen, dass es sich bei den neuen Modellen nicht lediglich um eine Vervielfältigung der Erfahrungen des Internet Court Hangzhou handelt, sondern dass mit weiteren Modellen weitere Erfahrungen gemacht und akkumuliert werden sollen. Es ist evident, dass in China die Hoffnung besteht, dass all diese Entwicklungen am Ende zu einer landesweiten Reform des Gerichtswesens beitragen, von der man sich sowohl einen Zuwachs an Effektivität wie Effizienz als auch ein stärkeres Vertrauen der Bevölkerung in die jeweiligen Verfahren verspricht.
[20]
Für die aus Europa stammenden Koautoren steht fest: mindestens die technologische und rechtliche Adressierung so elementarer Fragen wie die der «Transferneutralität» oder der Öffentlichkeit der Verhandlungen/Entscheidungen verspricht Erfahrungskapital nicht nur für die «Internetjustiz» der Zukunft, sondern auch die E-Justiz im Allgemeinen.
  1. 1 Stand 23. Dezember 2018.
  2. 2 Für eine erste Einordnung des Internet Court/Hangzhou im deutschen öffentlichen Recht, siehe Mario Martini / David Nink, Subsumptionsautomaten ante portas, DVBl 2018, S. 1135.
  3. 3 Viola Schmid, CyLaw-Report XXXVI: Der kleinste gemeinsame Nenner – 13 Basics zum Cyberlaw? [«Cyberlaw All 2 – 2014»], S. 11–20, http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/5323/.
  4. 4 Ibid., «XIII. Tempelarchitektur für die Herausforderungen der Versicherheitlichung,», S. 19. und Viola Schmid / Marc Berninger, Eine Forschungsmatrix und die Checklist für die Transformation der Justiz zur «E-Justiz» beruhend auf den Erfahrungen in Deutschland im Zeitraum 2003-2018 ff., demnächst.
  5. 5 http://www.netcourt.gov.cn/portal/main/domain/index.htm, wenn nicht anders angegeben, dann sind alle zitierten Internetadressen zuletzt am 23. Dezember 2018 aufgerufen worden.
  6. 6 Nicht zuletzt ist der Alibaba-Konzern, der einer der bekanntesten E-Commerce Anbieter ist und der Dienste von der Plattform über Delivery bis hin zum Bezahlservice alle unter einem Konzerndach vereinigt hat, in Hangzhou beheimatet; siehe https://www.alibabagroup.com/en/contact/offices.
  7. 7 Eisenbahngerichte waren 1954 zunächst eingerichtet worden, wurden jedoch 1957 bereits wieder abgeschafft. Sie wurden nach den Wirren der Kulturrevolution im Jahr 1980 (also während der Phase der staatlichen Restrukturierung) von den Ministerien für Justiz und für Eisenbahnwesen wieder eingerichtet und haben seit 1982 offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Sie wurden ab 2009 in das allgemeine Justizsystem integriert und sind seit 2012 Teil des allgemeinen Gerichtssystems; http://bjtlfy.chinacourt.org/fyjj/.
  8. 8 Seit der vierten Fünfjahresplanung zur Justitzreform sind sie aufgerufen, sich auf überregionale Fälle zu spezialisieren; siehe Meinung des OVG zur umfassenden Vertiefung der Reform der Volksgerichte (最高人民法院关于全面深化人民法院改革的意见), III (1) 2. Satz 3, https://www.chinacourt.org/law/detail/2015/02/id/148096.shtml.
  9. 9 Aktenzeichen: Staatsrat, Kommission für Entwicklung und Reform (2015) Nr. 40 (国发〔2015〕40号), Beschluss vom 1. Juli 2015, veröffentlicht am 4. Juli 2015, http://www.gov.cn/zhengce/content/2015-07/04/content_10002.htm.
  10. 10 https://www.yuncourt.com/portal/main/domain/lassenNewsNoticeInfo.htm?securityId=yMdxWuBf 62lvShjDbHE0kA.
  11. 11 Auch wenn es in der deutschen Sprache leider nicht möglich ist, sich wie in der chinesischen ohne grammatikalisches Genus auszudrücken, ist der Gebrauch der maskulinen Form hier wie auch anderswo in dem vorliegenden Beitrag lediglich dem Interesse an Klarheit, Kürze und Einfachheit geschuldet. Es ist also auf keinen Fall beabsichtigt, das grammatikalische Subjekt als Indiz für das biologische Subjekt zu betrachten.
  12. 12 http://www.npc.gov.cn/npc/xinwen/2018-10/26/content_2064483.htm.
  13. 13 https://www.chinacourt.org/article/detail/2017/06/id/2903251.shtml.
  14. 14 https://www.chinacourt.org/article/detail/2017/08/id/2969734.shtml.
  15. 15 Zu experimenteller Gesetzgebung in der BRD, vgl. Hans-Detlef Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989.
  16. 16 https://www.netcourt.gov.cn/portal/main/domain/lassen.htm#lassen/litigationDocuments.
  17. 17 Siehe etwa «(experimentelle) Bestimmungen über die elektronische Beweisplattform des Internetgerichts Hangzhou» (杭州互联网法院电子证据平台规范(试行)), ibid.
  18. 18 Die Bestimmungen in § 9 Gesetzgebungsgesetz (立法法, GesGG) in der Fassung vom 15. März 2015 beziehen sich nur auf eine Ermächtigung zur Gesetzgebung durch den Staatsrat, § 104 GesGG verleiht dem Obersten Volksgerichtshof und dem Obersten Volksprokurat nur eine Interpretationskompetenz im Rahmen der Normanwendung. Es finden sich in dem Gesetz daher keine direkten Vorgaben, welche das Vorgehen der Normgebung durch die normanwendende Institution abdecken würden. Jedoch kann im Bereich der Justizorganisation eine Normsetzung in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zumindest in analoger Weise als Ausnahmetatbestand des § 9 GesGG betrachtet werden.
  19. 19 Vgl. http://www.dffyw.com/faguixiazai/ssf/201708/43073.html.
  20. 20 https://www.netcourt.gov.cn/portal/indexRpc/viewProcedure.json?fileIdStr=oYP8sqscMpV4P9-Gz DHA3g.
  21. 21 Näher hierzu: Georg Gesk, Regulation of Online Platforms in China, Conference paper, Osnabrück University: Digital Economy and the Law: Asian and European Perspectives, 20. August 2016.
  22. 22 Vgl. https://www.ccn.com/chinese-internet-court-to-use-blockchain-to-combat-online-plagiarism/.
  23. 23 Vgl. Insbesondere die Kapitel IV Bestimmungen zu Garantie und Technik elektronischer Daten (电子数据的保障和技术规范), Kapitel V Bestimmungen zur Stadnardhinterlegung elektronischer Daten (电子数据标准接口规范); https://www.netcourt.gov.cn/portal/indexRpc/viewProcedure.json?fileIdStr=VAPWTJ3Xn6pgMalwx8Za-g.
  24. 24 Vgl. Insbesondere die Kapitel IV Bestimmungen zu Garantie und Technik elektronischer Daten (电子数据的保障和技术规范), Kapitel V Bestimmungen zur Stadnardhinterlegung elektronischer Daten (电子数据标准接口规范); https://www.netcourt.gov.cn/portal/indexRpc/viewProcedure.json?fileIdStr=VAPWTJ3Xn6pgMalwx8Za-g.
  25. 25 http://www.court.gov.cn/zixun-xiangqing-126311.html.
  26. 26 Ibid.
  27. 27 http://www.court.gov.cn/zixun-xiangqing-126311.html.
  28. 28 http://www.xinhuanet.com/politics/2018-09/08/c_1123397631.htm.
  29. 29 https://wenshu.court.gov.cn/.
  30. 30 http://www.100ec.cn/detail--6446958.html.
  31. 31 http://www.court.gov.cn/zixun-xiangqing-112611.html.
  32. 32 https://www.netcourt.gov.cn/portal/main/domain/lassen.htm#lassen/trialsLive.
  33. 33 Vgl. OVG: Verhandlungen vor dem Internet Court sollen komplett Online erledigt werden, 11 Fallgruppen wie zB Verhandlung von Internet-Käufen (最高法:互联网法院审案应全程在线 审理网购等11类案件); http://www.xinhuanet.com/politics/2018-09/08/c_1123397631.htm.
  34. 34 In diesem Zusammenhang wird etwa der Fall Li XX vs. Banco Milano (李某诉米兰银行域名权属) im Namensstreit um eine Internetdomäne erwähnt, in dem das WIPO-Schiedsgericht den Internet Court Hangzhou und seine Entscheidung akzeptiert hat; vgl. https://www.thepaper.cn/newsDetail_forward_2587899.
  35. 35 https://www.bjinternetcourt.gov.cn/cac/zw/1535118902618.html.
  36. 36 https://www.bjinternetcourt.gov.cn/cac/zw/1536929008089.html.
  37. 37 https://www.chinacourt.org/article/detail/2018/09/id/3517007.shtml.
  38. 38 https://www.chinacourt.org/article/detail/2018/09/id/3517007.shtml.