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Verantwortungsbewusste Digitalisierung, gerichtliche Entscheidungen und der Gedanke des fairen Verfa

  • Authors: Jochen Krüger / Stephanie Vogelgesang / Lena-Marie Adam
  • Category of articles: Zum Generalthema Verantwortungsbewusste Digitalisierung
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2020
  • DOI: 10.38023/ad678e17-5c83-473d-a4bf-c079d4e9ca85
  • Citation: Jochen Krüger / Stephanie Vogelgesang / Lena-Marie Adam, Verantwortungsbewusste Digitalisierung, gerichtliche Entscheidungen und der Gedanke des fairen Verfa, in: Jusletter IT 28. Februar 2020
Der Beitrag befasst sich mit der Frage, wie verantwortungsbewusste Digitalisierung beim Einsatz von Algorithmen im Bereich des gerichtlichen Verfahrens ausgestaltet sein sollte. Als Ausgangspunkt wird dabei der Gedanke des fairen Verfahrens gewählt. Das faire Verfahren gilt als unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Daneben ist dieser Gedanke auch offen für übergeordnete Gesichtspunkte wie etwa ethische Fragestellungen. Gerade bei neuartigen Techniken, die gewachsene Strukturen der Gesellschaftsordnung verändern können, ist dies ein wesentlicher methodischer Vorteil.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangspunkt
  • 2. Anmerkungen zur Themenwahl
  • 3. Der Gedanke des fairen Verfahrens als allgemeiner Orientierungspunkt
  • 3.1. Das faire Verfahren als Rechtsbegriff
  • 3.2. Das faire Verfahren als Ausgangspunkt für ethische Überlegungen
  • 4. Kriterien einer verantwortungsbewussten Digitalisierung bei gerichtlichen Entscheidungen
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick

1.

Ausgangspunkt ^

[1]

Der vorliegende Beitrag orientiert sich am Motto der IRIS 2020 – verantwortungsbewusste Digitalisierung.

[2]

Für diese Thematik gibt es noch keine allgemein akzeptierten Leitlinien. Daraus resultiert zunächst eine zentrale Fragestellung – was sind Kriterien für eine verantwortungsbewusste Digitalisierung und woher können die dafür geltenden Maßstäbe entnommen werden? Dies spricht nach hiesiger Auffassung für einen sektoralen Ansatz. Es soll versucht werden, anhand eines abgrenzbaren Themas einschlägige Gesichtspunkte für die skizzierte Ausgangsproblematik herauszuarbeiten. Bezugspunkt ist hierbei das deutsche Recht.

2.

Anmerkungen zur Themenwahl ^

[3]

Auf diesem Hintergrund soll das Thema «Verantwortungsbewusste Digitalisierung, gerichtliche Entscheidungen und der Gedanke des fairen Verfahrens» näher erörtert werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Einsatz von Algorithmen.1 Für die Wahl des Themas können faktische, strategische, aber auch methodische und inhaltliche Gesichtspunkte benannt werden. Einige Aspekte dazu sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

[4]

(1) Das Postulat der verantwortungsbewussten Digitalisierung gilt auch für den großen Bereich des staatlichen Handelns. Hierfür hat der Staat zudem unmittelbar die rechtlichen und faktischen Gestaltungsmöglichkeiten. Mit einer verantwortungsbewussten Politik im eigenen Bereich entgeht der Staat im Übrigen dem Vorwurf eines widersprüchlichen Verhaltens. Der Staat sollte anderen – Privaten, der Gesellschaft oder der Wirtschaft – nur die Maßstäbe abverlangen, die er selbst bereit ist umzusetzen.

[5]

(2) Zudem ist der Staat insbesondere aus inhaltlichen Gründen gefordert. So gilt für staatliches Handeln ausweislich Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) unmittelbar die Bindung an einschlägige Grundrechte. Daneben ist das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip zu beachten.

[6]

Dadurch unterscheidet sich die hier interessierende Problematik jedenfalls im Ansatz von Rechtsfragen, die z.B. durch den Einsatz von ADM2-Systemen im Verhältnis Verbraucher/Unternehmen entstehen können.3 Mit der Betonung der Grundrechtsbindung wird bereits ein Zentralaspekt der notwendigen Digitalisierungsdiskussion im spezifischen Bereich des staatlichen Handelns4 sichtbar. Es geht verstärkt um die Frage, inwieweit der Wirkbereich von Grundrechten auch in Zeiten der allgemeinen Digitalisierung der Gesellschaft erhalten bleiben kann. Historisch sind die Grundrechte nicht mit Blick auf das rasante Veränderungspotential von Technik geschaffen worden. Sie müssen daher teilweise für die neue – durch Technik und Digitalisierung geprägte – Zeit angepasst werden.5 Dies macht deutlich, warum die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1983 zum Volkszählungsurteil6 als große, vorausschauende dogmatische Leistung eingestuft werden muss. Darin hat das BVerfG aus dem in Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. Dies geschah ausdrücklich mit Blick auf die «heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung».

[7]

Die Stoßrichtung des damaligen Urteils bezog sich zwar auf eine spezifische Ausgangslage. Es ging darum, dass die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung weithin nur noch für Fachleute durchschaubar sind.7 Dies könne, so das BVerfG, beim einzelnen Staatsbürger die Furcht vor einer unkontrollierbaren Persönlichkeitserforschung auslösen und insbesondere zu einem Verzicht auf gesellschaftliche Aktivitäten (Art. 8, 9 GG) führen.8 Die folgenden Überlegungen befassen sich dagegen schwerpunktmäßig mit dem Problem, inwieweit der Einsatz von Algorithmen auf der richterlichen Entscheidungsebene gewachsene und grundrechtlich abgesicherte Verfahrensrechte in Frage stellen kann. Damit soll gedanklich an das aktuelle Thema «Algorithmen als Herausforderung für die Rechtsordnung»9 angeknüpft und diese Thematik für den spezifischen Bereich des Verfahrensrechts näher analysiert werden. Der methodische Grundansatz des BVerfG bleibt aber weiterhin zielführend. Auch im Folgenden geht es um die notwendige Aktivierung von Verfahrensgrundsätzen in einer Zeit der deutlich zunehmenden Digitalisierung.

[8]

(3) Bei gerichtlichen Entscheidungen stehen oftmals die grundrechtlichen Positionen des Bürgers im Vordergrund, die durch diese Entscheidungen unmittelbar betroffen sind. Ein klassischer Anwendungsfall ist z.B. die Verhängung einer längerfristigen Freiheitsstrafe im Bereich des Strafverfahrens. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich dagegen auf verfahrensrechtliche Positionen wie z.B. das rechtliche Gehör. Das schließt nicht aus, dass auch aus materiellen Erwägungen verfahrensrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind. So ist das hier interessierende Prozessrecht allgemein «die Schnittstelle vom Recht als Gedankengebilde zum law in action in der Alltagswelt»10. Erst im Prozess beweist sich oft die Wirkkraft von materiellen Positionen. Zudem wird gerade im Zusammenhang mit dem fairen Verfahren betont, dass aus den grundrechtlichen Positionen der Art. 1–17 GG auch Konsequenzen für die Verfahrensgestaltung abgeleitet werden können.11

[9]

Im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen jedoch die originär verfahrensrechtlichen Positionen. Dazu zählen der bereits erwähnte Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und der damit verbundene Gedanke einer effektiven Verteidigung. Daneben ist auch das Öffentlichkeitsprinzip zu nennen, das bei nicht nachvollziehbaren und damit nicht erklärbaren automatisierten Entscheidungsgrundlagen vor inhaltlicher Entwertung geschützt werden muss. Im Ansatz vergleichbare Fragen stellen sich zudem mit Blick auf die spezifische Stellung des Richters. Dabei geht es in der Sache sowohl um den Aspekt des unabhängigen Richters (Art. 97 Abs. 1 GG) als auch um den Aspekt des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG soll über Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die notwendige Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten geschaffen werden.12 Daher ist zu den Systemelementen auch die Unparteilichkeit des Richters zu zählen. Dies kommt im Prozessrecht selbst zum Ausdruck. So ist sowohl die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts als auch die Mitwirkung eines zurecht abgelehnten Richters als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet.13

[10]

Aus diesen Überlegungen wird die grundsätzliche Dimension der Problemstellung deutlich. Wenn automatisierte Entscheidungsvorgänge für den Richter nicht mehr nachvollziehbar sind, wenn menschliche Entscheidungsträger durch den Einsatz künstlicher Intelligenz im Recht sogar ganz ersetzt werden sollen14, muss das zuvor skizzierte Verfahrenskonzept überprüft, neu justiert oder sogar aufgegeben werden.

3.

Der Gedanke des fairen Verfahrens als allgemeiner Orientierungspunkt ^

[11]

Die damit verbundenen Fragestellungen sollen unter dem Aspekt des fairen Verfahrens näher analysiert werden. Das faire Verfahren ist im bundesdeutschen Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt. Das faire Verfahren gilt jedoch als unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaates15. Es ist insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG als ein tragendes Rechtsprinzip anerkannt. Mit dem fairen Verfahren als Vergleichsmaßstab hat das BVerfG u.a. Zugriff und damit Kontrolle über die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts durch die Fachgerichtsbarkeit erhalten. Dies gilt sowohl für den Strafprozess als auch für den hier im Vordergrund stehenden Zivilprozess.16 Mit einbezogen werden auch neuere bußgeldrechtliche Entscheidungen, in denen das spezifische Spannungsverhältnis zwischen dem Einsatz von Technik und den dadurch erschwerten Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen thematisiert wird. Über den Gedanken des fairen Verfahrens sollen Kriterien für eine verantwortungsbewusste Digitalisierung im Rahmen gerichtlicher Verfahren gewonnen werden.

3.1.

Das faire Verfahren als Rechtsbegriff ^

[12]

Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass das faire Verfahren ein Begriff des geltenden Rechts ist. Dies ist als Ausgangspunkt zu betonen. Denn der Begriff «Fairness» wird in unterschiedlichen Zusammenhängen in unterschiedlicher Weise genutzt. Insbesondere ist Fairness im Bereich des auch hier interessierenden maschinellen Lernens ein eigenes – technisch geprägtes – Forschungsgebiet, das sich ebenfalls mit Fragen der verantwortlichen, transparenten und sozialverträglichen Nutzung befasst.17 Im rechtlichen Kontext weist der Begriff methodische und inhaltliche Besonderheiten auf, die für die angestrebte Strukturierung des Problemfeldes als hilfreich einzustufen sind:

[13]

(1) Technik und digitale Entwicklungen machen typischerweise nicht an Landesgrenzen Halt. Daher sind auch transnationale Lösungen anzustreben. Insofern ist es ein großer inhaltlicher Vorteil, dass das faire Verfahren ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK18 und damit auf der gesamteuropäischen Ebene verankert ist. Dies gilt sowohl für zivilrechtliche Ansprüche als auch für strafrechtliche Anklagen. Das faire Verfahren wird zudem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erwähnt.

[14]

(2) Das faire Verfahren ist nicht nur auf eine einzige Lösung zentriert. Es lässt Raum für eine Vielzahl von Ansätzen. Wichtig ist nur, dass im Ergebnis das Gesamtkonzept als «fair» eingestuft werden kann.19 Damit enthält der Gedanke des fairen Verfahrens die notwendige Flexibilität für komplexe Sachverhalte oder für nicht klar abzuschätzende neue Entwicklungen. Er bietet einerseits konkrete inhaltliche Leitlinien. Andererseits ist er offen genug, um z.B. neuen technischen Entwicklungen Raum geben zu können. In diesem Sinn ist das faire Verfahren auch ein methodischer und inhaltlicher Vorratsbegriff mit Zukunftspotential.

[15]

(3) Insbesondere bietet der Gedanke des fairen Verfahrens eine Entscheidungsgrundlage für rechtliche Fragestellungen, die durch den Einsatz von Technik entstehen. Dies wird auch in einer neueren Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs (VerfGH Saarland) deutlich.20 Darin hat sich das Gericht mit der Verfassungsbeschwerde gegen einen Bußgeldbescheid des Landesverwaltungsamtes – Zentrale Bußgeldbehörde – befasst.21 Der Beschwerdeführer war wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 100 € verurteilt worden. Die Verteidigung hatte gerügt, dass bauartbedingt das Messgerät die entsprechenden Rohdaten nicht speichert. Damit sei aber dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, die hohen Anforderungen an den Vortrag eines Messfehlers zu erfüllen. Der VerfGH Saarland ist diesem Einwand unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das faire Verfahren im Ergebnis gefolgt. In diesem Zusammenhang hat das Gericht Folgendes betont22:

  • Staatliches Handeln darf in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die davon Betroffenen nicht undurchschaubar sein. Daher gehört auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse zu den Grundvoraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens.
  • Rechtsstaatlichkeit verlangt allgemein die Transparenz und Kontrollierbarkeit jeder staatlichen Machtausübung (unter ausdrücklichem Hinweis auf BverfGE 123, 39).
  • Dies gilt auch für den Einsatz von Algorithmen.
[16]

Diese Entscheidung kann nicht überraschen. Bereits in einem früheren Beschluss23 hatte der VerfGH Saarland im Zusammenhang mit einem vergleichbaren Bußgeldverfahren hervorgehoben:

  • Das Recht auf ein faires Verfahren hat auch Verbindungslinien zum Grundrecht auf rechtliches Gehör. Dieses Grundrecht ist das zentrale prozessuale Grundrecht eines Menschen.24
  • Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt eines gerichtlichen Verfahrens sein. Er muss als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen können. Daher muss dem Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden, die er benötigt, um sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen.
[17]

Daraus wird ein zentraler Gedanke des fairen Verfahrens deutlich: jeder Betroffene hat ein verfasstes Recht auf Information und Äußerung, dessen Ausübung nicht faktisch unmöglich gemacht werden darf.25

3.2.

Das faire Verfahren als Ausgangspunkt für ethische Überlegungen ^

[18]

Das faire Verfahren ist jedoch nicht nur eine methodische und inhaltliche Ausgangsbasis für spezifisch rechtliche Überlegungen. Der Gedanke des fairen Verfahrens ist vielmehr offen für übergeordnete Interessen und Fragestellungen.26 Dies gilt auch für Fragen der Ethik.27 Diese Offenheit ist im Bereich der Digitalisierung und insbesondere bei der Anwendung künstlicher Intelligenz von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die hier betrachteten neuen Technologien können gewachsene Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens radikal verändern und das notwendige Grundvertrauen in staatliche Abläufe erschüttern. Insbesondere wirft die zunehmende Interaktion von Mensch und Maschine neue ethische Fragen auf. Dies kommt auch in der Stellungnahme der Hochrangigen Expertengruppe der Europäischen Kommission für Künstliche Intelligenz zum Ausdruck.28 Diese Expertengruppe war von der EU-Kommission zur Erarbeitung von ethischen Leitlinien im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) eingesetzt worden. Die Expertengruppe geht davon aus, dass die KI zu den «revolutionärsten Kräften unserer Zeit» zählt und «das Gefüge unserer Gesellschaften verändern» wird. Die Europäische Kommission selbst betont in ihrer Stellungnahme ausdrücklich die Bedeutung einer länderübergreifenden, ethisch geprägten, menschenzentrierten KI.29 Allgemein werden verstärkt Ethikkommissionen in den Bereichen eingesetzt, in denen wissenschaftlicher oder technischer Fortschritt zu neuen gesamtgesellschaftlichen Grundsatzfragen führen kann. Dies gilt z.B. für den großen Bereich der Medizin30, und zwar europaweit31. Im Zusammenhang mit spezifisch rechtlichen Fragestellungen ist für Deutschland insbesondere die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission für das autonome Fahren32 bzw. die Datenethikkommission33 zu nennen.

[19]

Dies spricht für ein verallgemeinerungsfähiges Konzept. Es erscheint sachgerecht, die Einführung neuer Techniken, die in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen nicht klar überschaubar sind, durch interdisziplinär besetzte Gremien als Kontroll- und Beratungsinstanz begleiten zu lassen. Dadurch wird insbesondere das Vertrauen in der Gesellschaft erhöht, das für die Akzeptanz neuer Entwicklungen auf Dauer notwendig ist. Dieser Aspekt wird auch von der Politik verstärkt aufgenommen. So hat die Hessische Regierung 2018 angekündigt, dass sie die Digitalisierung zu einem Schwerpunkt der politischen Arbeit in der nahen Zukunft machen will.34 Dabei soll ein «Rat für Digitalethik» eingesetzt werden. Angedacht ist zudem der Aufbau eines «Zentrum[s] für Verantwortungsbewusste Digitalisierung für den Menschen». Mit diesem Konzept will Hessen ein Top-Standort für ethische Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden. Dies belegt den hier skizzierten Ausgangspunkt. Ethikkommissionen sind ein gutes organisatorisches Mittel, um bei neuartigen technischen Entwicklungen eine Form von sachkundiger Folgenabschätzung35 zu etablieren. In diesem Sinn sind Ethikkommissionen, insbesondere wenn sie auf Dauer eingesetzt werden, als wichtige vertrauensbildende Maßnahme einzustufen.

4.

Kriterien einer verantwortungsbewussten Digitalisierung bei gerichtlichen Entscheidungen ^

[20]

Die bisherige Analyse hat eines gezeigt: Rechtsnormen, einschließlich Normen des materiellen Rechts, entfalten ihre Bedeutung gerade im Verfahren. Verantwortungsbewusste Digitalisierung in diesem Bereich besteht also zunächst darin, dass gewachsene und grundrechtlich abgesicherte Verfahrensprinzipien auch unter veränderten Bedingungen ihren dogmatischen und faktischen Stellenwert behalten können. Daraus resultiert die systemtheoretische Bedeutung des fairen Verfahrens. Dieser Gedanke lässt sich mit Blick auf die Grundsatzproblematik – Einsatz von Technik, insbesondere Einsatz von Algorithmen und die Auswirkungen auf das rechtlich abgesicherte Verfahrensprogramm – in mehrfacher Richtung aktivieren.

[21]

(1) Faires Verfahren und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sind inhaltlich eng miteinander verbunden. Zentraler Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung: staatliches Handeln darf für die davon Betroffenen nicht undurchschaubar sein. Damit gehört die Nachvollziehbarkeit rechtlich relevanter technischer Prozesse zu den Grundvoraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Dies gilt auch unter dem Aspekt einer effektiven Verteidigung.

[22]

(2) Die Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse ist aber auch ein unverzichtbares Element unter dem Gesichtspunkt des richterlichen Aufgabenspektrums.

[23]

(a) So muss der Richter seine Entscheidung begründen. Dies ist nur möglich, wenn er – und sei es erst durch Hinzuziehung eines Sachverständigen – die entscheidungsrelevanten Vorgänge selbst nachvollziehen kann. Die Bedeutung der Begründungspflicht kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Fehlen der vorgeschriebenen Entscheidungsgründe als absoluter Revisionsgrund in den Verfahrensordnungen ausgestaltet ist.36

[24]

(b) Die Begründungspflicht ist auch unverzichtbar unter dem Aspekt der Öffentlichkeit.37 Der Öffentlichkeitsgrundsatz soll dafür sorgen, dass die Allgemeinheit sich selbst ein Bild darüber machen kann, dass staatliches Handeln geordnet abläuft.38 Dafür muss die Urteilsbegründung von Rationalität und Nachvollziehbarkeit geprägt sein. Dies gelingt nur, wenn das Gericht die Entscheidungsgrundlagen selbst verstanden hat. Es kann insbesondere zur Begründung nicht nur auf vorgeschlagene Lösungen durch einen Algorithmus verweisen, dessen Arbeitsweise nicht nachvollziehbar und dadurch nicht erklärbar ist.

[25]

(c) Nicht kontrollierbare Algorithmen als Entscheidungsgrundlage entziehen auch dem Konzept eines gesetzlichen und unabhängigen Richters die inhaltliche Basis.39 Der unabhängige und gesetzliche Richter gilt als machtbeschränkender Faktor und damit Garant «der Rechtsstaatlichkeit im gerichtlichen Verfahren schlechthin»40. Im theoretischen Konzept hat sich der Richter nur am Recht zu orientieren. Er ist an andere inhaltliche Vorgaben nicht gebunden, und zwar weder von der politischen noch von der technischen Seite. Der Richter ist «Letztinterpret des Gesetzes»41. Es gibt damit auch keine Bindung an Ergebnisse, die von Maschinen selbstständig und nicht kontrollierbar produziert werden. Insoweit enthält Art. 7 Abs. 1 der Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union42 einen Kerngedanken: jeder hat das Recht, nicht Objekt von automatisierten Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für die Lebensführung zu sein. Er hat Anspruch auf Offenlegung, Überprüfung und Entscheidung durch einen Menschen.43 Auch in der Hambacher Erklärung der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden vom 03.04.201944 wird dieser Aspekt in den Vordergrund gestellt. In einem demokratisch-rechtsstaatlichen System müssen am Ende «Menschen und nicht Maschinen über Menschen entscheiden.» Ergänzt werden sollte dieses Konzept durch die zuvor skizzierte45 Begleitung in Form von fachübergreifenden Ethikkommissionen. Weiterführend erscheint dabei auch der Grundgedanke des § 20 Abs. 1 Satz 1 Medizinproduktegesetz (MPG). Danach darf mit der klinischen Prüfung eines Medizinproduktes erst begonnen werden, wenn die zuständige Ethik-Kommission diese [...] zustimmend bewertet hat und die zuständige Bundesoberbehörde diese nach Maßgabe des § 22a MPG genehmigt hat. Ein vergleichbares organisatorisches Konzept liegt bei der Einführung neuer Formen Künstlicher Intelligenz im Recht46 nahe.

5.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[26]

Staatliches Handeln darf in einem freiheitlichen Rechtsstaat für den Einzelnen nicht undurchschaubar sein. Staatliche Machtausübung verlangt allgemein nach Transparenz und Kontrolle. Dies gilt in besonderer Weise für das hier diskutierte gerichtliche Verfahren. Es ist durch rechtsstaatlich vorgegebene Verfahrenselemente wie den unparteilichen und gesetzlichen Richter, das Öffentlichkeitsprinzip und das Recht auf effektive Verteidigung geprägt. Dieses Verfahrenskonzept kann seine Wirksamkeit nur dann entfalten, wenn auch automatisch erzeugte Entscheidungsvorschläge inhaltlich nachvollziehbar sind. Dabei erweist sich insbesondere die zunächst eher unscheinbar wirkende richterliche Begründungspflicht als ein tragender Pfeiler in einem gerichtlichen, rechtsstaatlich orientierten Verfahrenskonzept.47 Die Begründungspflicht ist ein Kerngebot des Verfassungsstaates.48 Ohne eine juristische Begründung verliert das Recht seine demokratische Legitimation.49 Daraus folgt: jedenfalls das zuvor skizzierte gerichtliche Normalverfahren verlangt nach Formen erklärbarer50 künstlicher Intelligenz.

[27]

Dies schließt nicht aus, dass daneben auch andere Verfahrensmodelle mit digitalem Inhalt angeboten werden können.51 Zur Vermeidung von Systembrüchen wäre dabei wichtig, dass neue technisch geprägte Lösungen sich auf Elemente des bereits bestehenden prozessualen Gesamtsystems zurückführen lassen. So haben Nicolai/Wölber52 u.a. mit Blick auf die deutlich zurückgegangenen Eingangszahlen53 in der Ziviljustiz das Konzept eines beschleunigten Online-Verfahrens für geringfügige Streitwerte vorgelegt.54 Dass Abweichungen vom üblichen Verfahrenskonzept möglich sind, zeigt § 495a ZPO. Danach kann ein Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert nicht 600 € übersteigt. Auch im Rahmen des § 495a ZPO sind jedoch die wesentlichen Elemente eines rechtsstaatlichen Verfahrens wie Öffentlichkeit, rechtliches Gehör und faires Verfahren einzuhalten.55 Flexibler und damit zukunftsoffener für alternative, technisch geprägte Lösungen erscheint daher die Anknüpfung an das bereits geltende Modell des Mahnverfahrens (§§ 688 ff. ZPO). Dieses führt bei fehlendem Widerspruch bzw. Einspruch des Gegners zu einem rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid und damit zu einem rechtskräftigen Titel (§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Dies geschieht ohne Einschaltung eines Richters und ohne Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit. Damit entfällt auch die richterliche Begründungspflicht, die dem Einsatz von Legal Tech56-Anwendungen faktische und rechtliche Grenzen setzt. Die Ausführungen von Nicolai/Wölber sprechen dafür, dass Bürger gerade auch wegen des Kostenrisikos bei geringen Streitwerten und der oftmals sehr langen Verfahrensdauer57 auf die gerichtliche Geltendmachung verzichten. Beschleunigte Online-Verfahren, ggfs. gepaart mit neuen digitalen Formen einer Entscheidungsfindung, können daher allgemein sogar das notwendige Vertrauen in den Rechtsstaat fördern. Genannt werden kann im Zusammenhang mit neuen Formen technisch unterstützter Rechtsfindung auch die europäische Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten.58 Ob die damit möglicherweise verbundene großflächige Verdrängung des öffentlichen gerichtlichen Verfahrens ein erstrebenswertes Zukunftsmodell sein kann, bedarf jedoch einer tiefergehenden Analyse.

[28]

Das klassische gerichtliche Verfahren mit Richter, Öffentlichkeit und mündlicher Verhandlung erscheint im Ergebnis weniger geeignet für neuartige, digital geprägte Verfahrensformen. Zumindest muss die eingesetzte KI «transparent, nachvollziehbar und erklärbar sein»59. «Digital first, Bedenken second»60 wäre in diesem Bereich unter rechtsstaatlichen bzw. gesamtgesellschaftlichen Aspekten jedenfalls eine gefährliche Strategie.

  1. 1 Vgl. zum allgemeinen Verhältnis von «Künstlicher Intelligenz und Recht» und zu spezifischen Fragen bei Algorithmen Herberger, «Künstliche Intelligenz» und Recht – Ein Orientierungsversuch – NJW 2018, 2825 ff., insbesondere 2827; näher zu Algorithmen im Recht auch Beck, Legal Tech und Künstliche Intelligenz, DÖV 2019, 648 f.
  2. 2 Algorithmic Decision Making.
  3. 3 Vgl. zum Verhältnis Verbraucher/Unternehmen eingehend Gesellschaft für Informatik (2018), Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren. Studien und Gutachten im Auftrag des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. Berlin: Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, S. 74 f. (im Folgenden zitiert als Gutachten «Algorithmische Entscheidungsverfahren»).
  4. 4 Vgl. zu den Besonderheiten des Themas «Der Staat als Verwender algorithmenbasierter Entscheidungssysteme» auch Martini, Blackbox Algorithmus – Grundfragen einer Regulierung Künstlicher Intelligenz, unter Mitarbeit von Kolain und Mysegades, Springer, Berlin 2019, S. 40 f.
  5. 5 Vgl. dazu Voßkuhle, Der Wandel der Verfassung und seine Grenzen, JuS 2019, 422; vgl. auch Werner, Schutz durch das Grundgesetz im Zeitalter der Digitalisierung, NJOZ 2019, 1041 ff.
  6. 6 Vgl. dazu und zum Folgenden BVerfG 65, 1 (42/43).
  7. 7 Vgl. dazu BVerfGE 65, 1 (4).
  8. 8 Vgl. dazu BVerfGE 65, 1 (43).
  9. 9 Vgl. z.B. Martini, Algorithmen als Herausforderung für die Rechtsordnung, JZ 2017, 1017 ff.; Hoffmann-Riem, Verhaltenssteuerung durch Algorithmen – eine Herausforderung für das Recht, AöR 142 (2017), 1 ff. – vgl. dazu auch die Nachweise in Fn. 1.
  10. 10 So wörtlich Zwanzger, Grusswort, in: Digitalisierung der gerichtlichen Verfahren und das Prozessrecht, 3. Tagung junger Prozessrechtswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen am 29./30.09.2017 in Leipzig, hrsg. von Buschmann u.a., Schriften zum Prozessrecht, Duncker & Humblot, Berlin 2018, Band 246, S. 19.
  11. 11 Dörr, Faires Verfahren: Gewährleistung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Engel Verlag, Kehl am Rhein 1984, S. 1.
  12. 12 Vgl. dazu BVerfG, NJW 1967, 1123; vgl. auch BVerfG, NJW 2018, 1155 (1156).
  13. 13 § 547 Nr. 1 und Nr. 3 ZPO.
  14. 14 Zu diesen weitergehenden Fragen z.B. Schwintowski, Wird Recht durch Robotik und künstliche Intelligenz überflüssig?, NJOZ 2018, 1601 f.
  15. 15 Vgl. dazu und zum Folgenden näher Dörr (Fn. 11), S. 1.
  16. 16 Vgl. z.B. BVerfGE 78, 123 (126).
  17. 17 Dazu Gutachten (Fn. 3), «Algorithmische Entscheidungsverfahren», S. 37.
  18. 18 Vgl. dazu Meyer-Ladewig u. a., EMRK, Handkommentar, 4. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017, Art. 6, Rn. 87 ff.
  19. 19 Vgl. dazu im Zusammenhang mit einem Strafverfahren EGMR, NJW 2017, 2811 f. (2812).
  20. 20 VerfGH Saarland, U. v. 05.07.2019, NJW 2019, 2456 ff.
  21. 21 Die Rechtmittelmöglichkeiten im Bußgeldverfahren selbst hatte der Beschwerdeführer – im Ergebnis erfolglos – ausgeschöpft, vgl. dazu VerfGH Saarland (Fn. 20), NJW 2019, 2456.
  22. 22 Vgl. dazu VerfGH Saarland (Fn. 20), NJW 2019, 2458.
  23. 23 Vgl. dazu und zum Folgenden VerfGH Saarland, B. v. 27.04.2018, NZV 2018, 275 ff (278/279).
  24. 24 Zum rechtlichen Gehör als prozessualem Urrecht z.B. auch BVerfG, B. v. 18.09.2018; NJW 2019, 41 ff (42).
  25. 25 So Krenberger in der Anmerkung zur Entscheidung VerfGH Saarland (Fn. 23) (NZV 2018, 283).
  26. 26 Gless, Das «faire Verfahren» als funktionaler Begriff der strafprozessualen Beweisführung, in: Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, Nomos, Baden-Baden 2007, S. 198.
  27. 27 Vgl. dazu Tettinger, Fairness als Rechtsbegriff im deutschen Recht, Der Staat 1997, 575.
  28. 28 Vgl. dazu und zum Folgenden Dettling/Krüger, Erste Schritte im Recht der Künstlichen Intelligenz – Entwurf der «Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI», MMR 2019, 211 f.
  29. 29 https://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1893_de.htm (alle Hyperlinks wurden am 11.10.2019 zuletzt aufgerufen).
  30. 30 So wurde bereits im Jahre 1983 der «Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen» gegründet. Vgl. dazu https://www.ak-med-ethik-komm.de.
  31. 31 Vgl. z.B. das 1997 gegründete Forum Österreichischer Ethikkommissionen, https://www.medunigraz.at/ethikkommission/Forum/index.htm.
  32. 32 Vgl. dazu Ethik-Kommission, Automatisiertes und vernetztes Fahren, Bericht Juni 2017, BMVI, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/bericht-der-ethik-kommission.pdf.
  33. 33 Die Datenethikkommission, eingesetzt durch das BMI und das BMJV, hat ihren Abschlussbericht für voraussichtlich Ende Oktober 2019 angekündigt, https://www.bmi.bund.de/DE/themen/it-und-digitalpolitik/datenethikkommission/arbeitsergebnisse-der-dek/arbeitsergebnisse-der-dek-node.html.
  34. 34 Vgl. dazu und zum Folgenden https://staatskanzlei.hessen.de/pressearchiv/pressemitteilung/kabinettssitzung-mit-dem-schwerpunkt-digitalisierung.
  35. 35 Analog dem Gedanken der Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß § 35 DSGVO.
  36. 36 Vgl. z.B. § 547 Nr. 6 ZPO.
  37. 37 Auch die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes stellt einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 547 Nr. 5 ZPO).
  38. 38 BVerfG, NStZ 2015, 172 f. (173); zur Öffentlichkeit als einem tragenden Prinzip des Rechtsstaats, Neff, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Kommentar, 10. Aufl., Luchterhand Verlag, Neuwied am Rhein 2018, § 169 GVG, Rn. 1f.
  39. 39 Vgl. auch Enders, Einsatz künstlicher Intelligenz bei juristischer Entscheidungsfindung, JA 2018, 723 (unter Nr. 2).
  40. 40 Vgl. dazu BVerfGE 40, 356 (361).
  41. 41 So Kube, E-Government: Ein Paradigmenwechsel in Verwaltung und Verwaltungsrecht?, Thesenpapiere Staatsrechtslehrertagung 2018, unter IV, 4, These 24 – vgl. Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Band 78, Walter de Gruyter GmbH, Berlin 2019, 289 f.
  42. 42 https://digitalcharta.eu/paragraph/fassung-2016/, die Charta «Wir fordern digitale Grundrechte» wurde von einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern entwickelt; vgl. dazu Golla, In Würde vor Ampel und Algorithmus – Verfassungsrecht im technologischen Wandel, DÖV 2019, 677 ff.
  43. 43 Die rechtliche Frage, inwieweit sich auch aus Art. 22 DSGVO ein Verbot vollautomatisierter gerichtlicher Entscheidungen ergibt, kann im vorliegenden Rahmen nicht weiter vertieft werden. Art. 22 betrifft an sich nur die ausschließlich automatisiert bearbeitete Verarbeitung und enthält zudem eine Vielzahl von Ausnahmen; vgl. dazu Ernst, Algorithmische Entscheidungsfindung und personenbezogene Daten, JZ 2017, 1026 ff (1029); Hoeren/Niehoff, KI und Datenschutz – Begründungserfordernisse automatisierter Entscheidungen, RW – Heft 1, 2018, 47 ff.
  44. 44 Hambacher Erklärung zur Künstlichen Intelligenz, Sieben datenschutzrechtliche Anforderungen, Vorwort, https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/en/20190405_hambacher_erklaerung.pdf.
  45. 45 Vgl. dazu die Ausführungen unter III 2 im vorliegenden Beitrag.
  46. 46 Vgl. zur Vielfalt der denkbaren Anwendungsfelder bei Algorithmen z.B. Söbbing, Fundamentale Rechtsfragen Künstlicher Intelligenz (AI Law), Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main 2019, S. 6 f.
  47. 47 Zur Begründungspflicht als «Gegengift gegen die Intransparenz» bei algorithmenbasierten Entscheidungsverfahren, Martini (Fn. 9), JZ 2017, 1020.
  48. 48 Wischmeyer, Regulierung intelligenter Systeme, AöR 143 (2018), 1 ff, S. 55.
  49. 49 So pointiert Ebenhoch/Gantner, Das Recht in der KI-Falle, in: Schweighofer/Kummer/Saarenpää (Hrsg.), Internet of Things, Tagungsband des 22. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2019, Editions Weblaw, Bern 2019, S. 465 (471).
  50. 50 Zu den vielschichtigen Fragen der sog. Explainable artificial intelligence (XAI) näher Gutachten (Fn. 3), «Algorithmische Entscheidungsverfahren», S. 15, 21, 50, 56; vgl. zu dem damit verbundenen Gedanken der Accountability näher Herberger (Fn. 1), NJW 2018, 2827/2828.
  51. 51 Die Überlegungen dazu können im Rahmen dieses Beitrags, der sich mit dem gerichtlichen Normalverfahren befasst, nur angedeutet werden.
  52. 52 Vgl. Nicolai/Wölber, Zukunftsoffene und verbraucherfreundliche Justiz, Überlegungen zu einem beschleunigten Online-Verfahren für geringe Streitwerte, ZRP 2018, 229 ff.
  53. 53 Nicolai/Wölber, (Fn. 52, S. 229) nennen für den Zeitraum von 2005 bis 2015 einen Rückgang von etwa 22%.
  54. 54 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Hamburger Pilotprojekt (2018) für ein Online-Gerichtsverfahren im Zivilprozess mit geringem Streitwert (weniger als 1000 €) – dazu https://www.heise.de/newsticker/meldung/Online-Gerichtsverfahren-Hamburg-startet-Pilotprojekt-fuer-Zivilprozesse-4141342.html.
  55. 55 REICHOLD, in: Thomas/Putzo u. a., ZPO, Kommentar, 40. Aufl., C. H. Beck Verlag, München 2019, § 495a, Rn. 2.
  56. 56 Dies steht für Legal Technology.
  57. 57 Nicolai/Wölber (Fn. 52, S. 229) verweisen in diesem Zusammenhang auf eine Umfrage aus dem Jahr 2018, nach der nach Auffassung von 83% der Befragten die Gerichtsverfahren generell zu lange dauern.
  58. 58 Dazu näher Engel, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten – Mehr Zugang zu weniger Recht, NJW 2015, 1633 f.
  59. 59 So ausdrücklich auch Hambacher Erklärung (Fn. 44), Datenschutzrechtliche Anforderung Nr. 3.
  60. 60 Die Formulierung ist von Zwanzger (Fn. 10, S. 19) übernommen.