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Die Corona-Pandemie im Vergaberecht – Gedanken zur vereinfachten Vergabe in der Krise

  • Author: Philipp Götzl
  • Category of articles: The Corona pandemic and Legal Informatics
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Public procurement law
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2021
  • DOI: 10.38023/b9d16ca3-460f-4a3c-a3f8-16626e86e8f5
  • Citation: Philipp Götzl, Die Corona-Pandemie im Vergaberecht – Gedanken zur vereinfachten Vergabe in der Krise, in: Jusletter IT 25 February 2021
Aufgrund der aktuellen Pandemielage stellt sich die Frage der Zulässigkeit vereinfachter Vergabeverfahren bedingt durch und während der Corona-Pandemie. Im Schreiben des BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020 und in der Mitteilung der Kommission vom 01.04.2020 – betreffend Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation – wurde zur Anwendung von vergaberechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit der Covid-Krise darauf hingewiesen, dass Sonderverfahren im Zusammenhang mit neu eingeleiteten Vergabeverfahren zulässig sind. Da die unionsrechtlichen Regelungen der Vergaberichtlinien Sonderverfahren und Ausnahmevorschriften für Notsituationen vorsehen, zu denen auch die Covid-19-Pandemie zu zählen ist, wird analysiert, welche vergaberechtlichen Verfahren und welche besonderen Bestimmungen in der Krise zur Verfügung stehen um Vergaberecht in der Krise zu vereinfachen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangslage
  • 2. Nutzung digitaler Instrumente in der Krise
  • 3. Die Corona-Pandemie im österreichischen Vergaberecht
  • 4. Ergebnis

1.

Ausgangslage ^

[1]

Die Europäische Kommission hat im Zuge der ersten Welle der Corona Pandemie im März/April 2020 Leitlinien zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation1 publiziert. Die COVID-19-Pandemie wird darin2 als eine Gesundheitskrise bezeichnet, die schnelle und intelligente Lösungen und Flexibilität erfordert, wenn es darum geht, eine explodierende Nachfrage nach ähnlichen Waren und Dienstleistungen zu bewältigen, während bestimmte Lieferketten unterbrochen sind. Die öffentlichen Auftraggeber in den Mitgliedstaaten stehen bei den meisten dieser Waren und Dienstleistungen an vorderster Front. Sie müssen sicherstellen, dass persönliche Schutzausrüstungen wie Gesichtsmasken und Schutzhandschuhe, Medizinprodukte (insbesondere Beatmungsgeräte) und andere medizinische Ausrüstung, aber auch Krankenhaus- und IT-Infrastrukturen zur Verfügung stehen, um nur einige ihrer Aufgaben zu nennen. Zur besseren Anpassung ihrer Unterstützung an diese Notsituation erläutert die Kommission in diesen Leitlinien, welche Optionen und Flexibilitätsmöglichkeiten im Rahmen des EU-Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Beschaffung der zur Bewältigung der Krise erforderlichen Lieferungen, Dienstleistungen und Leistungen zur Verfügung stehen. Danach können sie im Fall von Dringlichkeit von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Fristen für die Beschleunigung offener oder nichtoffener Verfahren erheblich zu verkürzen.3 Sollte diese Flexibilität nicht ausreichen, kann ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung in Betracht gezogen werden. Schließlich könnte sogar eine Direktvergabe an einen vorab ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer zulässig sein, sofern dieser als einziger in der Lage ist, die erforderlichen Lieferungen innerhalb der durch die äußerste Dringlichkeit bedingten technischen und zeitlichen Zwänge durchzuführen. Darüber hinaus sollten öffentliche Auftraggeber auch in Erwägung ziehen, alternative Lösungen zu prüfen und sich am Markt zu beteiligen. Die Leitlinien4 sind schwerpunktmäßig auf die Auftragsvergabe in Fällen äußerster Dringlichkeit ausgerichtet, die es öffentlichen Stellen bei Bedarf ermöglicht, innerhalb von Tagen oder sogar Stunden Käufe zu tätigen. Gerade mit Blick auf eine Situation wie die COVID-19-Krise, die mit einer extremen und unvorhersehbaren Dringlichkeit einhergeht, enthalten die EU-Richtlinien keine verfahrenstechnischen Beschränkungen. Konkret können öffentliche Auftraggeber über das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung Lieferungen und Dienstleistungen so zeitnah wie möglich erwerben. Im Rahmen dieses Verfahrens nach Artikel 32 der Richtlinie 2014/24/EU können öffentliche Auftraggeber direkt mit potenziellen Auftragnehmern verhandeln, und es bestehen keine Anforderungen hinsichtlich der Veröffentlichung, der Fristen oder der Mindestanzahl der zu konsultierenden Bewerber oder sonstige verfahrenstechnische Anforderungen. Auf EU-Ebene sind keine Verfahrensschritte geregelt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Behörden so schnell handeln können, wie es technisch/physisch möglich ist, und dass das Verfahren de facto eine Direktvergabe darstellt, die lediglich den physischen/technischen Zwängen im Zusammenhang mit der tatsächlichen Verfügbarkeit und Schnelligkeit der Lieferung unterworfen ist.

[2]

Eine Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgaben im BVergG 20185 ist bisher nicht erfolgt; offenbar geht der Gesetzgeber davon aus, dass mit den bestehenden Regelungen das Auslangen gefunden werden kann. Dies spiegelt sich auch im Schreiben des BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020 wider. Der hier relevante europäische Rahmen für das öffentliche Auftragswesen bietet öffentlichen Auftraggebern die nötige Flexibilität, um Waren und Dienstleistungen, die unmittelbar mit der COVID-19-Krise zusammenhängen, so schnell wie möglich zu beschaffen. Um die Auftragsvergabe zu beschleunigen, können öffentliche Auftraggeber auch in Erwägung ziehen, mit potenziellen Auftragnehmern innerhalb und außerhalb der EU per Telefon, E-Mail oder persönlich Kontakt aufzunehmen; Agenten zu beauftragen, die bessere Kontakte zu den Märkten haben; Vertreter direkt in die Länder zu entsenden, die über die erforderlichen Lagerbestände verfügen und deren unverzügliche Lieferung gewährleisten können, mit potenziellen Lieferanten Kontakt aufzunehmen, um eine Produktionssteigerung oder die Aufnahme oder Wiederaufnahme der Produktion zu vereinbaren. Öffentliche Auftraggeber sind nach dem EU-Rechtsrahmen damit befugt, sich auf dem Markt zu betätigen und Vermittlungsaktivitäten zu übernehmen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit dem Markt zu interagieren, um das Angebot zu stimulieren, wobei sich beim mittelfristigen Bedarf die Anwendung von Eilverfahren als verlässlicheres Mittel erweisen könnte, ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis und einen breiteren Zugang zu verfügbaren Bezugsquellen zu erzielen. Überdies besteht flankierend nach den Leitlinien die Möglichkeit innovative digitale Instrumente nutzen6, um breites Interesse bei den Wirtschaftsakteuren zu wecken, die alternative Lösungen anbieten können. So könnten sie beispielsweise Hackathons für neue Konzepte durchführen, die die Wiederverwendung von Schutzmasken nach der Reinigung ermöglichen, oder für Ideen für einen wirksamen Schutz des medizinischen Personals oder aber für Möglichkeiten zum Aufspüren des Virus in der Umgebung usw. Öffentliche Auftraggeber können auch enger mit Innovationsökosystemen oder Unternehmernetzwerken zusammenarbeiten, die Lösungen anbieten könnten. Und schließlich können sich öffentliche Auftraggeber auf den EU-Rahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge stützen, der Möglichkeiten und Mittel zur Anpassung in extremen Notsituationen wie der COVID-19-Pandemie bietet.

2.

Nutzung digitaler Instrumente in der Krise ^

[3]

§ 126 Abs 2 BVergG 2018 verpflichtet zur Abgabe elektronischer Angebote, wenn ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich oder eine elektronische Auktion durchgeführt wird, wenn ein Auftrag im Wege eines dynamischen Beschaffungssystems vergeben werden oder ein Angebot unter Verwendung eines elektronischen Kataloges abgegeben werden soll. Gleiches gilt, wenn ein Auftrag oder eine Rahmenvereinbarung von einer zentralen Beschaffungsstelle vergeben bzw. abgeschlossen werden soll. Diese und andere Bestimmungen des BVergG 2018 unterstützen die elektronische Vergabe in der Krise und die notwendige Abwicklung des Vergabeverfahren ohne direkten Bieterkontakt, etwa durch die elektronische Bereitstellung bzw. Übermittlung der Ausschreibungsunterlagen (§ 90 BVergG 2018), die elektronische Rechnungslegung (§ 368 BVergG 2018) oder den elektronischen Informationsaustausch.7 Die Literatur weist auch auf die Möglichkeit der Abhaltung von Videokonferenzen, etwa bei Bieterverhandlungen, hin8 und analysiert die Problematik der eingeschränkten Verhandlungsmöglichkeiten in der Corona-Pandemie gerade für das Vergaberecht.9

[4]

Grundlage der reibungslosen Abwicklung in der Krise ist dabei vor allem, dass der gesamte Informationsaustausch im Vergabeverfahren, bis hin zur elektronische Einreichung von Angeboten, unter Anwendung elektronischer Kommunikationsmittel erfolgen kann.10 Damit wird die digitale Welt der Vergabeplattformen und Datenspeicherorte verstärkt genutzt, deren Interaktion die Interoperabilität der elektronischen Rechnungsstellungssysteme (durch e-Rechnungen11), die einheitliche Europäische Eigenerklärung, elektronische Preisspiegel und andere Tools ergänzen und es ermöglichen, auch in der Krise ein Auftragsvergabe durchzuführen.12 Dabei müssen alle Informationen über die Spezifikationen für die elektronische Einreichung der Angebote und Teilnahmeanträge, einschließlich Verschlüsselung und Zeitstempelung zugänglich sein.13 Änderungen des bestehenden Systems digitaler Vergaben sind aber im Ergebnis nicht erforderlich, um den Anforderungen der COVID-19-Pandemie entsprechen zu können.

[5]

Zur effizienten Nutzung digitaler Instrument in der Krise ist festzuhalten, dass vergaberechtlich ohnehin gewünscht ist, dass der gesamte Informationsaustausch im Bieterverfahren, einschließlich der elektronischen Einreichung von Angeboten, unter Anwendung elektronischer Kommunikationsmittel erfolgen sollte.14 Die für die elektronische Kommunikation zu verwendenden Instrumente und Vorrichtungen sowie ihre technischen Merkmale müssen aber auch in der Krise nichtdiskriminierend und allgemein verfügbar sowie mit den allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel15 sein und dürfen den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren nicht einschränken. Eine kleine Ausnahme gibt es dazu bei unmittelbar erforderlichem und nicht vorhersehbarem Bedarf („Erste Welle“ einer Pandemie). Hier besteht in der Krise die Möglichkeit Fristen zu verkürzen, was die genannten Vergabegrundsätze faktisch ausnahmsweise einschränken kann.16

[6]

Bei der gesamten Kommunikation sowie beim Austausch von Informationen muss der Auftraggeber dennoch auch in der Krise grundsätzlich sicherstellen, dass ausreichende Bietergleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb gewahrt werden. Dass die für die elektronische Kommunikation zu verwendenden Instrumente und Vorrichtungen sowie ihre technischen Merkmale nichtdiskriminierend und allgemein verfügbar17 sein müssen und den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren nicht einschränken dürfen, ergibt sich ebenfalls aus dem bestehendem nationalen Vergaberecht dem zugrunde liegen Unionsrecht.18 Das primäre Unionsrecht verlangt in diesem Sinne auch in der Pandemie, dass Vergabeverfahren transparent19 und unparteiisch20 zu führen sind. Das Transparenzgebot fordert vor allem, dass die zu erbringende Leistung so klar wie möglich definiert sein muss.21 Gerade in Krisenzeiten ist ja zu beobachten, dass der Markt sehr rasch auf neue Anforderungen reagiert. Die so agierenden Bieter sind durch die Möglichkeit fair Angebote legen zu können, zu belohnen, soweit sie sich an die Vorgaben auch zB der Coronaprävention halten. Dies muss aber auch bedeuten, dass der Bieter bei der Auftragsabwicklung auch die elektronischen Möglichkeiten zur Abwicklung eines Vergabeverfahrens benützt. Alleine aus der Nutzung digitaler Instrumente kann daher noch kein Sonderbeschaffungsregime per se in der Krise abgeleitet werden, die vorhandenen Mittel ergänzen im Ergebnis aber die Möglichkeiten der vereinfachten Beschaffung in solchen Notzeiten und ermöglichen eine faire, gleichbehandelnde Vergabe auch unter Berücksichtigung von pandemiebeschränkenden lokalen und nationalen Maßnahmen.

3.

Die Corona-Pandemie im österreichischen Vergaberecht ^

[7]

Im Schreiben des BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020 wurde zur Anwendung von vergaberechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit der Covid-Krise darauf hingewiesen, dass Sonderverfahren im Zusammenhang mit neu eingeleiteten Vergabeverfahren zulässig sind. Da die unionsrechtlichen Regelungen der Vergaberichtlinien Sonderverfahren und Ausnahmevorschriften für Notsituationen vorsehen, zu denen auch die Covid-19 Pandemie zu zählen ist.22 Gemäß den §§ 35 Abs 1 Z 4, 36 Abs 1 Z 4, 37 Abs 1 Z 4 und 203 Abs 1 Z 5 BVergG 2018 kann bspw. ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt werden, wenn „äußerst dringende, zwingende Gründe, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, reguläre Fristen einzuhalten.“ Diese – die Vergaberichtlinien (vgl. § 32 der Richtline 2014/24/EU) umsetzenden – Vorschriften erlauben die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen in einer klassischen Notsituation wie der Covid-19 Pandemie. Wie die Europäische Kommission auch bereits im Zusammenhang mit der vergaberechtlich vergleichbaren Flüchtlingskrise 2015 betonte (COM(2015)454), bieten „die europäischen Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe […] mit der derzeit geltenden […] Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe alle erforderlichen Instrumente, mit denen diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann.“ Dabei kann ein „beschleunigtes, nicht offenes Verfahren“ angewendet werden, wobei dort „Mindeststandards für die Gleichbehandlung und Transparenz einzuhalten [sind], damit gewährleistet wird, dass selbst in dringenden Fällen ein gewisser Wettbewerb herrscht.“ In vielen Fällen könnten die erforderlichen Aufträge wohl im Wege solcher „beschleunigten nichtoffenen Verfahren“ (oder nach der Richtlinie 2014/24/EU „beschleunigter offener Verfahren“) vergeben werden. Die öffentlichen Auftraggeber können darüber hinaus Aufträge ohne vorherige Veröffentlichung vergeben, soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten und es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die für die offenen, die nicht offenen oder die Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung vorgeschrieben sind. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall den öffentlichen Auftraggebern zuzuschreiben sein.23 Da die öffentlichen Auftraggeber in diesen Fällen vom Transparenzgrundsatz des Vertrags abweichen, fordert der Gerichtshof der Europäischen Union, dass dieses Verfahren weiterhin nur in Ausnahmefällen angewendet wird.

[8]

Weiters kann im Sinne des BMJ – StS VR24 der öffentliche Auftraggeber in dieser Situation „direkt mit möglichen Auftragnehmern verhandeln“; eine direkte Vergabe des Auftrags an lediglich „einen vorab ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer ist jedoch ausschließlich dann möglich, wenn nur ein Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein wird, den Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit auferlegten technischen und zeitlichen zwängen zu erfüllen

[9]

Wie der EuGH25 klargestellt hat, ist der Beschaffungsbedarf bei Berufung auf eine zwingende Dringlichkeit hin unverzüglich zu decken. Dieser Ausnahmefall kann nicht geltend gemacht werden, wenn die Auftragsvergabe mehr Zeit in Anspruch nimmt als ein transparentes (offenes oder nicht offenes) Verfahren in Anspruch genommen hätte.

[10]

Daher sind mE gerade bei der Beurteilung der Tranchen um einzelne Kleinvergaben zum Ankauf in der Covid-Pandemie typischerweise notwendiger Waren, wie Schutzanzüge, Hygieneschilder, Schutzmasken oder Bodenmarkierungen und Hinweisschilder, deren Bedarf aufgrund zwingende Dringlichkeit zur Hintanhaltung einer weiteren Ausbreitung der Covid-19-Pandemie unverzüglich zu decken ist, auch solche, bei deren Beschaffung bestehende Verfügbarkeiten unmittelbar ausgenützt werden müssen und dann – nach Einzelfallbeurteilung – jeweils direkt vergeben werden können. Insbesondere, wenn aufgrund dokumentierter Umstände davon auszugehen ist, dass die Ereignisse und das Ausmaß der zu ergreifen notwendigen Maßnahmen nicht vorhersehbar waren, kann dies genauso eine sachliche Rechtfertigung zur Anwendung eines verdünnten Vergaberegimes sein, wie der im Zusammenhang notwendige Schutz kritischer Infrastruktur und von Behördeneinrichtungen.

[11]

Die Stellungnahme des BMJ – StS VR26 betont unter anderem, dass sich die Ausnahmebestimmungen, wonach bestimmte Vergabeverfahren vom Anwendungsbereich des österreichischen Vergaberechts ausgenommen sind, auch im Zusammenhang mit „dem Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Republik Österreich“ (vgl. § 9 Abs 1 Z 3 u § 178 Abs 1 Z 3 BVergG 2018) ua wiederfinden. Dieser Ausnahmetatbestand kommt nach Auffassung des Bundesministeriums für Justiz im Zeitraum der Corona-Pandemie zwar nicht zum Tragen, da die in Rede stehenden Beschaffungen (Schutzmasken, Notausrüstung, etc.) üblicherweise weder geheim sind, noch die innere Sicherheit der Republik Österreich in einem solchen Ausmaß gefährden wird, dass der Bestand des Staates als solcher gefährdet wäre. Betont wird aber, dass es gelindere Mittel gibt, die vorliegend eingesetzt werden können27, sodass insbesondere die Durchführung von Sonderverfahren in Betracht kommen, wozu auch die eingangs erwähnten Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung oder auch Direktvergaben bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen anzusehen sind.

[12]

Vor diesem Hintergrund bestehen daher aus vergaberechtlicher Sicht keine Bedenken, wenn gerade COVID-19 verhindernden Schutzausrüstungen wie Hygieneschilder, Masken, Bodenmarkierung, Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruktur und staatlicher Einrichtungen (auch im Kontext der angeordneten Heimarbeit von BeamtInnen und Vertragsbediensteten) im erforderlichen und notwendigen Ausmaß gemäß dem oben genannten Sonderverfahren beschafft werden. Die Stellungnahme BMJ – StS VR28 in diesem Zusammenhang gerade das hier gegenständliche Phänomen, dass bestimmte Güter durch die außergewöhnliche Nachfrage nicht mehr allgemein am Markt fassbar sin können, bzw. zum Anschaffungszeitpunkt nicht einmal verfügbar sein können, was ein starkes Indiz für eine sachliche Rechtfertigung einer vereinfachten Vergabe ist. Daraus folgt, dass, sofern dies durch entsprechende Nachforschung rasch überprüft werden kann (zB durch Telefonate, Mails) und auch dokumentiert wurde (was gegenständlich der Fall ist), es auch möglich ist, diesen kurzfristigen und dringlichen Bedarf durch ein Verfahren mit einem einzigen Anbieter (der die Lieferzeit einhalten kann oder im entsprechenden Zeitraum über die nachgefragte Ware verfügt), zu decken.

[13]

Zu betonen ist jedoch, dass die beschriebenen Ausnahmeverfahren lediglich zur Überbrückung dienen dürfen, bis langfristige Lösungen gefunden sind, so bspw. durch den Abschluss von Rahmenvereinbarungen, die gemäß regulären Verfahren (dazu zählen auch beschleunigte Verfahren) vergeben werden. In diesem Kontext kommt der internen Dokumentation der Umstände, wie lange die Inanspruchnahme des Sonderverfahrens gerechtfertigt werden kann, besondere Bedeutung zu (vgl. dazu insbesondere auch §§ 49, 208 BVergG 2018). Daher sollten parallel zu den Notbeschaffungen reguläre Vergabeverfahren, insbesondere Rahmenvereinbarungen über die in absehbarer Weise benötigten Leistungen vorzubereiten und durchzuführen oder Leistungen über eine zentrale Beschaffungsstellen zu erwerben (dazu unten) und damit möglichst bald auf das reguläre Vergaberegime umzusteigen.

[14]

Weiters besteht für den einzelnen österreichischen öffentlichen Auftraggeber Leistungen über die Bundesbeschaffung GmbH (inf. kurz BBG) zu beschaffen. Hier können bspw. in den notwendigen Bereichen wie Masken, Schutzanzüge, Bodenmarkierungen und andere notwendige, Lose gebildet werden und je nachdem, in welcher Menge Beschaffungen notwendig sind, entweder im Unterschwellenbereich unter Berücksichtigung kurzer Fristen oder im Oberschwellenbereich bekanntgemacht werden. Einer solchen Vergabe ist aber die Beschaffung über die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) gleichwertig. Die BBG wurde gem. § 2 BB-GmbH-G29 zu dem besonderen Zweck gegründet, Aufgaben auf dem Gebiet des Beschaffungswesens mit dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Volumens- und Bedarfsbündelung zur Optimierung der Einkaufsbedingungen des Bundes nach wirtschaftlichen und qualitativen Kriterien wahrzunehmen. Sie erfüllt insofern im Allgemeininteresse liegende Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind.30 Gem. § 1 Abs 2 BB-GmbH-G stehen die Anteile der BBG zu 100% im Eigentum des Bundes. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit unterliegt die BBG der ausschließlichen Aufsichts- u Weisungskompetenz des BM für Finanzen. Damit ist die BBG öffentlicher Auftraggeber und hat die von ihr beschafften Leistungen gemäß BVergG 2018 zu beschaffen.31 Sie unterliegt auch der Vergabekontrolle der Verwaltungsgerichte.32 Soweit die seitens der BBG angebotenen Leistungen bereits unter Einhaltung des Vergaberegimes wettbewerblich beschafft wurden, sieht § 9 Abs 1 Z 20 BVergG 2018 eine Ausnahme für die Beschaffung bei der BBG vor, wonach „Liefer- oder Dienstleistungsaufträge eines öffentlichen Auftraggebers an eine zentrale Beschaffungsstelle, die öffentlicher Auftraggeber gemäß diesem Bundesgesetz ist, die diese Liefer- oder Dienstleistungen zum Zweck der Weiterveräußerung an andere Auftraggeber erworben hat“, dem Vergaberegime des BVergG 2018 nicht unterliegen. Diese Regelung ist in Umsetzung des Art. 37 Abs. 2 erster UAbs. der RL 2014/24/EU ergangen. Sie nimmt die Beschaffungen von Liefer- oder Dienstleistungen von einer zentralen Beschaffungsstelle im Wege des sog. „Großhändlermodells“ (vgl. § 2 Z 48 lit. a BVergG 2018) vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus. Zur Definition der „zentralen Beschaffungsstelle“ vgl. § 2 Z 47 BVergG 2018. Im Bereich der „klassischen“ Auftragsvergabe ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich gemäß Z 20 zwingend um eine zentrale Beschaffungsstelle handeln muss, die selbst öffentlicher Auftraggeber ist und demzufolge bei der Entfaltung ihrer zentralen Beschaffungstätigkeit die Regelungen für öffentliche Auftraggeber (insbesondere daher die RL 2014/24/EU) einhalten muss. Der Wortlaut stellt klar, dass die Beschaffung von Liefer- oder Dienstleistungen von einer zentralen Beschaffungsstelle nur dann vom BVergG ausgenommen ist, wenn diese Waren oder Dienstleistungen von der zentralen Beschaffungsstelle spezifisch zum Zweck des „Weiterverkaufs“ an andere Auftraggeber (öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber) beschafft wurden und damit eine zentrale Beschaffungstätigkeit entfaltet wurde.

[15]

Daher kann ein öffentlicher Auftraggeber in Österreich den notwendigen Bedarf an COVID-19 Lieferungen und Dienstleistungen unter den oben beschriebenen Voraussetzungen auch direkt bei der BBG abrufen, ohne selbst ein Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Die beabsichtigten Beschaffungen für den zukünftigen Bedarf über die BBG sind idS vergaberechtlich zulässig.

4.

Ergebnis ^

[16]

Die Analyse zeigt, dass das bestehende Vergaberecht de lege lata ausreichende Mechanismen (Fristverkürzung, elektronische Vergabe) vorsieht, um den speziellen Anforderungen in der Pandemie so zu genügen, dass eine faire und alle Bieter gleich behandelnde wettbewerbliche Vergabe möglich ist. Die Mitteilung der Kommission betreffend Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation vom 01.04.2020 (2020/C 108 I/01) und die (österreichische) Stellungnahme des BMJ – StS VR betonen in diesem Zusammenhang gerade das Phänomen, dass in der Krise bestimmte Güter durch die außergewöhnliche Nachfrage nicht mehr allgemein am Markt fassbar sein können, bzw. zum Anschaffungszeitpunkt nicht einmal verfügbar sind, was ein starkes Indiz für eine sachliche Rechtfertigung einer vereinfachten Vergabe unter verdünnter Anwendung der Vergabeprinzipien ist. Daraus folgt, dass, sofern dies durch entsprechende Nachforschung rasch überprüft werden kann (zB durch Telefonate, Mails) und auch dokumentiert wurde, es ausnahmsweise möglich sein kann, einen kurzfristigen und dringenden Bedarf in der besonderen Krisensituation („Pandemie, 1. Welle“) durch ein vereinfachtes Verfahren mit kürzeren Fristen oder allenfalls mit einem einzigen Anbieter zu decken.

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Zu betonen ist jedoch, dass die beschriebenen Ausnahmeverfahren lediglich zur Überbrückung dienen dürfen, bis langfristige Lösungen gefunden sind, so bspw. durch den Abschluss von Rahmenvereinbarungen, die gemäß regulären Verfahren (dazu zählen auch beschleunigte Verfahren) vergeben werden. In diesem Kontext kommt der internen Dokumentation der Umstände, wie lange die Inanspruchnahme des Sonderverfahrens gerechtfertigt werden kann, besondere Bedeutung zu (vgl. dazu insbesondere auch §§ 49, 208 BVergG 2018).

[18]

Schließlich kann ein öffentlicher Auftraggeber in Österreich den notwendigen Bedarf an COVID-19-Lieferungen und -Dienstleistungen auch direkt bei der Bundesbeschaffung GmbH abrufen, ohne selbst ein Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Die beabsichtigten Beschaffungen für den zukünftigen Bedarf über die BBG sind idS der Ausnahmebestimmung des § 9 Abs 1 Z 20 BVergG 2018 vergaberechtlich zulässig.

  1. 1 Mitteilung der Kommission – betreffend Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation vom 01.04.2020 (2020/C 108 I/01).
  2. 2 Die Leitlinien 2020/C 108 I/01 stützen sich auf die Mitteilung der Kommission zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik vom 9. September 2015, COM(2015) 454 final; in diesem Leitlinien legt die Kommission ihr Verständnis der Verträge, der Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) dar. Die bindende Auslegung des EU-Rechts bleibt letztlich in jedem Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten. Die Leitlinien haben keine Änderung des Rechtsrahmens zur Folge.
  3. 3 IdS auch Kurbos, Corona und Vergabe, bau aktuell 2020, 128.
  4. 4 Mitteilung der Kommission – betreffend Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation vom 01.04.2020 (2020/C 108 I/01).
  5. 5 Bundesgesetz über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2018 – BVergG 2018), BGBl. I Nr. 65/2018.
  6. 6 Digital procurement encourages innovative approaches https://ec.europa.eu/growth/single-market/public-procurement/digital_de.
  7. 7 Sie schlägt mit 19 % des BIP der Union zu Buche, vgl. Haslhofer, PEPPOL: Technisch harmonisierte Online-Vergabeverfahren in Europa, JusIT 2011/19, 41 mwN in Fn 1; Holoubek/Fuchs/Holzinger, Vergaberecht4, 9f.
  8. 8 Dokalik, Die Begleitgesetzgebung zu den COVID-19-Maßnahmen im Zivil- und Wirtschaftsrecht, RdW 2020/202, 228; Kurbos, Corona und Vergabe, bau aktuell 2020, 128; Reisner, COVID-19 und Vergabe, RPA 2020, 65 (Editorial).
  9. 9 Reisner, Wie COVID-19 Vergabeverfahren infiziert, RPA 2020, 129.
  10. 10 Art 22 Abs. 1 RL 2014/24/EU.
  11. 11 Vgl. § 368 BVergG 2018.
  12. 12 KOM(2013) 449 final 2; vgl. § 5 IKT- Konsolidierungsgesetz BGBl I Nr. 35/2012; Pachner, ZVG-Aktuell, ZVB 2013/121, 400; vgl
  13. 13 Art 22 Abs. 6 lit a der RL 2014/24/EU.
  14. 14 Art 22 Abs. 1 RL 2014/24/EU; vgl Reisner, COVID-19 und Vergabe, RPA 2020, 65.
  15. 15 Vgl insb. die Technische Spezifikationen im IKT-Bereich, die gemäß den Artikeln 13 und 14 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 festgelegt wurden.
  16. 16 Vgl. Kurbos, Corona und Vergabe, bau aktuell 2020.
  17. 17 Informations- und Kommunikationstechnologie, vgl. insb. die Technische Spezifikationen im IKT-Bereich, die gemäß den Artikeln 13 und 14 der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 festgelegt wurden.
  18. 18 Vgl. § 20 BVergG 2018 unter Verweis auf die unionsrechtlichen Vergabegrundsätze.
  19. 19 EuGH 20.09.1988, Rs C-31/87, Beentjes; 17.09.2002, Rs C-513/99, Concordia/Stadt Helsinki; 24.11.2005, Rs C-331/04, ATI EAC ua.
  20. 20 EuGH 07.12.2000, Rs C-324/98, Telaustria; 27.01.2005, Rs C-231/03 Coname; 13.10.2005 Rs C-458/03, Parking Brixen.
  21. 21 Götzl, Aspekte zu den Konkretisierungserfordernissen einer Ausschreibung, RPA 2006/1, 10.
  22. 22 Vgl oben unter 1 und Mitteilung der Kommission – betreffend Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation vom 01.04.2020 (2020/C 108 I/01).
  23. 23 Vgl Art 32 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie 2014/24/EU.
  24. 24 BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020.
  25. 25 EuGH 20.6.2013, Rs C-352/12.
  26. 26 BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020.
  27. 27 Auch im Sinne EuGH RS C -187/16, Kommission gegen Österreich.
  28. 28 BMJ – StS VR (Stabstelle Bereich Vergaberecht) vom 30.03.2020, 5.
  29. 29 Bundesgesetz über die Errichtung einer Bundesbeschaffung Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BB-GmbH-Gesetz) StF: BGBl. I Nr. 39/2001 (NR: GP XXI RV 486 AB 546 S. 61. BR: 6330 AB 6340 S. 676.).
  30. 30 BVA 13.06.2008, N/0052-BVA/06/2008-50.
  31. 31 BVwG 17.08.2017, W123 2167014-1; bereits zum BVergG 2006: BVA 13.06.2008, N/0052-BVA/06/2008-50.
  32. 32 Vgl. BVA 02.12.2010, N/0085-BVA/08/2008-160.