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Die Identifizierung von Risikofaktoren bei elektronisch abgewickelten Verwaltungsabläufen

  • Author: Thomas Preiß
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Advanced Legal Informatics Systems and Applications
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Thomas Preiß, Die Identifizierung von Risikofaktoren bei elektronisch abgewickelten Verwaltungsabläufen, in: Jusletter IT 20 February 2014
Im Zuge von Vereinfachungen und Effizienzsteigerungen von Verwaltungsabläufen werden vermehrt elektronische Lösungen von den Behörden eingesetzt. Anhand einschlägiger Judikatur wird nachgewiesen, dass trotz einer weitestgehend automatisierten Verarbeitung Risikofaktoren bestehen. Aufgrund der großen Anzahl von automatisierten Erledigungen liegt es nahe, Methoden der statistische Verfahren anwendenden Risikoanalyse heranzuziehen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Automatisierung in der Verwaltung
  • 2. Risiko im Spiegel der Judikatur
  • 3. Die Modellierung von Abläufen
  • 4. Das Auffinden von Risikofaktoren
  • 4.1. Der Ansatz von Surdeanu et al.
  • 4.2. Den Berichten der Rechnungshöfe entnehmbare Validierungskriterien
  • 5. Die Validierung des Modells
  • 6. Ausblick
  • 7. Literatur

1.

Automatisierung in der Verwaltung ^

[1]
Im Zuge von Vereinfachungen und Effizienzsteigerungen von Verwaltungsabläufen werden vermehrt elektronische Lösungen von den Behörden eingesetzt. Diese Art von Erledigung findet ihre rechtliche Deckung in den entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze.
[2]
Die verkürzten Verfahren werden in großer Zahl eingesetzt, um vor allem Verwaltungsübertretungen geringerer Schwere zu ahnden. Seitens der gemeinsamen Arbeitsgruppe «Bund Länder Städte Gemeinden» wird aktuell federführend durch das Bundesministerium für Inneres ein Projekt zur Erstellung eines österreichweit einsetzbaren elektronischen Werkzeugs für die Vollziehung entwickelt.
[3]

Schließlich wurde auch seitens des Rates der Europäischen Union entschieden, bezüglich dieser Materie die Koordination der Mitgliedsstaaten zu fördern.1

2.

Risiko im Spiegel der Judikatur ^

[4]

Risiko kann, analog zu Überlegungen in der Soziologie2, als Schadenserwartung – im Sinne einer beachtenswerten Möglichkeit eines Nachteils – im Zusammenhang mit einem Entscheidungsprozess gesehen werden. Da dies im Zuge eines staatlichen Handelns3 erfolgt, hat der Staat abwehrende Maßnahmen4 insoweit vorzusehen, als dass dieses Risiko zwischen dem abzuwehrenden Schaden und einem rechtlich erlaubten Restrisiko angesiedelt ist.

[5]

Anhand einschlägiger Judikatur wird nachgewiesen, dass trotz einer weitestgehend automatisierten Verarbeitung Risikofaktoren bestehen. Eine Manifestation dieser Risiken stellt oftmals für den Normunterworfenen ein Problem dar. Als Auswahl dazu seien folgende Judikate angeführt:

  • VwGH 2008/02/0334: Eine Überprüfung der Nachweise zur Eichung eines Messgeräts wurde nicht ermöglicht.
  • UVS Senat-WU-03-0338: Einer nachweisbar nicht früher möglichen Einzahlung eines Strafbetrags wurde auch im Fall einer Anonymverfügung die Rechtswirkung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugestanden; der VwGH hat dies in VwGH 95/17/0422 versagt.
  • UVS 20/3765/2-97br: Einer mangelhaften Zustellung wurde trotzdem eine Rechtswirkung zugestanden, sodass die zugestellte Erledigung des Verwaltungsstrafverfahrens rechtswirksam wurde.
[6]

Interessant ist, dass der Bereich «Messgerät/Nachvollziehbarkeit von Messungen» auch beim 51. Deutschen Verkehrsgerichtstag thematisiert wurde.5

3.

Die Modellierung von Abläufen ^

[7]
Aufgrund der großen Anzahl von automatisierten Erledigungen liegt es nahe, in Zusammenschau mit den oben erwähnten Judikaten, Methoden der statistische Verfahren anwendenden Risikoanalyse heranzuziehen und diese auf die gewählten Prozesse und dahinterliegenden Datenstrukturen anzuwenden. Es sind dadurch unter anderem Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob bestimmte Messverfahren mit Einspruchshäufigkeiten korrelieren, eine Nachvollziehbarkeit der Prozesse gegeben ist, und ob gewissermaßen eine «Gleichverteilung» des «Rechtsergebnisses» – also gewissermaßen Gerechtigkeit – vorliegt.
[8]

Nach Zeigler6 ist eine informelle Beschreibung des realen Systems erforderlich, um die zur Abgrenzung des Systems erforderlichen Komponenten, Variablen, Parameter, Voraussetzungen und Annahmen zu identifizieren. Eine formale Beschreibung7 erfolgt schließlich um Modellierungsfehler festzustellen und zu korrigieren.

[9]

Ausgehend von der Darstellung der Modellierung der betrachteten Prozesse mittels UML8 und der zugrundeliegenden Strukturen und deren Abhängigkeiten werden abstrakte Ansatzpunkte zur Erlangung von Ergebnissen formuliert. Eine dieser Abstraktion verpflichtete Formulierung beschreibt ausgehend von diesen Darstellungen einen Ansatz, der eine transparente Aufbereitung dieser Informationen und Daten ermöglicht.

4.

Das Auffinden von Risikofaktoren ^

[10]
In Abbildung 1 wird ein Ausschnitt der UML-Modellierung und der aufgrund der Judikatur abgeleiteten Risikofaktoren abgebildet. Diese sind grün (hell) dargestellt, wenn diese aus elektronisch verfügbaren Daten abgeleitet werden können, rot (dunkel), wenn dies nicht der Fall ist. Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Fokus auf den «grünen» Risiken.
[11]

Im Rahmen der Modellbildung sind auch charakteristische Bewertungskriterien, stochastische Risikokennzahlen oder Risikomaße9 zu identifizieren. Dabei handelt es sich um eine Abbildung, die einem Risiko eine reelle Zahl zuordnet. Diese ermöglicht, den Schaden, der bei der Manifestation des betrachteten Risikos eintritt, zu messen. In der Praxis handelt es sich meist um die geschätzten Parameter der Verteilungsfunktion dieses Risikos.

Abbildung 1: Ausschnitt einer UML-Modellierung

[12]
In den Fällen der Abbildung 1 werden die Messgenauigkeit in Abhängigkeit der Eichung eines Messgeräts, die «Strafschwere» der dadurch veranlassten Anzeige und schließlich der Typus der verwaltungsstrafrechtlichen Erledigung angeführt.

4.1.

Der Ansatz von Surdeanu et al. ^

[13]
Vergleichbar mit Arbeiten zur rechtlichen Risikoanalyse von Surdeanu et al. werden die identifizierten Risikofaktoren, die in den abgebildeten Prozessen und Entitäten zu finden sind, simuliert.
[14]

Hierzu10 wird ein Modell des betrachteten Systems11 erstellt und anschließend, unter Verwendung verfügbarer Daten und entsprechender statistischer Verfahren, wie etwa die logistische Regression, werden Muster in den Interaktionen zwischen den beteiligten Entitäten identifiziert.

[15]
Bezüglich der Beschreibung vergleichbarer Modellparameter kann auf das Datenmodell der Software Bezug genommen werden. Darin finden sich die Daten der Anzeige und weitere Daten bezüglich des in der jeweiligen Strafbehörde durch Dienstanweisungen definierten Prozesses.

4.2.

Den Berichten der Rechnungshöfe entnehmbare Validierungskriterien ^

[16]

Mittels veröffentlichter Informationen der Rechnungshöfe12 wird das erstellte Modell validiert. Diese beschreiben durchschnittliche Verfahrensdauern, Strafhöhen und Anzahlen. Die erzielten Ergebnisse der durch die statistischen Verfahren erstellten Modelle werden mit diesen Informationen verglichen. Weitere Empfehlungen der Rechnungshöfe, wie der Ausbau von Compliance Mechanismen zur Qualitätssteigerung13 der Erledigungen können nicht unmittelbar zur Erstellung von Validierungskriterien herangezogen werden, da diese nicht elektronisch abbildbar sind.

5.

Die Validierung des Modells ^

[17]

Nach Zeigler14 ist der Experimentalrahmen eine beschränkte Menge von Zuständen, in denen das reale System beobachtet werden kann. Demzufolge beschränkt der Experimentalrahmen die möglichen Beobachtungen des realen Systems. Wenn nun das Ergebnis, das durch die Anwendung entsprechend realer Eingabewerte auf das Modell erzielt wird, einem innerhalb des Experimentrahmens beobachteten oder beobachtbaren Zustand entspricht, kann gesagt werden, dass das Modell valid ist. Eingabeparameter sind nun dem beschriebenen Modell zu entnehmen, dessen Ausschnitt in Abbildung 1 dargestellt ist. Folgende Erkenntnisse15 und Zusammenhänge konnten validiert werden, wobei anzumerken ist, dass diese Zusammenhänge als «factors» und «dimensions»16 auffassbar sind:

Strafhöhe = f([Überschreitung um km/h]2, […]), → r ~ Überschreitung um km/h,Berufungswahrscheinlichkeit = f(Strafhöhe, Anzahl Verfahrensakte, […]) → r ~ Strafhöhe,Anzahl Verfahrensakte = f(Strafhöhe, Fall für Berufung) → r ~ Fall für Berufung,V(Überschreitung um km/h) ≠ f(Type Messgerät, Status Eichung).

[18]
Grundsätzlich zeigt sich, dass die technischen Hilfsmittel funktional zuverlässig sind, eine garantierte Fehlerfreiheit lässt sich allerdings – wie auch das Anführen der Risikomaße zeigt – nicht bewerkstelligen.

6.

Ausblick ^

[19]
Aufgrund der in den Berichten der Rechnungshöfe geforderten Homogenisierung der Abwicklung von Verwaltungsstrafen in Österreich erscheint die Etablierung derartiger Analyseprozesse in die Abwicklung von Verwaltungsverfahren zur Verbesserung der Transparenz erstrebenswert. Das beschriebene Modell zeigt, dass messbare Risikofaktoren bei diesen Behördenverfahren existieren.
[20]
Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss auf Rechtssicherheit und Rechtsmitteleinsatz die Etablierung des neuen Verwaltungsgerichtsverfahrens haben wird.

7.

Literatur ^

Bericht des NÖ Landesrechnungshofshttp://www.lrh-noe.at/index.php/berichte/pruefberichte/220-52011-strafgeldgebarung, abgerufen am 1. Oktober 2013.

Cottin, Claudia/Döhler, Sebastian, Risikoanalyse, Vieweg + Teubner, Wiesbaden (2009).

Demmerling, Ch., Risiko. In: Ritter, Joachim (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. 8. R – Sc, Schwabe, Basel, (1992).

Kärger, Jost Henning, Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit. In: Deutscher Verkehrsgerichtstag e. V (Hrsg.), 51. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2013, Luchterhand Verlag, Köln, (2013).

Kloepfer, Michael, Risiko/Risikoanalyse/Risikoforschung. In: Korff, Wilhelm (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, (1998).

Sartor, Giovanni, «Reasoning with Factors». In: Argumentation, Springer (2005).

Surdeanu, Mihai/Nallapati, Ramesh Maruthi/Manning, Christopher, Risk Analysis for Intellectual Property Litigation, (http://www.surdeanu.info/mihai/papers/icail11.pdf), abgerufen am 1. Oktober 2013.

Zeigler, Bernard P., Theory of Modelling and Simulation, Wiley (1976).


 

Thomas Preiß

Dissertant, Universität Wien, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik

Schottenbastei 10-16/2/5, 1010 Wien AT

a8625860@unet.univie.ac.at

 


  1. 1 Entscheidungdes Rates vom 4. Februar 1986 über die koordinierte Entwicklung von automatisierten Verwaltungsverfahren (C.D.-Projekt) (86/23/EWG).
  2. 2 Vergleiche Demmerling, 1049.
  3. 3 Darunter verstehen wir das Abwickeln eines Verwaltungsverfahrens durch Organe des Staates.
  4. 4 Vergleiche Klöpfer, 211.
  5. 5 Vergleiche Kärger, 185 ff.
  6. 6 Vergleiche Zeigler, 27 ff.
  7. 7 De facto entspricht das der Anwendung einer stark reglementierten, formalen Sprache. In erster Linie wird es sich um eine Übertragung in eine elektronisch verarbeitbare Form handeln. (Ein Programm, Bedienung von spezieller Software etc.).
  8. 8 Unified Modeling Language – eine graphische Beschreibung von Prozessen, Objekten und Komponenten, die bei der objektorientierten Softwareentwicklung verwendet wird.
  9. 9 Cottin, 103.
  10. 10 Weitere Details sind der Arbeit von Surdeanu et al. zu entnehmen.
  11. 11 Es handelt sich um Zivilprozesse, deren Gegenstand die Klärung von geistigem Eigentum im Sinne des Immaterialgüterrechts ist. Zugehörige Entitäten sind etwa die Streitparteien, Parteienvertreter, Gerichte und bereits allfällig bekannte Prozesse aller Beteiligten.
  12. 12 Bericht des Rechnungshofs, Bericht des NÖ Landesrechnungshofs. Zu beachten sind vor allem die tabellarischen Aufstellungen: Bericht des Rechnungshofs, 154, 155, 162. Bericht des NÖ Landesrechnungshofs, 22.
  13. 13 Als Qualitätskriterium wird eine möglichst geringe Anzahl von Berufungen verstanden. Bericht des Rechnungshofs, 151.
  14. 14 Zeigler, 30.
  15. 15 Es bezeichnet: f … ist funktional abhängig von, V … Verteilungsfunktion, r … Risikokennzahl, ~ … proportional zu.
  16. 16 Vergleiche Sartor.