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Gubernative Rechtsetzung mit Social Software – Ein Vorgehensmodell

  • Author: Tanja Röchert-Voigt
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Wissensbasiertes Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Tanja Röchert-Voigt, Gubernative Rechtsetzung mit Social Software – Ein Vorgehensmodell, in: Jusletter IT 20 February 2014
Der Beitrag fokussiert die im Prozessmanagement bisher wenig beachteten Entstehungsprozesse von Verwaltungsvorschriften, Satzungen und Rechtsverordnungen der Exekutive (gubernative Rechtsetzung). Es wird ein Vorgehensmodell für den Einsatz von Social Software-Anwendungen im Rechtsetzungsprozess entwickelt und die Anwendbarkeit am Fallbeispiel aufgezeigt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Vorgehen
  • 3. Gubernativer Rechtsetzungsprozess
  • 4. Social Software für das Beteiligungsverfahren
  • 5. Entwicklung eines Vorgehensmodells
  • 6. Fallbeispiel
  • 7. Fazit
  • 8. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Seit 2006 prüft der Normenkontrollrat den bürokratischen Aufwand bei allen Gesetzentwürfen der Bundesregierung, mit dem Ziels, die Vollzugskosten sowie die Belastungen und Kosten der Rechtsbefolgung für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung zu reduzieren und bürokratische Belastungen zu messen und abzubauen. Entsprechende Prüfungen durch Gremien erfahren auch Entwürfe auf Landes- oder Kommunalebene. Dabei sind es aber nicht nur die Rechtsfolge- bzw. -befolgungskosten, die bürokratischen Aufwand und Kosten erzeugen. Der Erstellprozess selbst ist je nach horizontaler (Legislative, Exekutive) und vertikaler Ebene (Bund, Länder, Kommunen) der Rechtsetzung und je nach Art und Rang der Vorschrift (formelles Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsvorschrift) mit bürokratischem Aufwand verbunden, der zeitintensiv ist und Kosten verursacht. Verwaltungsstrukturen und -prozesse rücken stetig weiter in den Vordergrund politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Betrachtungen, wenn es darum geht, transparente, effektive und effiziente Strukturen und Abläufe zu gestalten. Nicht zuletzt wird das auch vor dem Hintergrund begünstigt, dass sich moderne Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere Social Software-Anwendungen immer stärker in den Alltag integrieren und neue Möglichkeiten für Kommunikation, Kollaboration und Koordination auch bei Verwaltungsprozessen offerieren. Solche Anwendungen bieten sich auch für den gubernativen Rechtsetzungsprozess an.

2.

Vorgehen ^

[2]
Den Bezugsrahmen für die Modellbildung bildet der gubernative Rechtsetzungsprozess als Geschäftsprozess, der sich in Phasen unterteilen. Den Kern dieses Prozesses bilden Beteiligungsverfahren in jeder Phase, die sich selbst wiederum in Phasen unterteilen. Die so entstandene Phasenmatrix bildet das Grundgerüst des Vorgehensmodells. Den zweiten Grundpfeiler des Modells bilden Social Software-Anwendungen, die in Bezug auf ihre Interaktionsformen definiert werden. Über die Intentionen der Phasen des Beteiligungsverfahrens und die Ausprägungen und Interaktionsschwerpunkte der Social Software-Anwendungen, wird die Auswahl von Anwendungen je Phase konkretisiert und das Vorgehensmodell vervollständigt. Anhand eines konkreten Fallbeispiels wird das Vorgehensmodell auf die Erstellung einer kommunalen Satzung zur Kindertagesbetreuung einer Kreisstadt in Brandenburg aufgezeigt. Die im Rahmen einer Potenzialanalyse aufgedeckten organisatorischen und informationellen Schwachstellen markieren dabei Anknüpfungspunkte für den Einsatz von Social Software-Anwendungen.

3.

Gubernativer Rechtsetzungsprozess ^

[3]
Entstehungsprozesse von Rechtsvorschriften werden als Rechtsetzung oder Gesetzgebung bezeichnet [Ipsen 2008, S. 185]. Rein begrifflich obliegt die Gesetzgebung lediglich der Legislative und betrifft formelle Gesetze. Im weiteren Sinn werden aber auch materiell rechtliche Regelungen der Exekutive wie Rechtsverordnungen und Satzungen davon erfasst. Lediglich Verwaltungsvorschriften «gehören nicht zu den Akten der Gesetzgebung» [vgl. Schneider 2002, S. 20], auch wenn sie gleichsam Rechtsvorschriften sind. Um aber auch diese von der Exekutive erlassenen Vorschriften begrifflich einbeziehen zu können, wird der weitere, allgemeine Begriff der Rechtsetzung anstelle des Begriffs der Gesetzgebung verwendet. Mit Rechtsetzung wird im demokratischen Rechtsstaat das gesellschaftliche Zusammenleben gestaltet. Das geschieht in einem politischen Meinungsbildungsprozess. Der Abschluss des Prozesses mündet in einer Rechtsvorschrift als Produkt oder Output. Bogdandy definiert die Rechtsetzung unter besonderer Berücksichtigung des dynamischen Verfahrensaspektes als «in einen politischen Prozess der Entscheidungsfindung eingebettetes rechtlich ausgestaltetes Verfahren, das eine formalisierte Entscheidung abschließt» [Bogdandy 2000, S. 55]. Bei diesem Entstehungsprozess handelt es sich um einen Wert schöpfenden Geschäftsprozess. Die Wertschöpfung kann anhand der Bedeutung von Rechtsvorschriften verdeutlicht werden. Im Gegensatz zu Moralvorschriften statuieren Rechtsvorschriften durchsetzbare, mit Rechtsmitteln erzwingbare Verhaltensrechte und -pflichten zur Regelung des Zusammenlebens. Die normative Festsetzung dieser Vorschriften ist ein formaler und aus gesellschaftlicher Sicht wichtiger Baustein gesellschaftlichen Zusammenlebens, der die Verbindlichkeit der Regelungen für alle festschreibt und Grundlage für die Ahndung von Verstößen ist. Der erzeugte Mehrwert für die Gesellschaft liegt zum einen im Ergebnis des strukturierten diskursiven Meinungsaustausches, im Erkenntnisgewinn und der Konsensfindung und zum anderen in der Verbindlichkeit und Verlässlichkeit der Regelungen für das gesellschaftliche Zusammenleben.
[4]
Der Rechtsetzungsprozess lässt sich grundlegend in fünf linear verknüpfte Phasen gliedern: Entwurfserstellung, Anhörung, Beschlussfassung, Ausfertigung und Verkündung. Der politische Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung geschieht im Rahmen der ersten drei Phasen. Phase vier (Ausfertigung) und fünf (Verkündung) sind lediglich formale Akte für die Schaffung ihrer Rechtskraft, Außenwirkung und Verbindlichkeit. Sie bleiben für die Modellbildung außer Betracht.
[5]
Beteiligungsverfahren sind der Kern des Rechtsetzungsprozesses. Hier werden die verschiedenen Akteure in den Prozess der Rechtsetzung einbezogen und können ihre Meinungen beisteuern. Die Anlässe für ein solches Beteiligungsverfahren sind unterschiedlich. So kann es gesetzlich vorgeschrieben sein, wie beispielsweise in Bauplanungsverfahren (§§ 3, 4 BauGB, § 10 ROG). Ferner kann es organisatorisch begründet oder politisch motiviert sein oder einer sonstigen Motivation unterfallen. Organisatorisch begründet ist es, wenn es aufgrund untergesetzlicher Normen, insbesondere innerorganisatorischer Verwaltungsvorschriften, durchzuführen ist, wie beispielsweise bei der Erstellung einer Dienstvorschrift. Politisch motiviert ist ein Beteiligungsverfahren, wenn es von Politikern z.B. im Koalitionsvertrag oder von der Behördenführung festgelegt ist. Das ist insbesondere bei informellen Planungsverfahren wie etwa der Erstellung von Stadtentwicklungsplänen der Fall, wenn es beispielsweise darum geht, einen Standort für das Schwimmbad oder die Gestaltung eines öffentlichen Platzes zu konkretisieren. Die Kategorie der sonstigen Motivationen erfasst generalklauselartig die Anlässe, die den beschriebenen drei nicht zugeordnet werden können. Beteiligungsverfahren werden selbst in Anlehnung an Köhler/Schulze-Wolf [2007, S. 109] in drei Phasen mit je eigenen Intentionen untergliedert: Informationsbereitstellung, Meinungsäußerung und Entscheidung. Im Rahmen der Informationsbereitstellung wird der Entwurf einer Vorschrift oder der Plan oder die Absicht, eine solche zu erstellen, nebst Hintergrundinformationen seitens der Verwaltung bekannt gegeben. Hier geht es um einseitige Information (one-to-many), nicht um Informationsaustausch (many-to-many). Innerhalb der Phase der Meinungsäußerung können einbezogene Akteure Beiträge abgeben, wobei es nicht nur um Stellungnahmen gehen kann, sondern auch um die Gewinnung neuer Erkenntnisse. Wer einbezogen wird, richtet sich nach der Regelungsmaterie, den vorgeschriebenen Verfahrensanforderungen und den Zielen der Einbeziehung. Dabei kann zwischen internen und externen Akteuren unterschieden werden. Diese Unterscheidung beruht auf der Perspektive der die Rechtsvorschrift initiierenden Verwaltung. Zu den internen Akteuren zählen neben den Mitarbeitern im Allgemeinen, auch speziell (Fach-)Abteilungen oder Gremien. Zu den externen Akteuren gehören andere Verwaltungen als Träger öffentlicher Belange, Bürger bzw. beteiligte Interessen- oder Betroffenengruppen, Verbände als berufs- oder fachspezifische Interessen- oder Betroffenengruppen (Organisationen) oder auch einzelne fachspezifische Experten. Die Einbeziehung kann nach Koop in einfachen oder diskursiven Verfahren geschehen [Koop 2010, S. 42 f.]. Im einfachen Verfahren leisten die jeweiligen Akteure ihre Beiträge unabhängig voneinander, indem sie entweder auf konkrete Fragen antworten oder freie formulierte Textbeiträge liefern [Koop 2010, S. 42]. Bei diskursiven Verfahren hingegen stehen die Akteure in direktem Kontakt zueinander und können sich untereinander austauschen. Alle Beiträge können von allen eingesehen werden, so dass auch direkt auf andere Beiträge Bezug genommen oder dortige Ideen und Sichtweisen weiterentwickelt werden können [Koop 2010, S. 42 f.]. In der Phase der Entscheidung wird schließlich über aufbereitete Meinungen abgestimmt.
[6]
Je nach Regelungsmaterie kann es rechtsverbindliche Regelungen gesetzlicher oder auch vertraglicher Art geben, die die Art und Weise der Durchführung von Beteiligungsverfahren und den einzubeziehenden Kreis der Akteure vorgeben (formelle Verfahren). Andererseits kann es auch sogenannte informelle Verfahren geben, die in Ermangelung von verbindlichen Regelungen die Chance auf eine Anpassung der Verfahrensweise an die Bedürfnisse eröffnen [SenStadt 2012, S. 25]. Gesetzlich vorgeschriebene und organisatorisch begründete Beteiligungsverfahren gehören zu den formellen Verfahren. Inwieweit politisch motivierte Beteiligungsverfahren Spielraum für eine Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse eröffnen, ist im Einzelfall zu eruieren.

4.

Social Software für das Beteiligungsverfahren ^

[7]
Für den Begriff Social Software existiert wie für den Begriff Web 2.0 keine allgemeinverbindliche Definition. Eine definitorische Annäherung findet auch hier über die Beschreibung von grundlegenden Prinzipien und über die Zuordnung von Anwendungen im Rahmen des neuen Verständnisse des Nutzers als Prosument im Internet statt [O´Reilly 2006; Gronau 2012; Lackes/Siepermann 2012; Röchert-Voigt 2011]. Alle Begriffsbeschreibungen basieren auf dem von Shirky [2003] geprägten Begriffsverständnis, indem sie webbasierte Gruppenkommunikation und -interaktion als wesentliche Bestandteile aufzeigen und grundlegend die soziale Vernetzung von Individuen bzw. Gruppen und daraus resultierend die Vernetzung deren Informationen im Sinne des kollektiven Wissens herausstellen. Social Software-Anwendungen fokussieren drei Interaktionsformen, die allen Begriffsbeschreibungen innewohnen: Kommunikation, Koordination und Kollaboration (Abbildung 1). Diese hat bereits Teufel in seinem 3-K-Modell als grundlegende Interaktionsformen herausgestellt [Teufel 1995, S. 11]. Sie bauen logisch aufeinander auf [Teufel 1995, S. 11; Riemer 2009, S. 10] und sind darüber hinaus im sozialen Kontext der Vernetzung von Personen und Gruppen zu betrachten [Hippner 2006, S. 8; Gronau 2012]. Kommunikation erfasst sowohl die einseitige als auch die diskursive Informationsvermittlung [Luft 1997, S. 195; Riemer 2009, S. 10]. Anwendungen für diese Zwecke sind insbesondere Feed, Chat, Forum, Blog, Podcast oder Vidcast. Koordination meint die Abstimmung im Sinne einer Organisation von Aktivitäten in zeitlicher oder organisatorischer Hinsicht [Stoller-Schai 2003, S. 46]. Anwendungen für diese Zwecke sind insbesondere Terminkalender, Gruppenadressbücher, Umfragefunktionen wie beispielsweise bei Doodle, Expertendatenbanken oder Dokumentenarchive. Für die Koordination ist Kommunikation grundlegend. Kollaboration ist die inhaltliche, aufeinander bezogene Zusammenarbeit, die prozessorientierte Interaktion. Insbesondere Gruppeneditoren (z.B. Online Textverarbeitung) oder Wikis prägen als Anwendungen diese Interaktionsform. Im Hinblick auf eine gemeinsame Verfolgung von Zielen oder eine gemeinsame Ergebnisverantwortung bedarf die Zusammenarbeit selbst der Koordination [Riemer 2009, S. 10]. Koordination ist folglich die Meta-Ebene, auf der die Festlegung bestimmter Konventionen in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht und für die Kommunikation und die Kollaboration erfolgt. Eine Kollaboration wäre dementsprechend ohne Koordination und Kommunikation nicht möglich.
[8]
Die stetig wachsende Vielfalt an Social Software-Anwendungen begründet die Notwendigkeit einer Klassifizierung. Riemer [2009, S. 11] ordnet den drei Interaktionsformen einige Anwendungen zu und gelangt damit zu einer einfachen, aber gut strukturierten Übersicht. Wird zusätzlich der wesentliche Aspekt der Social Software-Anwendungen, die Vernetzung, fokussiert und fließen die Ziele der Anwendungen ein, lassen sich den drei Interaktionsformen in Anlehnung an Birn/Müller [2006, S. 36], Müller/Gronau [2007, S. 13] und Gronau [2012] folgende Funktionsschwerpunkte zuordnen (Abbildung 1): Kontaktaufbau und -pflege, gemeinsame Erstellung von Dokumenten, Informationsaustausch, Teilen von Inhalten/Informationsquellen und Beteiligung und Abstimmung. Nach diesen Funktionsschwerpunkten können die Anwendungen klassifiziert werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Anwendungen in der Regel nicht nur einer einzigen Interaktionsform zugeordnet werden; sie fördern je nach Anwendungskontext und Zweck des Einsatzes mal die eine, mal die andere, mehrere oder alle Interaktionsformen gleichzeitig. Um den Kern der Vernetzung und die Interaktionsformen bilden daher die Funktionsschwerpunkte ein Orientierungsraster für eine grundlegende Klassifizierung.

Abbildung 1: Klassifizierung von Social Software-Anwendungen (in Anlehnung an Teufel et al. 1995; Birn/Müller 2006, Hippner 2006; Müller/Gronau 2007; Riemer 2009; Gronau 2012)

5.

Entwicklung eines Vorgehensmodells ^

[9]
Das Vorgehensmodell soll in einem aufgezeigten Entscheidungsweg die Frage beantworten, warum sich der Einsatz welcher Anwendung wo anbietet und damit einen Beitrag zur Transparenz und zur Steigerung von Effektivität und Effizienz des gubernativen Rechtsetzungsprozesses leisten. Grundgerüst für das Modell bilden die drei betrachteten Phasen des Rechtsetzungsprozesses und die drei Phasen des Beteiligungsverfahrens. In den ersten beiden Phasen des Rechtsetzungsprozesses (Entwurfserstellung und Anhörung) finden sich grundsätzlich alle Phasen des Beteiligungsverfahrens wieder. So ist in der Phase des Entwurfs zunächst Voraussetzung, dass Informationen zu Hintergrund, Inhalt und Art der Vorschrift bereitgestellt werden. Anschließend können Meinungen hierzu geäußert werden, bevor diese ausgewertet werden und darüber entschieden wird. Ausnahmsweise fallen alle Phasen zusammen, wenn die Entwurfserstellung einem einzigen Bearbeiter obliegt, wie es beispielsweise bei Dienstvorschriften der Fall sein kann. In der Phase der Anhörung im Rechtsetzungsprozess müssen wiederum zunächst Informationen bereitgestellt werden, bevor die einbezogenen Akteure hierzu Stellung beziehen können (Meinungsäußerung) und darüber befunden werden kann (Entscheidung). Für die dritte Phase des Rechtsetzungsprozesses (Beschlussfassung) gilt allerdings etwas Anderes: hier entfällt logisch zwingend die Phase der Meinungsäußerung. Die eingeholten und aufbereiteten Meinungsäußerungen sind informatorische Voraussetzung für die Entscheidung.
[10]
Je nach Regelungsmaterie der Rechtsvorschrift kann einer der vier Anlässe – gesetzlich vorgeschrieben, organisatorisch begründet, politisch motiviert oder sonstiger Anlass – für die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens eruiert werden, der auch ausschlaggebend dafür ist, ob das Beteiligungsverfahren formell durchgeführt werden muss oder informell ausgestaltet werden kann. Regelungsmaterie, eventuell gegebene Formvorschriften und die Ziele der Beteiligung sind weiter entscheidend dafür, welche internen oder externen Akteure konkret in das Verfahren einbezogen werden. Für die Phase der Meinungsäußerung ist ferner relevant, ob ein einfaches oder ein diskursives Verfahren durchgeführt werden soll. Das hängt ebenso von der Regelungsmaterie, eventuell gegebenen Formvorschriften und den Zielen der Beteiligung ab.
[11]
Um in einem letzten Schritt konkret bestimmen zu können, welche Social Software-Anwendung sich aus welchem Grund in welcher Phase des Beteiligungsverfahrens anbietet, kommt es zum einen auf die Intentionen der Beteiligungsphase und zum anderen auf die Ausprägungen und Interaktionsschwerpunkte der Anwendungen an. Die Intentionen sind Bindeglied und fungieren als Auswahlkriterium. Während es in der Phase der Information eher um einseitige Kommunikation (one-to-many) seitens der Verwaltung geht und daher Anwendungen in Betracht kommen, die eben diese Interaktionsform fördern, werden in der Phase der Meinungsäußerung grundsätzlich alle Interaktionsformen, schwerpunktmäßig aber – je nach einfacher oder diskursiver Ausgestaltung des Verfahrens – die einseitige (one-to-many) oder diskursive (many-to-many) Kommunikation und die Kollaboration fokussiert und in der Phase der Entscheidung vorrangig solche, die einseitige Kommunikation (many-to-one) und Koordination begünstigen. Anhand der Ausprägungen der Social Software-Anwendung kann ein Interaktionsschwerpunkt eruiert werden und mit den Intentionen der jeweiligen Phase des Beteiligungsverfahrens im Rechtsetzungsprozess abgeglichen werden. Daraus ergibt sich eine grundlegende Liste. Beispielhaft seien hier die Anwendungen Feed und Forum aufgeführt (Tabelle 1). Da die Kommunikationsrichtung in der Phase der Information nur einseitig (one-to-many) von der Verwaltung zu vielen Empfängern verläuft, empfiehlt sich hier beispielsweise ein Feed, nicht jedoch ein Forum. Letzteres bietet sich für die Phase der Meinungsäußerung an, wenn diese im Rahmen eines diskursiven Austausches durchgeführt werden soll.
Anwendung Ausprägung Interaktionsschwerpunkt

Phase

Beteiligungsverfahren

Feed

Information

Kenntnisnahme von Websiteänderungen

Asynchrone Kommunikation

one-to-many

Kommunikation Information
Forum

Information

Informationsaustausch

Verbreitung des geschriebenen Wortes

Diskussion

Asynchrone Kommunikation

many-to-many

Kommunikation

Kollaboration

Meinungsäußerung

Tabelle 1: Beispielhafte Konkretisierung von zwei Social Software-Anwendungen

[12]
Abbildung 2 stellt das Vorgehensmodell als Entscheidungsweg von oben nach unten dar. In der obersten Horizontalen sind die Phasen des Rechtsetzungsprozesses aufgeführt; darunter jeweils in der Horizontalen die Anlässe, die Ausgestaltung, die Phasen des Beteiligungsverfahrens, die Akteure und schließlich die konkreten, in Spalten zu den Phasen des Beteiligungsverfahrens aufgeführten, phasenbezogenen Anwendungen.

Abbildung 2: Vorgehensmodell zur Auswahl von Social Software-Anwendungen im Rechtsetzungsprozess

6.

Fallbeispiel ^

[13]
Als ein Fallbeispiel zur Anwendung des Vorgehensmodells wurde auf kommunaler Ebene der Prozess der Überarbeitung einer Satzung zur Kindertagesbetreuung einer Kreisstadt in Brandenburg eruiert und mittels der Modellierungssprache Knowledge Modeling and Description Language (KMDL) in der Prozesssicht visualisiert. Im Rahmen einer Potenzialanalyse wurden organisatorische und informelle Schwachstellen des Prozesses analysiert und das Vorgehensmodell theoretisch angewandt.
[14]
Im Beispiel gliedert sich der Rechtsetzungsprozess in eine vorgeschaltete 1–2-wöchige Initialisierungsphase, in der darüber entschieden wird, ob es zu einer Überarbeitung kommen soll oder nicht, in die Phase der Entwurfserstellung, die 2–3 Wochen in Anspruch nimmt, in eine Prüfungsphase, die der Phase der Anhörung gleichkommt und 4–7 Wochen dauert, sowie in eine 1–2 wöchige Beschlussphase, im Rahmen derer die Stadtverordnetenversammlung beschießt, ob die Satzung fertiggestellt und von der Bürgermeisterin ausgefertigt und verkündet wird. Bis zum Beschluss dauert der linear verlaufende Prozess insgesamt 9–14 Wochen. Innerhalb dieser Prozessphasen lassen sich jeweils die drei Phasen des Beteiligungsverfahrens wiederfinden. Da die Entwurfserstellung hier durch eine Stelle erfolgt, sind in dieser Prozessphase keine Beteiligungsverfahrensphasen feststellbar. Folgende organisatorische und informationelle Schwachstellen des Prozesses konnten nach der Visualisierung festgestellt werden: Zeitintensiv sind insbesondere der Planungs-, Steuerungs-, Koordinierungs- und Kontrollaufwand im Hinblick auf die Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure in den jeweiligen Phasen zu unterschiedlichen Zeiten. Einbezogen werden in den Prozess neben, der Bürgermeisterin, der Landrat als Hauptverwaltungsbeamter, der Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport, der Jugend- und Sozialausschuss, die Stadtverordnetenversammlung sowie ein externer Rechtsanwalt. Darüber hinaus sind trotz der Nutzung eines Ratsinformationssystems für die Informationsverteilung Medienbrüche festzustellen, da prozessrelevante Informationen auch per E-Mail und als Papierausdruck weitergegeben werden. Insbesondere durch die linear ablaufenden unabhängigen Stellungnahmen der Akteure bzw. Gremien sind nicht Wert schöpfende Tätigkeiten wie Warte- und Transportzeiten auszumachen. Derzeit beginnt der Prozess der Prüfung (Anhörung) jedes Mal von vorn, wenn eines der linear einbezogenen Gremien eine inhaltliche Änderung des Entwurfes entschieden hat. Da die Entwurfsbearbeitung personenabhängig ist, ruht der Prozess, wenn der Bearbeiter des Entwurfs z.B. krankheitsbedingt ausfällt. Damit ist der Anhörungsprozess insgesamt sehr zeitintensiv. Eine Effizienzsteigerung ließe sich erzielen, wenn der Entwurf gleich alle in den Gremien entschiedenen Änderungen enthielte, bevor er erneut alle Gremien durchlaufen muss. Eine Parallelisierung der Stellungnahmeprozesse der Gremien wäre daher empfehlenswert. Insgesamt bieten sich Ansatzpunkte für den Einsatz von Social Software-Anwendungen nach dem Vorgehensmodell (Abbildung 2) insbesondere in der Phase der Initialisierung und der der Prüfung (Anhörung) sowohl im Hinblick auf die Informationsverteilung als auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit an.
[15]
Der Ablauf des Rechtsetzungsprozesses in der Phase der Initialisierung bzw. des Entwurfes ist im Hinblick auf die Einbeziehung von Bürgermeisterin, Hauptverwaltungsbeamten und Stadtverordnetenversammlung gesetzlich in der Brandenburgischen Kommunalverfassung und der Gemeindeordnung Brandenburgs vorgeschrieben und gestaltet sich damit als formelles Verfahren. In der Phase der Information im Rahmen des Beteiligungsverfahrens werden intern die Bürgermeisterin, die Stadtverordnetenversammlung und der Hauptverwaltungsbeamte einbezogen. Derzeit erhalten Sie ihre Informationen über das Portal eines Ratsinformationssystems. Hier bietet es sich ferner an, Feeds in Bezug auf aktuelle Änderungen, hier zum Änderungsprozess der Kindertagesbetreuungssatzung einzusetzen und durch Social Bookmarking-, Social Citation- oder Social Tagging-Anwendungen auf die aktuellen zugehörigen Informationen zu verlinken. Gerade im Hinblick auf die Kommunikationsrichtung one-to-many verfolgen Feeds die Intention, dass die Empfänger aktuell über die Änderung von Inhalten einer Website in Kenntnis gesetzt werden. Social Bookmarking, -Citation und -Tagging werden Informationsquellen (mit-)geteilt, Dokumente indexiert und Informationszusammenhänge sichtbar gemacht. Die Akteure werden automatisch informiert, sobald die Änderung im Ratsinformationssystem eingegeben ist. Auf die Erstellung und Versendung von E-Mails mit den notwendigen Anhängen kann somit verzichtet werden. Eine gesonderte Zusammenstellung und Listung der notwendigen Informationen zur Satzung entfällt durch die Verlinkung. In Bezug auf die Entscheidung würde sich die Einführung eines Abstimmungstools empfehlen. Wegen bestehender formeller Voraussetzungen für Beschlüsse, gerade in Bezug auf eine ordnungsgemäße Ladung und persönliche Anwesenheit der Personen bei der Abstimmung, stehen aber gesetzliche Regelungen der Einführung eines solchen Tools noch entgegen.
[16]
Die Phase der Anhörung im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses ist hier ebenso gesetzlich vorgeschrieben und als formelles Verfahren ausgestaltet. Informiert werden müssen nicht nur die unterschiedlichen internen Ausschüsse (Abteilungen) und die Stadtverordnetenversammlung, sondern darüber hinaus wird auch ein externer Rechtsanwalt als Experte einbezogen. Über das Ratsinformationssystem als Portal können auch hier im Rahmen der Informationsphase Feeds und Social Bookmarking, -Citation und -Tagging zum Einsatz kommen. Im Hinblick auf die Phase der Meinungsäußerung ist zu entscheiden, ob ein einfaches oder ein diskursives Verfahren durchgeführt werden soll. Die Mitglieder der jeweiligen Ausschüsse und die Stadtverordnetenversammlung sollen den Entwurf diskutieren und zu einer Entscheidung gelangen. Um eine effiziente Durchführung der vorgeschriebenen persönlichen Sitzungen zu fördern, könnte im Vorfeld Gremienintern eine asynchrone diskursive Auseinandersetzung in einem Forum (many-to-many) stattfinden. Die hier entwickelten Argumente können in die Sitzungen einfließen und eine effizientere Abstimmung begünstigen. Eine Parallelisierung der jeweiligen Abstimmungsprozesse in den Gremien würde darüber hinaus dazu führen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Entscheidungen der Gremien einmalig gesammelt in eine möglicherweise erforderliche neue Entwurfsfassung einzuarbeiten. Insgesamt sind die Prozessschleifen verzichtbar. Der Prozess wäre somit weniger von dem Entwurfsbearbeiter abhängig. Die abstimmungsreife Entwurfsfassung könnte mit minimierten Warte- und Transportzeiten effizienter erreicht. Formelle Voraussetzungen stehen dem nicht entgegen. Alternativ könnten gremieninterne Diskussionen im Vorfeld der Sitzungen auch über einen Gruppeneditor oder ein Wiki diskutiert werden. Beide Anwendungen zielen auf many-to-many Kommunikation und fokussieren neben der Kommunikation insbesondere die Kollaboration. Während die Interaktion bei Gruppeneditoren synchron und asynchron möglich ist, erlaubt ein Wiki nur asynchrone Zusammenarbeit. Der Vorteil von Gruppeneditor oder Wiki gegenüber einem Forum läge bereits darin, dass eine Diskussion übersichtlich zu jedem Paragraphen stattfinden kann, ohne jedes Mal ein neuen Themenzweig zu eröffnen. Für die im Anschluss stattfindende juristische Prüfung durch den externen Rechtsanwalt empfiehlt sich hingegen ein einfaches Verfahren, da hier im Rahmen einer asynchronen one-to-one Kommunikation Informationen des Anwalts eingeholt werden sollen. Über das Ratsinformationssystem als Portal könnte seine Stellungnahme über ein Online-Formular zu jedem Paragraphen der Satzung eingerichtet werden. Die Versendung von Papier ist damit verzichtbar. Ein weiterer Vorteil liegt darin begründet, dass die gegebenenfalls notwendigen Änderungen unmittelbar digital vorliegen und daher direkt in den Entwurf eingepflegt werden können.

7.

Fazit ^

[17]
Der Einsatz von Social Software-Anwendungen bei der gubernativen Rechtsetzung bietet die Möglichkeit, den Prozess durch Vernetzung der Akteure vor allem im Hinblick auf die Kommunikation und Kollaboration in bestimmten Phasen effektiver und effizienter zu gestalten. Durch Medienbrüche, Warte- und Transportzeiten entstandener Mehraufwand im Prozess ist so vermeidbar. Da auf bereits bestehende und im Alltag bekannte Software-Anwendungen zurückgegriffen werden kann, die sich in das Ratsinformationssystem als Portal integrieren lassen, gibt es keinen Mehraufwand im Hinblick auf Softwareerstellung. Das entwickelte Vorgehensmodell bietet einen transparenten Entscheidungsweg für eine strukturierte Auswahl einer Social Software-Anwendung in jeder Phase des Beteiligungsverfahrens im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses.

8.

Literatur ^

Bogdandy, A. von, Gubernative Rechtsetzung – Eine Neubestimmung der Rechtsetzung und des Regierungssystems unter dem Grundgesetz in der Perspektive gemeineuropäischer Dogmatik. Habilitationsschrift FU Berlin, Mohr Siebeck, Tübingen (2000).

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Tanja Röchert-Voigt

Rechtsanwältin; Doktorandin Universität Potsdam, Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Electronic Government

Am Reiherbusch 1, 14469 Potsdam, DE

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