1.
Einleitung: Seeräubergarn, Kundenwert und Whistleblower ^
Wie soll man eine Herde Kleinvieh auf seine Erben verteilen, wie das angesammelte Portfolio und was machen wir mit Unikaten, die wir nicht zerteilen und zerlegen wollen oder zerteilen können? Diese und andere Fragen sind älter als Schriften und Staatsgebilde, die es erst seit etwa 5'300 bis 5'500 Jahren gibt, und beschäftigen nicht nur Erblasser, Scheidungsrichter und Nachlass- wie Insolvenzverwalter, sondern auch Räuberbanden wie Ali Baba und seine Gefolgsleute.
2.
Ein Ausflug in die Welt des Talmuds ^
2.1.
Der Dieb und der Räuber: zwischen Gentleman-Agreement und Heimtücke ^
- Symmetriebedingung aus der Räuberdiskussion: Risiko_Opfer + Risiko_Täter = 1 oder etwas formaler: p + q = 1
- Vertrauensausgleichsbedingung nach der Dieb-Diskussion. Das ist eine Art Nullsummenspiel, da: Wert*Risiko_Täter – Wert*Faktor*Risko_Opfer = 0 oder wieder etwas formaler: w*(p-faktor*q) = 0. Wert ist hier eine Abkürzung für den Wert der entwendeten Sache und Faktor einer der Zahlenwerte 4 oder 5, der das Vielfache der Rückvergütung durch den Dieb ausdrücken soll.
2.2.
Vom Finderlohn … ^
Wenn nun aber beispielsweise Hans Recht oder Anspruch auf das gesamte Bild hat und Gretel nur auf die Hälfte des Werkes, dann greift diese Regelung nicht mehr so eindeutig, denn mehr als das Ganze ist nicht möglich zu verteilen. Würden wir die allgemeinläufige Proportionalitätsregel verwenden, wie sie beispielsweise in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles ausgeführt wird und das griechische Harmonieprinzip, die sphärische Geometrie, auf irdische Belange anwendet, so hätten wir eine Aufteilung von 2/3 vs. 1/3. Das ergibt sich aus der Überlegung, dass 1+ 1/2 = 2/2 + 1/2 = 3/2, d.h. das wir das Ganze als Zusammensetzung aus drei Teilen (dem Zähler des Resultats) ansehen. Hans macht von diesen 3 Teilen 2 (Zähler des ersten Summanden) geltend und Gretel 1 (Zähler des zweiten Summanden) Teil. Das wäre die wertmäßige Aufteilung des Unikats nach dem Ansatz der Proportionalitätsrechnung, die auf der euklidischen Geometrie basiert.
Wenn wir uns von der euklidischen Geometrie als Bezugsrahmen lösen und einen Blick in den Talmud werfen, so finden wir eine alternative Aufteilungsmöglichkeit einer Vermögensmasse, die mehr auf die Rechte denn auf Fragen der Harmonie abstellt. Hans behauptet, er habe ein ganzes Recht auf den Vermögensgegenstand; Gretel beansprucht, ein halbes Recht. Welche Information können wir daraus entnehmen? Nun, dass Gretel dem Hans ein halbes Recht zuerkennt. Demnach ist nur noch ein halbes Recht strittig. Momentaner Streitzwischensaldo: Hans hat ein halbes Recht sicher, Gretel hat null Rechte sicher. Offen und strittig ist ein halbes Recht. Die zweite, strittige Hälfte wird nun zwischen den beiden Kontrahenten proportional (nach Anzahl der Köpfe und nicht nach Anzahl der Rechte) aufgeteilt: 1/2 : 2 = 1/4. Nach dieser Auffassung erhält Hans 1/2 + 1/4 = 2/4 + 1/4 = 3/4 der Rechte und Gretel 1/4 der Rechte.
Die griechische Weltsicht würde bei einer solchen Frage eine Zuteilung von 1/3 vs. 2/3 zusprechen, die talmudische Gerechtigkeitsauffassung 1/4 vs. 3/4. Beiden gemeinsam scheint nur zu sein, dass die eine Partei mehr zugesprochen bekommt als die andere.
Wenn wir uns aber ansehen, was im Detail passiert, so sehen wir, dass bei der reinen Proportionalitätszuteilung nicht nur die Gewinne unterschiedlich sind, sondern auch der verlorene Anteil. Gretel, die 1/3 zugeteilt bekommen hat, forderte zu Beginn 1/2 und musste eine Einbuße von 1/6 hinnehmen. Hans, der 2/3 zugeteilt bekommen hat und ursprünglich 1 gefordert hat, verliert 1/3. In absoluter Hinsicht verlieren beide unterschiedlich hoch und beide haben unterschiedlich hohe Gewinne. In relativer Hinsicht verlieren beide zwei Drittel (1/3 : 1/2 = 2/3 : 1= 2/3) ihrer ursprünglichen Forderung.
2.3.
…. und Eheglück ^
Im Traktat Kethuboth wird auf Fragen des Familienrechts eingegangen. Eine damit im Zusammenhang stehende Frage ist die der Aufteilung eines Vermögenswertes zwischen drei Witwen. Sagen wir, dass Agatha 300 EUR, Barbara 200 EUR und Christina 100 EUR kraft des jeweiligen Ehevertrages an Anspruch an ihren gemeinsamen Gatten haben. Wenn beim Ableben des Ehemanns das Vermögen 600 EUR betragen würde, gäbe es keine Probleme. Würde das Gesamtvermögen größer sein als 600 EUR, so wäre talmudisch folgerichtig zu entscheiden, dass jede der Frauen von dem Rest ein Drittel erhalten würde bzw. man spendet den Rest einem wohltätigen Zweck. Natürlich gehen wir hier und im Folgenden davon aus, dass es keine sonstigen Erben oder Schuldansprüche gibt. Wenn das Vermögen nach dem Ableben des Gatten aber weniger als 600 EUR beträgt, dann stellt sich die Frage nach der fairen Zuteilung. Die griechische Auffassung würde von der Vermögensmasse Agatha drei Teile, Barbara zwei Teile und Christina ein Teil zusprechen. Anders ausgerückt, der Anspruch an der Vermögensmasse V würde betragen: 1/2 für Agatha, 1/3 für Barbara und 1/6 für Christina. Diese relativen Werte saldieren sich natürlich zu 1.
Für Vermögenswerte, die größer als 600 EUR sind, kommen wir auf die Zuteilungsformel: Anspruch aus dem Ehevertrag + 1/3 der Restvermögensmasse.
Das andere Ende des Spektrums stellt eine Erbmasse dar, die kleiner ist als der geringste Anspruch, d.h. kleiner als 100 EUR. Für diese Vermögensmasse kann aufgrund der Rechtsgleichheit nur die reine Proportionalität gelten, jeder Berechtige erhält 1/3 der Vermögensmasse.
Für Forderungen zwischen 300 und 600 EUR ergibt sich eine sehr einfache Formel für die individuelle Zuweisung: (Forderung/2) + (Vermögen – (Summe der Forderungen)/2)/3. Diese Formel kann sehr einfach auf mehr als drei Berechtige erweitert werden, in dem man einfach den Divisor 3 durch die Anzahl der Berechtigen ersetzt.
Vermögen des Verstorbenen | Auszahlung an Agatha(Forderung 300 EUR) | Auszahlung an Barbara(Forderung 200 EUR) | Auszahlung an Christina(Forderung 100 EUR) |
100 EUR | 33 EUR | 33 EUR | 33 EUR |
180 EUR | 40 + 25 = 65 EUR | 40 + 25 = 65 EUR | 0 + 50 = 50 EUR |
200 EUR | 50 + 25 = 75 EUR | 50 + 25 = 75 EUR | 0 + 50 = 50 EUR |
250 EUR | 75 + 25 = 100 EUR | 75 + 25 = 100 EUR | 0 + 50 = 50 EUR |
300 EUR | 150 EUR | 100 EUR | 50 EUR |
400 EUR | 150 + 100/3 = 183 EUR | 100 + 100/3 = 133 EUR | 50 + 100/3 =83 EUR |
500 EUR | 150 + 200/3 = 216 EUR | 100 + 200/3 = 166 EUR | 50 + 200/3 = 116 EUR |
600 EUR | 300 EUR | 200 EUR | 100 EUR |
700 EUR | 300 + 100/3 = 333 EUR | 200 + 100/3 = 233 EUR | 100 + 100/3 = 133 EUR |
Tabelle 1: Übersicht über die Zuteilungshöhe relativ zur Erbmasse. Centbeträge wurden abgeschnitten. Anordnung in absteigender Reihenfolge der Forderungen.
3.
Verfahren und Prinzipien fairer und gerechter Zuteilungen ^
Den Ausarbeitungen von Lothar Philipps4, die wir eingangs erwähnten, sind hauptsächlich drei Aspekte zu entnehmen:
- Die Existenz mind. eines Wertmaßstabes und eines Wertbezugsmittels um Gegenstände zu bewerten.
- Ein Zuteilungsverfahren, das um Ausgleich und die Wahrung der Rechte bzw. Ehre und Ansehen aller Beteiligten bemüht ist.
- Das Infragestellen und die Einführung der Idee und des Begriffes des Risikos als Bestandteil des Gedankens der Zuweisung bzw. der als fair und gerecht empfundenen Verteilung.
3.1.
Verfahren 1 ^
- Schätze das Unikat.
- Aus allen Schätzungen wähle das Maximum. Die Person mit der höchsten Schätzung erhält den Zuschlag.
- Der Gewinner muss an alle anderen Bieter einen Ausgleich entrichten, d.h. er bezahlt den Preis nicht irgendjemandem, sondern allen aktiven Mit-Interessenten. Das spannende daran ist nun, dass er sich ein n-tel der Summe selbst bezahlt, da er ja die gleichen Rechte und Ansprüche wie alle anderen Mitbieter trägt. Hieraus ergibt sich die Zuteilungsformel: Maximales Gebot dividiert durch die Anzahl aller Bieter. Das bedeutet, dass er immer nur über n-1/n – tel seines Gebotes in der vereinbarten Wertgröße verfügen muss, wenn man das nicht als die Geburt der Spekulation ansehen kann.
3.2.
Verfahren 2 ^
3.3.
Verfahren 3 ^
3.4.
Verfahren 4 ^
Das hier dargestellte Verfahren ist nicht das optimalste im Sinne der Effizienz, aber transparent und leicht zu verstehen.
- Prüfe: Ist die Summe der Ansprüche gleich dem Vermögen, dann erhält jeder Berechtigte seine Forderung. Und wir sind fertig.
- Prüfe: Ist das Vermögen kleiner als der kleinste Anspruch, dann ergibt sich der jeweilige Anspruch als: Summe der Ansprüche dividiert durch die Anzahl der Berechtigten. Und wir sind fertig.
- Prüfe: Ist die Summe der Ansprüche kleiner als das Vermögen, dann erhält jeder Berechtigte folgende Zuteilung: individuelle Forderung + [(Vermögen – Summe der Forderungen)/Anzahl der Berechtigten]. Und wir sind fertig.
- Greift keine der Kriterien 1 bis 3, dann ist das Vermögen größer als die kleinste Forderung, aber kleiner als die Summe der Ansprüche.
- Ordne alle Ansprüche der Größe nach aufsteigend an. Die kleinste Forderung ist Ausgangspunkt.
- Bestimme kritische und unkritische Werte solange, bis das Vermögen aufgebraucht ist: kritischer Wert = Minimum(Forderung i, unkritischer Wert i-1); unkritischer Wert = Vermögen – Forderung i. Das spannt den Baum von links nach rechts auf.
- Nun laufen wir den Baum von rechts nach links zurück. Wenn wir den letzten Anspruch erreicht haben, erhält er den gesamten unkritischen Wert, aber max. 50% seiner Forderung zugewiesen. Sind wir nicht bei dem letzten Anspruch, so erhalten er und alle nachfolgenden Ansprüche 1/(n-m)-tel, aber nur max. 50% der jeweiligen Forderung, wobei m die Zahl aller Vorgänger ist. Dann gehen wir weiter zum nächsten niedrigerem Anspruch j. Wir teilen diesen kritischen Wert durch zwei. Der Anspruch j erhält den ersten Teil, max. 50% seines Anspruches und die anderen, ihm nachfolgenden Ansprüche, die zweite Hälfte dividiert durch die Anzahl der nachfolgenden Ansprüche. So gehen wir weiter, bis wir an das linke Ende des Baumes kommen. Sollte es Reste geben, die sich aus der 50%-Klausel ergeben, so werden diese nun an alle ausgeschüttet, nach dem dieser Rest durch die Anzahl der Forderungen geteilt worden ist.
4.
Fazit und Ausblick: Ein maßtheoretisches Prinzip und die Geometrie der Gerechtigkeit ^
5.
Literatur ^
Schlink, Bernhard, Das Spiel um den Nachlaß. In: A. Podlech (Hrsg.), Rechnen und Entscheiden, Mathematische Modelle juristischen Argumentierens, Berlin, S. 113f und 119ff (1977).
Philipps, Lothar, Die Gerechtigkeit der Likedeeler. In: Rechtstheorie, Heft 11, S. 240–242 (1980).
Lothar Philipps
Ludwig Maximilians Universität München, Juristische Fakultät
Prof.-Huber-Platz 2, 80539 München, DE
Rainhard Z. Bengez
TU München, MCTS – Munich Center for Society in Technology
Arcisstr. 21 80333 München, DE
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