Jusletter IT

Die Gerechtigkeit der Likedeeler und die Geometrie der Gerechtigkeit

  • Authors: Lothar Philipps / Rainhard Z. Bengez
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Lothar Philipps / Rainhard Z. Bengez, Die Gerechtigkeit der Likedeeler und die Geometrie der Gerechtigkeit, in: Jusletter IT 20 February 2014
In diesem Beitrag geben wir einige Verfahren für faire Zuteilungsmaße an, schließen einige Verständnislücken im talmudischen Recht und skizieren eine allgemeine Theorie der fairen Zuteilungsmaße, die Überschneidungen zur Visualisierung aufzeigen wird. Die hier grob entworfene Theorie ist nicht nur von rechtstheoretischem Interesse, sondern findet auch in der Vertragsgestaltung und bei der Kundenwertanalyse Eingang. Sie zeigt somit einen Weg auf, wie Ansätze der Rechtstheorie und Rechtsinformatik in Industrie und Handel im Rahmen von Big Data profitabel eingesetzt werden können. So schließt sich der Kreis zwischen Freibeutern, Räubern, Dieben, Erben, Witwen, den Sozialabgaben und modernen Anforderungen der IT-gestützten Wirtschaft.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung: Seeräubergarn, Kundenwert und Whistleblower
  • 2. Ein Ausflug in die Welt des Talmuds
  • 2.1. Der Dieb und der Räuber: zwischen Gentleman-Agreement und Heimtücke
  • 2.2. Vom Finderlohn …
  • 2.3. …. und Eheglück
  • 3. Verfahren und Prinzipien fairer und gerechter Zuteilungen
  • 3.1. Verfahren 1
  • 3.2. Verfahren 2
  • 3.3. Verfahren 3
  • 3.4. Verfahren 4
  • 4. Fazit und Ausblick: Ein maßtheoretisches Prinzip und die Geometrie der Gerechtigkeit
  • 5. Literatur

Die Materielle Welt beruht auf Gleichgewicht, die moralische Welt auf Gerechtigkeit.

Viktor Hugo

1.

Einleitung: Seeräubergarn, Kundenwert und Whistleblower ^

[1]

Wie soll man eine Herde Kleinvieh auf seine Erben verteilen, wie das angesammelte Portfolio und was machen wir mit Unikaten, die wir nicht zerteilen und zerlegen wollen oder zerteilen können? Diese und andere Fragen sind älter als Schriften und Staatsgebilde, die es erst seit etwa 5'300 bis 5'500 Jahren gibt, und beschäftigen nicht nur Erblasser, Scheidungsrichter und Nachlass- wie Insolvenzverwalter, sondern auch Räuberbanden wie Ali Baba und seine Gefolgsleute.

[2]
In einem Artikel aus dem Jahr 19801 geht einer der Autoren auf ein Zuteilungsproblem ein, das sich bei (See-)Räubern (norddeutsch: Likedeelern) und in einer abendländischen Abwandlung (auch als Einleitungsbeispiel bei Schlinks2 Versuch die Spieltheorie in die Jurisprudenz einzuführen) wiederfindet. Sieht man sich diese Struktur etwas genauer an, dann findet man nicht nur eine Abhandlung dieser Fragen in der talmudischen Literatur, sondern kann auch Hinweise auf ein übergeordnetes Verteilungs- und Gerechtigkeitsprinzip finden, welches in seiner mathematisch-maßtheoretischen Umschrift eine geometrische Familie von als fair und gerecht empfundenen Zuteilungsmaßen zur Verfügung stellt. Eben diese fairen Maße und ihre zugrundeliegenden Prinzipien sollen in diesem kleinen Beitrag zur Sprache kommen.
[3]
Wir beginnen mit einem kurzen Ausflug in die Welt des Talmuds, aus dem wir einige Begriffe und Verfahren ableiten werden in einer Art und Weise, wie es noch nicht getan wurde. Mit dem Wissen und den Ableitungen hieraus gehen wir weiter mit Kapitel 3, in dem wir die Verfahren von Lothar Philipps ursprünglichem Artikel weiter untersuchen und einige interessante Entdeckungen machen werden. In diesem Kapitel geben wir auch einige Verfahren und motivierende, nicht formale Beweise für diese Zuteilungsverfahren an. Mit Kapitel 4 schließen wir und geben noch einen kurzen Ausblick auf das weitere Forschungsvorhaben sowie einige laufende realwirtschaftliche Projekte im Umfeld von Big Data und Mitarbeiterkompensation an. Die Quintessenz wird sein, dass es Zuteilungsverfahren gibt, die versuchen, die Ansprüche nicht nur eindimensional zu sehen, sondern den Anspruchsträger über den Anspruch hinaus als gleichwertiges Mitglied einer Gemeinschaft anzusehen. Verbindungen über die Geometrie zur Topologie, dynamischen Systemen und Visualisierung sind naheliegend.

2.

Ein Ausflug in die Welt des Talmuds ^

[4]
Der Talmud ist die diskursive Auseinandersetzung mit der jüdischen Rechtslehre. An mehreren Stellen werden wir dort mit dem Verteilungsproblem und seiner Diskussion konfrontiert. Wir geben beispielhaft einige davon an.

2.1.

Der Dieb und der Räuber: zwischen Gentleman-Agreement und Heimtücke ^

[5]
In den fünf Büchern Moses, d.h. in der Thora oder in dem Pentateuch, wird zwischen einem Dieb und einem Räuber unterschieden. Ein Dieb muss nach der levitischen Lehre (Exodus 21,37) das Vier- oder Fünffache des Wertes zurückerstatten. Von einem Räuber wird laut Leviticus 5,23 hingegen nur die Rückerstattung des von ihm geraubten Gutes verlangt.
[6]
In Baba Qamma 79b, einem Talmud-Traktat, wird nun beispielhaft eine Diskussion zwischen Rabbi Jochanan ben Sakkai und seinen Schülern geführt, in der es darum geht, diese unterschiedliche Behandlungsweise zu erklären. Der Schlüssel zwischen Strafwürdigkeit und Vergeltungslosigkeit liegt im Begriff der Ehre, womit die Chancengleichheit gemeint ist. Ein Räuber, der in aller Öffentlichkeit agiert, gibt sich der Entdeckung preis. Er geht ein hohes Risiko ein. Derjenige, der bestohlen wird, trägt das Risiko der Achtsamkeit. Ist er unachtsam und bietet einem anderen somit die Gelegenheit Beute zu machen, so hat er das mit zu verantworten. Aufgrund der Gleichrangigkeit und entgegengesetzten Risiken (man könnte auch sagen, dass die beiden Parteien hier ein Nullsummenspiel veranstalten) ergibt sich keine Strafwürdigkeit. Ein, zugegebener Maßen, zynischer Vergleich, mit einem Geschicklichkeitsspiel, in dem beide Parteien entgegengesetzte Interessen, aber gleiche Chancen haben, liegt nahe. Aus diesem Grund ergibt sich für die levitische und talmudische Sichtweise keine Strafwürdigkeit dieses Vergehens, sondern nur eine Rückerstattung des Raubgutes.
[7]
Bei einem Dieb, der seine Tat im Schutz der Nacht, d.h. durch Tücke und Hinterhalt ausführt, liegt es anders. Hier beraubt der Dieb den Bestohlenen nicht nur seines Hab und Gutes, sondern auch seiner Chance zu intervenieren. Diese Disparität, d.h. die artifizielle Ungleichheit (d.h. nach talmudischer Redeart: das Unehrenhafte), die der Dieb in die Gemeinschaft bringt, ist es, die in hohem Maße strafwürdig ist. Wir können dieser Sichtweise unter anthropologischer Interpretation entnehmen, dass es sich hierbei um eine Rechtsauffassung handelt, in der die Gemeinschaft als Horde oder Stamm organisiert war3 und in der die Mitglieder untereinander bekannt waren.
[8]
Quantitativ bemessen können wir dem Diskurs entnehmen, dass dem Dieb eine Erfolgswahrscheinlichkeit (oder Erfolgschance) von 45 bzw. 56 zugestanden wird; seinem Kontrahenten entsprechend nur 15 resp. 16. Diese Werte ergeben sich, wenn wir zwei Bedingungen verknüpfen
  1. Symmetriebedingung aus der Räuberdiskussion: Risiko_Opfer + Risiko_Täter = 1 oder etwas formaler: p + q = 1
  2. Vertrauensausgleichsbedingung nach der Dieb-Diskussion. Das ist eine Art Nullsummenspiel, da: Wert*Risiko_Täter – Wert*Faktor*Risko_Opfer = 0 oder wieder etwas formaler: w*(p-faktor*q) = 0. Wert ist hier eine Abkürzung für den Wert der entwendeten Sache und Faktor einer der Zahlenwerte 4 oder 5, der das Vielfache der Rückvergütung durch den Dieb ausdrücken soll.
[9]
Natürlich setzen wir hierbei voraus, dass die Risikofunktion ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist und ausschließlich Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann. Bis auf diesen formalistischen Clou setzt eine Vervielfachung eines Wertgegenstandes ein quantitatives Maß und eine Wertgröße, in der dieses Maß bemessen werden kann, voraus. Hier schließen sich nun die identischen Fragen an, die bereits oben in der Einleitung angesprochen worden sind.
[10]
Man mag uns den Zynismus nachsehen, doch was steht dem Dieb und Räuber am Nächsten? Das dürften Erben und geschiedene Ehepartner sein, zumindest, wenn es um die Frage der Zuteilung und Aufteilung der Vermögensmasse und Vermögenswerte geht.

2.2.

Vom Finderlohn … ^

[11]
Im vorherigen Abschnitt haben wir uns mit einem Aspekt des Strafrechts beschäftigt. Nun betrachten wir zivilrechtliche Fragestellungen aus dem Talmud.
[12]
Stellen wir uns vor, Hans im Glück findet ein Werk des Künstlers Paul Klee. Darf er es behalten? Und was, wenn Hans und Gretel es gemeinsam finden? Wem soll es gehören? Fragen und Probleme dieser Art diskutiert der Talmud in dem Traktat Baba Metzia. Ohne zu sehr ins Detail der Diskussion zu gehen, können wir festhalten, dass der Schlüsselbegriff hier Gleichheit der Rechte ist.
[13]
Sind die Rechte identisch, dann erhält jeder der Rechteinhaber den n-ten Anteil. Auch hier gilt natürlich wieder, dass es sich um ein Gattungsgut handelt bzw. es einen Wertmaßstab und entsprechendes Wertaustauschmittel gibt, um beispielsweise Unikate etc. (wertmäßig) zu verteilen.
[14]

Wenn nun aber beispielsweise Hans Recht oder Anspruch auf das gesamte Bild hat und Gretel nur auf die Hälfte des Werkes, dann greift diese Regelung nicht mehr so eindeutig, denn mehr als das Ganze ist nicht möglich zu verteilen. Würden wir die allgemeinläufige Proportionalitätsregel verwenden, wie sie beispielsweise in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles ausgeführt wird und das griechische Harmonieprinzip, die sphärische Geometrie, auf irdische Belange anwendet, so hätten wir eine Aufteilung von 2/3 vs. 1/3. Das ergibt sich aus der Überlegung, dass 1+ 1/22/2 + 1/2 = 3/2, d.h. das wir das Ganze als Zusammensetzung aus drei Teilen (dem Zähler des Resultats) ansehen. Hans macht von diesen 3 Teilen 2 (Zähler des ersten Summanden) geltend und Gretel 1 (Zähler des zweiten Summanden) Teil. Das wäre die wertmäßige Aufteilung des Unikats nach dem Ansatz der Proportionalitätsrechnung, die auf der euklidischen Geometrie basiert.

[15]

Wenn wir uns von der euklidischen Geometrie als Bezugsrahmen lösen und einen Blick in den Talmud werfen, so finden wir eine alternative Aufteilungsmöglichkeit einer Vermögensmasse, die mehr auf die Rechte denn auf Fragen der Harmonie abstellt. Hans behauptet, er habe ein ganzes Recht auf den Vermögensgegenstand; Gretel beansprucht, ein halbes Recht. Welche Information können wir daraus entnehmen? Nun, dass Gretel dem Hans ein halbes Recht zuerkennt. Demnach ist nur noch ein halbes Recht strittig. Momentaner Streitzwischensaldo: Hans hat ein halbes Recht sicher, Gretel hat null Rechte sicher. Offen und strittig ist ein halbes Recht. Die zweite, strittige Hälfte wird nun zwischen den beiden Kontrahenten proportional (nach Anzahl der Köpfe und nicht nach Anzahl der Rechte) aufgeteilt: 1/2 : 2 = 1/4. Nach dieser Auffassung erhält Hans 1/2 + 1/4 = 2/4 + 1/4 = 3/4 der Rechte und Gretel 1/4 der Rechte.

[16]

Die griechische Weltsicht würde bei einer solchen Frage eine Zuteilung von 1/3 vs. 2/3 zusprechen, die talmudische Gerechtigkeitsauffassung 1/4 vs. 3/4. Beiden gemeinsam scheint nur zu sein, dass die eine Partei mehr zugesprochen bekommt als die andere.

[17]

Wenn wir uns aber ansehen, was im Detail passiert, so sehen wir, dass bei der reinen Proportionalitätszuteilung nicht nur die Gewinne unterschiedlich sind, sondern auch der verlorene Anteil. Gretel, die 1/3 zugeteilt bekommen hat, forderte zu Beginn 1/2 und musste eine Einbuße von 1/6 hinnehmen. Hans, der 2/3 zugeteilt bekommen hat und ursprünglich 1 gefordert hat, verliert 1/3. In absoluter Hinsicht verlieren beide unterschiedlich hoch und beide haben unterschiedlich hohe Gewinne. In relativer Hinsicht verlieren beide zwei Drittel (1/3 : 1/2 = 2/3 : 1= 2/3) ihrer ursprünglichen Forderung.

[18]
Der talmudische Blick weicht hiervon etwas ab. Hier erkennt man sofort, dass beide Parteien eine gleiche absolute Einbuße von jeweils einem Viertel ihrer ursprünglichen Forderung verlieren. Das leitende Prinzip hier ist, die Verluste in jeweils gleicher Höhe zu vergemeinschaften. Auf den ersten Blick erscheint das nicht sehr sozial ausgewogen. Doch übersieht man hierbei leicht, dass das talmudische Prinzip älter ist als das der reinen Proportionalität und das eben dieses Proportionalitätsprinzip, das auch Teil dieses Zuteilungsverfahrens ist, den damaligen Anwendern geläufig gewesen sein musste. Aus anthropologischer Sicht würde sich anbieten zu sagen, dass das talmudische Verfahren aus der Zeit der Horden und Stämme stammt und somit noch seine Anleihen hat aus einer Zeit vor der Stadtgründung und dem Zusammenfinden der Menschen in Staaten und somit auch älter ist als das uns aus der griechischen Kultur bekannte reine Proportionalitätsverfahren. Stammt es aber aus dieser Vorzeit, dann ist es älter als 5400 bis 5500 Jahre und somit auch älter als Verfahren, welche eine Schriftkultur bzw. Schriftsymbole voraussetzen. Das lässt sich insofern als plausibel erachten, da die Entstehung der Schrift mit der des Staatenwesens zusammenfällt.
[19]
Greift man diese Unterscheidung, die sich an der Bevölkerungsdichte orientiert, abermals auf, dann liegt es nahe auch auf den sozialen Status der Gemeinschaftsmitglieder einzugehen. In Horden und Stämmen waren die Ressourcen mehr oder weniger identisch verteilt und es herrschte eine Art Gleichheit. Dieser Gedankengang stützt sich auf die biblischen Überlegungen, dass derjenige höher zu bestrafen sei, der diese Gleichheit durch Heimtücke bricht. Diese Gleichheit orientiert sich an den Ressourcen und Produktionsmittel einer vorwiegend nicht oder noch nicht sesshaften Kultur. Insofern erscheint es folgerichtig, eine überschaubare Gemeinschaft, die sich untereinander kennt und über mehr oder weniger dieselben Mittel verfügt, zum Ausgleich einer Last zu gleichen Teilen beizutragen. Kein so abwegig antiquierter Gedanke, wenn man bedenkt, dass eine Kopfsteuer noch in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in England von einer Premierministerin diskutiert wurde. Die Frage, ob diese Idee von den gleichen Voraussetzungen wie ihre antike Vorgabe ausgehen kann, bleibt bedenkenswert.
[20]
Die Quellen des Talmuds mögen alt sein, doch seine Anwendung ist nicht stehen geblieben. Während das griechische Prinzip mit seinem Relativismus mehr oder weniger die sich verschiebende soziale Realität in Stadt-Staaten Rechnung trägt, die durch Handel und die Versorgung aus dem Hinterland geprägt sind, bleibt offen, ob es einen Grad der Fairness und sozialen Ausgewogenheit darstellt, wenn man das reine Proportionalitätsprinzip unbedacht anwendet. Geht es doch davon aus, dass die wertmäßige Notation eines Anspruches gleichzusetzen ist mit seinem Recht. Hierin verbirgt sich aber bei genauerer Betrachtung nichts anderes als ein verkapptes Wahlrecht, das auf der Einkommensklasse basiert. Ersterem stimmen wir zu, während die meisten von uns wohl letzteres ablehnen würden, da es der Rechtsgleichheit und der Auffassung des Bürgerstatus zuwider laufen würde. Hier greift das talmudische Zuteilungsverfahren. So antik es auch ist, so geht es von der Rechtsgleichheit der Rechtsträger aus. Und weniger von der Gleichheit qua Wertanspruch. Eine Anregung wäre zu überlegen, ob beispielsweise eine Gewinnzuteilung von Geschäftstreibenden nicht fairer wäre, wenn sie nach diesem Prinzip aufgeteilt würde, da hier die Einlagen nur einen Teil, die Präsenz und die Konstitution als Gemeinschaft von gleichwertigen Rechtsträgern einen anderen in der Zuteilung darstellen würden. Würden wir solch eine Synthese nicht als die sozialere begrüßen? Oder gibt es nicht auch Fälle, in denen wir es begrüßen, Verluste nur relativ zu tragen? Wann ist das eine, wann das andere Prinzip fairer und unter moralischen oder systematischen Aspekten zu bevorzugen?
[21]
Auch hier gilt natürlich, dass es sich hierbei um Gattungsgüter handelt oder es einen Wertmaßstab und ein entsprechend teilbares Wertaustauschinstrument gibt.
[22]
Offen bleibt nun, ob wir dieses talmudische Prinzip auch erweitern können und ob es sich von dem reinen Proportionalitätsprinzip abgrenzt oder ob es ein gemeinsames Prinzip gibt, das beiden zugrunde liegt. Dafür sprechen würde, dass auch das talmudische Prinzip immer wieder in abgestufter Weise auf die Proportionalität zurückgreift.

2.3.

…. und Eheglück ^

[23]
Was wir aus dem talmudischen Zivilrechtsdenken mitnehmen, ist die frühe Idee der Gleichheit aller Anspruchspartner und dass Wertfragen immer zwei Dimensionen aufspannen, die man zu berücksichtigen hat. Des Weiteren wurde uns ein Kriterium an die Hand gegeben, durch welches wir überprüfen können, ob eine Zu- bzw. Aufteilung einer Vermögensmasse dem talmudischen Prinzip entspricht.
[24]

Im Traktat Kethuboth wird auf Fragen des Familienrechts eingegangen. Eine damit im Zusammenhang stehende Frage ist die der Aufteilung eines Vermögenswertes zwischen drei Witwen. Sagen wir, dass Agatha 300 EUR, Barbara 200 EUR und Christina 100 EUR kraft des jeweiligen Ehevertrages an Anspruch an ihren gemeinsamen Gatten haben. Wenn beim Ableben des Ehemanns das Vermögen 600 EUR betragen würde, gäbe es keine Probleme. Würde das Gesamtvermögen größer sein als 600 EUR, so wäre talmudisch folgerichtig zu entscheiden, dass jede der Frauen von dem Rest ein Drittel erhalten würde bzw. man spendet den Rest einem wohltätigen Zweck. Natürlich gehen wir hier und im Folgenden davon aus, dass es keine sonstigen Erben oder Schuldansprüche gibt. Wenn das Vermögen nach dem Ableben des Gatten aber weniger als 600 EUR beträgt, dann stellt sich die Frage nach der fairen Zuteilung. Die griechische Auffassung würde von der Vermögensmasse Agatha drei Teile, Barbara zwei Teile und Christina ein Teil zusprechen. Anders ausgerückt, der Anspruch an der Vermögensmasse V würde betragen: 1/2 für Agatha, 1/3 für Barbara und 1/6 für Christina. Diese relativen Werte saldieren sich natürlich zu 1.

[25]
Das talmudische Denken ist hier scheinbar etwas verquerer, hängt es doch in seiner Anspruchszuweisung vom Wert der Vermögensmasse ab. Das talmudische Prinzip, das von der Rechtsgleichheit der Anspruchsberechtigten ausgeht, ist somit ein Verteilungsverfahren, das relativ zur Vermögensmasse und absolut in der Verlustzuweisung ist.
[26]

Für Vermögenswerte, die größer als 600 EUR sind, kommen wir auf die Zuteilungsformel: Anspruch aus dem Ehevertrag + 1/3 der Restvermögensmasse.

[27]

Das andere Ende des Spektrums stellt eine Erbmasse dar, die kleiner ist als der geringste Anspruch, d.h. kleiner als 100 EUR. Für diese Vermögensmasse kann aufgrund der Rechtsgleichheit nur die reine Proportionalität gelten, jeder Berechtige erhält 1/3 der Vermögensmasse.

[28]
Bei einem Vermögen von 600 EUR ergibt sich kein Konflikt, da jede Forderung entsprechen bedient werden kann.
[29]
Bei einem Vermögen von 300 EUR, d.h. der Hälfte der gesamten Forderungen erhält jede der Witwen genau die Hälfte ihrer Forderung ausbezahlt.
[30]

Für Forderungen zwischen 300 und 600 EUR ergibt sich eine sehr einfache Formel für die individuelle Zuweisung: (Forderung/2) + (Vermögen – (Summe der Forderungen)/2)/3. Diese Formel kann sehr einfach auf mehr als drei Berechtige erweitert werden, in dem man einfach den Divisor 3 durch die Anzahl der Berechtigen ersetzt.

[31]
Für Vermögenswerte, die zwischen 100 EUR, d.h. der kleinsten Forderung und 300 EUR, der Hälfte der gesamten Forderung liegen, kann man das Zuteilungs-Verfahren als eine Abwandlung des Prinzips divide et impera ansehen. Eine genauere Formulierung des Algorithmus geben wir in dem nächsten Abschnitt. Hier begnügen wir uns mit einigen Beispielen.
[32]
Zunächst stellen wir uns vor, dass wir die Forderungen der Größe nach aufsteigend anordnen. D.h. wir beginnen mit Christina, gehen dann weiter zu Barbara und machen den Abschluss mit Agatha. Diese Anordnung hat keinen Einfluss auf die Fairness des Verfahrens und dient nur einer einfacheren Umsetzung. Bei einer Vermögenshöhe von 200 EUR stellt Christina eine Forderung in Höhe von 100 EUR. Diese ersten 100 EUR sind kritisch, da auch die anderen beiden Witwen einen Anspruch darauf erheben. Die zweiten 100 EUR sind aus der Sicht Christinas unkritisch. Da auf diese zweiten 100 EUR sowohl Agatha als auch Barbara Anspruch erheben, kann man diese zwischen den beiden Witwen nur hälftig aufteilen, d.h. wir haben den Zwischenstand: Christina 0 EUR, Barbara 50 EUR und Agatha 50 EUR. Es bleiben die ersten 100 EUR. Hier haben wir zwei Parteien, auf die wir diese kritischen 100 EUR aufteilen: Christina und die anderen. Jede Partei erhält auch hier wiederum die Hälfte, d.h. Christina 50 und die beiden anderen 50 EUR. Die 50 EUR, die wir den beiden anderen zugesprochen haben, müssen nun abermals halbiert werden. Somit ergibt sich als Verteilung: Christina 50, Barbara 75 und Agatha 75 EUR. Wieso aber, fassen wir in dem zweiten Schritt zwei Witwen zu einer virtuellen Person zusammen und verteilen die ersten kritischen 100 EUR nicht einfach zu gleichen Teilen auf alle drei Witwen? Einerseits hat das damit zu tun, dass wir dem talmudischen Gleichheitsprinzip folgend die Verluste in absoluter Höhe bezogen auf ein fiktives Maß gleich belassen müssen; dazu später mehr. Ein weiterer Grund ist, dass wir eigentlich zwischen Kategorien aufteilen und innerhalb der Kategorien auf Personen. In anderen Worten, wir verteilen auf Rechte und Ansprüche. Hierbei hilft die Vorstellung der Anordnung der Ansprüche. Die beiden Kategorien, die wir haben sind: meine Forderung vs. noch alle Forderungen, die größer sind als meine. Anschaulich gesagt spannen wir von links nach rechts einen Baum auf, der die Unterscheidung trifft zwischen kritischer und unkritischer Zuteilung. Ist das Vermögen in diese Zwischenkategorien aufgeteilt, durchläuft man den Baum von rechts nach links und bildet sukzessive Pärchen, auf die aufgeteilt wird. Man verteilt auf den letzten und vorletzten zu gleichen Teilen, dann nimmt man den drittletzten und verteilt auf ihn die eine Hälfte und auf die, die nach ihm kommen, die anderen. Diese Aufteilung führt man durch, bis man den Anfang des Baumes erreicht hat.
[33]
Der Grund dafür, dass in diesen Beispielen scheinbar die Zuweisungen an Christina stagnieren, ist darin zu sehen, dass der Betrag, wenn man 50% seiner Forderung erreicht hat, so solange stagniert, bis alle 50% zugewiesen bekommen haben. Erst danach ist eine weitere Steigung möglich. Das ist keine explizite Forderung, sondern ergibt sich folgerichtig aus dem talmudischen Prinzip der Gleichheit, wie es in dem Strafrechtsbeispiel abgeleitet worden ist.
[34]
In der Tabelle 1 haben wir beispielhaft eine Auflistung der Verteilung des Vermögens nach der hier dargelegten Vorschrift angegeben.
Vermögen des Verstorbenen Auszahlung an Agatha(Forderung 300 EUR) Auszahlung an Barbara(Forderung 200 EUR) Auszahlung an Christina(Forderung 100 EUR)
100 EUR 33 EUR 33 EUR 33 EUR
180 EUR 40 + 25 = 65 EUR 40 + 25 = 65 EUR 0 + 50 = 50 EUR
200 EUR 50 + 25 = 75 EUR 50 + 25 = 75 EUR 0 + 50 = 50 EUR
250 EUR 75 + 25 = 100 EUR 75 + 25 = 100 EUR 0 + 50 = 50 EUR
300 EUR 150 EUR 100 EUR 50 EUR
400 EUR 150 + 100/3 = 183 EUR 100 + 100/3 = 133 EUR 50 + 100/3 =83 EUR
500 EUR 150 + 200/3 = 216 EUR 100 + 200/3 = 166 EUR 50 + 200/3 = 116 EUR
600 EUR 300 EUR 200 EUR 100 EUR
700 EUR 300 + 100/3 = 333 EUR 200 + 100/3 = 233 EUR 100 + 100/3 = 133 EUR

Tabelle 1: Übersicht über die Zuteilungshöhe relativ zur Erbmasse. Centbeträge wurden abgeschnitten. Anordnung in absteigender Reihenfolge der Forderungen.

3.

Verfahren und Prinzipien fairer und gerechter Zuteilungen ^

[35]

Den Ausarbeitungen von Lothar Philipps4, die wir eingangs erwähnten, sind hauptsächlich drei Aspekte zu entnehmen:

  1. Die Existenz mind. eines Wertmaßstabes und eines Wertbezugsmittels um Gegenstände zu bewerten.
  2. Ein Zuteilungsverfahren, das um Ausgleich und die Wahrung der Rechte bzw. Ehre und Ansehen aller Beteiligten bemüht ist.
  3. Das Infragestellen und die Einführung der Idee und des Begriffes des Risikos als Bestandteil des Gedankens der Zuweisung bzw. der als fair und gerecht empfundenen Verteilung.
[36]
Der Begriff des Wertbezugsmittels wird in der Ökonomie bzw. der ökonomischen Politologie und in der Spieltheorie oftmals als Nutzen und in seiner Formalisierung als Nutzenfunktion bezeichnet. Dieser Nutzen kann Geld, Zeit, Lebensqualität, etc. darstellen.
[37]
Zwar wurden auch hier zwei Zuteilungsverfahren vorgestellt, die ähnlich dem talmudischen Prinzip folgend auf die Gleichheit und «Ehre» der Mitglieder einer Stammesgemeinschaft oder überschaubaren Gruppe abstellen, aber offen bleibt das subjektive Moment der Werttaxierung. Aus der Not lässt sich daraus eine Tugend machen. In der Wahrscheinlichkeitstheorie und mathematischen Statistik ist das als das Bayes’sche Prinzip der subjektiven Wahrscheinlichkeiten bekannt. Bei diesem Prinzip gibt jeder Anwender seine persönliche Einschätzung ab und überprüft diese nach und nach. Auf diese Weise sollte sich in einem Lehrverfahren eine allmähliche Konvergenz gegen die eigentliche Verteilung ergeben. Das setzt natürlich die Rekursion der Tätigkeit voraus. Ist eine solche Wiederholung nicht gegeben, ist jede (Ein-) Schätzung willkürlich.
[38]
In der Sprache der Mathematik könnte man das einfach dadurch ausdrücken, dass es eine Abbildung aus der Menge der reellen Zahlen in sich selbst gibt: f:R→R. Das sieht vielleicht beeindruckend aus, sagt aber nur soviel, dass man keine Ahnung hat und ganz gerne alle Eigenschaften dieses Zahlengebildes und der auf ihm laufenden Funktionen verwenden möchte. Was fehlt ist eine hinreichend gute Einschränkung. Offensichtlich kann man diese nicht angeben. Was bleibt ist eine bessere Charakterisierung des Zuteilungsverfahrens, da es sich hierbei auch nur um eine Funktion auf den reellen Zahlen handelt. Was wir von den Zuteilungsverfahren fordern, ist, dass sie gerecht bzw. fair sind. Somit akzeptiert man den Wildwuchs in der Bewertung von Gegenständen im weitesten Sinne, ist aber strenger bei dem Verteilungsverfahren, das diesen Wildwuchs auszugleichen hat. Kann man nun aus den hier vorgestellten Ansätzen eine Gemeinsamkeit entnehmen?

3.1.

Verfahren 1 ^

  1. Schätze das Unikat.
  2. Aus allen Schätzungen wähle das Maximum. Die Person mit der höchsten Schätzung erhält den Zuschlag.
  3. Der Gewinner muss an alle anderen Bieter einen Ausgleich entrichten, d.h. er bezahlt den Preis nicht irgendjemandem, sondern allen aktiven Mit-Interessenten. Das spannende daran ist nun, dass er sich ein n-tel der Summe selbst bezahlt, da er ja die gleichen Rechte und Ansprüche wie alle anderen Mitbieter trägt. Hieraus ergibt sich die Zuteilungsformel: Maximales Gebot dividiert durch die Anzahl aller Bieter. Das bedeutet, dass er immer nur über n-1/n – tel seines Gebotes in der vereinbarten Wertgröße verfügen muss, wenn man das nicht als die Geburt der Spekulation ansehen kann.

3.2.

Verfahren 2 ^

[39]
Die ersten beiden Schritte sind identisch zum Verfahren 1.
[40]
Im dritten Schritt muss der Gewinner auch hier an alle anderen Bieter einen Ausgleich entrichten. In diesem Fall orientiert sich die Kompensation an der jeweiligen Einschätzung des Bieters. Es gilt die Zuteilungsformel: individuelle Einschätzung dividiert durch Anzahl aller Bieter. Da die individuelle Schätzung geringer war als die des Meistbietenden, ist auch die Dividende der Partizipation bei Verfahren 2 geringer als in Verfahren 1. Hier wird einerseits das Recht der Teilnahme und Gleichheit gewahrt, während man andererseits Scheinbietern die Dividende verringert. Welches Verfahren (1 oder 2) man als fairer ansieht, hängt sicherlich von den Zutrittsbedingungen am Tenderverfahren ab, da letztlich der Gewinner hier in dreifacher Hinsicht belohnt wird: a) er erhält das Unikat, b) er erhält eine virtuelle Partizipationsprämie (seine Einsparung) und c) er muss weniger vergüten, als nach Verfahren 1 vergütet werden müsste (Gewinn durch Verfahrenswechsel). Der Verfahrenswechsel- oder Risikogewinn (bei einem Wechsel von Verfahren 1 zu Verfahren 2: Wert aus Verfahren 1 – Wert aus Verfahren 2) ist immer gegeben, da der Zähler immer kleiner ist als bei dem Verfahren 1, aber der Divisor bei beiden Verfahren identisch ist.

3.3.

Verfahren 3 ^

[41]
Das dritte Verfahren ist nichts anderes als die uns allen bekannte und geläufige reine proportionale Zuteilung, wie es beispielsweise in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles beschrieben wird. Es handelt sich hierbei um einen Bruch, der das zu Verteilende relativ in das Verhältnis der Ansprüche setzt: Wert des zu Verteilenden dividiert durch den jeweiligen relativen Anspruch. Was hier anders ist als bei ersten beiden Verfahren und bei dem Nachfolgenden, ist, dass nur noch die Dimension des Anspruchs, aber nicht mehr die Dimension der gleichen Rechte in der Zuteilung berücksichtigt wird.

3.4.

Verfahren 4 ^

[42]
Was wir der talmudischen Zuteilung entnehmen konnten, war nicht nur, dass es zwei Dimensionen (Anzahl im Sinne von Gleichheit der Rechte und individuelle Anspruchshöhe) sind, die berücksichtigt werden bei der fairen Zuteilung, etwas mit der wir auch die Ausführungen von Lothar Philipps vertiefender erklären konnten, sondern auch, dass es diese zwei Dimensionen sind, die zu einem Verfahren geführt haben, bei dem die absoluten Verluste jeweils zweier Berechtigter bezogen auf die ihnen gemeinsam zugeteilte Summe identisch sind. Das ist ein Überprüfungskriterium, aber kein Zuteilungsverfahren.
[43]

Das hier dargestellte Verfahren ist nicht das optimalste im Sinne der Effizienz, aber transparent und leicht zu verstehen.

  1. Prüfe: Ist die Summe der Ansprüche gleich dem Vermögen, dann erhält jeder Berechtigte seine Forderung. Und wir sind fertig.
  2. Prüfe: Ist das Vermögen kleiner als der kleinste Anspruch, dann ergibt sich der jeweilige Anspruch als: Summe der Ansprüche dividiert durch die Anzahl der Berechtigten. Und wir sind fertig.
  3. Prüfe: Ist die Summe der Ansprüche kleiner als das Vermögen, dann erhält jeder Berechtigte folgende Zuteilung: individuelle Forderung + [(Vermögen – Summe der Forderungen)/Anzahl der Berechtigten]. Und wir sind fertig.
  4. Greift keine der Kriterien 1 bis 3, dann ist das Vermögen größer als die kleinste Forderung, aber kleiner als die Summe der Ansprüche.
    1. Ordne alle Ansprüche der Größe nach aufsteigend an. Die kleinste Forderung ist Ausgangspunkt.
    2. Bestimme kritische und unkritische Werte solange, bis das Vermögen aufgebraucht ist: kritischer Wert = Minimum(Forderung i, unkritischer Wert i-1); unkritischer Wert = Vermögen – Forderung i. Das spannt den Baum von links nach rechts auf.
    3. Nun laufen wir den Baum von rechts nach links zurück. Wenn wir den letzten Anspruch erreicht haben, erhält er den gesamten unkritischen Wert, aber max. 50% seiner Forderung zugewiesen. Sind wir nicht bei dem letzten Anspruch, so erhalten er und alle nachfolgenden Ansprüche 1/(n-m)-tel, aber nur max. 50% der jeweiligen Forderung, wobei m die Zahl aller Vorgänger ist. Dann gehen wir weiter zum nächsten niedrigerem Anspruch j. Wir teilen diesen kritischen Wert durch zwei. Der Anspruch j erhält den ersten Teil, max. 50% seines Anspruches und die anderen, ihm nachfolgenden Ansprüche, die zweite Hälfte dividiert durch die Anzahl der nachfolgenden Ansprüche. So gehen wir weiter, bis wir an das linke Ende des Baumes kommen. Sollte es Reste geben, die sich aus der 50%-Klausel ergeben, so werden diese nun an alle ausgeschüttet, nach dem dieser Rest durch die Anzahl der Forderungen geteilt worden ist.
[44]
Was das Verfahren im Schritt 4 macht, ist, dass es für jeden Berechtigten eine sog. geometrische Reihe des Anspruchsfaktors erzeugt. Dass dieses Verfahren auch die Bedingung der gleichen absoluten Verluste erfüllt, erkennt man daran, dass Verlust von A = (Minimum aus individueller Forderung und Summe der Zuweisungen an A und B) – Zuweisung für beide Parteien A und B immer identisch ist.

4.

Fazit und Ausblick: Ein maßtheoretisches Prinzip und die Geometrie der Gerechtigkeit ^

[45]
Was wir all diesen Verfahren entnehmen können ist, erstens dass ihnen die folgende allgemeine Forderung zugrunde liegt: Fairness in der Zuteilung bedeutet, dass eine Zuteilung nur dann fair oder gerecht für alle ist, wenn sie es für jede beliebe Konstellation oder Auswahl der Beteiligten ist. Das kann man in der Sprache der Geometrie oder Mengenlehre schön ausdrücken. Aber das ist kein neues Prinzip. Es ist ein altes Verständnis dafür, dass wenn ich einen Stab zerteile, ich ihn auch wieder zusammensetzen kann, indem ich jeweils zwei Teile zusammenfüge. Es ist ein wesentliches Prinzip der sog. Maßtheorie. Zweitens entlehnen wir den reellen Zahlen und den Funktionen auf ihnen die Stetigkeit, d.h. dass man etwas malen kann, ohne den Stift vom Papier abzuheben. Wichtig hierbei ist, dass der Farbzug in einem Strich vorgenommen wurde. Drittens, die Zuteilungen müssen entweder monoton wachsend oder fallend sein.
[46]
Daraus erhalten wir die Ingredienzien für eine Geometrie der gerecht empfundenen Zuteilungsmaße. Einige Beispiele haben wir kennengelernt und können zwei Dinge festhalten. Zum einen gibt es mehr faire Maße als nur die reine Proportionalität, die nur auf die Ansprüche aber nicht auf die Gleichheit der Personen in der Gemeinschaft abzielt. Hierfür haben wir mehrere Beispiele aus dem «Räuberwesen» und aus dem Talmud kennengelernt. In diesen Gemeinschaften war es wichtig die Rechte und den Status der Einzelnen zu wahren. Zum anderen haben wir aber auch erkannt, dass es keine Willkür geben kann, denn die Zuteilungen teilen sich gewisse Forderungen. Aus diesen Forderungen kann man durch formale Methoden eine Familie der fairen Maße konstruieren. Daraus ergibt sich die Forderung, mutig zu sein in der Forderung nach Zuteilungsmaßen, denn man kann nun ihre globale Fairness im Sinne der Mathematik nachprüfen. Warum sollten wir nicht gewisse Rechte in den Zuteilungen berücksichtigen? Es ist aber auch kein Freifahrtschein. Eine Überprüfung der Steuerprogression zeigt, dass diese durchaus den globalen Fairness-Kriterien genügt, nimmt man aber hier die Sozialabgaben und die Sozialversicherung und die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern und Beamten, etc. hinzu, so erfüllen diese Zuteilungsmaße nicht mehr in Gänze diese globalen Bedingungen.
[47]
Auch in Industrie und Handel gibt es solche Fragestellungen. Hier ist der Fokus natürlich ein anderer. In einem Projekt mit einem großen Online-Handelsunternehmen haben wir zum Stichwort Big Data und Customer Journey so die Vergütungsstrukturen für Affiliate-Partner und den Kundenwert, der sich Kraft seines Online-Reise-Verhaltens ergibt, ermitteln können. Andere Fragen, die sich hier anschlossen, waren die nach der Vergütungsstruktur für leitende Mitarbeiter.

5.

Literatur ^

Schlink, Bernhard, Das Spiel um den Nachlaß. In: A. Podlech (Hrsg.), Rechnen und Entscheiden, Mathematische Modelle juristischen Argumentierens, Berlin, S. 113f und 119ff (1977).

Philipps, Lothar, Die Gerechtigkeit der Likedeeler. In: Rechtstheorie, Heft 11, S. 240–242 (1980).


 

Lothar Philipps

Ludwig Maximilians Universität München, Juristische Fakultät

Prof.-Huber-Platz 2, 80539 München, DE

loth@jura.uni-muenchen.de

 

 

Rainhard Z. Bengez

TU München, MCTS – Munich Center for Society in Technology

Arcisstr. 21 80333 München, DE

http://www.quantius.org; bengez@tum.de

 


  1. 1 Lothar Philipps, Die Gerechtigkeit der Likedeeler.
  2. 2 Bernhard Schlink, Das Spiel um den Nachlaß.
  3. 3 In der Terminologie und Klassifikation des Anthropologen Elman Roger Service.
  4. 4 Vgl. Fußnote 1.