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Transparenz und Wahrheit: Sind Enthüllungsplattformen die vierte oder fünfte Gewalt im Staat?

  • Authors: Elisabeth Hödl / Sebastian Lukic
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Elisabeth Hödl / Sebastian Lukic, Transparenz und Wahrheit: Sind Enthüllungsplattformen die vierte oder fünfte Gewalt im Staat?, in: Jusletter IT 20 February 2014
In der Gesellschaft werden heute Informationen von Enthüllungsplattformen und Whistleblowern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Frage ist, ob diese Informationen der Transparenz einer Gesellschaft dienen und wenn ja, was dies für die politische Entwicklung bedeutet?

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Definitionen
  • 3. Informationsfreiheit und Transparenz – Meinungsfreiheit und Wahrheit
  • 4. Synergetische Effekte
  • 5. Conclusio
  • 6. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» titelte die Ausgabe 45/2013 mit den Worten: «Asyl für Snowden! Wer die Wahrheit ausspricht, begeht kein Verbrechen». Edward Snowden ist ein US-amerikanischer Whistleblower, dessen Enthüllungen Einblicke in die weltweiten Überwachungspraktiken von US-Diensten eröffneten. «Die Existenz von Spionagetechnologien darf nicht die Politik bestimmen», schreibt Snowden, «Wir haben die moralische Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Gesetze und Werte Überwachungsprogramme begrenzen und Menschenrechte schützen».1
[2]

Im folgenden Beitrag soll es nicht um die arbeitsrechtlichen2, datenschutzrechtlichen3 und strafrechtlichen4 Implikationen des «Whistleblowing» gehen. Vielmehr ist die Frage, wie Enthüllungsplattformen und Whistleblower die Presse- und Medienlandschaft beeinflussen und welche politischen und grundrechtlichen Implikationen damit verbunden sind. Wegen des Produktionsdrucks, der Ressourcenknappheit und der Schnelllebigkeit freier Medien wird die Möglichkeit für Journalisten vor Ort zu recherchieren und investigativen Journalismus zu betreiben zunehmend begrenzt. Umso mehr stellt sich die Frage, wie die Presselandschaft mit Informationen von Whistleblowern umgeht und welche Auswirkungen auf die Gesellschaft damit verbunden sind.

2.

Definitionen ^

[3]
Die Presse wird oft als vierte Gewalt bezeichnet, die nach der klassischen Gewaltenteilung nach Montesquieu neben Legislative, Judikative und Exekutive tritt und für eine Nachvollziehbarkeit politischer Prozesse sorgt. Der Presse kommt dabei zwar kein rechtliches oder politisches Mandat zu, allerdings kann sie die politische und rechtliche Entwicklung eines Landes entscheidend beeinflussen. Massenkommunikation findet statt, wo ein großes anonymes Publikum öffentlich adressiert wird. Diese Kommunikation verläuft zunächst einseitig.5 Da das Internet personalisierte Computer an Rechnernetzwerke anbindet, entsteht eine neue Mediensituation, die die traditionellen Distributionsnetze in den letzten Jahren stark verändert hat. Das One-to-Many-Prinzip wird abgelöst vom Many-to-Many-Prinzip. Im Informations- und Kommunikationszeitalter verschmelzen traditionelle Medien zudem mit anderen Sphären aus dem Web 2.0, wie beispielsweise der Blogsphäre. Nutzer berichten in tagebuchartigen Formaten aus ihrer individuellen Erfahrungswelt. Da unzählige Blogs zu journalistischen Themen existieren, entsteht damit eine neue Form der bürgerlichen Partizipation im Bereich der Meinungsbildung, die heute auch als fünfte Gewalt bezeichnet wird.6 Die traditionellen Medien haben diesen Trend längst erkannt und versuchen diese Sphären in ihre Formate zu integrieren. Auf der Homepage von CNN wurde unter der Rubrik «Citizen Journalist» beispielsweise eine eigene Rubrik dafür eingerichtet7. Mit voranschreitender Vernetzung verbinden sich vierte und fünfte Gewalt also zusehend.
[4]
Für die politische Bewertung von Sachverhalten ist jedoch nach dem Wert von Informationen zu fragen. Informationen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen und können binnen kürzester Zeit über das Internet veröffentlicht werden. Es ist ein Fall weltweiter öffentlicher Publizität. So wie der eingangs zitierte Fall des Whistleblowers Edward Snowden, der Informationen aus dem militärischen Bereich unter dem Aspekt veröffentlichte: Snowden zeigte, dass Überwachungstechnologien begrenzt werden müssten, um die Einhaltung von Menschenrechten zu garantieren. Eine Legaldefinition für Whistleblower existiert nicht, doch wird darunter zunächst eine Person verstanden, die Informationen aus einem geheimen oder geschützten Umfeld der Öffentlichkeit zugänglich macht.
[5]
Mit Whistleblowern im Zusammenhang stehen Enthüllungsplattformen, die geheime oder zensierte Dokumente, Daten, Informationen unter dem Schutz der Anonymität im Internet veröffentlichen. Die Quellen von Enthüllungsplattformen reichen oftmals weiter als im klassischen Journalismus, denn sie veröffentlichen auch Informationen, die von den Medienbehörden der Nationalstaaten unter Umständen zensuriert wurden, oder aus Sicherheitsgründen geheim gehalten werden. Das können Informationen aus Politik und Wirtschaft sein, die deshalb von öffentlichem Interesse sind, weil sie Korruption, Menschenrechtsverletzungen oder andere schwerwiegende Rechtsverletzungen aufdecken und damit der Suche nach der Wahrheit dienen.
[6]

Die bekannteste Enthüllungsplattform ist WikiLeaks, eine Website, auf der Dokumente anonym veröffentlicht werden, die durch Geheimhaltung als Verschlusssache, Vertraulichkeit, Zensur oder auf sonstige Weise in ihrer Zugänglichkeit beschränkt sind. WikiLeaks-Anhänger legten im Dezember 2010 mehrere Webesites lahm, um ihre Solidarität zur Enthüllungsplattform zu demonstrieren.8 In Folge schloss sich die Anonymous-Bewegung9 an und betonte, dass das Internet als souveränes Territorium zu betrachten sei. Im Zuge dieser Vorfälle und Prozesse war die Öffentlichkeit erstmals mit der Ethik eines Kollektivs konfrontiert, dessen Fokus die Idee eines offenen Netzes war, die durch das Lahmlegen von Servern zum Ausdruck gebracht wurde.

[7]
Im Zuge dieser Aktion wurde auch ein Manifest veröffentlicht, das die ideologische Positionierung des Kollektivs untermauern sollte.10 In diesem Manifest ist zu lesen: «Für Anonymous und Millionen andere Menschen auf diesem Planeten ist das Internet das globale Bewusstsein und ein Werkzeug, das für die Entwicklung der Zivilisation genutzt werden sollte».11 Das Ziel ist Transparenz. Transparenz bedeutet Durchsichtigkeit und Klarheit und umschreibt im politischen Kontext Vorgänge in der Öffentlichkeit, die von dieser als nachvollziehbar empfunden werden. Um sich ein Urteil über die Wirklichkeit bilden zu können, muss man wissen was wahr ist.
[8]
Der Begriff der Wahrheit ist allerdings ein philosophisch vielschichtiger und komplexer Begriff, der aber im Zusammenhang mit der hier aufgeworfenen Fragen, als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit aufgefasst werden kann, die zugleich eine normativ als richtig ausgezeichnete Auffassung ermöglicht. Die Frage ist nun, ob das Enthüllen geheimer Informationen systemisch betrachtet diesen Bestrebungen gerecht wird. Dabei interessiert aus juristischer Sicht zunächst die Frage, ob die Voraussetzung für diese angestrebte Urteilbildung eine geschützte Rechtssphäre notwendig ist, die in diesem Kontext als Meinungs- und Informationsfreiheit erscheint.

3.

Informationsfreiheit und Transparenz – Meinungsfreiheit und Wahrheit ^

[9]
Die Meinungs- und Informationsfreiheit gehört zu den konstitutiven Elementen eines jeden Verfassungsstaates.12 Die rechtliche Grundlage findet sich in der für Mitgliedstaaten der europäischen Union geltenden «Trinität der Grundrechte» in Art. 13 StGG, Art. 10 EMRK und Art. 11 Gr-Ch, wobei stets das Günstigkeitsprinzip (Art. 53 EMRK, Art. 53 Gr-Ch) zu berücksichtigen ist.13 Art. 10 EMRK geht jedenfalls über Art. 13 StGG hinaus, lediglich die absolute Schranke der Vorzensur bleibt unberührt.14 Der Anwendungsbereich ist weit, wobei zweierlei bei der Frage nach Transparenz und Wahrheit Beachtung zu finden hat: Nicht nur Werturteile werden geschützt,15 sondern eben auch Tatsachenaussagen.16 Vom Anwendungsbereich umfasst ist aber auch der Empfang von Nachrichten, also die aktive Informationsfreiheit.17
[10]
Dass der Begriff Transparenz nicht expressis verbis in den grundrechtlichen Verbürgerungen zu finden ist, ändert nichts an der Tatsache, dass sie unter Art. 10 EMRK, Art. 11 Gr-Ch zu subsumieren ist. Ins Kalkül zu ziehen ist nämlich, dass der EGMR die EMRK als «living instrument» versteht, sodass die verbürgten Rechte stets den gewandelten sozialen Verhältnissen, modifizierten gesellschaftlichen Normen Rechnung tragen.18 Zum anderen sind für den europäischen Rechtsraum die Grundrechtsentwicklungen rund um die Grundrechtecharta der Europäischen Union nicht außer Acht zu lassen: In den Kompromissvorschlägen (CONVENT 37) hatte das Präsidium des Grundrechtekonvents die Anregungen der Plenumsmehrheit angenommen, der Vorschrift über das Recht auf freie Meinungsäußerung einen Absatz 2 über die Pressefreiheit hinzuzufügen und formuliert, dass Presse- und Informationsfreiheit «unter Achtung der Transparenz und des Pluralismus gewährleistet» seien.19 Gegen diese gewählte Formulierung «Transparenz und Pluralismus» wurden aber letzten Endes Einwendungen erhoben, nämlich dass sie in concreto zu große Auslegungsspielräume eröffne.20 In Wirklichkeit wird dadurch nur deutlich, dass Transparenz jedenfalls von den zwei Erscheinungsformen, Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit erfasst ist.
[11]
Dieses Freiheitsrecht schützt vor Eingriffen der «staatlichen Gewalt», wobei dazu Gesetzgebung und Vollziehung zählen.21 Art. 10 EMRK und Art. 11 Gr-Ch i.V.m. Art. 52 Gr-Ch statuieren einen materiellen Gesetzesvorbehalt. Grundrechtseingriffe sind nur zulässig, wenn eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist und es sich um einen verhältnismäßigen Eingriff handelt, der in einer demokratischen Gesellschaft nötig ist, um einen der Ziele in Art. 10 (2) EMRK zu erreichen.22 Kern der Prüfung, ob ein gerechtfertigter Eingriff vorliegt, ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung.23 Der EGMR nimmt an, dass es sich um ein «zwingendes soziales Bedürfnis» handeln muss, welches vom Staat nachzuweisen ist.24 Nach Ansicht des EGMR ist «der staatliche Beurteilungsspielraum durch das Interesse der demokratischen Gesellschaft begrenzt, der Presse zu ermöglichen, ihre wichtige Rolle eines «Wachhundes» bei der Mitteilung von Informationen über Fragen großen öffentlichen Interesses zu spielen» und eine besonders sorgfältige Prüfung ist dann nötig, wenn sie geeignet sind, die Presse zu entmutigen, an der Diskussion und Information über die öffentlichen Interessen teilzunehmen.25 Normen (insbesondere jene des Disziplinarrechts, etwa die Frage der Zulässigkeit von Beschränkungen stellen sich in diesem Rechtsgebiet besonders oft)26, die keinen Spielraum für eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung geben, werden dort, wo es darum geht, Personen zu schützen (seien es investigative Journalisten, seien es ehemalige Mitarbeiter eines Geheimdienstes), die aufzeigen, dass jahrelang Datenschutzrechte missachtet werden, einer menschenrechtlichen Prüfung nicht Stand halten können.
[12]
Dass digitale Enthüllungsplattformen von «Whistleblowern» zur Schaffung von Transparenz genützt werden, bestätigt lediglich, dass das Internet mit seinem freien und grenzüberschreitenden Informationsfluss («free flow of informations»)27 sowie einfacher und günstiger Zugänglichkeit zu einem der wichtigsten Medien (oder schon das wichtigste?) für die Ausübung der Meinungsfreiheit wird.28

4.

Synergetische Effekte ^

[13]

Wie also verschmelzen vierte Gewalt und fünfte Gewalt? 194 Staaten sind Mitglieder der UNO. In jedem dieser Staaten existiert zumindest eine Tageszeitung, sei sie kritisch oder regimefreundlich. Verkörpern sie die vierte Gewalt? Widmet man sich weiter der Rubrik «Meinung» zum Thema «Whistleblower, zeigt sich auch hier deren immense Bedeutung. Snowden hatte nicht nur das Spähprogramm des US-Geheimdienstes NSA, sondern auch Informationen über ähnliche Aktivitäten des britischen Dienstes GCHQ an die Öffentlichkeit gebracht. Der Guardian und andere Medien veröffentlichten diese Enthüllungen.29 Sowohl zu Snowdens Asylgewährung als auch zur Verurteilung Mannings, sowie zur neuen Diskordanz zwischen Obama und Putin gibt es Stellungnahmen von Experten, Sozial- und Geisteswissenschaftlern wie Juristen, Soziologen und Philosophen.30 Der Journalismus beteiligt sich nicht nur durch Veröffentlichung sondern auch durch die Bewertung der Sachverhalte, Stakeholder aus Politik und Wirtschaft reagieren und beteiligen sich an der Debatte. Im nächsten Schritt kann es zur Formierung von Bürgerbewegungen kommen, Reflexionsprozesse bilden gesellschaftliche Probleme ab.

[14]
Und schließlich tritt heute die fünfte Gewalt hinzu. Online-Leser, die Berichte über Snowden und Manning und die Artikel über Enthüllungsplattformen lesen, kommentieren diese in Foren. Es wird über NSA und PRISM diskutiert, auch auf humoristische Weise als besondere Form der Meinungsäußerung. Der Diskurs beleuchtet darüber hinaus auch, wie die Länder Österreich, Deutschland und Schweiz mit allfälligen Datenrechtsverletzungen umgehen. Ende Oktober 2013 war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst das Mobiltelefon der deutschen Kanzlerin Angela Merkl überwacht hatte. Deutschland hat daraufhin zusammen mit Brasilien eine Resolution gegen Datenspionage bei der UNO vorgelegt. Damit entstehen Reflexionsprozesse zur Frage des Umgangs mit Daten in der digitalen Gesellschaft, in Netzwerken und dies schlägt sich wieder auf Debatten in der Gesetzgebung der EU nieder. Hier wäre etwa der politische Diskurs mit Stakeholdern der Politik und Wirtschaft bezüglich des Entwurfs einer Datenschutz-Grundverordnung zu nennen. Enthüllungsjournalismus regt unter diesem Blickwinkel zur Reflexion an. Die Civitas wird aufmerksam und sie wird bezüglich der Frage sensibilisiert, wie mit Daten im Internet umzugehen ist, und wie Datenschutz rechtlich zu sichern ist.
[15]
Auf die Frage, wie zwischenstaatliche Institutionen und Organisationen ihre Legitimität und Rechenschaftspflicht, sowie ihre Transparenz stärken können, ist mit verstärkte Einbeziehung der Zivilgesellschaft («civil-society approach»), deren weitestgehende Entwicklung zumeist Nichtstaatliche Regierungsorganisationen sind, zu antworten. Bevor diese Einbeziehung jedoch überhaupt stattfinden kann, muss sich diese Zivilgesellschaft zuerst organisieren und formen können. Ausgangspunkt oder Anlass für die Entwicklung einer sich organisierenden «civil society» ist meist ein Missstand (Folter seitens staatlicher Organe, Korruptionsfälle, Missbrauch politischer Vormachtstellungen), der innerhalb der Bevölkerung Unmut, Zorn und Enttäuschung hervorruft. An dieser Stelle kommt die politische Rolle des investigativen Journalismus ins Spiel: Nicht nur durch die Enthüllungen werden Missstände bekannt, sondern auch durch die Deutung und Offenlegung der Wahrheit wird das Bewusstsein der Bevölkerung geweckt.
[16]
Die daraus resultierende Erkenntnis kann sein, dass es unerlässlich ist, sich zu formieren und zu organisieren, dass es notwendig ist eine mutige Zivilgesellschaft darzustellen, die sich den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte verpflichtet sieht. Am Beispiel der Verbindung von Enthüllungsjournalismus, investigativer Recherche und Zivilgesellschaft offenbart sich die Interrelation zwischen den Grundrechten der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit.
[17]
Aber nicht nur diese Verknüpfung wird sichtbar, sondern das Zusammenspiel von Enthüllungsjournalismus und Zivilgesellschaft. Dies scheint geeignet, die Spielarten der Meinungsfreiheit (Informationsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit und Meinungsbildungsfreiheit) aufzuzeigen und deren enge Verbindung als dynamischen Prozess abzubilden: Journalisten äußern ihre Meinung zum Thema, die Bevölkerung macht von der Informationsfreiheit Gebrauch und bildet in Folge ihre Meinung und schließt sich allenfalls zusammen, um diese allenfalls öffentlich zu demonstrieren.
[18]
Es ist daher kein Zufall, wenn ein Blick in die Geschehnisse des Alltags in der Welt zeigt, dass in Weltregionen, in denen Freiheitsrechte als Neokolonialismus verstanden werden und Journalisten Repressionen erleben, zensuriert werden, die Zivilgesellschaft kaum Möglichkeiten hat, sich zu bilden. In demokratisch-rechtstaatlichen Ländern kann hingegen investigativer Journalismus, der zwar nicht inhärent emanzipatorisch ist, emanzipatorischen Zwecken dienen und von einer sich zunächst organisierenden Zivilgesellschaft in eine organisierte münden, die durch «public pressure» Politiker, zwischenstaatliche Institutionen geradezu herausfordern, ihre Transparenz, Rechenschaft und Legitimität zu erhöhen.

5.

Conclusio ^

[19]
Der Begriff Big Data bezeichnet große Datenmengen aus vielfältigen Quellen, die mit Hilfe neu entwickelter Methoden und Technologien erfasst, verteilt, gespeichert, durchsucht, analysiert und visualisiert werden können. Dies ist der mediale Zustand im Ubiquitous Computing. In diesem kann zwischen drei Gruppen von Menschen und Organisationen unterschieden werden: Solchen, die Daten hinterlassen (und das ist in einer informatisierten Welt faktisch jedermann) solchen die Daten sammeln (diese Gruppe ist entscheidend kleiner) und solchen, die Daten analysieren (diese Gruppe ist die Minderheit).31
[20]
Insgesamt lassen sich folgende Strömungen und Trends in der Presse- und Medienlandschaft identifizieren: (1) Der Datenjournalismus wird im Informations- und Kommunikationszeitalter zunehmend an Bedeutung gewinnen. Journalisten greifen auf öffentlich zugängliche Daten und Informationen im Internet zu.32 (2) Immer mehr verschmelzen traditionelle Medien mit der Blogsphäre, dies bedeutet einen Anstieg bürgerlicher Partizipation im Bereich der Meinungsbildung. (3) Engagierter Journalisten versuchen den investigativen Journalismus wieder zu neuem Leben zu verhelfen und diesen zugleich mit dem Datenjournalismus und einem qualitativen Bürgerjournalismus zu verbinden.33
[21]
Daten und Datensammlungen werden ihren Wert für Wirtschaft und Gesellschaft damit nicht allein durch Offenlegung und Enthüllung sondern insbesondere durch Analyse und Interpretation erlangen. Dieser Prozess führt wiederum zur Transformation des Rechts und seiner Darstellung.34 Will man also die symbolische Bedeutung enthüllter Informationen begreifen, muss man Geschwindigkeit, Herkunft, Menge und Kontext von Informationen in Betracht ziehen,35 denn das Filtern von Daten wird zum zentralen Herrschaftskalkül. Dem steht die Enthüllung gegenüber.
[22]
Von dem preisgekrönten US-Journalisten Christian T. Miller stammt der Satz: «News ist something someone doesn´t want printed. Everything else is advertising». Damit wird die Deutungskompetenz der Presse aber ebenso zum Maßstab für Demokratie, wie die Frage umfassender inhaltlicher Recherche.
[23]
Für die aufgeworfene Frage zeigt sich jedenfalls eine dynamische Veränderung der Medienlandschaft, die sich nicht zuletzt in der bürgerlichen Partizipation zeigt, die insgesamt gesehen zumindest eines fordert: Mehr Transparenz. Datenjournalismus bedeutet aber auch, dass Geschichten auf Beweisen und nicht allein auf Hinweisen basieren.36 Dieses Erfordernis lässt sich nur erlangen, wenn Filtern und Recherche unter dem Aspekt der Wahrheitssuche betrieben werden.
[24]
Dienen Enthüllungsplattformen also der Transparenz und Wahrheit? Stellen sie die vierte oder fünfte Gewalt im Staat dar? Der Physikprofessor und Science-Fiction-Autor Brin hat in seinem Roman «Earth» ein Szenario entworfen in dem die Nationen der Welt die Schweiz angreifen und einen Atomkrieg entfesseln, um den Geheimnissen und Erträgen von Regierungs- und Wirtschaftsskandalen, die in Schweizer Bankkonten verborgen sind, auf die Spur zu kommen. Brin stellte dabei fest, dass Geheimnisse immer den Mächtigen genutzt hätten. Die Mächtigen würden vom Schutz der Privatsphäre profitieren, denn sie könnten sich den Schutz ihrer Privatsphäre erkaufen, aber auch jeden Mechanismus, mit dem sich Privatsphäre schützen ließe. Sein Rat lautet daher: mehr Licht und Transparenz zu schaffen.37 Unter diesem Aspekt ist damit auch eine umfassende juristische Interessenabwägung zu treffen. Mit den Worten der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann heißt dies für die hier aufgeworfene Themenstellung zusammengefasst damit auch: «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar».38

6.

Literatur ^

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Jahnel, Dietmar, Handbuch Datenschutzrecht, Wien 2010.

Jahnel, Dietmar, Whistleblowing-Hotlines im Datenschutzrecht, ecolex 2009, 1028.

Kühling, Jürgen, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, Berlin 1999.

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Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Baden-Baden 2010.

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Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode, Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie18, Frankfurt am Main 2008.

Rell, Christian, Macht und Wahrnehmung – Journalismus in der Datenfalle? München 2009.

Schweighofer, Erich, Transformation Juristischer Sprachen, in: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Tranformation Juristischer Sprachen. Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Wien 2012, 35-38.

Trenkelbach, Holger, Internetfreiheit. Die Europäische Menschenrechtskonvention als «Living Instrument» vor neuen Herausforderungen?, Berlin 2005.

Uerpmann-Wittzack, Robert/Jankowska-Gilberg, Magdalena, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet, MMR 2008, 8.

Walter, Robert/Mayer, Heinz/Kucsko-Stadlmayer, Gabriele, Bundesverfassungsrecht10, Wien 2007.


 

Elisabeth Hödl

Lektorin, Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik an der Karl-Franzens-Universität Graz

Universitätsstraße 15/BE, 8010 Graz, AT

www.ubifacts.org, office@ubifacts.org

 

Sebastian Lukic

Studienassistent, Institut für Europarecht/Institut für Zivilrecht an der Karl-Franzens Universität Graz

Universitätsstraße 15/C1/B4, 8010 Graz, AT

www.ubifacts.org, office@ubifacts.org

 


  1. 1 Snowden, Ein Manifest für die Wahrheit, in Der Spiegel, 45/2013, 24.
  2. 2 Aschauer, Whistleblowing im Arbeitsrecht (2012).
  3. 3 Jahnel, Handbuch Datenschutzrecht (2010); Jahnel, Whistleblowing-Hotlines im Datenschutzrecht, ecolex 2009, 1028.
  4. 4 Glaser/Komenda, Whistleblowing in Österreich – Gefahren, Probleme und Lösungsmöglichkeiten, JPR 20, 207–225 (2012).
  5. 5 Durch die Massenpresse trifft ein zunehmend überregional getakteter Nachrichtenfluss auf ein breit gestreutes Lesepublikum.
  6. 6 Prigge, Die Fünfte Gewalt, www.heise.de/tp/artikel/20/20864/1.html (24. Dezember 2013). Der Journalist Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth haben den Begriff der «fünften Gewalt» für den Lobbyismus geprägt, eine Definition, die in dem hier aufgezeigten Kontext allerdings nicht zur Anwendung kommen soll. de.wikipedia.org/wiki/Lobbyismus (24. Dezember 2013).
  7. 7 Hier hat sich nicht zuletzt als Variante des Lokaljournalismus der Hyperjournalismus entwickelt, bei dem Nachrichten für kleine Gruppen und Nachbarschaften von Bürgern in Foren und Blogs unter redaktioneller Betreuung diskutiert werden, vgl. The Bakersfield Voice oder «YourHub»; für den deutschsprachigen Raum: www.myheimat.de (24. Dezember 2013).
  8. 8 Seit September 2010 können keine Unterlagen mehr hochgeladen werden, im Oktober 2011 wurde auch die Veröffentlichung von Dokumenten vorübergehend ausgesetzt. Der Allgemeinheit wurden viele Aktivitäten der Enthüllungsplattform WikiLeaks insbesondere durch die Vorfälle bekannt, die sich um den WikiLeaks GründerJulian Assange abspielten. Am 7. April 2010 stellte sich Assange den Behörden, er wurde als mutmaßlicher Vergewaltiger verfolgt. de.wikipedia.org/wiki/WikiLeaks (24. Dezember 2013).
  9. 9 Es handelt sich um ein Internet-Phänomen, das ein Kollektiv darstellt. Anonymous betrachtete das Internet als eigenständigen Raum, der von staatlichen Eingriffen frei bleiben soll. Cyber-Attacken sollten ein Zeichen für Transparenz sein und zugleich Szenarien sichtbar machen, die sich in der Informationsgesellschaft ereigneten und für diese maßgeblich seien.derstandard.at/1291454865216/Kommentar-der-anderen-Anonymous---das-Manifest (24. Dezember 2013).
  10. 10 derstandard.at/1291454865216/Kommentar-der-anderen-Anonymous---das-Manifest (24. Dezember 2013).
  11. 11 Ebenda.
  12. 12 Bernsdorff in Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 11, Rz. 1.
  13. 13 Walter-Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, Rz. 1456; vgl. VfSlg 12.086.
  14. 14 Mayer, B-VG4 (2007), Art. 13 StGG.
  15. 15 EGMR 2. November 2006 Kobenter, ÖJZ 2007, 342.
  16. 16 VfSlg 10.393.
  17. 17 EGMR 26. April 1979, Sunday Times, EuGRZ 1979, 386; 24.9.1992 Herczegfalvy, ÖJZ 1993, 96;Frowein in Frowein/Peukert, EMRK, S. 390.
  18. 18 Kühling, Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, 1999, S. 82 ff.; Trenkelbach, Internetfreiheit. Die Europäische Menschenrechtskonvention als «Living Instrument» vor neuen Herausforderungen?, 2005, S. 59.
  19. 19 Bernsdorff in Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 11, Rz. 9.
  20. 20 Ebenda.
  21. 21 Mayer, B-VG4 (2007), Art. 10 EMRK, III.2.
  22. 22 VfSlg 12.086.
  23. 23 Mayer, B-VG4 (2007), Art. 10 EMRK, III.3.
  24. 24 EGMR 29. August 1997 Worm, ÖJZ 1998, 35.
  25. 25 EGMR 21.Januar 1999 Fressoz u. Roire/Frankreich; EGMR 20. Mai 1999 Bladet Tromsö u. Stensaas/Norwegen.
  26. 26 EGMR 20. Mai 1998 Schöpfer, ÖJZ 1999, 237; VfSlg 13.694, 13.978, 14.005, 14.006, 14.007, 14.037, 14.218, 14.233, 14.316.
  27. 27 Christine M.Schenone. CWILJ 14 (1984), 501/529.
  28. 28 Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilberg, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Ordnungsrahmen für das Internet, MMR 2008, S. 8.
  29. 29 Die britischen Zeitungen wurden nach eigenen Angaben zur Vernichtung der Snowden Dokumente gezwungen http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-08/grossbritannien-nyt-snowden (8. November 2013).
  30. 30 Etwa Washington Post, El País, La Repubblica, Der Standard, AllAfrica, Oslobodenje oder Pravda.
  31. 31 Manovich, Trending: The promises and the challenges of Big Social Data, in Gold (Hg.), Debates in the digital humanities, Minneapolis 2012, 460–475.
  32. 32 Als rechtliche Grundlage für die Offenlegung von Daten und Informationen des öffentlichen Bereichs vgl. PSI-RL RL 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Abl Nr. L 345 vom 31. Dezember 2003 S. 0090 – 0096) novelliert durch RL 2013/37/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Änderung der RL 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors; sowie die Bundesgesetz über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz – IWG) und das Gesetz über die Weiterverwendung von Dokumenten öffentlicher Stellen (Dokumenten-Weiterverwendungsgesetz – DokWG).
  33. 33 Ein Beispiel für die Wiederbelebung des Investigativen Journalismus ist die Vereinigung «Netzwerk Recherche», die 2001 von Journalisten gegründet wurde. Zentrale Bausteine des «10-Punkte Programms» sind eine unabhängige, sorgfältige, umfassende und wahrhaftige Berichterstattung. Dabei soll der Grundsatz «Sicherheit vor Schnelligkeit» gelten. Das wichtigste Qualitäts-Scharnier in der täglichen journalistischen Praxis ist die «handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen.» Ein «uneingeschränkter Informantenschutz» ergänzt diese Leitlinien. Netzwerk Recherche setzt in dem neuen Medienkodex auf eine strikte Trennung zwischen Journalismus und PR. Gerade weil es in der Ausbildung und der journalistischen Praxis zu höchst bedenklichen Vermischungen dieser entgegengesetzten Berufsbilder kommt, heißt es in dem neuen Medienkodex eindeutig: «Journalisten machen keine PR.» www.netzwerkrecherche.de/ (24. Dezember 2013).
  34. 34 Vgl.Schweighofer, Transformation Juristischer Sprachen, in Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Transformation Juristischer Sprachen. Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions, Wien 2012, 35–38.
  35. 35 Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie18, Frankfurt am Main 2008, 11–26.
  36. 36 Wolschan, Österreich hinkt bei Datenjournalismus hinterher www.computerwelt.at/news/wirtschaft-politik/netzpolitik/detail/artikel/oesterreich-hinkt-bei-datenjournalismus-hinterher/ (24. Dezember 2013).
  37. 37 Brin, Earth, New York 1994.
  38. 38 Ingeborg Bachmann, Rede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1958.