Jusletter IT

In Memoriam Lothar Philipps

  • Authors: Rainhard Z. Bengez / Georg Jakob / Friedrich Lachmayer / Erich Schweighofer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Rainhard Z. Bengez / Georg Jakob / Friedrich Lachmayer / Erich Schweighofer, In Memoriam Lothar Philipps, in: Jusletter IT 26 February 2015
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Lothar Philipps hatte regelmäßig an IRIS, dem jährlichen Internationalen Rechtsinformatik-Symposion in Salzburg teilgenommen und mit seiner Gegenwart, mit seinen Ideen und mit seinen Gesprächen die Community-Landschaft von IRIS mit geprägt. Im Rahmen von IRIS 2004 «Informationstechnik in der juristischen Welt», wurde ihm daher im Rahmen des Schwerpunkts Rechtstheorie aus Anlass seines 70. Geburtstages ein Kolloquium gewidmet.1

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Themen der Rechtsinformatik brauchen viel Geduld, weil noch sehr viel Arbeit notwendig ist, um die gewünschte Qualität zu erzielen. Das spielerische, freudige Umgehen mit diesen Themen im Rahmen von IRIS hilft, das «gescheite Leute» zusammensitzen und die Wissenschaft weiterbringen wollen. Dies ist eine sehr europäische, aber wesentliche und wichtige Form der Wissenschaft, eine unverzichtbare Grundlage, insbesondere wenn es wenig Ressourcen gibt. Die Publikationen sind generell wenige, oft nicht den strengen Publikationsregeln entsprechend. Aber die Grundlage ist getan und wenn die Ressourcen da sind, können diese Ideen weiterentwickelt und in eine den amerikanischen Wissenschaftskriterien entsprechende Form gebracht werden: Es ist anzumerken, dass die Wissenschaft als europäische entstanden ist und es auch ganz schön weit gebracht hat.

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Unerwartet ist Lothar Philipps in München im November 2014 von uns gegangen.
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Wir dürfen seinem Gedenken diese Zeilen widmen:
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Lothar Philipps war ein außergewöhnlich kreativer Rechtstheoretiker und ein wohlwollender Mensch. Er beteiligte sich nicht an den zeitgemäßen Streitigkeiten, ob es eine eigene Rechtslogik gäbe, er wandte sich auch nicht aggressiver Weise gegen die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen, sondern zog unbeirrt seinen Weg, indem er formale Modelle, insbesondere der Logik und der Mathematik auf das Recht anwandte.
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Irgendwie entstand der Eindruck, dass er diese Themenstellungen wie Rätsel, wie Kriminalromane auffasste, die es zu lösen gilt. Zum Teil waren die formalen Modelle ein Rätsel, zum Teil das Recht, zum Teil beides.
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Man könnte ihn als einen Aristoteliker bezeichnen, der in kundiger Neugier die Universalia in den Sachen sucht und auch findet. Es war immer Neues, was den Zuhörern und Lesern in seinen Vorträgen und Aufsätzen begegnete und diese und auch ihn faszinierte.
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Seine Vorträge waren zumeist auch Werkstattgespräche, die er mit einer immensen Offenheit anging, mit einer jungenhaften Begeisterung, die der Schönheit der formalen Modelle und den Strukturen des Rechtes galt, stets bereit zu lernen.
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Andererseits bereitete es ihm ein sichtliches Vergnügen, sich skurrile virtuelle Fälle auszudenken, an denen er die Anwendung logischer Modelle demonstrieren konnte. Vielleicht eine Auswirkung seiner strafrechtlichen Lehrtätigkeit an der Universität.
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Ein für ihn zentrales Forum war durch Jahrzehnte das Donnerstagsseminar am Rechtsphilosophieinstitut in München, doch war er mit seinen Ideen und den Diskussion darüber keineswegs an einen Ort gebunden. Für einen Künstler, für einen Schachspieler, und auch für einen Logiker ist es nicht relevant, ob er sich in Europa, in den USA, oder in Japan befindet. Als Theoretiker befand sich Lothar Philipps stets am rechten Ort, in seiner Zeit, in seiner Gegenwart.
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In seiner Zeit, in tempore suo, kamen die neuronalen Netze auf, zu denen die meisten Juristen aufgrund ihrer textuellen Gebundenheit keinen rechten Zugang hatten. Lothar Philipps konnte jedoch mit ihnen umgehen. An Kasuistik vom Strafrecht her gewöhnt und mit dem entsprechenden theoretischen Scharfblick ist es ihm gelungen, die neuronalen Netze in die Rechtsinformatik zu integrieren und sie mit der ihm eigenen kreativen und experimentellen Weise zu trainieren und dadurch neue Aspekte aufzuzeigen. Niemand konnte das so gut wie Lothar Philipps, der damit in die Top Ten der Rechtstheorie aufstieg. Dieser Rang und diese Würde sind ihm zeitlebens auch geblieben und wirken jetzt noch nach.2

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Auf seine Art gehörte Lothar Philipps auch zu den wesentlichen Stützen der Rechtsinformatik im deutschsprachigen Raum. Für derartige Themen hatte er immer Zeit und unterstützte Jungwissenschaftler entsprechend. Es war nicht seine Art, sich mit der amerikanischen Form der Wissenschaft intensiv auseinanderzusetzen; er wollte mit seinen Gedanken und Ideen überzeugen; die weitere Arbeit überließ er gern anderen. Noch in sehr guter Erinnerung ist sein Eingeladener Vortrag über Artificial Morality – A New Discipline in the Natural Law Tradition - bei der ICAIL1993 in Amsterdam. Er führte die Spieltheorie in die AI & Recht Community ein, die nunmehr in Multiagent-Systemen so populär ist.3

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Lothar, ein lieber Freund, Mentor, Lehrer und eine der wenigen Personen, die einen zum Lachen brachten, immer intellektuell forderten, ein feiner, ein lieber Mensch; einer jener Menschen, die einem durch ihr bloßes Dasein die Last des Alltags nahmen, ist von uns gegangen. Er war nicht nur ein Pionier der Rechtslogik & Rechtsinformatik, sondern auch ein begnadeter Lehrer und ein Denker der Rechtsphilosophie. Sein zentrales Thema war die Suche nach den (strukturellen) Invarianten, was ihn über die Intuitionistische Logik, die Symmetrie und über die Schönheit der Dinge und des Rechts letztlich auch zu der Einsicht führte, dass das Ganze auf wenigen Prinzipien ruht und die Summe der Lösungen der Rechtsprobleme wesentlich umfangreicher ist, als die kleine Summe der Rechtsprobleme an sich. Er sah die Welt als verbunden an und folgte somit einem ontologischen Ansatz von Spinoza und Leibniz. Das Wesentliche ist verwebt, verbunden. So auch wir mit dir, lieber Lothar.

 

Rainhard Bengez

 

Georg Jakob

 

Friedrich Lachmayer

 

Erich Schweighofer

  1. 1 Schünemann, Bernd, Tinnefeld, Marie-Theres, Wittmann, Roland (Hrsg.), Gerechtigkeitswissenschaft – Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstages von Lothar Philipps, Festschrift Lothar Philipps, BWV Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin (2005).
  2. 2 Philipps Lothar, Sartor, Giovanni, Introduction: from legal theories to neural networks and fuzzy reasoning, Artificial Intelligence and Law, 7(2–3), S. 51–63 (1999).
  3. 3 Philipps, Lothar, Artificial Morality and Artificial Law, Artificial Intelligence and Law, 7(2), S. 115–128 (1999).