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Zwei Jubiläen als Anlass zur Reflexion

  • Author: Roland Traunmüller
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2015
  • Citation: Roland Traunmüller, Zwei Jubiläen als Anlass zur Reflexion, in: Jusletter IT 26 February 2015
Zwei Jubiläen sind der Anlass, die Entwicklung von Verwaltungsinformatik und von E-Government zu reflektieren. Der Rückblick geht vorab auf beide Ereignisse ein, die vor dreißig bzw. fünfzehn Jahren stattfanden. Beide Tagungen werden in ihrem Umfeld beschrieben und einige nachfolgende Meilensteine erwähnt. Eine Betrachtung zum Status quo leitet zu aktuellen Herausforderungen über.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Zwei Jubiläen als Anlass zur Reflexion
  • 2. Internationale Fachtagung Verwaltungsinformatik Linz
  • 3. IFIP Welt Kongress Wien und Budapest
  • 4. Frühe Meilensteine: GI Reader 1999, DEXA Aix 2002, EU Como 2003
  • 5. Electronic Government als umfassendes Paradigma
  • 6. Der Schwenk auf den Staat
  • 7. Blick auf einige Baustellen
  • 8. Literatur

1.

Zwei Jubiläen als Anlass zur Reflexion ^

[1]
Die erste große Fachtagung mit dem Thema Verwaltungsinformatik des deutschen Sprachraums fand 1983 in Linz statt. Der Tagungsband erschien bei Springer erst ein Jahr später – der damalige Stand der Publikationstechnik war etwas gemächlicher als heute. Die wissenschaftliche Tagung in Linz, welche von den Informatikgesellschaften GI (Bonn), ÖGI, ADV und OCG getragen war, verlief sehr erfolgreich und hatte große Resonanz. Die Konferenz vereinte die kleine Gruppe von wissenschaftlich Tätigen mit einer großen Zahl von Praktikern. Alle waren stolz darauf, dass sich Verwaltungsinformatik als eigenes Gebiet etabliert hatte. Das zweite Jubiläum betrifft den IFIP Welt Kongress Wien und Budapest 1998. Der Ausdruck «Electronic Government» erschien bei dieser Gelegenheit als neues Label und brachte eine große Zahl einschlägiger Beiträge. Diese neue, griffige Bezeichnung hat dann auch schnell den bis dahin verwendeten Ausdruck «Information Systems in Public Administration» abgelöst. Der Rückblick auf diese beiden Ereignisse vor dreißig bzw. fünfzehn Jahren sei Anlass zur Reflexion.

2.

Internationale Fachtagung Verwaltungsinformatik Linz ^

[2]
Für den deutschen Sprachraum organisierte der Autor 1983 in Linz eine solche wissenschaftliche Tagung, welche von den Informatikgesellschaften GI (Bonn), ÖGI, ADV und OCG getragen war (Traunmüller et al., 1984). Das damalige Gesamtbild war so beschaffen, dass unter dem Namen der Automatisierten Datenverarbeitung zahlreiche Anwendungen liefen, die im weiteren Verlauf durch Anbindung an Datenbanken zu Informationssystemen integriert worden waren. Man könnte auch so formulieren: Die Unterstützung von Vorgangsketten entwickelte eine Eigendynamik und führte zur Integration der Informationsflüsse, zur Anbindung an Datenbanken und zum Management des Informationsbedarfes. In Rückschau kann gesagt werden, dass die Fachtagung 1983 zugleich der Beginn neuer Themen war, die wie Arbeitsplatzrechner, Expertensysteme und Human Factors die Achtzigerjahre prägten.
[3]
Doch zurück zur Situation der Fachtagung. In den 70er Jahren waren Ausweitung und Formierung beherrschende Themen. Es war die Zeit, in der die öffentlichen Verwaltungen in Kernaufgaben informatisiert wurden. Formierung kann als eine logische Folgerung der Ausweitung angesehen werden, denn erst durch solche Maßnahmen war es möglich, das starke quantitative Wachstum in geordnete Bahnen zu lenken. Verbunden mit einer Knappheit an Ressourcen liefen die Formierungsvorhaben meist auf eine Zentralisierung hinaus. Beispiele waren Landesrechenzentren, Fachrechenzentren, zentrale Register und Datenbanken usw.
[4]
Das Entstehen einer eigenständigen Verwaltungsinformatik hat die Linzer Fachtagung veranlasst und geprägt. Es war das Vorhandensein unterschiedlicher Interessen, welches zu einer Aufspaltung der Rechtsinformatik in zwei Disziplinen geführt hatte. Für Einzelheiten dieser Entwicklung sei auf die Darstellungen in (Reinermann, 1989) und (Traunmüller, 1997) verwiesen. In der Interpretation könnte man von der normativen Kraft des Faktischen sprechen, denn es waren die zahlreichen Entwicklungen der Praxis, welche – gleichsam als ein Anwendungsschub – eine eigenständige Verwaltungsinformatik verlangt hatten. Erwähnt sei noch, dass diese Aufspaltung kaum mit Konflikten verbunden war. Vielmehr fand ein langsames Auseinanderdriften statt. Diese Entwicklung spiegelte sich im institutionellen Rahmen wieder und so erfolgte innerhalb der deutschen und der österreichischen Informatikgesellschaften die Gründung eigener Fachgremien für den Bereich Verwaltungsinformatik. So wurde von den österreichischen Computergesellschaften 1982 ein gemeinsamer Arbeitskreis «Verwaltungsinformatik» gegründet, der vom Autor dieses Beitrages geleitet wurde. Später ging dann der Arbeitskreis in das «Forum E-Government» über.

3.

IFIP Welt Kongress Wien und Budapest ^

[5]
Der IFIP Welt Kongress 1998 wurde von der Österreichischen Computer Gesellschaft und der John von Neuman Gesellschaft organisiert und fand zwei Tage in Wien und zwei Tage in Budapest statt. Der dazwischenliegende Transfer fand mit der Bahn bis Komarom und dann per Schiff nach Budapest statt. Für etwa tausend Teilnehmer war dieses Arrangement mit erheblicher logistischer Planung verbunden – lief dann aber reibungslos. Der Weltkongress war ein großer Erfolg und die Tagung ist in Proceedings für Teilkonferenzen dokumentiert. Der Teil Telekooperation enthielt die Gebiete E-Commerce, E-Government und Computer Supported Cooperation (Traunmüller und Csuhaj, 1998). Der Ausdruck Electronic Government setzte sich dann auch schnell durch; er war griffig und erleichterte die Integration von Personen, die sich nicht primär als Informatiker bezeichnen würden (sondern sich vielmehr dem Fach ihres ursprünglichen beruflichen Weges verpflichtet fühlten). Angemerkt sei, dass innerhalb der IFIP noch heute eine Working Group (IFIP 8.5) mit der zur Gründungszeit üblichen Bezeichnung «Information Systems in Public Administration» existiert. Man kann dies als einen Ausdruck von Nostalgie, aber auch als ein Zeichen von Zentrierung auf Informatikbezüge deuten.

4.

Frühe Meilensteine: GI Reader 1999, DEXA Aix 2002, EU Como 2003 ^

[6]
GI Reader 1999: Unter den darauf folgenden Meilensteinen ist vor allem der GI Reader zu nennen. Der Sammelband «Öffentliche Verwaltung und Informationstechnik: Perspektiven einer radikalen Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung mit Informationstechnik» wurde im Auftrag des «GI-Fachausschusses Verwaltungsinformatik» vom Autor gemeinsam mit Klaus Lenk herausgegeben und behandelt detailliert in Einzelbeiträgen die verschiedenen Themen von Televerwaltung und Electronic Government (Lenk und Traunmüller, 1999).
[7]
DEXA Aix 2002: Anlässlich der Tagung in Aix-en-Provence erfolgte die Gründung der eGOV-Konferenzen im Rahmen des DEXA-Konferenz-Clusters (Traunmüller und Lenk, 2002). Ziel war es, die Europäische R&D Community zu sammeln und in einem Tagungsband bei Springer Stand und Perspektive zu dokumentieren. Diese Tagung war auch insofern eine Neuerung, weil sie im Zuschnitt einer wissenschaftlichen Konferenz und ohne Sponsor erfolgte. Dadurch unterschied sie sich von vielen anderen E-Government Veranstaltungen. Die Tagung hatte über 100 Teilnehmer und brachte einen vollen Erfolg. Sie war zudem der Start einer Konferenzreihe E-Government und wurde bis 2005 am Linzer Institut geplant. Neben der Durchführung dieser großen eGOV-Tagungen war das Linzer Institut an der Organisation und Durchführung zahlreicher kleiner Spezialkonferenzen zum Wissenstransfer in E-Government beteiligt. Diese fanden in diversen Städten in Osteuropa und im Vorderen Orient statt, so in Budapest, Prag, Vilnius, Schiras und Damaskus.
[8]
Como 2003: Die erfolgreiche DEXA-Tagung erhöhte den Bekanntheitsgrad der Herausgeber und so erging an diese die Einladung der EU, am «Como Leitfaden zu E-Government» mitzuwirken. Die Ministerialen E-Government Konferenzen mit der Verleihung der E-Government Awards im zweijährigen Wechsel waren Höhepunkte des Geschehens. Bei diesen Konferenzen suchte ein umfangreiches Auswahlverfahren aus jeweils mehr als hundert Einreichungen die Preisträger heraus (vgl. zum Verfahren Leitner et al., 2008). Besondere Bedeutung hatte die Konferenz 2003 in Como insofern, dass bei ihr der «EC Como Leitfaden zu E-Government» vorgestellt wurde (EC-Como, 2003).

5.

Electronic Government als umfassendes Paradigma ^

[9]
Hier folgt ein kurzer Abriss, für Details sei auf die Literatur verwiesen (z.B. Chen et al. 2007, Traunmüller und Wimmer, 2005 und 2007). Im Grunde dreht sich bei E-Government alles um Telekooperation, welche Verwaltungsleistungen an Orten ihren Empfängern zugänglich macht, die weit vom Ort ihrer Erstellung entfernt sind. Die Aufspaltung von Prozessen der Dienstleistungserstellung ist der Grundgedanke. Es gibt die Möglichkeit, Geschäftsprozesse aus ihrer örtlichen Bindung zu lösen und in Arbeitsteilung zwischen räumlich voneinander entfernten Mitarbeitern zu erbringen. Zugleich ist eine weitgehende Integration elektronischer Kommunikation angesprochen, die die Institution als Ganzes wie auch deren Beziehungen nach außen anbelangt. Da Verwaltungen meistens über ein Netz von Behörden und Kooperationen agieren, ist eine große Zahl verschiedener Akteure betroffen. Die konkrete Umsetzung entwickelte sich jeweils in Phasen, beginnend mit der Präsenz der Verwaltung im Web und gefolgt von der Übernahme einzelner Transaktionen. Darauf folgten Bündelung, Teil-Automatisierung und Reorganisation der Abläufe.
[10]
Die umfassende Integration und die wachsende Komplexität machten eine ganzheitliche Sicht vonnöten. Diese Gesamtsicht leistet Electronic Government. Nachfolgend werden einige Grundzüge aus dem «EC Como Leitfaden zu E-Government» zitiert:
  • E-Government unterscheidet sich von den von New Public Management inspirierten Verwaltungsreformen, baut jedoch auf ihnen auf.
  • E-Government bemüht sich um eine grundlegende Änderung der Prozesse, in denen öffentliche Dienstleistungen erstellt werden.
  • E-Government verändert somit sämtliche Beziehungen, in denen öffentliche Organisationen zueinander und mit ihrer Umwelt stehen (G2C, G2B und G2G).
  • E-Government birgt ein enormes Potenzial zur Verbesserung der Leistung von öffentlichen Institutionen und zur Errichtung einer virtuellen und kooperativen Verwaltung.
  • E-Government ist der Schlüssel zu «Good Governance» in der Informationsgesellschaft.
  • E-Government benötigt eine auf die künftigen politischen Institutionen bezogene Vision.
  • E-Government bedeutet nicht nur die Einführung einer neuen Technologie, sondern bringt einen kulturellen Wandel mit sich.

6.

Der Schwenk auf den Staat ^

[11]
Obige Sicht des Como-Berichtes aus 2003 beschreibt bereits trefflich die Grundzüge von E-Government. Inhaltlich jedoch hat sich E-Government innerhalb eines Jahrzehntes wesentlich weiter entwickelt. Von den vielen Beispielen seien einige heraus gegriffen.
[12]
Wichtig ist ein adäquates Vorgehen beim Entwurf von Systemen. Dabei hat sich die Sicht einer Gestaltungskunde durchgesetzt hat. Es soll nicht der Mensch der Technik, sondern die Technik dem Menschen angepasst werden. Die Informationstechnik kann durch ihr reichhaltiges Instrumentarium eine Vielzahl von technischen Lösungswegen und somit gestalterische Freiräume bieten.
[13]
Eine besonders hervorzuhebende Entwicklung liegt in einem neuen und großen Interesse an Verwaltung und Staat im Sinne von Public Governance. Dies hat eine Reihe wichtiger Themen verstärkt. Hier wird auf einige eingegangen, so auf die Möglichkeiten von Rückmeldungen durch die Bürger, auf die Betonung von Bürgerinformation, auf neue Formen der Partizipation und auf den Ausbau von Wissensmanagement.
[14]
Rückmeldungen: Dies bedeutet Informationsflüsse in beide Richtungen. Die Verwaltung gibt Informationen und erhält Rücklauf. So können Auswirkungen verschieden gemessen werden: externe Auswirkungen durch Meldungen über Zufriedenheit, interne Auswirkung durch Zahlen über den Durchsatz, Vorteile über Kosteneinsparungen usw. Die meisten Rückmeldungen erfolgen durch Web 2.0 Nutzung. Das Web 2.0 steht für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets. Wesentlich ist dabei, dass der Nutzer nicht nur den Inhalt konsumiert, sondern vielmehr selbst Inhalte zur Verfügung stellt (soziale Medien). So können in etwa von den Bürgern bestimmte Budgets, etwa für Freizeiteinrichtungen, beeinflusst werden.
[15]
Bürgerinformation: Auskunftssysteme sind eine spezielle Form von Informationssystemen, die der Öffentlichkeit Lösungen für Alltagsprobleme liefern. Im Gegensatz zu einem Informationssystem erteilt ein Auskunftssystem nur Auskünfte, verändert aber keine Daten. Bürgerinformationssysteme umfassen Informationen und Hilfsmittel, welche das Zurechtfinden im öffentlichen Leben erleichtern. Die wichtigsten Teile solcher Informationssysteme sind allgemeine Wegweiser-Funktionen, Anspruchsinformationen über Verwaltungsleistungen sowie Struktur- und Planungsinformationen. Diese Aufgaben sind alles andere als trivial, denn die Verwaltung formuliert im administrativ-rechtlichen Jargon, der Anwender jedoch denkt in Kategorien des Alltags. Die Forderung nach Hilfe ist verständlich. Einerseits hat dies mit dem Erklärungsbedarf vieler öffentlicher Angelegenheiten zu tun, andererseits mit der Tatsache, dass solche Leistungen eher selten in Anspruch genommen werden.
[16]
Bürgerbeteiligung: Aktualität des Themas Partizipation ist hoch – nicht verwunderlich, angesichts einer Herausforderung durch offenkundige demokratische Defizite in der Gesellschaft. Erhöhung der Partizipation ist ein großes Anliegen der Politik; so verspricht man sich mehr Engagement am politischen Geschehen. Die Mitarbeit der Bürger ist unter den Gesichtspunkten Transparenz und Kontrolle erwünscht. Auch soll das verstreute Wissen der Gesellschaft (in Form des Sachverstandes der beteiligten Bürger) in die Qualität der Entscheidungen eingehen. Durch das Internet im Allgemeinen und mit den sozialen Medien im Besonderen werden neue und verstärkte Formen von Partizipation erreicht. Zu den bevorzugten Aktivitäten gehören Informationsaustausch, Meinungsbildung und gemeinsame Willensbildung. Im Idealfall bilden sich Anlass orientierte Gemeinschaften, die entsprechende Eigendynamik entwickeln, vor allem dann, wenn sie auf bestehende private Netzwerke aufsetzen können. Werkzeuge können auch eher einfache Hilfsmittel sein, welche dessen ungeachtet starken Einfluss ausüben wie Mailinglists oder Chat Rooms. In E-Participation werden Zustimmungen gesammelt, Petitionen erstellt und Campaigning und Monitoring betrieben. Im letzteren gilt besonderes Augenmerk der Verwendung von Budgetmitteln oder den Aktivitäten der Abgeordneten.
[17]
Wissensmanagement: Wissen kann als die Gesamtheit der im menschlichen Gedächtnis fixierten Kenntnisse und Fähigkeiten bezeichnet werden, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Kollaboration und verteiltes Wissen sind nicht voneinander zu trennen, worauf die zentrale Rolle des Wissensmanagements beruht. Allgemein sind Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen als typische Wissensarbeiter anzusehen. Das Management von Wissen ist eine gewichtige Forderung, da das Ausmaß steuerungsrelevanter Gestaltungsfelder für Politik und Verwaltung groß ist. Es umfasst alles, womit das Verwaltungshandeln ständig umzugehen hat, so das eigene Handeln, Zustände die Verwaltung selbst betreffend, die Umwelt und die Grenzen des eigenen Handelns. Daraus resultiert, dass die Wissensarten der Verwaltung vielfältig und komplex sind. Die Hauptkategorien umfassen Register, rechtliches Wissen und Managementinformation. Dazu kommen etwaige Notizen, interne Entwürfe und Detailausarbeitungen. Bei anstehenden Entscheidungen wirken verschiedene Kategorien von Wissen, Fallwissen, Prozesswissen, Rechtswissen und Kontextwissen zusammen. Wissensmanagement hat Dynamik und ist eine ständige Herausforderung. Das erfordert ein laufendes Sammeln und Bewerten von Wissen, wie auch ein kritisches Prüfen von Denkweisen sowie ein Orten von Redundanzen und Überlappungen.

7.

Blick auf einige Baustellen ^

[18]
Allgemein ist in E-Government vieles im Fluss und so schließt der Beitrag mit einer Sicht auf wichtige Baustellen.
[19]
Entscheidungsmodelle: Verwaltungsentscheidungen sind so durch besondere Fragestellungen charakterisiert und weisen häufig eine hohe Komplexität auf. Das Spektrum an Entscheidungstypen ist breit: reine Wenn-dann-Entscheidungen (Anspruch auf Studienbeihilfe), Fallbehandlung mit weitgehend Routinevorgehen (Berechnung der Umsatzsteuer), komplexe Gestaltungsentscheidungen (Genehmigung eines Bauprojektes) und Programmformulierungen (Gesetzgebung). Methodisch kommt eine Vielzahl von Lösungsmodellen zum Einsatz, so Statistiken (Demographie), Tabellenkalkulationen (Budgeterstellung), Simulationen (Auslastungen) oder Expertensysteme (Mietpreise). Deren Grundidee ist, bestimmte Klassen von Aufgaben von speziellen Programmen lösen zu lassen, wobei das Problemlösen eines menschlichen Experten simuliert wird.
[20]
Kollaborative Plattformen: Über die Unterstützung strukturierter Geschäftsprozesse (Workflow) hinaus gibt es einen Bedarf zur Unterstützung von formfreier, nur wenig strukturierter Kommunikation. Da Verhandlungen und Konsensusbildung einen großen Teil der administrativen Arbeit ausmachen, ist die IT-Unterstützung von solchen Aktivitäten essentiell. Plattformen umfassen konventionelle Mittel wie Mailinglisten und Foren, aber auch ausgefeilte Werkzeuge wie Groupwaresysteme für Brainstorming, Argumentation und Diskurs. Zudem spielt Multimedia eine wichtige Rolle.
[21]
Semantische Technologien: Es gilt akkumuliertes und gespeichertes Wissen zielgerichtet zu verwenden. Semantische Technologien bieten zusätzliche Hilfen im Darstellen, Verwalten und Verarbeiten von Wissen. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die Interoperabilität. Diese wird durch verschiedene Methoden unterstützt, so mit XML/RDF Beschreibungen oder in komplexen Fällen mittels Ontologien. Ein umfassendes Projekt im langfristigen Zuschnitt ist das Semantische Web. Dabei werden in menschlicher Sprache ausgedrückte Informationen für das Internet mit einer eindeutigen Beschreibung ihrer Bedeutung (Semantik) versehen.
[22]
Open Government: Open Government inkludiert beides, hohe Ideen und sehr konkrete Applikationen. Die Grundidee dreht sich vorrangig um Freiheit der Information und geht zurück auf den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und auf die Französische Revolution. Open Government Data macht die von der Verwaltung gesammelten öffentlichen Daten frei zugänglich. Leitgedanken sind Transparenz, Offenheit und die Schaffung von Public Value. Relevante öffentliche Daten sind etwa Geo-Daten, Verkehrsdaten, Umweltdaten, Budgetdaten oder statistische Daten. Diese Daten sollen in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden, so dass sie weiter verarbeitet werden können. So sind Unternehmen in der Lage, mit den angebotenen Daten neue Anwendungen und Dienste zu erstellen.
[23]

Mobile Government: Unsere Städte und der berufliche Alltag verlangen viel Mobilität, was zu mobile Government führt. Im Wesentlichen handelt es sich um die Überlagerung zweier Innovationen, von sozialen Medien und Smartphones. Das Arbeiten mit Apps und ein intensiver Austausch von Short Messages bringen ein geändertes Kommunikationsverhalten. Die hohe Erreichbarkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit der Durchführung bei Aktivitäten geringer Priorität. Dies kann Aufgaben beeinflussen, für welche eine höhere Beteiligung vorteilhaft ist, so in Marketing oder bei Partizipation.

[24]
Big Data: Ziel der Analytik ist es, schnellere Antworten zu bekommen und gezielte personalisierte Information zu erhalten. Der Ausdruck Big Data wurde eingeführt, um Datenmengen zu bezeichnen, die zu groß und komplex oder sich zu schnell verändern, um sie mit klassischen Methoden der Informationstechnik auszuwerten. Kriterien sind somit die drei Faktoren «Volume, Variety und Velocity». Die gesammelten Daten können aus vielen Quellen stammen, was eine hohe Heterogenität bedeutet. Bei unstrukturierten Dokumenten schafft man strukturierte Information mittels Extrahierung von Information. In den Analysen treten Probleme dadurch auf, dass vielfach Aspekte weggelassen werden müssen. Diese Form von Abstraktion verlangt Bedachtsamkeit und Erfahrung. Ein weiteres Problem ist, dass der Beobachter eine «Makroperspektive» hat und die Abläufe zu wenig versteht. Da die Daten sich auf die Vergangenheit beziehen, ist eine Einsicht in die Dynamik des Systems hilfreich.

8.

Literatur ^

Hsichun Chen, Lawrence Brandt, Valery Gregg, Roland Traunmüller, Sharon Dawes, Eduard Hovy, Ann Macintosh, Catherine Larson (Eds.), Digital Government: E-Government Research, Case Studies, and Implementation, Springer-Verlag, New York Inc. (ISBN 978-0387716107), 2007.

EC-Como-Report, E-Government in Europe: The State of Affairs, edited by Christine Leitner, presented at the e-Government Conference in Como, EIPA, Maastricht (ISBN 90-6779-182-2), 2003.

Christine Leitner, Roland Traunmüller, Maria Haase, The State of Affairs of e-Government in the European Union, In: Josef Makolm, Christine Leitner, Gertraud Orthofer, Roland Traunmüller (Hrsg.), Eastern European e|Gov Days 2008: Tangible Results and New Perspectives, Conference Proceedings 2008, S. 391–400, 2008.

Klaus Lenk, Roland Traunmüller (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung und Informationstechnik: Perspektiven einer radikalen Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung mit Informationstechnik. Schriftenreihe Verwaltungsinformatik Bd. 20, im R. v. Decker´s Verlag, Heidelberg, 1999.

Heinrich Reinermann, 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 4 EDV-Phasen in der öffentlichen Verwaltung, VOP, 3, 1989, S. 126, 1989.

Roland Traunmüller, Herbert Fiedler, Klaus Grimmer, Heinrich Reinermann (Hrsg.), Neue Informationstechnologien und Verwaltung, Informatik-Fachberichte 80, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, 1984.

Roland Traunmüller, Rechtsinformatik auf dem Weg ins nächste Jahrzehnt. In Informatik in Recht und Verwaltung: Entwicklung, Stand und Perspektiven. R. v. Decker’s Verlag. Heidelberg. S. 3–24, 1997.

Roland Traunmüller, Erszebet Csuhaj (Eds.), Telecooperation. Proceedings of the XV. IFIP World Computer Congress, 31 Aug. – 4 Sept. 1998, Vienna and Budapest, OCG Schriftenreihe, 1998.

Roland Traunmüller, Klaus Lenk (Eds.), Electronic Government. First International Conference EGOV within DEXA 2002. Aix-en-Provence. France. September 2002. Springer (ISBN: 3-540-44121-2), 2002

Roland Traunmüller, Maria Wimmer, Online one-stop Government. Wirtschaftsinformatik 47, Heft 5, S. 383–386, 2005.

Roland Traunmüller, Maria Wimmer, Knowledge Management and Electronic Governance, In: Tomasz Janowski, Theresa A. Pardo (Eds.). Proceedings of the 1st International Conference on Theory and Practice of Electronic Governance (ISBN 978-1-59593-822-0), ICEGOV 2007, 10–13 December 2007, Macao, China, 2007.


 

Roland Traunmüller, Universitätsprofessor, Johannes Kepler Universität Linz, Altenbergerstr. 69, 4040 Linz, AT, traunm@ifs.uni-linz.ac.at